Petschenegen

Petschenegen (in den Quellen: arab.-pers. Badjanak, griech. Patzinakoi, Bisseni, altruss. pečenegi, ungar. Besenyö, türk. Beçenek)

Die P. waren ein ursprünglich aus Zentralasien kommendes Turkvolk aus der altaischen Sprachfamilie. Sie führten ein nomadisches auf Viehzucht ausgerichtetes Leben und verfügten über keine dauerhaften Wohnstätten, sondern lebten in Zelten und Karren und wanderten jahreszeitabhängig mit ihren Familien, Herden, Hab und Gut entlang fester Routen auf der Suche nach Weideplätzen. Die P. kannten keinen Ackerbau, entwickelten jedoch verschiedene Handwerke, z. B. das Eisenschmieden und erstellten – wie archäologische Funde zeigen – eiserne Waffen, Werkzeuge und Geschirrteile sowie Schmuckstücke aus erlesenen Metallen. Sie betrieben auch Handel mit den benachbarten Völkern. Die P. waren in mehreren Stämmen organisiert, deren Zahl im Laufe der Zeit schwankte. Die Gesellschaft war in „Klassen“ unterteilt; die oberen Hierarchiestufen wurden von den Stammes- und Sippenhäuptlingen besetzt. Die P. praktizierten verschiedene Formen schamanischer Kulte mit animistischen und totemistischen Elementen. Nur kleinere Gruppen aus den pontokaspischen Steppen zeigten eine gewisse Empfänglichkeit für Christentum und Islam. Bei Übersiedlung auf das Territorium anderer Reiche, z. B. Ungarn wurden die P. zumeist christianisiert.

Die älteste zuverlässige schriftliche Quelle über die P. scheint eine aus dem 8. Jh. stammende tibetanische Übersetzung eines uigurischen Textes zu sein, der an eine Auseinandersetzung im Becken des Syrdarja zwischen P. und Oghusen erinnert. Ende des 9. Jh. zwangen Konflikte mit diesen und anderen Stämmen die P., in die Region zwischen Ural und Wolga auszuweichen. Nun auch bedroht von den Chasaren zogen sie von dort in die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres. 896 bat Simeon I. der Große sie um Hilfe gegen die Ungarn, die in das Bulgarische Reich eingefallenen waren, nach ihrer Niederlage jedoch in das Pannonische Tiefland abgedrängt wurden.

Die P. blieben für ca. anderthalb Jahrhunderte die wichtigste militärische Macht in den nordpontischen Steppen, von wo aus sie häufig Plünderzüge gegen die Rus, Ungarn, Bulgarien und Byzanz unternahmen: Um 900 durchquerten sie die östlichen Karpaten und überfielen die rumänisch-slawische von Gelu geführte Woiwodschaft. 915 begann eine langjährige Reihe von Einfällen in die Kiewer Rus, die erst ein Friedensschluss mit Fürst Igorʹ beendete und zur Beteiligung der P. an dessen zweitem Feldzug nach Byzanz (944) führte. Ebenfalls Anteil hatten sie zunächst an dem Vorstoß von Svjatoslav I. Igorevič ins Byzantinische Reich, bald aber stürmten sie – wahrscheinlich unter byzantinischer Einflussnahme – nach Kiew, um den Fürsten zu zwingen, die südliche Donauregion zu verlassen. Nach dem Friedensschluss mit Kaiser Iōannēs I. Tsimiskēs wurde Svjatoslav 972 von den P. an den Dnjepr-Stromschnellen überrascht und getötet.

Während der Herrschaften von Vladimir I. Svjatoslavič und Jaroslav Vladimirovič kam es zu wiederholten Auseinandersetzungen mit der Rus, die für die P. meist siegreich verliefen. Byzanz hatte in der ersten Hälfte des 11. Jh. ebenfalls mehrere verheerende Angriffe der P. zu erleiden, die zu gleicher Zeit auch Plünderzüge in Siebenbürgen und Ungarn unternahmen. Petschenegische Truppen traten andererseits seit der Herrschaft Zoltáns wiederholt in den Dienst ungarischer Fürsten und besiedelten das Flachland zwischen Donau und Theiß. Etwa Mitte des 11. Jh. konnten die P. – durch innere Auseinandersetzungen geschwächt – dem verstärkten Druck der Uzen nicht mehr begegnen und siedelten mehrheitlich in das Byzantinische Reich über. Hier war man bestrebt, sie sesshaft zu machen und zu christianisieren. Sie widersetzten sich jedoch und rebellierten bis 1091, als sie Kaiser Alexios I. Komnēnos in der Schlacht von Lebounion (Thrakien) endgültig unterlagen, häufig mit der lokalen Bevölkerung des nordöstlichen Balkans gegen die byzantinische Autorität. Ein letzter – erfolgloser – Angriff der P. auf Byzanz erfolgte im Winter 1122/23. Die verbliebenen P. wurden in die byzantinische Armee eingegliedert und u. a. in den ersten drei Kreuzzügen eingesetzt.

Ein vergleichbares Schicksal erlitten die petschenegischen Enklaven der nordpontischen Steppen, die von den Fürsten der Rus in Dienst genommen wurden. Zusammen mit Gruppen der Uzen und Berendei bildeten sie die Pulks der sog. Schwarzmützen (russ. čërnye klobuki), die die Aufgabe hatten, die südlichen Grenzen der Rus vor den Kumanen zu schützen. Die P. im Byzantinischen Reich und der Rus wurden im 12. Jh. größtenteils assimiliert, die an den Randzonen des Ungarischen Königreichs lebenden P. blieben noch etwa zwei Jahrhunderte eigenständig.

Anfang

Diaconu P. 1970: Les Petchénègues au Bas-Danube. Bucarest. Göckenjan H. 1972: Hilfsvölker und Grenzwächter im mittelalterlichen Ungarn. Wiesbaden. Pálóczi Horváth A. 1989: Petschenegen, Kumanen, Jassen. Steppenvölker im mittelalterlichen Ungarn. Toločko P. P. 1999: Kočevye narody stepej i Kievskaja Rusʹ. Kiev.

(Victor Spinei)


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