Ungarn (Land)

Ungarn (ungar. Magyarország), Kurzform für Republik Ungarn (ungar. Magyar Köztársaság).

Inhaltsverzeichnis

1 Statistische Angaben


Lage:
Staat in Ostmitteleuropa, angrenzend an die Slowakei (Grenzlänge: 664,7 km), die Ukraine (135 km), Rumänien (448 km), Serbien (166 km), Kroatien (329 km), Slowenien (102 km) und Österreich (356 km). Die Fläche des Staatsterritoriums beträgt 93.028 km².
Einwohner (2006):
10.064.000, davon 47,5 % männlich, 52,5 % weiblich; Altersstruktur (2005) 0–14 Jahre: 13,8 %, 15–64 Jahre: 69,1 %, 65 Jahre und älter: 17,1 %; Bevölkerungsdichte: 108,2 Einwohner/km²; 66,0 % im arbeitsfähigen Alter (Männer 15–64, Frauen 15–59); 65,1 % Beschäftigte (von den Personen im erwerbsfähigen Alter); 7,5 % Arbeitslose; Bevölkerungsentwicklung 1950–2005: 0,12 % jährlich, 1990–2005: –0,17 % jährlich; Nationalitäten (nach der Volkszählung 2001): 9.416.045 Ungarn (92,3 %), 189.984 Roma (1,9 %), 62.105 Deutsche (0,6 %), 17.693 Slowaken (0,2 %), 15.597 Kroaten (0,2 %); 7995 Rumänen (0,1 %), 25.017 andere (0,3 %), 570.537 ohne Angabe (5,6 %). Religionszugehörigkeit (nach der Volkszählung 2001): 51,9 % Katholiken, 19,5 % Protestanten, 2,6 % Unierte, 0,2 % orthodoxe Christen, 0,2 % andere Christen, 0,1 % Juden, 0,1 % andere, 14,5% Nichtbekennende.
Hauptstadt und größere Städte (2005):
Budapest (1.698.106), Debrecen (204.083), Miskolc (174.416), Szeged (163.259), Pécs (156.116), Raab (128.279), Nyíregyháza (115.954), Kecskemét (108.835).
Währung: 1 Forint (ft.) = 100 Fillér (fl.) – nur noch nominelle Einteilung.
Wappen:
left
Das Staatswappen zeigt einen Schild, der links rot-silbern gestreift ist und rechts ein Doppelkreuz auf rotem Grund, darunter eine Krone auf drei Hügeln stehend zeigt; über dem Schild ist die Stephanskrone abgebildet.
Flagge:
left
Trikolore in den Farben rot-weiß-grün, längsgestreift.
Hymne: Isten, áldd meg a magyart („Segne, Herr, mit frohem Mut reichlich den Magyaren“), Text von Ferenc Kölcsey (1790-1838), Musik von Ferenc Erkel (1810-93).
Feiertage:
Staatliche Feiertage: 15. März (1848-1849-es forradalom és szabadságharc kezdetének, „Jahrestag des Beginns der Revolution und des Freiheitskampfes von 1848/49“), 20. August (Sz. István ünnepe; St. Stephanstag, =Tag der Staatsgründung), 23. Oktober (1956-os forradalom és szabadságharc ünnepe/Magyar Köztársaság 1989. évi kikiáltásának napja, „Jahrestag der Revolution und des Freiheitskampfes 1956“/“Tag der Ausrufung der Republik Ungarn 1989“); sonstige Feiertage: 1. Januar (Neujahr), Ostersonntag und –Montag (beweglich), 1. Mai (Tag der Arbeit), Pfingsten (beweglich), 1. November (Allerheiligen), 24. Dezember (Heiligabend), 25. Dezember (1. Weihnachtstag), 26. Dezember (2. Weihnachtstag).
Zeit: Mitteleuropäische Zeit
Staatssprache: Ungarisch
Staatsform: parlamentarische Demokratie
Staatsoberhaupt: Präsident (derzeit László Sólyom)
Regierungschef: Ministerpräsident (derzeit Ferenc Gyurcsány)
Politische Parteien:
Fiatal Demokraták Szövetsége – Magyar Polgári Szövetség (FIDESZ, „Bund Junger Demokraten – Ungarischer Bürgerbund“), Magyar Demokrata Fórum (MDF, „Ungarisches Demokratisches Forum“), Kereszténydemokrata Néppárt (KDNP, „Christlich-Demokratische Volkspartei“), Magyar Szocialista Párt (MSZP, „Ungarische Sozialistische Partei“), Somogyért Szövetség (Somogyért, „Somogy-Bund“), Szabad Demokraták Szövetsége – a Magyar Liberális Párt (SZDSZ, „Bund Freier Demokraten – Ungarische Liberale Partei“).
Bruttoinlandsprodukt (2006): 111,756 Mrd. US-Dollar, pro Kopf der Bevölkerung 11.098 US-Dollar
Bruttosozialprodukt (2006): 106,130 Mrd. US-Dollar, pro Kopf der Bevölkerung 10.539 US-Dollar
Auslandsverschuldung (2006): 105,206 Mrd. US-Dollar
Haushaltsdefizit (2005): 5,616 Mrd. US-Dollar (5,0 % des BIP)
Außenhandel (2006):
Importe: 73,878 Mrd. US-Dollar: 50,5 % Maschinen und Transportmittel, 33,4 % Güter und verschiedene Fertigungserzeugnisse, 10,2 % Rohstoffe und –erzeugnisse; Hauptlieferländer (2005): 27,3 % Deutschland, 7,4 % Russland, 6,7 % Österreich, 5,4 % China, 4,9 % Italien; Exporte: 73,292 Mrd. US-Dollar; 62,3 % Maschinen und Transportmittel, 28,0 % Güter und verschiedene Fertigungserzeugnisse, 6,1 % Lebens- und Genussmittel; Hauptabnehmerstaaten (2005): 29,1 % Deutschland, 6,0 % Österreich, 5,4 % Italien, 4,8 % Frankreich, 4,7 % Großbritannien.
Mitgliedschaften:
Central European Initiative (CEI), EU, Europarat, European Bank for Reconstruction and Development (EBRD), Inter-Parliamentary Union (IPU), International Monetary Fund (IMF), International Labour Organization (ILO), Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), Interpol, NATO, OSZE, UNO, WHO, World Trade Organzization (WTO).


Anmerkung der Redaktion: Stand der statistischen Angaben ist, wenn nicht anders vermerkt, das Publikationsdatum des Artikels.

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2 Geographie

2.1 Naturraum

Das heutige – in dieser Form seit 1921 bestehende – U. umfasst 93.030 km² und liegt, im Norden und Osten von den Karpaten umschlossen, inmitten des Donau-Karpatenraumes im südöstlichen Mitteleuropa.

Der überwiegende Teil des Landes wird vom flachen Pannonischen Tiefland eingenommen: Die Große Ungarische Tiefebene erstreckt sich im Einzugsbereich der Theiß (Tisza) und Donau (Duna) – über die Landesgrenze hinweg – fast über den gesamten Osten und die zentralen Gebiete U.s, die Kleine Ungarische Tiefebene bedeckt den Nordwesten. Sie werden voneinander getrennt durch die sich von Westen in nordöstliche Richtung ausbreitenden Mittelgebirgszüge Bükk, Bakony und Mátra, die im Wesentlichen aus Kalk- bzw. Vulkangestein bestehen. Die höchste Erhebung des Landes befindet sich im Letztgenannten (Kékes, 1014 m). Im Süden U.s liegt das Karstgebirge Mecsek.

Die Große Ungarische Tiefebene war einst von (Au-)Wäldern bzw. im Süden von Waldsteppe durchzogen. Nach deren Vernichtung durch Rodung bzw. Trockenlegung entstand auf diesem Gebiet eine öde Landschaft (Puszta), auf der nur extensive Weidewirtschaft möglich war. Heute ist das Gebiet zum großen Teil vom Ackerbau beansprucht (Tabak, Mais und Sonnenblumenanbau). Die leicht wellige Kleine Ungarische Tiefebene wird aufgrund ihres fruchtbaren Bodens (Löß) und des relativ milden Klimas ebenfalls landwirtschaftlich genutzt. Die abwechslungsreiche Landschaft wird bestimmt durch leicht welliges Terrain, kleine Hügel und zerschnittene Platten.

Die 517 km über das ungarische Gebiet fließende Theiß und der um 100 km kürzere Anteil U.s an der Donau sind die längsten Flüsse des Landes. An der Donau liegen einige bedeutende Städte, u. a. Budapest. Auf fast einem Drittel ihres Laufes in U. bildet sie die Grenze zur Slowakei. Die wichtigste Stadt an der Theiß ist Szeged. Auch alle anderen größeren Flüsse – u. a. Drau, Körös, Mur und Raab entspringen außerhalb des Landes.

Der größte See des Landes ist der seichte Plattensee in Westu. (594 km²), der neben Budapest das wichtigste Tourismusgebiet U.s ist, u. a. wegen der Thermalquellen. In dieser Gegend befinden sich auch zahlreiche artesische Quellen. Von dem zweitgrößtem, insgesamt 315 km² großen Neusiedler See liegen nur 75 km² in U.

Das gemäßigte, warme Klima U.s ist mit kalten Wintern und warmen Sommern kontinental geprägt. Im Westen gibt es Einflüsse ozeanischer, im Süden mediterraner Luftmassen. Die mittleren Temperaturen liegen im Januar zwischen –1 °C im Südwesten und 1 °C im Westen sowie bis –3 °C und kälter im Osten. Im Juli liegt der Mittelwert bei 20–21 °C im Westen und 23–25 °C im Süden, im Gebirge bei 17–18 °C. Die durchschnittlichen Jahresniederschlagsmengen (meist im Sommer) belaufen sich auf 500–600 mm im Tiefland (in der Puszta auch weniger) und 800–900 mm im Gebirge. Im Tiefland sind längere Dürreperioden nicht selten.

Die Tier- und Pflanzenwelt U.s besteht vorwiegend aus mitteleuropäischen Arten. In den Wäldern (lediglich 19,1 % der Landesfläche, v. a. im Gebirgsraum) gibt es Wildschweine, Hirsche, Rehe und Füchse. Der größte Vögel der Puszta ist auch der größte flugfähige Vogel Europas – die Großtrappe. Zu weiteren größeren Vogelarten gehören der Schwarz- und Weißstorch. Fast 9 % der Landesfläche werden geschützt, u. a. in den neun Nationalparks.

In U. befinden sich verschiedene Bodenschätze, meist jedoch in geringen Mengen. Außer Bauxiten (647 Tsd. t 2004), die v. a. im Bakony-Gebirge abgebaut werden, reichen die geförderten Mengen nicht zum Eigenbedarf. Im Nordungarischen Mittelgebirge (Északi-középhegység) werden Manganerze (11,5 Tsd. t) gefördert. Es gibt auch Stein- (wie bei Mecsek, insgesamt 667 Tsd. t) und Braunkohlevorkommen (Tatabánya und Nordungarisches Mittelgebirge, insgesamt 12.692 Tsd. t). In der Umgebung von Szeged werden geringe Mengen Erdöl (1,1 Mio. t) und -gas (3,1 Mrd. m³) gewonnen. Außerdem werden die Vorkommen von mineralischen Rohstoffen genutzt, wie Feldspat, Gips und Lehm.

Die größten Umweltprobleme des Landes, wie Luft- und Wasserverschmutzung konzentrieren sich heute in den Touristengebieten, also im Großraum Budapest (v. a. Verkehrsbelastung) und am Plattensee (Tourismus und damit verbundene Dienstleistungen), doch das sensible Ökosystem des Sees konnte bisher intakt bleiben. Der Dammbruch eines Auffangbeckens einer Goldmine bei Baia Mare in Rumänien im Januar 2000 war die größte Umweltkatastrophe, von der U. in der letzten Zeit betroffen war. Über den Fluss Szamos gelangten große Mengen an Zyanid und Schwermetallen auch in die Theiß, die fast vollständig jegliches Leben in den betroffenen Gewässern auslöschten. In U. mussten zeitweise hundert Tausende Menschen mit Trinkwasser notversorgt werden.

Die Städtelandschaft U.s wird absolut dominiert durch die überdimensional große Hauptstadt Budapest mit rd. 1,7 Mio. Einwohnern – strukturbedingt erklärbar durch die Ausmaße des historischen U. und die rasante Urbanisierung seit etwa 1850, sowie einer Vielzahl von mittleren Städten die ihre derzeit sichtbare Prägung in der Regel im 18. und 19. Jh. sowie in der Ära des Kommunismus erhalten haben. Dazu zählen etwa Debrecen, Eger, Miskolc, Nyíregyháza, Pécs, Raab (Győr), Sopron, Szeged, Székesfehervár, Szolnok, Veszprém und Zalaegerszeg.

Abgesehen von einigen Gegenden im Südwesten und Nordosten des Landes (Komitate Zala und Szabolczs-Szátmar-Bereg) hat sich weder im städtischen noch im ländlichen Raum, im europäischen Vergleich betrachtet, nennenswerte Bausubstanz aus der Zeit vor 1700 erhalten. Solche findet sich hingegen wesentlich zahlreicher in vielen Gebieten des historischen U. und z. T. in den dort gelegenen ungarischen Siedlungsgebieten (Rumänien, Slowakei, Ukraine, Österreich).

Gewachsene historische und/oder ethnographische Landschaften U.s sind z. B. Kis- und Nagykunság (Klein- und Großkumanien), Jászság östlich und Hajdúság nördlich von Budapest sowie die sog. Schwäbische Türkei im Süden des Landes. Spezifische Züge in der Alltags- und Festkultur weisen auch die 28 Städte und Dörfer umfassende Tokajer Weinregion und der Teil des im heutigen U. liegenden Palóczenlandes (Palócföld) auf. Ein Teil der bedeutendsten von ethnischen Ungarn geprägten ethnographischen Landschaften und Regionen liegen allerdings außerhalb der heutigen Landesgrenzen in Rumänien und der Slowakei.

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2.2 Bevölkerung

Die demographische Entwicklung U.s ist eine der negativsten in Europa. Seit 1980 (Höchststand) ist die Bevölkerung des Landes von 10.712 Tsd. auf 10.064 Tsd. (2006), also um 5,9 %, zurückgegangen. Die Geburtenrate ist seit den 1990er Jahren um mehr als 3 Personen pro 1000 niedriger als die Sterberate. 2006 betrug der Unterschied 3,1 pro 1000 (Geburtenrate: 9,9 pro 1000, Sterberate: 13,1). Besonders stark ist der Bevölkerungsrückgang in den Randgebieten, v. a. im Norden (Komitate Borsod-Abauj-Zemplén und Heves) sowie im gesamten Süden U.s (insbesondere Komitate Békés, Baranya, Csongrád).

Der ländliche Raum U.s und viele kleinere Städte besonders östlich von Budapest sind von einer anhaltenden Migration der jüngeren besser ausgebildeten Bevölkerung in die Hauptstadt und ins westliche Ausland (Deutschland, Niederlande, USA, Kanada) massiv betroffen. Die Hauptstadt und deren direkte Umgebung konzentriert fast 30 % der Landesbevölkerung. Während die Bevölkerungszahl von Budapest allerdings abnimmt, nimmt sie in den unliegenden Orten deutlich zu (v. a. Érd, aber auch Szentendre oder Szigetszentmiklós). In den letzten Jahren verläuft die Bevölkerungsabnahme aufgrund von Einwanderung (zum großen Teil aus Rumänien) etwas langsamer. In U. leben 154.430 Ausländer (1,5 % der Gesamtbevölkerung), 66.183 von ihnen sind rumänische Staatsangehörige (2005). Weitere größere Ausländergruppen bilden die Staatsangehörige der Ukraine (15.337), Serbiens und Montenegros (12.111), Deutschlands (10.504), Chinas (8584) und der Slowakei (3954).

Von den 10.064 Tsd. Einwohnern U. (2006) verstehen sich rd. 89 % nach Muttersprache und Identität als Ungarn. Damit kann U. neben Tschechien, Polen und Slowenien als einer der ethnisch nunmehr homogensten Staaten nicht nur des östlichen Europas gelten. Lediglich die Roma stellen der Zahl nach noch eine bedeutende Minderheit von offiziell 189.984 Personen dar (Ethnologen und Demographen gehen von rd. 250.000 aus). Deutsche und Slowaken sind infolge von Assimilationspolitik (bis ca. 1980), Akkulturationsprozessen (seit dem 18. Jh.) und Vertreibung (1945–47) ebenso marginalisiert wie die wenigen Tausend Kroaten, Ukrainer, Rusinen, Rumänen, Serben und Bulgaren. Der nach 1989 vergleichsweise vorbildliche Minderheitenschutz ändert wenig an der fortschreitenden Akkulturation der Minoritäten, die in ländlichen Räumen lebend und auch dort über nur schwache Eliten verfügen, im Zuge der raschen und radikalen Wandlungsprozesse infolge von gesellschaftlicher Transformation und fortschreitenden Globalisierungsprozessen. In U. und dabei vornehmlich in Budapest lebt neben Frankreich und Russland die größte jüdische Gemeinschaft Europas von rd. 80.000 Personen.

Von einem markanten Rückgang der Bevölkerungszahlen sind auch die rd. 2,5 Mio. Ungarn außerhalb der Landesgrenzen, in Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich, der Slowakei, Rumänien und der Ukraine betroffen. Im Gegensatz zu den ethnischen Minderheiten in U. bilden diese aufgrund ihrer besonderen historischen Entwicklung bis 1920 als Teil einer modernen Staatsnation, komplette Gesellschaften – eine neben dem Kosovo und den Albanern im westlichen Makedonien – seit 1945 nur noch hier anzutreffende Besonderheit im östlichen Europa.

Die landesweit – auch unter den ethnischen Minderheiten – dominierende Verkehrssprache ist Ungarisch. U. zählt zu den sprachlich homogensten Ländern Europas. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung bekennen sich zum Christentum, mehrheitlich zum Katholizismus.

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2.3 Staat und Gesellschaft

Am 23.10.1989 wurde die Dritte Republik in U. proklamiert. Ihre Ausrufung am Jahrestag des Ungarischen Volksaufstands von 1956 soll zum Ausdruck bringen, an welchen Traditionen die neue Republik anknüpft. Als ihre Grundlage diente eine Version der sozialistischen Verfassung von 1949. In der neuen modifizierten Form orientiert sie sich an der klassischen Aufgabenteilung zwischen Staatsoberhaupt (Präsident), Parlament (Nationalversammlung) und Regierung. Die Aufgaben des Präsidents sind vorwiegend representativer Natur. Er wird von der Nationalversammlung (Országgyűlés) für fünf Jahre mit mindestens ⅔-Mehrheit der Stimmen gewählt. Dieselbe Person kann einmal wiedergewählt werden. Seit 4.8.2005 wurde László Sólyom in den Präsidentenamt eingeführt. Die Regierung mit dem Ministerpräsident an der Spitze ist dem Parlament verantwortlich. Alle vier Jahre finden Wahlen für die Besetzung des 386-köpfigen Ein-Kammer-Parlaments statt. 176 Sitze werden direkt in Wahlbezirken (mit einem Mandat) gewählt. Falls kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht, findet im betroffenen Bezirk eine Stichwahl statt. Für den Einzug ins Parlament gilt für die Parteien die 5 %-Klausel. Das Wahlrecht besitzen ungarische Bürger ab dem 18. Lebensjahr, die ihren Hauptwohnsitz in U. haben.

Die ersten Parlamentswahlen nach dem Inkrafttreten der modifizierten Verfassung fanden am 25. März bzw. 4. April 1990 statt. Ca. 80 Parteien und Gruppierungen haben sich zu dieser gestellt. Über 90 % der Stimmen entfielen auf Oppositionelle, so dass das Wahlergebnis zugleich als eine Volkabstimmung gegen das alte System gedeutet werden kann. Seitdem haben die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung nach jeder Wahl gewechselt. Nach den Wahlen vom 9. bzw. 23. April 2006 kam es zum ersten Mal seit der Einführung von freien Wahlen zum Verbleib der bisherigen Machtstrukturen an der Regierung (MSZP und SZDSZ). Seit 29.09.2004 steht Ferenc Gyurcsány der Regierung U.s vor.

Die Nationalversammlung tagt gewöhnlich in zwei Sessionen pro Jahr. Eine außerplanmäßige Tagung kann auf Antrag des Präsidenten, der Regierung bzw. 20 % aller Deputierten erfolgen. Eine Gesetzesinitiative kann vom Präsidenten, von der Regierung, jeder Kommission der Nationalversammlung oder jedem Deputierten ausgehen. Gesetzte werden durch die Zweidrittelmehrheit der Nationalversammlung beschlossen.

Der Staatliche Rechnungshof und der Parlamentskommissar der staatsbürgerlichen Rechte (Ombudsmann) dienen als Kontrollorgane der Nationalversammlung. Neben dem Parlamentskommissar der staatsbürgerlichen Rechte werden zwei weitere Ombudsmänner (für die nationalen Minderheiten und den Datenschutz) durch die Nationalversammlung gewählt.

Nach der Modifizierung der Verfassung wurde am 1.1.1990 das Verfassungsgericht ins Leben gerufen. Das elfköpfige Gremium wird für neun Jahre durch die Nationalversammlung mit einer ⅔-Mehrheit einberufen. Bisher wurde es allerdings nie vollbesetzt und aktuell besteht es aus neun Mitgliedern. Jeder Bürger kann eine Verfassungsklage einreichen. Die Beschlüsse des Verfassungsgerichts sind für alle bindend.

Das ungarische Rechtswesen basiert auf vier Instanzen: dem Obersten Gerichtshof, dem Appellationsgericht, dem Komitatsgericht und dem Kreisgericht. Die Gerichte werden vom Nationalen Gerichtsbarkeitsrat verwaltet.

Bereits 1988 wurden in U. wieder unabhängige politische Organisationen zugelassen. Auch die ersten unabhängigen Gewerkschaften entstanden im selben Jahr. Neben zahlreichen neu politischen Gruppierungen, von denen einige sich bald zu Parteien entwickelt haben, wurden einige traditionsreiche Parteien wiederbelebt, die bereits vor 1949 existierten. Die regierende Magyar Szocialista Munkáspárt (MSZMP, „Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei“) hat ein Mehrparteisystem im Februar 1989 anerkannt.

2006 haben folgende Parteien den Einzug in die Nationalversammlung gefunden: die linksgerichtete MSZP (190 Sitze), welche in Koalition mit der liberalen SZDSZ (20 Sitze) die Regierung bildet sowie das Koalitionsbündnis zwischen der rechtskonservativen FIDESZ (141 Sitze) und der christlich-demokratischen KDNP (23 Sitze), die bürgerlich-konservative MDF (11 Sitze) als auch ein Vertreter des lokalen Bundes vom Komitat Somogy, welche die parlamentarische Opposition stellen. Zu den wichtigsten Parteien der außerparlamentarischen Opposition gehören die Független Kisgazda-, Földmunkás- és Polgári Párt (FKGP, „Unabhängige Partei der Kleinlandwirte, der Landarbeiter und des Bürgertums“) und die radikale, national-konservative Magyar Igazság és Élet Pártja (MIÉP, „Partei für ungarisches Recht und Leben“).

Das Interesse der Bürger an der Politik sank jedoch relativ schnell, was mit den anfänglichen Machtkämpfen, der mangelnden Professionalität von Parteien, Regierung und Parlament, aber auch mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation eines großen Teils der Bevölkerung zusammenhing. So begann sowohl die Mitgliederzahl der Parteien und der Gewerkschaften als auch die Wahlbeteiligung zu sinken. Der Tiefpunkt wurde bei dem Referendum zum EU-Beitritt (12.04.2003) erreicht, als die Beteiligung 45,6 % betrug (von denen jedoch 84 % für den Beitritt stimmten).

U. ist in 19 Komitate und die Hauptstadt Budapest gegliedert. Die Komitatshauptstädte und 4 weitere Städte (Sopron, Nagykanizsa, Dunaújváros and Hódmezővásárhely) bilden eigene Kreise. Die Hauptstadt und ihre 23 Bezirke genießen einen Sonderstatus. In U. gibt es aktuell 298 Städte und 2854 Gemeinden (2007). 1999 wurde das Land in Anpassung an die NUTS-Einheiten der EU in sieben Regionen gegliedert, die jedoch hauptsächlich statistische Bedeutung haben.

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2.4 Wirtschaft

Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten wurde die ungarische Landwirtschaft kollektiviert und die Industriebetriebe wurden verstaatlicht. Auch nach Reformversuchen in den Jahren 1968–72 blieb die staatlich gelenkte Planwirtschaft bis Ende der 1980er Jahre bestehen.

2005 waren 5,0 % aller Erwerbstätige in der Landwirtschaft beschäftigt, meist in Familien- oder anderen kleinen Betrieben. Innerhalb von fünf Jahren ist ihr Anteil an Gesamtzahl der Erwerbstätigen um 1,6 Prozentpunkte gefallen. Ihr Anteil am Bruttonationaleinkommen betrug 4,8 %. Von 55.227 landwirtschaftlichen Unternehmen hatten nur 38 mehr als 250 Beschäftigte. Die Forst- und Fischereibetriebe haben nur eine marginale Bedeutung.

Landwirtschaftliche Flächen stellen 48,5 % der Gesamtfläche U.s (2005). Es wird v. a. Getreide (Mais 11 894 Tsd. t, Weizen 5088 Tsd. t, Gerste 1190 Tsd. t, Hafer 157 Tsd. t und Reis 107 Tsd. t), Zuckerrübe (3072 Tsd. t), Gemüse (Wassermelone 214 Tsd. t, Tomaten 188 Tsd. t, Paprika 139 Tsd. t, Weißkohl 112 Tsd. t), Ölpflanzen (Sonnenblume 1108 Tsd. t), Futterpflanzen (Luzerne 806 t) und Kartoffeln (657 Tsd. t,) angebaut. Einen wichtigen Stellenwert haben auch Obst- (Äpfel 510 Tsd. t, Sauerkirsche und Pfirsiche je 48 Tsd. t, Pflaumen 36 Tsd. t) und Weinanbau (536 Tsd. t). Die Weinproduktion lag bei 357 Mio. l. seit den 1990er Jahren boomt die Weinproduktion, während die meisten anderen Landwirtschaftsprodukte (außer Getreide, Futterpflanzen und Gemüse) in deutlich geringeren Mengen als 1990 produziert werden.

In der Viehhaltung dominiert Geflügel- (41.076 Tsd., davon 31.902 Tsd. Hühner, 4415 Tsd. Puten, 3389 Tsd. Enten und 1370 Tsd. Gänse), Schweine- (3853 Tsd.) vor Schaf- (1405 Tsd.) und Rinderhaltung (708 Tsd.). Insgesamt ist der Viehbestand seit 1990 deutlich zurückgegangen.

Bereits vor dem Beitritt U.s in die EU wurde eine Drosselung der Braunkohleförderung beschlossen. Betrug die geförderte Menge 2000 noch 13.301 Tsd. t, fiel sie 2005 auf 9442 t. Die Steinkohleförderung wurde 2004 ganz aufgegeben. Bedeutend ist der Abbau von Bauxiten, bei dem U. den 16. Rang weltweit besitzt. Darüber hinaus wird in U. Erdgas (2601 Tsd. t) und Öl aus Ölschiefer gewonnen (948 Tsd. t). Im Bergbau werden nur 0,4 % der Erwerbstätigen des Landes beschäftigt.

Während der Energieverbrauch in U. am Anfang der 1990er Jahre um ca. 12 % zurückging, begann er in diesem Jahrzehnt wieder leicht zu steigen, liegt jedoch ca. 10 5 % hinter dem Verbrauch von 1990. Über ⅔ des Bedarfs werden von Exporten gedeckt.

In Industrie, Energie- und Bauwirtschaft arbeiteten Ende 2005 32,4 % der Erwerbstätigen, dabei fiel 8,1 % auf das Bauwesen. Die wichtigsten Industriezweige sind die Metall-, Nahrungsmittel- Pharma- und Textilindustrie sowie die Herstellung von Elektrogeräten, Autoindustrie und Erdölverarbeitung. Für den Export sind besonders die Haushaltsgeräte, der Fahrzeug- und Motorenbau sowie die Erzeugnisse der Pharma- und der Textilindustrie von besonderer Bedeutung. Die wichtigsten Industriestandorte sind die größten Städte des Landes (Budapest mit Umgebung, Miskolc, Pésc, Raab) sowie die Grenzregion zu Österreich. In U. wurden 2006 u. a. 2553 Tsd. t Stahl, 271.826 t Aluminium, 1369,3 t Benzin und 3477,3 Tsd. t andere Raffinerieprodukte erzeugt sowie 1,2 Mrd. Glühbirnen, 5575 Tsd. Elektromotore und -aggregate, und 840.515 Kühlschränke und -geräte hergestellt.

Im ungarischen Dienstleistungssektor waren 2005 bereits 62,6 % der Erwerbstätigen beschäftigt. Die wichtigsten Branchen sind der Handel und Tourismus.

Die Ungarische Nationalbank (Magyar Nemzeti Bank) beziffert die Gesamthöhe der ausländischen Investitionen in U. auf 77,84 Mrd USD (2006).

Während vor dem Ersten Weltkrieg die Industrialisierung rasch vorangeschritten und die außenwirtschaftliche Verflechtung U.s sehr intensiv war, fand diese Entwicklung 1920 ein Ende, da ökonomisch wichtige Regionen und damit Industrie-, Arbeits-, Infrastruktur- und Ressourcenpotential verloren gegangen waren. 50 % der Industrie, 89 % der Eisenerzvorkommen, 85 % des Holzbestandes gingen an die Nachbarstaaten, so dass U. von ausländischen Rohstoff- und Halbwarenimporten abhängig wurde. In den 1920er Jahren war die Wirtschaft durch ein verlangsamtes Wachstum, steigende Auslandsverschuldung, technologischen Rückstand, stagnierende Landwirtschaft und wachsende Arbeitslosigkeit v. a. der Mittelschicht gekennzeichnet, zumal die Agrarreformen die feudale Bodenordnung nicht aufhoben. So war noch 1929 ein Drittel der Bodenfläche im Besitz von 526 Magnaten, was die Beschäftigungslage der Kleinbauern verschärfte.

Hohe Importzölle (durchschnittlich 30,7 %) schützten den Binnenmarkt, während die Exporte durch die Schutzzölle der Nachbarstaaten behindert und so Modernisierungen erschwert wurden, zumal eine breite Ressourcenbasis und Kapital für einen intensiven Ausbau der Produktionsbereiche fehlte. Trotzdem stieg die Industrieproduktion bis 1929 um 12 % (im Vergleich zu 1913), war aber u. a. das Ergebnis der erhöhten Kreditaufnahme angesichts unzureichender inländischer Kapitalbildung. Die Weltwirtschaftskrise zog auch U. in Mitleidenschaft, denn drastisch gesunkene Agrarpreise verteuerten Industrieimporte. Investitionen und Warenabsatz brachen ein und ließen die Arbeitslosenquote auf 22,4 % bis Mitte der 30er Jahre steigen.

Die intensivierte deutsche Handelspolitik sowie mehrere deutsch-ungarische Wirtschaftsverträge (ab 18.7.1931) und Clearingabkommen (13.4.1932) eröffneten der ungarischen Agrarproduktion zwar neue Perspektiven, führten aber zu einer hohen Verschuldung und einseitigen, auch politischen Abhängigkeit. So betrug der Anteil Deutschlands am Außenhandel 1940–43 zwischen 50–60 % und betraf im Export hauptsächlich Getreide und Ölsaaten (1943: 45 % der Exporte), aber auch Mineralöl, Bauxit, Mangan und Eisen, die für die Kriegswirtschaft bedeutend waren. Die Industrie war bei Kriegsausbruch insgesamt relativ unbedeutend und kapitalschwach, stark importabhängig und – wegen der Binnenmarktenge – auf ausländische Abnehmer ausgerichtet.

In den 1950er Jahren kopierte U. das ökonomische sowjetische System der Zentralplanung und wurde in die sozialistische Arbeitsteilung eingebunden. Nach Verstaatlichung der meisten Betriebe (1946–49) wurde die Schwerindustrie (1952: 95 % der Industrieinvestitionen), v. a. Verhüttung, Maschinenbau und Chemie, forciert und extensiv gefördert und zugleich Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie vernachlässigt. So erreichte das BSP bereits 1948 wieder den Wert von 1938, hatte aber eine zunehmende Abwanderung der in der Landwirtschaft Beschäftigten in die Industrie zur Folge. Vernachlässigung der Konsumgüterindustrie, Kapitalakkumulation in der Schwerindustrie und Fehlplanung ließen den Lebensstandard drastisch sinken und erst nach 1956 erfolgte eine allmähliche Reorientierung auf Konsumgüterproduktion und blockinternen Warenaustausch, jedoch unter Beibehaltung des schwerindustriellen Hauptaugenmerks.

Mit dem ›Neuen Ökonomischen Mechanismus‹ (ab 1.1.1968) wurde, unter Beibehaltung der sozialistischen Produktionsverhältnisse, das Planungs- und Regulierungssystem liberalisiert und relativ weit reichende betriebliche Entscheidungsbefugnisse eingeführt, ohne jedoch auf zentrale ökonomische Hebel wie Finanz-, Preis-, Lohn-, Kredit- und Devisenpolitik zu verzichten. So stieg bis 1975 das Nationaleinkommen jährlich um 7 %, schwächte sich aber bis 1980 auf 3,7 % und bis 1985 auf 1,8 % ab, was die beginnende Rezession verdeutlichte, die auch weitere Reformen (1979, 1984) nicht verhindern konnten. Eine sog. zweite Wirtschaft mit unternehmerischer Eigeninitiative konnte die unzureichende makroökonomische Leistungsfähigkeit nicht verbessern und rückläufige Wachstumsraten, eine beschleunigte Inflation, steigende Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite belasteten die Entwicklung ebenso, wie die extreme Auslandsverschuldung (1990: 21,27 Mrd. US-Dollar), mit der der höhere Lebensstandard und Konsum finanziert wurden.

Mit Transformationsbeginn blieben diese Lasten erhalten und wurde z. T. durch den Wegfall traditioneller Märkte verstärkt, während zugleich die wirtschaftliche Aktivität bis 1992 zurückging. Die Industrieproduktion sank von 1989–92 um 44 %, die Zahl der in der Industrie Beschäftigten um 40 %, weil die Inlandsnachfrage wegen Kapitalmangel zusammenbrach. Dies konnte durch drastische Steigerung der Ausfuhren und stark steigende ausländische Investitionen z. T. kompensiert werden und half, die ökonomische Struktur zu modernisieren, so dass die Arbeitslosigkeit auf 7,5 % (2006) beschränkt werden konnte. Zwischen 2000 und 2006 wuchs das ungarische BIP mit durchschnittlich 4 % jährlich, unterstützt durch ein Exportwachstum von jährlich tlw. über 20 % und wurde nur durch eine starke Währungsaufwertung (2003: ca. 13 %) gebremst. Ein hohes Preisniveau verbunden mit vergleichsweise niedrigen Löhnen belasteten die Bevölkerung ebenso wie die strukturellen Anpassungen an die Anforderungen der EU und die Auslandsverschuldung, die notwendiges Kapital dem öffentlichen Sektor entzog. Die monatlichen Durchschnittslöhne sind von 197 USD (1992) auf 517 USD (2006) gestiegen.

U. verfügt über eine relativ gut ausgebaute Infrastruktur. Die Hauptverbindungen sind auf Budapest ausgerichtet. Das Netz (650 km) erstreckt sich sternförmig von Budapest aus in Richtung Österreich, Ukraine, Serbien, Kroatien und Slowenien, wobei nur die Strecke nach Slowenien vollständig und die nach Serbien beinahe vollständig über Autobahn führt. Von den anderen Autobahnen existieren bisher nur Teilstrecken. Das gesamte Straßennetz umfasst 30.808 km (2005).

Das Autobahnnetz wird weiter sowohl in nord-südliche als auch ost-westliche Richtung ausgebaut. Daneben soll der sich bereits im Aufbau befindende Autobahnring um Budapest bis 2015 den Durchgangsverkehr auffangen, der zurzeit noch durch die Hauptstadt fließt.

Der öffentliche Verkehr ist in U. gut ausgebaut – die meisten Orte werden an das Busnetz angeschlossen und mehrmals täglich angefahren. Das Schienennetz ist hingegen relativ weitmaschig (7685 km bzw. 85,4 km/100 km²). Es ist ähnlich wie das Autobahnnetz sternförmig auf die Hauptstadt ausgerichtet.

In Budapest gibt es 34,8 km U-Bahnlinien und das Land verfügt über 103 km S-Bahnlinien (2005). Darüber hinaus gibt es in den größten Städten Straßenbahn-, Bus- und O-Busverbindungen.

Die Bedeutung des Flugverkehrs ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Zahl der beförderten Passagiere stieg von 2476 Tsd. im Jahr 2000 auf über 8300 Tsd. im Jahr 2005. In U. gibt es zwei Internationale Flughäfen. Neben Budapest-Ferihegy (8266,7 Tsd. Passagiere und 60.428 t Fracht 2006), wurde 2002 der Flughafen Balaton in der Gemeinde Sármellék bei Hévíz (25.932 Passagiere 2005) für den Internationalen Flugverkehr geöffnet. Auch der Flughafen Debrecen (33.119 Passagiere 2005) wird für internationale Flüge genutzt. Weitere lokale Flughäfen um die größeren Städte werden immer stärker für den Personenverkehr genutzt.

Der Tourismus stellt für die ungarische Wirtschaft eine wichtige Einnahmequelle dar (4603,4 Mio USD 2006). Die touristische Infrastruktur ist gut ausgebaut: Es gibt 3056 touristische Unterkunftsstätten (davon 837 Hotels) mit insgesamt 315.284 Bettplätzen. In den letzten Jahren spezialisieren sich immer mehr Häuser auf Spa- und Wellness-Aktivitäten. Zu den wichtigsten Tourismuszentren gehören Budapest, der Plattensee (mit Orten wie Balatongyörök, Keszthely und Siófok) sowie die Puszta.

Von den 38.318 Tsd. ausländischen Besuchern die nach U. 2006 eingereist sind, kamen die meisten aus Rumänien (8651 Tsd. Personen 2006), der Slowakei (7968 Tsd.), Österreich (6088 Tsd.), Serbien (3315 Tsd.) und Deutschland (3222 Tsd.).

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2.5 Bildung und Kultur

Das auf dem k.k Schulsystem beruhende ungarische Schulwesen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg an das sowjetische Konzept angelehnt. Einer achtjährigen Grundschule schlossen sich drei- oder vierjährige weiterführende Schulen an. Seit dem Zusammenbruch des alten Systems wurde das Bildungswesen neu strukturiert. An die achtjährige Grundschule schließt sich eine 4–6jährige weiterbildende Schule (Gymnasium und Technikum, wo die Hochschulreife erlangt wird bzw. Berufsschule) an. In der letzten Zeit wurde v. a. die steigende Rolle der Fremdsprachkenntnisse erkannt und zu diesem Zweck wurden zahlreiche Maßnahmen zur besseren Vermittlung der Kenntnisse der wichtigsten Fremdsprachen getroffen. Darüber hinaus gibt es bilinguale Schulen, wo auch in den Muttersprachen der nationalen Minderheiten unterrichtet wird. Das Angebot des staatlichen Bildungswesens wird von einer wachsenden Zahl an privaten Bildungseinrichtungen ergänzt.

Die Inhalte der Abiturprüfung werden zentral festgelegt und einheitlich abgehalten. Für die Aufnahme in eine Universität ist i. d. R. eine weitere Prüfung obligatorisch. Von der Aufnahmeprüfung werden Studenten der gebührenpflichtigen Studiengänge befreit.

Das Hochschulsystem wurde in den letzten Jahren reorganisiert. Um die Effizienz zu steigern, wurden kleinere Institute zu Einrichtungen mit einem interdisziplinären Ansatz zusammengefasst. Zurzeit findet eine Neuordnung der Studiengänge im Zuge der Anpassung an den Bologna-Prozess statt.

Im Schuljahr 2006/7 gab es 831.342 Grundschüler an 3592 Schuleinrichtungen. An 724 Berufsschulen lernten 134.029 Personen. Die Anzahl der Studenten an allen Hochschulen des Landes belief sich auf 380.632, wovon fast zwei Drittel Frauen waren. An der größten Universität des Landes – Universität Pécs (Pécsi Tudományegyetem) waren 30.986 Studenten immatrikuliert. Die meisten Studenten waren jedoch an Budapester Hochschulen eingeschrieben. Weitere wichtige Universitätsstandorte sind Debrecen, Miskolc, Szeged, Pécs und Raab.

Im Zuge der Öffnung U.s während der Transformation orientierte sich die Kultur des Landes deutlich stärker an den modernen Strömungen der Welt. Zum Schutz der eigenen Kultur und Sprache wurden spezielle Gesetze verabschiedet. Es gibt auch Förderungsmaßnahmen für die ungarischsprachige Minderheit in den Nachbarländern.

In der Transformationsperiode zeichnet sich in U. eine abnehmende Bedeutung der traditionellen Bereiche der Kultur ab: Die Zahl der Bibliotheken verringerte sich von 51.608 auf 45.048 und der Nutzerkreis von 1856 Tsd. auf 1454 Tsd. (1990–2005). Die Anzahl der Kinobesucher pro 1000 Einwohner fiel von 3495 auf 1158 und der Theaterbesucher – von 482 auf 427 (1990–2006).

2006 wurden in U. 11.337 Buchtitel mit einer Gesamtauflage von 38.281 Tsd. publiziert. Davon waren 7146 Tsd. Schulbücher. Die Auflage anderer Lehrbücher betrug 6917 Tsd. Exemplare. Über zwei Drittel aller Titel waren von ungarischen Autoren. Die meisten Übersetzungen waren aus dem Englischen (insbesondere amerikanische Literatur – über 70 % der englischsprachigen Bücher), Deutschen und Französischen. Spanische, russische, tschechische und polnische Literatur erfreute sich einer geringeren Beliebtheit. Seit 1997 ging die Gesamtauflage aller Bücher um ca. 20 % zurück. Die gesamte Filmproduktion in U. umfasste 370 Filme, wovon 78 Langspielfilme waren. Es wurden 26 Kinospielfilme produziert (2005).

Zu den bekanntesten Schriftstellern des Landes gehören Imre Kertész, der 2002 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde und Péter Esterházy. Komponisten wie Béla Bartók, Ernst von Dohnányi, Imre Kálmán und Franz Liszt, beeinflussten die Entwicklung der europäischen Musik.

Zu den meinungsbildenden Tageszeitungen U.s gehören ›Magyar Nemzet‹ („Ungarische Nation“, Auflage 2004: 75.760), ›Népszabadság‹ („Volksfreiheit“, ehemaliges Presseorgan der MSZMP; Auflage 2004: 163.456), ›Magyar Hírlap‹ („Ungarische Journal“, Auflage 2004: ca. 28.000), ›Népszava‹ („Volksstimme“, Auflage 2004: 27.260). Die ungarische Version der internationalen Gratiszeitung ›Metro‹ gehört zu den größten Zeitungen des Landes (Auflage: ca. 200.000). Das größte Boulevardblatt des Landes ist ›Blikk‹ (Auflage 2004: 255.120). Führende Wochenzeitungen sind das Literatur- und Politikblatt ›Élet és Irodalom‹ („Leben und Literatur“), die Wirtschaftszeitschrift ›Heti Világgazdaság‹ (HVG, „Weltwirtschaftswoche“), die politischen Zeitschriften ›Heti Válasz‹ („Wochenschrift Replik“) und ›Demokrata‹ („Demokrat“), ›168 óra‹ („168 Stunden“) und ›Beszélő‹ („Sprecher“) sowie die Frauenillustrierte ›Nők Lapja‹ („Blatt der Frau“). In U. haben auch deutschsprachige Zeitungen eine lange Tradition. Gegenwärtig erscheinen ›Pester Lloyd (mit ›Budapester Rundschau‹ als Beilage), ›Neue Zeitung‹ und ›Budapester Zeitung‹, die auch als englischsprachige Ausgabe erscheint (›The Budpest Times‹). Die überwiegende Mehrheit der ungarischen Medienlandschaft wird von ausländischen bzw. internationalen Konzernen kontrolliert.

Neben dem öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal ›Magyar Televízió‹ (MTV) und ›Duna Televízió‹ (Duna TV) existieren in U. mehrere Privatsender (›ATV‹, ›TV2‹, ›RTL Klub‹ und der Kinderkanal ›Minimax‹ sowie der Nachrichtenkanal ›Hír TV‹).

Die staatliche Hörfunkgesellschaft ›Magyar Rádió‹ mit den Sendern ›Petőfi Rádió‹, ›Kossuth Rádió‹ und ›Bartók Rádió‹ konkurriert mit zahlreichen Privat- und Regionalsendern sowie thematischen Rundfunkkanälen (u. a. ›Danubius‹, ›Sláger Rádió‹, ›Tilos Rádió‹, ›Info-Rádió‹).

Die mit Abstand populärste Sportart U.s ist Fußball, wobei die besten Jahre des ungarischen Fußballs etwa in den Jahren 1930–70 lagen als die ungarische Fußballnationalmannschaft mit zweimaliger Teilnahme am Finale der Weltmeisterschaften und drei olympischen Goldmedalien zur Weltspitze gehörten. Der bekannteste Fußballspieler U.s war Ferenc Puskás.

Einer großen Popularität erfreut sich in U. das Schachspiel und die ungarischen Spieler gehören weltweit zu den erfolgreichsten. Die bekanntesten Schachspieler des Landes waren Rudolf Charousek, Géza Maróczy und András Adorján und aktuell Péter Lékó sowie Zsuzsa und Judit Polgár.

Seit 1986 finden in U. (Hungaroring) Formel-1-Rennen statt. Mit dem Pannonia-Ring gibt es eine weitere international bekannte Rennstrecke in U., die v. a. für die dort ausgetragenen Motorradrennen bekannt ist.

Zu weiteren, dank erfolgreicher Spieler, populären Sportarten gehören Schwimmen, Wasserball, Handball, Fechten, Tischtennis und Fünfkampf sowie Boxen und Pferdesport. Die beliebteste Wintersportart in U. ist Eishockey.

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3 Kulturgeschichte

Anfänge

In den letzten Jahren des 9. Jh. n. Chr. (um 895/896) betrat der aus ethnisch und sprachlich (turk-, magyarisch- und iranischsprachig) heterogen zusammengesetzten Gruppen bestehende Stammesverband der Magyaren das Karpatenbecken. Entweder kurz vor der Landnahme oder wenig später kam es zur Ausformung eines monarchischen Systems unter dem historisch fassbaren Fürsten Arpad. Möglicherweise existierte bis in die zweite Hälfte des 10. Jh. ein duales Königtum (Arpad = Khagan und Gyula [erster Heerführer], Bulcsú [zweiter Heerführer]), was häufiger bei eurasischen Steppenvölker anzutreffen ist. Bis zu seiner Ermordung 904 durch bayrische Adelige im Rahmen eines rituellen Gastmahls ist – möglicherweise als Sakralkönig und möglicherweise auch in Konkurrenz zu Arpad und seiner Sippe Kurszán - im Westen des Pannonischen Tieflandes belegt.

Innerhalb weniger Jahre gelang den Neuankömmlingen die Eroberung des mährischen Reiches (ca. 895–ca. 906/07) und die Inbesitznahme des gesamten Karpatenbeckens. Die angetroffene slawische und im äußersten Westen Transdanubiens auch fränkische Bevölkerung akkulturierte sich im Verlauf des Hochmittelalters an die magyarische Sprache. Eine Ausnahme waren die in Teilen Oberu.s lebenden Westslawen lateinischer Konfession, die sich im Zuge eines komplexen Nationswerdungsprozesses seit dem 18. Jh. zur modernen slowakischen Nation hin formierten. Im südlichen Tiefland reichte die Herrschaft der Magyaren bis ungefähr zu den Flüssen Drau und Save. Ostfränkische Aufgebote wurden nach 900 im Nordwesten zurückgeworfen und mit einem bedeutenden Sieg über einen großen bayrischen Heerbann im Jahre 907 bei Pressburg (slowak. Bratislava) dehnten sie ihre Herrschaft bis hin zu der alten awarischen Grenzzone am Wienerwald aus.

Die Jahrzehnte nach 900 sind durch eine Vielzahl von räumlich teilweise sehr ausgedehnten Raub- und Feldzügen magyarischer Reiterverbände nach Westen und Südosten hin geprägt. Oft waren sie dabei im Dienst von oder in Allianz mit verschiedenen westlichen und östlichen Potentaten. Die Assoziation der Magyaren mit den Hunnen durch die lateinische Chronistik des Mittelalters führte zur Ausbreitung der lateinischen Bezeichnung Hungarus (dt. = Ungarn). Magyarische Verbände sind in Italien, Burgund, auf der Iberischen Halbinsel, in Thrakien, im West- und im Ostfrankenreich anzutreffen. Im Westen endeten diese Kampagnen mit dem Sieg des ostfränkischen Königs Otto I. 955 bei Augsburg über einen ungewöhnlich großen magyarischen Heerbann, im Osten sind magyarische Reiterverbände im Byzantinischen Reich noch bis in die frühen 970er Jahre belegbar. Veränderungsprozesse innerhalb des magyarischen Stammesverbandes hin zu einer zunehmenden Sesshaftwerdung aufgrund der kulturgeographischen Gegebenheiten im Karpatenbecken – dieses erwies sich für die Fortführung einer auf Großviehzucht basierenden Wirtschaftsform als zu klein – spielten eine wichtige Rolle hinsichtlich der Beendigung dieser „Streifzüge“. Hinzu kam ein Klimawechsel im mittleren Europa hin zu einer deutlich wärmeren Periode, die das potentielle Weideland in der ohnehin von größeren Waldungen und Sumpflandschaften geprägten pannonischen Tiefebene noch verkleinerte.

In der zweiten Hälfte des 10. Jh. begann der Herrschaftsraum der weiterhin paganen Magyaren Ziel von Missionsversuchen aus der lateinischen und der byzantinischen Welt zu werden. Ungefähr zeitgleich kam es in einem jahrzehntelangen Prozess, der von heftigen Auseinandersetzungen im Inneren des Stammesverbandes geprägt war, zur Entstehung eines letztlich lateinisch-christlichen Königtums unter einer Familie, die sich auf die direkte Abstammung von Arpad und seinem imaginären Vater Álmos berief und als Arpadendynastie (bis 1301) in die Geschichte eingehen sollte.

Der Sohn des mehrere Stammesverbände nun übergreifenden Dynastiegründers, Fürst Géza (ca. 970–997), Vajk, ließ sich unter dem Namen Stephan taufen, heiratete eine bayerische Prinzessin und erhielt von Papst Silvester II. und Kaiser Otto III. 1001 die Königskrone verliehen. König Stephan I. konnte alle Konkurrenten auf die Alleinherrschaft aus seiner Großsippe und von anderen Stammesführern nachhaltig beseitigen. Das Königtum blieb den Angehörigen der Arpaden vorbehalten. Die folgenden zwei Jahrhunderte waren gekennzeichnet durch die schrittweise Einbeziehung und Inkulturation des neuen Königreiches in die lateinische Welt und die Verdrängung des byzantinischen Einflusses, der bis ins späte 12. Jh. eine ernsthafte Alternative zur lateinischen Ausrichtung des neuen Reiches darstellte. Dazu gehörte u. a. die Auflösung der Stammesstrukturen, die Einführung des Komitatssystems und die besonders durch Migrationsbewegungen seit der Mitte des 12. Jh. erfolgende Etablierung eines nach westlichen Rechtsformen strukturierten Städtesystems.

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Siedlungsgeschichte 12.–18. Jh.

Neben der raschen Verdichtung der Kontaktfelder zur lateinischen und der byzantinischen Welt, blieben auch die Beziehungen zum Kulturkreis der eurasischen Steppenvölker
Ethnien Ungarns im 14. Jh.
intensiv. Sie äußerten sich zum einen in der bis ins frühe 14. Jh. andauernden Migration von kleineren und größeren Gruppen von Reiternomaden ins Königreich U.; Petschenegen (10. bis erste Hälfte des 12. Jh.), Kumanen (spätes 12. Jh. bis Ende 13. Jh.) und Jassen (ungar. jászok, = Alanen/Osseten, nach ca. 1300/1320) sind dabei nur die bekanntesten und der Zahl nach wohl größten Gruppen östlicher Migranten.

Bis ins 17. Jh. akkulturalisierten sie sich sprachlich gänzlich an die Magyaren. Herrschaftsverdichtung und Landesausbau führten seit dem 12. Jh. überhaupt zu einer wachsenden Einwanderung auch westlicher Siedler in Teile U.s. An erster Stelle sind dabei solche aus dem mittelalterlichen Deutschen Reich zu nennen. In Teilen Siebenbürgens und Oberu.s – Zips, Hauerland – legten sie den Grundstock für die deutschen Neustämme der Zipser- und der Siebenbürger Sachsen, die bis weit ins 20. Jh. landschaftsprägend waren.

Zipser und Siebenbürger Sachsen, Jassen, Kumanen und weitere kleinere regionale Einwanderergruppen, wie einige walachische/rumänische und serbische Gemeinschaften, erhielten spezifische immer auf ein bestimmtes Territorium bezogene Gruppenrechte, die bis 1848/1876 in nur leicht abgewandelter Form Gültigkeit besaßen. So entstanden Fundamente zur Entstehung vergleichsweise zahlreicher spezifischer Kulturlandschaften und eines regionalen Eigenbewusstseins.

Neben den Ansiedlern aus der eurasischen Steppe und Mitteleuropa, ist als dritte Großgruppe die Migration von orthodoxen Südslawen (Serben, in U. Raizen genannt) und Walachen (Rumänen) seit dem späten 12. und dem 13. Jh. belegbar. Während die Migration von Serben infolge der Ausdehnung sowohl U.s als auch später des Osmanischen Reiches in den südosteuropäischen Raum eher in das Spätmittelalter bzw. die Frühneuzeit fällt und auch Teile der alten Eliten umfasste, ist hinsichtlich der Walachen eine graduelle Ansiedlung zunächst in zahlreichen Gebirgslandschaften in den Karpaten festzustellen, die sich über Jahrhunderte hinzog. Infolge der Entvölkerung weiter Teile Siebenbürgens und angrenzender ostungarischer Komitate durch die intensiven Kriege des 16., 17. und frühen 18. Jh., siedelten Adel und Sachsen auch in diesen Gegenden, die für Neueinwanderer aus dem Westen weniger attraktiv waren als das Ungarische Tiefland, rumänischsprachige Bevölkerung an bzw- duldeten deren Niederlassung.

In den nordöstlichen Komitaten U.s begann im 14. Jh. zudem eine sehr langsame und sich bis ins 19. Jh. hinziehende Einwanderung von orthodoxen Ostslawen (Ruthenen/Rusinen), die nach den Türkenkriegen und blutigen innerungarischen Auseinandersetzungen im 18. Jh. ihren Höhepunkt erreichte (Bojken, Lemken, Huzulen). Auch hier kam es in dieser Zeit zur Ansiedlung von ungarländischen Ruthenen in einen Teil der vormals von U. und Slowaken bewohnten Dörfer und Kleinlandschaften in den Ebenen und Hügellandschaften U.s. Zuvor waren Ruthenen nahezu ausnahmslos in den Waldlandschaften der nordöstlichen Karpaten anzutreffen. Wie die Rumänen sind sie bis ins 19. Jh. im urbanen Milieu des historischen U. praktisch nicht präsent.

Im Unterschied zu den genannten einwandernden Ethnien und Verbänden, aber parallel zu den Ungarn, vollzog sich zwischen dem 10. und 19. die Ethnogenese der heutigen Slowaken, die trotz einer Vielzahl von wechselseitigen lokalen Akkulturations- und Assimilationsprozessen mit Ungarn, Deutschen, Walachen und später auch Ruthenen als Nachfahren der vorlandnahmezeitlichen Westslawen im nördlichen Donau-Karpatenraum bezeichnet werden können. Die Gesamtheit ihrer Geschichte bis 1918/19 vollzog sich im Unterschied zu allen anderen Ethnien und Sprachgruppen des Stephansreiches innerhalb des historischen U.

Die ethnische Zusammensetzung des historischen U. änderte sich durch die osmanisch-habsburgischen Auseinandersetzungen und die innerungarischen Konflikte zwischen dem 16. und 18. Jh. nachhaltig. Viele gerade von ethnischen Magyaren bewohnte Landschaften, besonders im mittleren und südlichen U. sowie in den zentralen und nordwestlichen Landschaften Siebenbürgens und in den Vorgebirgen der Karpaten, verloren dabei große Teile ihrer Bevölkerung und wurden häufig mit andersethnischen Gruppen neu peupliert. Ethnische Kontinuitäten sind demnach im Donau-Karpatenraum und in Bezug auf scheinbar seit dem Hochmittelalter kontinuierlich magyarische Siedlungsgebiete kaum auszumachen.

Neben der Ausbreitung des Siedlungsgebietes von Ruthenen, Serben und Rumänen, ferner im geringeren Ausmaße von Slowaken, kam es zur Einwanderung von vielen Juden in erster Linie aus Polen, von Deutschen (Schwaben) und einer Vielzahl kleinerer Ethnien, wobei Armenier nach 1669 (der belegten Ersteinwanderung nach U. von Osten her) und Bulgaren (überwiegend im 18. Jh.) aufgrund ihrer wichtigen ökonomischen und kulturellen Bedeutung im Verhältnis zu ihrer geringen Zahl gesondert aufgezählt werden sollen.

Andererseits lassen sich bereits seit der Frühen Neuzeit auch große Unterschiede zwischen den verschiedenen ungarischen Bevölkerungsgruppen, etwa der Szekler in Siebenbürgen, der Palóczen oder der calvinistischen Heiducken, belegen.

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Religionen und Konfessionen

Bis in das 12./13. Jh. überdauerten auch im Königreich U., trotz der Annahme des lateinischen Christentum durch die Eliten des Reiches, pagane religiöse Vorstellungen in synkretistischer Form. Kleine orthodoxe Gemeinschaften bildeten die eingewanderten Gruppen der Ruthenen, Serben und Walachen. Muslime sind in geringer Zahl bis ins 13. Jh. lokal belegbar, ähnliches gilt für Juden. Die Elite U.s partizipierte seit dem 13. Jh. im Zuge ihrer intensivierten Adaption okzidentaler Lebensformen und Mentalitäten sehr aktiv an der Kreuzfahrerbewegung. Meist richteten sich die Aktivitäten gegen die orthodoxen Fürstentümer (etwa der Moldau und Walachei) an den südöstlichen Grenzen. Erst ab dem späten 14. Jh. kam infolge des Aufstieges des Osmanischen Reiches auch der direkte Konflikt mit diesem hinzu.

Entscheidend für die zunehmende und dauerhafte Latinisierung der ungarischen Gesellschaft und Kultur war die schließlich flächendeckende Ausbreitung des lateinischen Christentums. Vom 11. bis 13. Jh. entstand neben den Bistümern, mit dem Primas von Gran (ungar. Esztergom) an der Spitze, ein dichtes Netz an Pfarreien und Klöstern. Benediktiner- und Zisterzienserabteien, die im stetigen Kontakt mit westlichen Mutterklöstern standen, vermittelten die Denkwelten des Abendlandes in das Donau-Karpatenbecken. Bettelorden wie die Dominikaner und Franziskaner, später auch Kapuziner kamen seit dem 13. Jh. und erreichten rasch große Wirksamkeit. Eine besondere Bedeutung hatte die Erzabtei Martinsberg (ungar. Pannonhalma) sowie die Abteien Sankt Georgen (Ják), Kerz (ungar. Kerc, heute rumän. Cârţa) und Abtsdorf (Kolozsmonostor/Cluj-Mănăştur).

Im 15. Jh. strahlte dann die Hussitenbewegung bis nach U. aus und fand trotz massiver Verfolgungen eine Vielzahl von Anhängern, v. a. in unteren Bevölkerungsschichten. Ungarische Hussiten sind in der moldauischen Woiwodschaft noch im 17. Jh. nachweisbar.

Einen tiefen Einschnitt in die ungarische Geschichte brachte das rasche Eindringen der reformatorischen Strömungen seit den 1520er Jahren. Innerhalb von vier Jahrzehnten vollzog nahezu die gesamte römisch-katholische Bevölkerung des Königreiches den Übergang zu einer der aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen. Lediglich die Mehrzahl der Kroaten und die slowakische Bevölkerung in einigen der nördlichsten und periphersten Komitate, wie etwa Arva (ungar. Árva, heute slowak. Orava) oder Scharosch (Sáros/Šariš), sowie der Ungarn in Zala und Csík (rumän. Ciuc) blieben der alten Kirche treu. Klöster verwaisten nahezu gänzlich, die Orden brachen vollständig zusammen und jahrzehntelang blieb eine Vielzahl von Bistümern vakant.

Die große Mehrzahl der Deutschen in Oberu. und Siebenbürgen wählte die lutherische Variante des Protestantismus. Im Rahmen ihrer spezifischen gut ausgebildeten Selbstverwaltungsstrukturen spielte das lutherische deutschsprachige Eigenkirchenwesen rasch eine zusätzliche und zentrale stabilisierende Rolle für die Rechtsgemeinschaften der Siebenbürger und Zipser Sachsen bis in die Gegenwart hinein.

Im Falle der überwiegendst bäuerlichen und nur in weitaus geringerer Zahl urbanen und kleinadeligen slowakischsprachigen Bevölkerung Oberu.s erwiesen sich lutheranische Pfarrer und Lehrer als wichtige Wegbereiter bei der Konzipierung von slowakischer Kirchen- und Schriftsprache. Der Schlüssel lag dabei in einer der Leitideen der Lutheraner, der Verwendung der jeweiligen Muttersprache in Kirche und bei Katechese.

Bis etwa um 1700 verorteten sich diese neuen Konfessionen zunehmend auf regionaler Ebene. Kaum von Reformation und Konfessionalisierung betroffen blieben zunächst die orthodoxen Gemeinschaften, die sich vornehmlich aus Serben/Raizen, Rumänen/Walachen und Ruthenen und in kleinerer Zahl aus Griechen, Aromunen und Bulgaren zusammensetzten. Von Seiten einiger geistlicher und weltlicher Akteure der nach etwa 1620 durch Mission, Druck und Zuwendungen an Renegaten wieder an Boden gewinnenden römisch katholischen Kirche wurde versucht, diese orthodoxen Gemeinschaften durch Kirchenunionen an Rom zu binden und vor einer befürchteten Calvinisierung zu bewahren.

Die Unionsabschlüsse mit einem Teil des ruthenischen Klerus’ im nordöstlichen U. (Munkács, heute ukrain. Mukačeve) 1646 und einem Teil des rumänischen Klerus in Weißenburg (ungar. Gyulafehérvár, heute rumän. Alba Iulia) 1698/1701 legten trotz schwierigster Anfänge den Grundstein für die bis in die Gegenwart in der Slowakei, U., Rumänien und der Ukraine existenten griechisch-katholischen/unierten Kirchen. Bereits im 18. Jh. begann als eine Folge dieser Unionsabschlüsse die Akkulturation und später Assimilation eines Teiles der Unierten an die ungarische bzw. slowakische Ethnie und später Nation. Während die Gesamtheit der Ruthenen Oberu.s bis um 1780 zur Union übergetreten war, galt dies im Falle der Rumänen vornehmlich für die im Norden und Nordwesten Siebenbürgens und Nordostu.s Lebenden.

Als europäisches Unikat behaupteten sich im historischen U. – in einigen Stühlen des Szeklerlandes, in Klausenburg, Thorenburg (ungar. Torda, heute rumän. Turda) und weiteren ländlichen Enklaven des zentralen Siebenbürgen – auch über das Jahr 1700 hinaus und bis in die Gegenwart – Vertreter der radikalsten geistlichen Strömungen der Reformation, die Unitarier.

Im frühen 18. Jh. begann auch, zunächst in kleinen Gruppen und Familien, die Einwanderungsbewegung von Juden in erster Linie aus Polen-Litauen, die nach dessen Teilungen (1772, 1793, 1795) rasch zunahm. Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen jüdischen Gemeinden waren infolge der chronischen Kriege des 16. und 17. Jh. nahezu ausgelöscht worden.

Das Alte U. war somit in allen Epochen seiner Geschichte ein multiethnischer, mehrsprachiger und multikonfessioneller Reichsverband.

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Gesellschaft und Politik

Zwischen dem 12. Jh. und 1526 bzw. 1541 war das Königreich U. die dominierende Macht im gesamten Donau-Karpatenraum. Zeitweilig dehnte es seinen Einflussbereich durch dynastische Verflechtungen und andere machtpolitische Maßnahmen bis in Gebiete östlich der Karpaten aus. Die Woiwodschaft Moldau entstand im 14. Jh. aus U. heraus. Zeitweise war auch die Walachei Vasall des Reiches, einige Woiwoden aus beiden Donaufürstentümern verfügten zwischen dem späteren 14. und der Mitte des 16. Jh. über Lehensbesitz im ungarischen Siebenbürgen. 1102 konnte Kroatien über einen Erbfall in einer Variante von Personalunion an U. gebunden werden.

Eine dauerhafte Eingliederung des Königreiches Bosnien gelang im 14. und 15. Jh. hingegen ebenso wenig wie die Behauptung des nordserbischen Despotats als Puffer gegen das aufstrebende Osmanische Reich über das Jahr 1459 hinaus. Die seit dem 12. Jh. eingerichteten südslawisch dominierten Banschaften (Mácso, Severin [ungar. Szörényi bánság] etc.) gingen bereits vor 1526 wieder verloren. Infolge einer Vielzahl von kleineren und größeren militärischen Konflikten waren diese Regionen seit dem Spätmittelalter dauernden Verwüstungen ausgesetzt und wenig entwickelt. Mit der Einfügung Kroatiens in den Reichsverband ergaben sich weitere Möglichkeiten und Bemühungen über die dalmatinische Städtelandschaft und Küste Herrschaftsrechte zu etablieren und auch diese in das Reich einzufügen. Erbitterte Konflikte zunächst mit Byzanz und den lokalen urbanen Milieus, bald aber mit der Republik Venedig dauerten vom frühen 12. Jh. bis ins frühe 15. Jh. an und endeten mit dem Siege Venedigs und der dauerhaften Verdrängung U.s von der Adria bis 1867.

Die politischen Beziehungen zwischen U. und der Kiewer Rus und hier besonders zu den Fürstentümern Halyč und Wolynien, über die zeitweise ein Abhängigkeitsverhältnis hergestellt werden konnte, waren im Hochmittelalter dicht. Eine Änderung trat hier seit Sigismund von Luxemburg (1387–1437) auf. Die nördlichen Handelsrouten zwischen Kronstadt, Kaschau (slowak. Košice), Erlau (ungar. Eger), Leutschau (slowak. Levoča), Bistritz (rumän. Bistriţa), Buda, Großwardein (rumän. Oradea), auf der anderen Seite Lemberg, Krakau und über die Moldau etwa nach Akkerman (ukrain. Bilhorod-Dnistrovsʹkyj), Kaffa (Feodosija), Soldaia (Sudak) und Cembalo (Balaklava) auf der Krim waren für einen Teil des Ost-Westhandels außerordentlich wichtig.

Von entscheidender Bedeutung wurden jedoch im Hochmittelalter die zunächst engen und seit dem späten 12. Jh. allmählich an Intensität nachlassenden Beziehungsfelder zum mittelalterlichen Deutsch/Römischen Reich sowie bis ins 16. Jh. zum Papsttum. Die erfolgreiche Konstitution und Einfügung des neuen Königtums in die christlich abendländische Heilsordnung unter Papst und Kaiser stabilisierte und sakralisierte die Herrschaft der Arpaden nach innen und war zentral für den Zusammenhalt des Reiches. Daher kann trotz der auch militärisch ausgetragenen Konflikte zwischen dem Reich und U. im 11. und 12. Jh., die aber immer im Kontext zur Wiederherstellung der gottgewollten Ordnung standen, keinesfalls von einem deutsch-ungarischen Gegensatz, wie im 19. Jh. unter anderen Vorzeichen postuliert, gesprochen werden.

1241–42 wurde das Königreich U. im Zuge des großen Westfeldzuges des Mongolischen Weltreiches in einer Art und Weise verheert wie es in der lateinischen Welt bis dahin so nicht bekannt war. Überwiegend wehrlos gegen die Kriegstaktik der Mongolen, fiel rund die Hälfte der Bevölkerung des Landes den Angreifern zum Opfer oder erlag den Folgen dieses Angriffs, der aufgrund von politischen Ereignissen innerhalb des Mongolenreiches nicht zu seiner Einbeziehung in den Reichsverband des Großkhans führte. Die demographischen Verluste dieser Jahre konnte das Reich erst um 1500 wieder aufholen. Die zentrale Folge dieses Ereignisses war die völlige Latinisierung des Reiches in Bezug auf Selbstverständnis, Strukturen, Umgang mit nichtlateinisch-christlicher Bevölkerung und der Lebenswelt der Eliten.

Auf der gesamteuropäischen politischen Bühne seit dem 12. Jh. eingebunden, spielte U. dort bis ins 16. Jh. eine aktive Rolle. Eine Reihe von Personalunionen, die das spätere habsburgische Kronen-, Reichs- und Länderkonglomerat vorwegnahmen, betrafen auch die Länder der Stephanskrone: böhmisch-polnisch-ungarische Union unter dem letzten Přemysliden 1301–05, niederbayrisch-ungarische Union 1305–08, polnisch-ungarische Union unter Ludwig (Lajos) I. dem Großen 1370–82, böhmisch-ungarische Union unter Sigismund von Luxemburg 1420–37, römisch/deutsch-ungarische unter demselben und seinem Nachfolger 1410–39, polnisch-ungarische Union 1440–44 und schließlich im Rahmen der jagellonischen Reiche, Länder und Kronen im östlichen Europa eine böhmisch-ungarische Union von 1490–1526. Die 1526 durch Erbfall eingetretene und infolge der osmanischen Eroberungen sowie des Widerstandes eines größeren Teiles der Stände bis 1711 nur unvollständig realisierten Personalunion zwischen der österreichischen Linie des Hauses Habsburg und dem Stephansreich stand somit bereits in einer langen Tradition in Ostmitteleuropa.

Im 13. Jh. setzte wie in den übrigen Reichen und Ländern des östlichen Mitteleuropas ein Prozess ein, der zu einer Erstarkung von Ständen (des Adels, höheren Klerus’ und weniger Bürger in den Regionen mit günstigem Recht wie Szeklerland, Zips oder Kleinkumanien (Kiskunság) auf regionaler (Komitate) und auf Reichsebene (durch freie Königswahl, Steuerhoheit, Ämtervergabe, regelmäßige ständische Versammlungen mit wachsender Kompetenz gegenüber Krone und Hof) führte. Diese Gruppen entwickelten bedingt durch zunehmende Herrschaftsverdichtungen und Institutionalisierungen ein ständisches Natio-Hungarica-Konzept, das bis ins 19. Jh. und im Widerstreit mit der jüngeren ethnisch-nationalen Hungarus-Idee in Rudimenten bis 1944 Staat und Gesellschaft dominierte. In diesem Zusammenhang sei auf die Goldenen Bullen von 1222 und 1351, sowie auf das Tripartitum von 1514 verwiesen.

Die mit Abstand wichtigste politische, wirtschaftliche und kulturelle Gruppe des Landes war der Adel, der um 1800 rd. 5 % der Gesamtbevölkerung ausmachte. Nur in Polen-Litauen, zu dem deutliche verfassungsgeschichtliche Parallelen auszumachen sind, existierten in Europa prozentual an der Gesamtbevölkerung gesehen mehr Adelige. Die Zusammensetzung dieser Gruppe war höchst heterogen. Die übergroße Mehrzahl der Adeligen bestand aus Kleinadeligen (Gentry), die in einigen nördlichen und nordöstlichen Regionen des Landes recht kompakt in Massen auftraten. Es gab daneben slowakischsprachige pauperisierte ungarische Kleinadelslandschaften an den nördlichen Grenzen U.s, rumänischsprachige Kleinadelige in den Westkarpaten und Gegenden im Nordosten des Landes. Im südlichen und zentralen U. hingegen lebten als Folge der osmanischen Herrschaft (1541–1699/1718) auch nach dieser Zeit nur sehr wenige Adelige. Ohne deutliche soziale und gesellschaftliche Abgrenzung nach unten kann von einigen Hundert mittleren Adelsgeschlechtern gesprochen werden. Wenige Dutzend Magnaten kristallisierten sich seit dem 15. Jh. allmählich heraus. Eine im europäischen Vergleich als erstaunlich anzusehende Fluktuation zwischen diesen, hier nur grob in drei soziale Gruppen unterteilten Adelsgesellschaft lässt sich bis ins 19. Jh. ausmachen.

Die Politik von Königen wie Sigismund von Luxemburg oder Matthias Corvinus (1458–90) führte zu einer weiteren Verdichtung der Kontaktfelder des Landes auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen der Bewohnerschaften mit dem Deutschen Reich, Polen, Böhmen und dem italienischen Raum. Die Welt von Renaissance und Humanismus begann sich in der zweiten Hälfte des 15. Jh. in U.s Städten und der höfischen Lebenswelten zu verbreiten. Damit einher gingen auch die Lehr- und Wanderjahre (latein. Peregrinatio) von Studenten ins westliche Europa ein, in erster Linie an die Universitäten des Deutschen Reiches, Italiens und später die der Niederlande. Der damit verknüpfte Wissenstransfer lief auf diese Weise bis ins 19. Jh. ab und erlebt seit 1989 unter einer völlig anderen Situation und Form eine Art von Wiederholung.

Durch eine Reihe von Auseinandersetzungen mit dem aufstrebenden Reich der Osmanen wurde U. allerdings seit dem späten 14. Jh. zunehmend auch in die Rolle einer sog. Vormauer der Christenheit (Antemurale Christianitatis) gedrängt. Innere Konflikte, mangelnde Innovationen im technischen Bereich und eine Verfasstheit des Landes, die schnelles Reagieren erschwerte, führte im frühen 16. Jh. in eine Position der Unterlegenheit gegenüber der Hohen Pforte. Folgerichtig kam es 1526 bei Mohács zu in einer sich als eine Entscheidungsschlacht herausstellenden katastrophalen Niederlage gegen das osmanische Hauptheer.

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Zwischen Habsburger und Osmanischen Reich 1526–1711

Eine Reihe von Schlüsselereignissen in der Geschichte U.s führten nach dieser Niederlage zu einer Dreiteilung U.s ab 1541, die je nach Zählung bis 1690, 1699, 1711 oder 1718 andauern sollte.

Thronfolgekämpfe waren in der ungarischen Geschichte seit jeher nichts Ungewöhnliches gewesen. Doch konnte der 1526 einsetzende und im Grunde sich bis 1570 hinziehende Dauerkonflikt zwischen den Häusern Habsburg und Zápolya (Szapolyai) aufgrund der osmanischen Parteinahme für Letztere, verbunden mit einer chronischen Überbeanspruchung der Ersteren in anderen Teilen Europas diesmal nicht zugunsten einer Seite entscheiden. Es kam zu einer zunächst stufenweisen Verprovinzialisierung der zentralen und südlichen Regionen des Landes zwischen dem Plattensee und den Ausläufern der Westkarpaten, die 1541 mit der Inbesitznahme von Buda durch die Osmanen begann und 1660 mit der Eroberung von Großwardein endete.

Zwischenzeitlich gab es einen mehrfachen Wechsel zwischen längeren relativen Friedenszeiten und eher kürzeren offenen Kriegen. Ein dichtes Netz von modernen Festungen sicherte seit dem letzten Viertel des 16. Jh. nachhaltiger die Nord und Westregionen des Landes, die unter habsburgischer Herrschaft verblieben. Seit 1526 bis 1918 führte diese Dynastie nun den ungarischen Königstitel.

Im Fahrwasser der osmanischen Hegemonie im Karpatenbecken konnte sich die antihabsburgische ungarische Opposition nach 1526 in den Osten des Landes zurückziehen und dort behaupten. Unter osmanischen Schutz konnte sie auf einige bereits vorhandene spezifische ständische Strukturen aufbauend das Fürstentum Siebenbürgen begründen, das bis 1690/1696 bzw. 1711 Bestand haben sollte und sich von etwa 1556–71 als calvinistische und später unitarische sowie zwischen 1605 und 1699 als calvinistische Alternative zu den katholischen Habsburgern behaupten konnte.

Man kann sagen, dass die osmanische Herrschaft – unbeabsichtigt – U. als multikonfessionellen Raum hat das 16. und 17. Jh. und damit die Zeit der stärksten Bemühungen um eine Zerschlagung der reformatorischen Konfessionen überdauern lassen.

Das Osmanische Reich, dessen Herrschaft bis zum sog. Langen Türkenkrieg (1593–1606) einem Teil der verbliebenen und neu eingewanderten Bevölkerung aus dem südöstlichen Europa durchaus ökonomische Stabilität bewahrte, geriet aufgrund zunehmend nachlassender Adaption von technisch-militärischen Novationen allerdings in der zweiten Hälfe des 17. Jh. allmählich in eine defensivere Position. In zwei großen Kriegen gegen eine heilige Liga, 1683–99 und 1716–18, wurde schließlich ganz U. durch die Armeen der Habsburger unter Prinz Eugen (1663–1736) zurückerobert.

Krönungsstadt der ungarischen Könige war ab 1563 Pressburg (ungar. Pozsony), das es bis 1830 bleiben sollte. Hier fanden auch die meisten Reichstage statt. Im Bereich der Steuerhoheit und der Erfassung des Landes zu diesem Zweck blieben die Stände, die dies eher zu verhindern versuchten, bis ins 19. Jh. gegenüber dem Hof in Vorteil. Der Vertrag von Sathmar (ungar. Szatmár, heute rumän. Satu Mare) 1711 sicherte dem Adel und anderen standesfähigen Gruppen zudem ihre gewachsenen Privilegien. In Siebenbürgen und Oberu. blühten an den Höfen der Magnaten bzw. der siebenbürgischen Fürsten die Kulturströmungen von Frühbarock, Manierismus und später Renaissance; zum ersten Mal wurden in größerer Zahl Chroniken und amtliche Dokumente in wachsender und dann dominierender Zahl neben Latein in ungarischer Sprache verfasst.

Im Bereich der Entwicklung des ländlichen Raumes hingegen lassen sich nach der Etablierung der Herrschaft Wiens über das gesamte Stephansreich im 18. Jh. große Unterschiede zu den neu peuplierten Gebieten feststellen, die z. T. bis in die Gegenwart nachwirken. Während in den von der Hohen Pforte rückgewonnenen Gebieten die bäuerlichen Kolonisten mit zahlreichen quasi freibäuerlichen Rechten ausgestattet und damit in die Lage versetzt wurden, ertragreiche Wirtschaften auf- und auszubauen, gelang derartiges in den adelsdominierten oberungarischen und (teilweise) siebenbürgischen Landesteilen nicht. Verbunden damit war eine zunehmende Verschlechterung der Rechtsstellung der leibeigenen Bauern im Rahmen der sog. zweiten Leibeigenschaft seit dem 15. Jh. Dauerhafte Unterentwicklung, Pauperisierung der Landbevölkerung und Stagnation der vergleichsweise winzigen Städte und Ackerbürgerstädte kennzeichnen diese Landschaften bis in die Mitte des 20. Jh. und lassen sich heute noch an Wirtschaftsweise und Mentalität der Bevölkerung belegen.

In den südlichen Gebieten des Landes konnte der Adel seine Güter hingegen nicht wiedererlangen, hier formte sich im Verlauf des 18. Jh. eine deutlich unterschiedliche auf engen Raum höchst multiethnische Lebenswelt heraus. Die Zeit zwischen 1711/18–1848 brachte bis auf marginale Ausnahmen in einzelnen Grenzregionen (1738, 1739, 1788 und 1809) eine nie zuvor da gewesene Abwesenheit von Krieg. Die Bevölkerung nahm rasch zu und erreichte um 1800 wieder die Zahl von etwa 1500.

Dem Wiener Hof gelang es durch wachsende Partizipation, einen Teil des Adels in seine Herrschaft aktiv einzubinden. Hingegen scheiterten bis 1781 letzte zähe aber kaum mehr blutige Bemühungen um die Rekatholisierung des ganzen Landes.

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Josephinismus, Reform und Vormärz

Joseph II. (1780–90) setzte die Reformen im Inneren fort und versuchte einen zentralistischen, aufgeklärt-absolutistischen habsburgischen Beamtenstaat aufzubauen. Er setzte den Reichstag aus und ließ sich bewusst nicht zum König von U. krönen, um dem Reichsrat nicht verpflichtet sein zu müssen. Gleichzeitig hob er 1785 die Autonomie der Komitate auf und setzte an Stelle der gewählten ständischen Amtsträger kaiserlich-königliche Beamte der zentralisierten Verwaltung. Dadurch sollte die Teilung der Regierung zwischen Souverän und Ständen beseitigt werden, die letztlich als Garant der tradierten Ständeprivilegien, des Staatsrechts und der Idee der ungarischen Nation galt.

Joseph II. baute weiterhin das staatskirchliche Verwaltungssystem aus, zwang mit dem Toleranzedikt (1781) die katholische Kirche, sich dem Staat (bis zum Konkordat von 1855) unterzuordnen, während die protestantischen Kirchen und die orthodoxe Kirche als Eigenkirchen anerkannt wurden. Ohne mit den Katholiken vollständig gleichgestellt zu sein, wurde Protestanten, Orthodoxen und Juden der Weg zu staatlichen Ämtern frei gemacht. Diese halfen zwar die Zentralisierung auszubauen, wurden aber zu einem selbstbewussten Faktor, der nicht zuletzt aufgrund der Gegenreformation den absolutistischen katholischen Habsburgern ablehnend gegenüberstand.

Der hier noch geringe Widerstand wurde zu einer heftigen Gegenbewegung, als Joseph 1784 Deutsch anstelle des Lateinischen als Amtssprache dekretierte, um die Verwaltung zu vereinfachen. Dies wurde als Germanisierung empfunden, zumal aufgrund der Aufklärung die Pflege der Nationalsprache auch in U. Auftrieb erhalten hatte, und gipfelte in einem Kampf um die Einführung des Ungarischen als Amtssprache. Auch der Aufstand von leibeigenen rumänischen Bauern (1784/85) in Siebenbürgen, der nicht nur soziale, sondern nun auch national-rumänische Merkmale trug, führte zu innerer Destabilisierung. Zu dieser trug auch die Veränderung des ethnischen und sozialen Gefüges infolge der deutschen Kolonisierung und der Zuwanderung v. a. von Rumänen aus der Moldau und Walachei und von Serben vom Balkan bei. Dadurch hat sich zwischen 1720 und 1787 die Einwohnerzahl U.s verdoppelt.

Der Ausbruch des Krieges gegen die Osmanen 1788–91 sowie der anhaltende Widerstand in U. und hier v. a. in Siebenbürgen, brachte das Reich an den Rand des Aufruhrs und Joseph II. musste mit dem Restitutionsedikt (1790) die meisten Reformen zurücknehmen. Der nach Josephs Tod einberufene Reichstag von Buda (1790/91) bestätigte die Unabhängigkeit U.s und auch Josephs Nachfolger Leopold II. (†1792) anerkannte die staatliche Souveränität und das Mitbestimmungsrecht der Stände zumindest formal an. Gleichzeitig entwickelte sich die radikale, intellektuell geprägte jakobinische Reformbewegung, die ohne eine breite Massenbasis zu haben, eine heftige kaiserliche Reaktion hervorrief.

Franz II. (1792–1835), der ebenso wie der ungarische Ständestaat eine Revolution fürchtete, beseitigte 1795 die Bewegung und Joseph Anton Johann, Palatin von U. (1796–1847), erarbeitete ein reaktionäres, für die weitere Entwicklung wegweisendes Memorandum. Innere Immobilität, bestimmt vom Kampf gegen die innerungarischen Gegenbewegungen prägten die politische Entwicklung, während auf kulturellem Gebiet die Ideen der Aufklärung weiterwirkten.

Habsburgische Versuche, den kulturellen Aufschwung und das Interesse an der ungarischen Sprache zu bremsen, bewirkten das Gegenteil und legten das Fundament der ungarischen Nationalbewegung. Die Spannungen zwischen ungarischen Ständen und Wiener Zentrale konnten wegen der Finanzkrisen nicht beseitigt werden, und man glaubte die Stände ausschalten zu können, indem nach 1812 zunächst kein Reichstag mehr einberufen wurde.

Als er 1825 doch einberufen wurde, begann das sog. Reformzeitalter, das eine tiefgehende Modernisierung durch den ungarischen Landadel brachte, so dass der Fortschritt nunmehr von der oppositionellen geistigen Elite im Reichstag getragen wurde. Deren herausragendste Persönlichkeit war István Széchenyi (1791–1860), der anders als die ständische Politik, der Bekämpfung sozioökonomischer Probleme den Vorrang gab. Die Kritik an der traditionellen Sozialordnung führte zur Forderung einer gesellschaftlichen Umgestaltung, die die Vorrechte des Adels aufheben sollte und mündete in der liberalen Vorstellung, U. zu einer konstitutionellen Monarchie umzugestalten. Getragen wurden diese Forderungen v. a. vom Komitatsadel, der in Lajos Kossuth (1802–94) einen Vertreter mit großem Einfluss auf die öffentliche Meinung hatte. Vom westlichen Liberalismus beeinflusst, traten romantisch-nationale Ideale in den Vordergrund und verschärften den Gegensatz zur Wiener Zentralregierung. Sichtbarstes Symbol des liberalen Einflusses auf die Nations- und Nationalstaatsidee wurde die Einführung des Ungarischen als Amtssprache (1844), ausgenommen in Kroatien. Die liberalen Vorstellungen wirkten jedoch auch bei den Nationalitäten U.s, die zeitgemäß ebenfalls nach nationaler Anerkennung strebten, was deren Verhältnis zu den Ungarn belastete.

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Revolution von 1848/49

Das Ende des Ständestaates läutete der letzte ständische Reichstag ein, auf dem Kossuth eine Verfassung unter Beibehaltung der Gesamtmonarchie forderte (3.3.1848). Nach der Wiener Märzrevolution und dem Sturz Metternichs forderte der Reichstag (15.3.1848) eine parlamentarische Verfassung mit einer unabhängigen Regierung. Lajos Batthyány (1807–49) wurde Ministerpräsident dieser gemäßigten Reformer-Regierung, die den Ständestaat in eine konstitutionelle Monarchie umwandelte. Mit den von Ferdinand V. (König von U. 1830–75) bestätigten sog. Aprilgesetzen wurde der Reichstag zu einem nach Zensuswahlrecht gewählten Parlament, Bürgerrechte wurden garantiert, ständische Privilegien abgeschafft, die Bauernbefreiung durchgesetzt und die Union mit Siebenbürgen (29.5.1848) beschlossen.

So wurden zwar Reformen umgesetzt, die Position U.s jedoch nur vorläufig geregelt. Zudem stellten sich die Nationalitäten U.s, v. a. die Kroaten, Serben, Slowaken und Rumänen, deren Hoffnungen auf nationale Anerkennung zunichte gemacht wurden, auf die Seite Wiens, wo sich reaktionäre Tendenzen durchsetzten und v. a. den kroatischen Banus Josip Jelačić (1801–59) unterstützten. Die Enttäuschung der Nationalitäten führte mit Hilfe des Wiener Hofes im Sommer 1848 zu bewaffneten Auseinandersetzungen, wie dem auch von Belgrad unterstützten sog. Serbenaufstand (6.6.1848) in der Wojwodina.

Die Radikalisierung des Konflikts führte zum Rücktritt Batthyánys und zur Bildung der Landesverteidigungskommission unter Kossuth (16.9.1848), ferner zum bewaffneten Widerstand von Rumänen in Siebenbürgen, zum gescheiterten ungarischen Versuch, Wien zu besetzen und schließlich zur Abdankung Ferdinands V. zugunsten von Franz Joseph I. (1848–1916). Nach der Eroberung von Buda und Pest (5.1.1849), erließ die Wiener Zentralregierung eine gesamtstaatliche Verfassung, die U. zum Kronland degradierte und das Staatsgebiet zerteilte. Das ungarische Militär unter Artúr Görgey (1818–1916) und in Siebenbürgen unter Józef Bem (1794–1850) drängte die kaiserliche Armee zurück und es folgte die Unabhängigkeitserklärung von Debrecen (14.4.1849). Die Ernennung Kossuths zum Reichsverweser und damit die Absetzung der Habsburger vollzogen den Bruch, ohne jedoch die Hoffnung auf einen Kompromiss mit Wien aufzugeben. Die russische Intervention auf österreichischer Seite setzte diesen Bestrebungen ein Ende, führte nach militärischen Niederlagen zu Kossuths Abdankung (11.8.1849) sowie zur Hinrichtung Batthyánys (6.10.1849) und zu einer Phase der Vergeltung und des Neoabsolutismus.

Neuerliche Zentralisierung, ein Umbau der Verwaltung durch böhmische und deutsche Beamte, Ersetzung der Selbstverwaltungsorgane der Kroaten, Serben und Siebenbürger Sachsen, territoriale Restrukturierungen, aber auch Erneuerung des Bildungswesens kennzeichneten die weitere Entwicklung. Dem widersetzte sich v. a. der Komitatsadel, der einen österreichischen Einheitsstaat ablehnte, was zusammen mit außenpolitischen Misserfolgen der Monarchie zu neuen Lösungsversuchen führte. Das Oktoberdiplom (1860) machte den historischen Nationen Zugeständnisse, wurde durch das Februarpatent (1861) eingeschränkt und wies der dualistischen Konzeption den Weg. Die den Nationalitäten gewährten Freiräume zur kulturellen und politischen Gleichberechtigung sollten diese für die gesamtstaatliche Lösung gewinnen und gegen die ungarischen, dualistischen Vorstellung ausspielen.

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Ausgleich und Dualismus

Der Ausgleich (1867), der den österreichisch-ungarischen Dualismus begründete und die Union Siebenbürgens mit U. brachte, wurde durch die Krönung Franz Josephs I. zum König von U. vollendet. So entstand innerhalb der Habsburgermonarchie ein fast völlig selbständiger, zentralistischer ungarischer Staat, der seinerseits seinen Ausgleich mit Kroatien (1868) vollzog und eine Phase der Stabilität einläutete, in der U. zu einem modernen Verfassungsstaat ausgebaut wurde. Industrialisierung, Dominanz des Komitatsadels und die Herausbildung einer bürgerlichen Elite (einer magyarisch geprägten Bildungsschicht) bestimmten die Entwicklung, die auch durch ein umfassendes Nationalitätengesetz (1868) abgesichert war.

Bereits in den 1870er Jahren setzten sich jedoch nationalungarische, teilweise chauvinistische Strömungen durch und behinderten die kulturelle Entwicklung der Nationalitäten. V. a. durch eine sprachliche Magyarisierung ab den 1890er Jahren sollte ein homogener Nationalstaat entstehen, in dem die Zugehörigkeit zur politisch aufgefassten ungarischen Nation bestimmend war, andererseits die gesellschaftlichen Grenzen durch Assimilation durchlässig wurden. Die Entwicklung des Nationalstaats sollte v. a. durch Intensivierung des Ungarischunterrichts und Magyarisierung von Orts- und Familiennamen erfolgen, wobei letztere in der Praxis weniger umgesetzt wurden. So konnten die dringenden Probleme, die sozialen und agrarischen Strukturen und insbesondere die Nationalitätenfrage nicht gelöst werden, weil der Rückgriff auf den ständisch-übernationalen Begriff der ›natio Hungarica‹ zwar alle Bürger – unabhängig von der Nationalität – für gleichberechtigte Mitglieder der einheitlichen ungarischen politischen Nation erklärte, aber die kollektive Anerkennung der einzelnen Nationalitäten mit territorialer Selbstverwaltung ablehnte. Der Anteil der sich als ungarischsprachig bezeichnenden Bevölkerung wurde von 46,6 % (1880) auf 54,5 % (1910) v. a. infolge von Assimilation von Armeniern, Deutschen, Juden und Ruthenen gesteigert, konnte aber den wachsenden Konflikt nicht lösen.

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Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg

Zusammenbruch und Auflösung der Habsburgermonarchie waren Folge dieser inneren Zerrüttung und v. a. der militärischen Niederlage 1918. Die bürgerliche „Asternrevolution“, die den Nationalen Rat unter Ministerpräsident Mihály Károlyi (1875–1955) an die Macht brachte (31.10.1918), sollte das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnen und einen Ausgleich mit den Nationalitäten finden, indem die Konstituierung als Republik, das allgemeine Wahlrecht, Bodenreform und Autonomie für die slowakische und ruthenische Bevölkerung beschlossen wurden. Diese auf das Wohlwollen der Entente ausgerichtete Politik scheiterte, die Kommunisten unter Béla Kun (1886–1939) übernahmen die Macht und riefen die Räterepublik aus (21.3.1919). Ihr gelang es ebenso wenig, die Entente zum Einlenken zu bewegen; sie konnte die Aufteilung U.s nicht verhindern, sondern brachte vielmehr die Auflösung der inneren Ordnung. Nach dem Sturz der Räterepublik (1.8.1919), der Besetzung Budapests und Plünderung durch rumänische Truppen konnte sich schließlich die radikale Rechte unter Miklós Horthy (1868–1957) durchsetzen, auf den systematisch organisierten roten Terror folgte der weiße. Schon bald nach dieser Konterrevolution wurde ein gegen jüdische Studienbewerber gerichteter Numerus clausus eingeführt, der mit der Zeit weniger ausgeführt und 1928 offiziell gelockert wurde.

Aus den ersten freien Wahlen ging die „Unabhängige Kleinlandwirtepartei“ (Független Kisgazda Párt) als Sieger hervor, die Nationalversammlung schaffte die Republik wieder ab und wählte Horthy zum Reichsverweser, womit die Frage der Staatsordnung offen blieb.

U. unterzeichnete den Friedensvertrag von Trianon (4.6.1920), mit dem die 1918/19 erfolgte Aufteilung des Donau-Karpaten-Raumes sanktioniert wurde. Dadurch musste U. fast drei Fünftel der Gesamtbevölkerung, ein Drittel der ethnisch ungarischen Bevölkerung und über zwei Drittel des Staatsgebietes – Oberu. (die heutige Slowakei), die Karpato-Ukraine, Siebenbürgen, große Teile des Banats, der Batschka und des Burgenlandes abtreten, ohne dass das Selbstbestimmungsrecht für die U. zur Anwendung kam. Diese v. a. politisch und strategisch motivierten Gebietsveränderungen prägten die ungarische Politik in der gesamten Zwischenkriegszeit und begründeten sowohl eine auf Revision ausgerichtete Außen- als auch eine antidemokratische Innenpolitik.

U. sah sich von der sog. Kleinen Entente, bestehend aus der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien, umklammert, die es mit französischer Rückendeckung außenpolitisch isolierte. Ohne Verbündete in der Nachbarschaft, orientierte sich U. an den anderen revisionistischen Staaten. Italien, mit dem U. das Interesse an einem unabhängigen Österreich teilte, unterstützte denn auch ab 1927 die ungarischen Bestrebungen und Gömbös führte U. aus handelspolitischen Erwägungen an Deutschland heran. Es unterstützte im Gegenzug die ungarischen Revisionsforderungen.

Mit der Ernennung István Bethlens (1874–1947) zum Ministerpräsidenten (1921–31), der den Rechtsradikalismus zurückdrängte, wurde eine Phase der Stabilisierung, der bürgerlichen und an Vorkriegsverhältnissen orientierten Politik eingeleitet, die nicht nur das grundbesitzende Bauerntum einband, sondern auch die internationale Finanzwelt gewann. Trotzdem blieb die Rolle des Parteiensystems untergeordnet und es bildete sich kein funktionierender Parlamentarismus heraus. Die Macht der Regierungspartei wurde durch ein rückschrittliches Wahlsystem abgesichert und das Wirtschafts- und Sozialgefüge, insbesondere die Bodenverteilung, nicht reformiert. So blieb als integratives Element das Revisionsstreben, das Bevölkerung und Regierungen teilten.

Die Weltwirtschaftskrise machte die Konsolidierung zunichte, Bethlen musste zurücktreten und die sozialen und ökonomischen Probleme brachten 1932 die Rechte unter Ministerpräsident Gyula Gömbös (1886–1936) an die Macht. Insbesondere die Mittelschicht, durch Flüchtlinge aus den abgetrennten Gebieten drastisch vergrößert, sah sich durch Arbeits- und Perspektivlosigkeit an den sozialen und ökonomischen Rand gedrängt und bildete ein antidemokratisches Potential. Die angestrebte radikale politische Umgestaltung wurde jedoch nicht umgesetzt und U. blieb bis März 1944 ein christlich-katholisch dominierter Staat, strukturell vom Großgrundbesitz geprägt. Die nationale Grundstimmung nach 1933 brachte zwar eine außenpolitische Wende hin zu Deutschland, blieb innenpolitisch jedoch weit weniger radikal als in anderen Staaten des nationalsozialistischen Hegemoniebereichs, weil die gesellschaftlichen Eliten – oft parteienübergreifend – den staatlichen Eingriffs- und Lenkungsversuchen unter Gömbös erfolgreich entgegentraten.

Mit zunehmender Orientierung U.s an Deutschland gewann die deutsche Minderheit an Bedeutung. Nach einer ersten Phase (bis 1931), in der v. a. Jakob Bleyer (1874–1933) für eine Bewahrung der deutschen Minderheit sowie einen friedlichen Ausgleich mit der ungarischen Staatsnation eintrat, folgte eine Periode der Radikalisierung und Ausrichtung an der nationalpolitischen Programmatik Deutschlands und der Idee einer Volksgruppenorganisation mit öffentlich-rechtlicher Repräsentation. Mit Gründung des ›Volksbundes der Deutschen in U.‹ (26.11.1938) wurde dieses Ziel erreicht, die deutsche Minderheit organisatorisch nationalsozialistisch ausgerichtet und mit einer Sonderstellung (30.8.1940) bedacht. Nach Gömbös’ Tod wurden antisemitische Gesetze (ab 28.5.1938) erlassen, die v. a. Einschränkungen der beruflichen Freiheiten und der Tätigkeit im öffentlichen Leben und der Wirtschaft beinhalteten.

Mit dem Ersten Wiener Schiedsspruch (2.11.1938) erhielt U. jene südslowakischen Gebiete zurück, in denen Ungarn eine übergroße Mehrheit bildeten, und annektierte die ehemals ungarischen Gebiete der Karpato-Ukraine (15.3.1939). U. wurde so eng an Deutschland gebunden, trat aus dem Völkerbund aus und dem Antikominternpakt (13.1.1939) sowie dem Dreimächtepakt (20.11.1940) bei. Der Zweite Wiener Schiedsspruch erfüllte teilweise die Revisionsansprüche gegenüber Rumänien, als nach der Teilung Siebenbürgens der Norden wieder U. zugeschlagen und ein Optionsrecht für die Bevölkerung beschlossen wurde.

Trotz eines kurz zuvor geschlossenen Freundschaftsvertrags (12.12.1940) marschierten unter Ministerpräsident László Bárdossy (1890–1946) auf deutscher Seite schließlich auch ungarische Truppen in Jugoslawien ein (6.4.1941), um u. a. die Batschka und Südbaranya zu besetzen. Damit vergrößerte U. sein Territorium von rd. 93.000 (im Jahr 1938) auf 172.000 km² (1941). Anschließend waren ungarische Truppen auch am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligt, der u. a. zur Vernichtung der 2. Ungarischen Armee (Januar 1943) führte.

Doch bereits im März 1942 erfolgte eine Wendung und Ministerpräsident Miklós Kállay (1887–1967) distanzierte sich allmählich von Deutschland. Die Absetzversuche gipfelten in einem undurchführbaren Geheimabkommen mit den Westmächten (August 1943), der deutschen Besetzung (19.3.1944) und einem Waffenstillstandsabkommen in Moskau (11.10.1944), das durch die Entmachtung Horthys (15.10.1944) nicht verkündet werden konnte.

Nach der Besetzung U.s durch deutsche Truppen hatten sogleich die systematischen Deportationen der jüdischen Bevölkerung begonnen. Von den etwa 700.000 ungarischen Juden wurden – im Zusammenwirken mit deutschen Dienstellen – etwa 506.000 zumeist in Vernichtungslager (Auschwitz), seltener zur Zwangsarbeit deportiert. Auf deutschen Druck wurden einige Parteien verboten, die politische Opposition ging in den Untergrund. Nach Horthys Abdankung wurde die nationalsozialistische Marionettenregierung der „Pfeilkreuzler“ (Nyilasok) unter Ferenc Szálasi (1897–1946) eingerichtet. Diese verfolgte die inneren Gegner, konnten den Zerfall der ungarischen Verteidigung ab September 1944 aber nicht verhindern.

Es folgte der zerstörungsreiche Kampf um Budapest (25.12.1944–13.2.1945) und schließlich die Eroberung U.s (4.4.1945) durch die Rote Armee. Die unter sowjetischem Schutz in Debrecen gebildete provisorische Koalitionsregierung erklärte am 28.12.1944 Deutschland den Krieg, jedoch ohne über eine einsetzbare Armee zu verfügen.

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Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg

In den sowjetischen Einflussbereich geraten richtete sich die ungarische Außenpolitik nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages (10.2.1947) nach sowjetischen Vorgaben. Freundschaftsverträge mit Bulgarien (16.7.1948), Rumänien (24.1.1948), der UdSSR (18.2.1948), Polen (18.6.1948) und der Tschechoslowakei (16.4.1949) manifestierten das Primat der Blockinteressen, was der Beitritt zum RGW (25.1.1949) und dem Warschauer Pakt (14.5.1955) untermauerte.

Die Wirtschaft war weitgehend zerstört, der Staatsapparat zerschlagen und die provisorische Regierung in Debrecen eine machtlose Institution, während die sowjetische Besatzungsmacht bereits mit der gewaltsamen Umgestaltung des Landes begann. Obwohl mit Rücksicht auf die Westmächte ein pluralistisches Parteiensystem zugelassen wurde, besetzten sowjetische Behörden Schlüsselpositionen bereits mit Kommunisten und leiteten die Machtübernahme ein. Nach einer Bodenreform (17.3.1945) und den ersten allgemeinen Wahlen (4.11.1945) erreichte die MIÉP die absolute Mehrheit, während die „Ungarische Kommunistische Partei“ (MKP, Magyar Kommunista Párt) unter Mátyás Rákosi (1892–1971) noch hinter den Sozialdemokraten stand. In den folgenden drei Jahren vernichteten die Kommunisten mit Hilfe der Sowjetunion in einer „Salamitaktik“ alle anderen Parteien und die Sozialdemokraten wurden mit den Kommunisten zwangsvereinigt (1948).

Politische Gegner wurden in stalinistischen Schauprozessen abgeurteilt (z. B. Kardinal József Mindszenty [1892–1975], 8.2.1949) und – nach Stalins Bruch mit Josip Tito (1949) – die nichtmoskowitische, nationalkommunistische innerparteiliche Opposition (z. B. László Rajk [1909–49]) beseitigt, so dass im August 1949 die volksdemokratische Verfassung verkündet werden konnte. Eine einschneidende Veränderung erfuhr auch die Bevölkerungsstruktur mit der Vertreibung und Zwangsaussiedlung von ca. 200.000 U.deutschen, während die verbliebenen politisch wie gesellschaftlich diskriminiert und ihrer bürgerlichen Rechte weitgehend beraubt waren.

In der zweiten, von stalinistischen Methoden geprägten Phase (1948–56) sollte nicht nur die politische und ökonomische Umgestaltung U.s, sondern auch die Umerziehung nach stalinistischem Muster erfolgen. Nach Stalins Tod (5.3.1953) und der beginnenden Destalinisierung in der UdSSR musste Rákosi, der seit 1952 nicht nur KP-Chef sondern auch Ministerpräsident war, sein Amt auf sowjetischen Druck an Imre Nagy (1896–1958, 4.7.1953) abgeben. Für kurze Zeit konnte Rákosi die Macht in U. wieder übernehmen (18.4.1955), versuchte die von Nagy begonnenen Reformen rückgängig zu machen, was auf den Widerstand der Bevölkerung stieß. Den Sympathiekundgebungen ungarischer Studenten für die polnische Reformbewegung und damit auch für ungarische Reformen schloss sich die Bevölkerung Budapests an und aus der Demonstration wurde eine Bewegung gegen den zwischenzeitlich zum Regierungschef ernannten Ernő Gerő (1898–1980) sowie die sowjetische Besatzung. Nach dem gewaltsamen Eingreifen der ungarischen Staatssicherheit ÁVO weiteten sich die Kundgebungen zu einer Revolution aus (23.10.1956), an deren institutioneller Spitze – einer Koalitionsregierung – Nagy stand. Er versuchte durch die Trennung von Partei und Staat einen Rechtsstaat aufzubauen, ein Mehrparteiensystem mit demokratischer Legitimation zu schaffen und den Abzug sowjetischer Truppen zu erreichen.

Im Verlauf der Revolution hatte U. einen Ausbruchsversuch aus der sowjetischen Vorherrschaft unternommen, indem es den Austritt aus dem Warschauer Pakt und die Neutralität des Landes erklärte. Beides war von der Sowjetunion nicht akzeptiert und durch die militärische Intervention verhindert worden.

Obwohl der Volksaufstand durch sowjetische Truppen gewaltsam niedergeschlagen wurde (4.–11.11.1956) und keine Institutionalisierung des neuen Systems möglich war, hatte der Aufstand die positive Wirkung der schnellen und radikalen Zerstörung des stalinistischen Systems. Dies machte in den darauffolgenden Jahrzehnten einen Personenkult, eine aggressive politische Propaganda oder Massenmobilisierungen der Bevölkerung unmöglich.

Nach der Niederschlagung der Revolution stand an der Spitze von Partei und Staat János Kádár (1912–89), der anfänglich die Revolution unterstützt, sich dann jedoch auf sowjetische Seite gestellt hatte. Nach zahlreichen Schauprozessen und innerer Säuberung, in deren Verlauf über 450 Todesurteile (u. a. an Nagy) vollstreckt wurden, entstand das System des sog. Kádárismus, das seine Legitimation nicht mehr nur mit politischen Mitteln suchte, sondern auf wirtschaftliche, sozialpolitische und gesellschaftliche Wohlfahrt baute. Innere Reformen und eine vorsichtige Liberalisierung wurden durch eine pragmatische, am sowjetischen Kurs orientierte Außenpolitik abgesichert.

Innenpolitisch charakterisierte die Idee des Brückenschlags zwischen kommunistischer Führung und Bevölkerung das System, das sich offen vom Stalinismus distanzierte und durch Wirtschaftsreformen sowie eine Entpolitisierung der Bevölkerung auffiel. Der ›Neue Ökonomische Mechanismus‹ sorgte ab 1968 für kleinere ökonomische und bald auch gesellschaftliche Freiheiten und einen vergleichsweise hohen Lebensstandard. Zunehmende Westkontakte v. a. im Bereich Wirtschaft und Tourismus begleiteten dabei die ökonomischen Reformen und verstärkten den westlichen und internationalen Aspekt, ohne jedoch das Spannungsverhältnis zwischen Sozialistischem Internationalismus und begrenzter Souveränität aufzulösen.

Die beginnende ökonomische Ausdifferenzierung, die in den 80er Jahren durch ein politisch-oppositionelles System ergänzt wurde, ließ verschiedene inner- und außerparteiliche Interessengruppen entstehen. So wurde die Partei zu einer Ansammlung oftmals divergierender Interessen, verlor ihren geschlossenen Charakter und war keine Klassen- und Ideologiepartei im sozialistischen Sinne mehr. Aufgrund der wirtschaftlichen Krise ab Mitte der 1970er Jahre und des beginnenden Kurswechsels in der Sowjetunion in den 1980er Jahren entstand eine innerparteiliche Reformbewegung, die schließlich Kádár ablöste und mit der Beseitigung des Einparteienstaates begann.

Mit den sowjetischen Reformen und der Aufgabe der Brežnev-Doktrin begann die Außenpolitik ab Ende der 80er Jahre selbständiger zu werden und leitete eine Öffnung nach Westen und die Beseitigung des Eisernen Vorhangs ein (ab 2.5.1989), was sich in der Grenzöffnung für DDR-Bürger manifestierte (11.9.1989).

Die Hinwendung zu demokratischen Prinzipien wurde durch die Totalrevision der Verfassung (29.9. 1989) und die Ausrufung der Republik (23.10.1989) als unabhängiger, demokratischer Rechtsstaat deutlich. Ihren Höhepunkt erreichte die Selbstdemontage des kommunistischen Einparteienstaats – an der sich die aufgrund der gewalttätigen Erfahrung mit der 1956er Revolution entpolitisierte Bevölkerung kaum beteiligte – durch die Einführung eines Mehrparteiensystems mit freien Wahlen (25.3./8.4.1990), die eine konservative Koalition mit József Antall (1932–93) als Ministerpräsidenten hervorbrachte.

Innenpolitisch waren die ersten Jahre geprägt von der Demokratisierung des Systems, der Schaffung rechtsstaatlicher Institutionen, der Transformation des ökonomischen Systems in eine Marktwirtschaft, die mit Veränderungen des gesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Gefüges einherging. Die durch diesen Übergang zum demokratisch-marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzip entstandenen Probleme zeigten die Notwendigkeiten der Politikvermittlung, der Entwicklung einer demokratischen Streitkultur und einer politischen Partizipation der in den vorangegangenen Dekaden entpolitisierten Bevölkerung.

Das Parteienspektrum, in dem die Parteien FIDESZ, MDF, MSZP, SZDSZ dominierten, erreichte eine Politisierung der Gesellschaft, die zu einem wechselnden Wahlverhalten führte, ohne jedoch die Regierungen vor Ablauf der jeweiligen Legislaturperiode abzulösen, so dass eine soziopolitische Stabilität festzustellen war.

Gleichwohl waren die politisch-wirtschaftlichen und gesellschaftlich-strukturellen Ausgangsbedingungen günstig, was in den Jahren nach Transformationsbeginn zu einer Stabilisierung der ökonomisch-politischen Verhältnisse und zu einem frühen Abschluss der Institutionsbildung nach westeuropäischem Muster führte. Auch die Frage der Berücksichtigung der nationalen Minderheiten löste U. frühzeitig mit einem Nationalitätengesetz (7.7.1993) und Anpassungen im Bildungswesen.

Nach der Aufnahme in den Europarat (6.11.1990), dem Abzug der sowjetischen Truppen aus dem Land (bis 17.6.1991) und der Auflösung der östlichen Bündnisse (RGW: 28.6.1991; Warschauer Pakt: 1.7.1991) wurde U. in die NATO aufgenommen (12.3.1999). Die politisch-ökonomischen, westlich ausgerichteten Integrationsbemühungen wurden nach der Assoziierung mit EFTA (29.3.1993) und EU (7.3.1994) mit der Aufnahme U.s in die Europäische Union (1.5.2004) vollendet, nachdem auch die Demokratisierung des Systems und die strukturelle und institutionelle Anpassung an die EU bis 2004 das notwendige Niveau erreicht hatten.

Neben der westlich orientierten Außenpolitik entwickelte U. ab Anfang der 1990er Jahre auch subregionale, regionale und zwischenstaatliche Kooperationskonzepte, um neben der Adaption an die westlichen Bündnissysteme, die politische und ökonomische Stabilisierung zu erleichtern und durch gutnachbarschaftliche Beziehungen die ungarischen Minderheiten in den Nachbarstaaten zu unterstützen. Die Teilnahme an der ›Mitteleuropäischen Initiative‹ (beginnend als Quadragonale (11.11.1989), der Visegrád-Initiative (15.2.1991) und der CEFTA (1.3.1993) sicherte den kooperativen politisch-wirtschaftlichen Rahmen im nachbarschaftlichen Umfeld und wurde durch bilaterale Vereinbarung – auch zum Schutz der ungarischen Minderheiten – ergänzt.

Im September 2006 hat sich die innenpolitische Lage U.s angespannt, nachdem Gyurcsány eingeräumt hatte, vor den Wahlen im April 2006 falsche Angaben über den Zustand der ungarischen Wirtschaft verbreitet zu haben. Während die Opposition seinen Rücktritt forderte, kam es im September und Oktober 2006 v. a. in Budapest zu Massendemonstrationen und gewalttätigen Ausschreitungen.

(Meinolf Arens, Agnieszka Barszczewska, Ralf Thomas Göllner)

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