EU (Osterweiterung)
EU-Osterweiterung
Unter der Osterweiterung der ›Europäischen Union‹ (EU) versteht man den Prozess der Annäherung und des Beitritts der zunächst zehn mittel-, ost- und südeuropäischen Länder – Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern – zur Europäischen Union, der am 1.5.2004 stattfand. Der Beitritt der beiden Mittelmeerländer blieb in öffentlicher Wahrnehmung und politischer Diskussion des Vorganges meist unbeachtet. Ein immer wieder angesprochener Teil des Prozesses ist dagegen die für 2007 vorgesehene Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die EU.
Hatten 1973 bei der Erweiterung der (seit 1967) ›Europäischen Gemeinschaft‹ (EG) um Dänemark, Großbritannien und Irland noch deutlich ökonomische Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden, so waren die Beitritte Griechenlands (1981), Spaniens und Portugals (beide 1986) Ausdruck eines außenpolitischen Gestaltungswillens seitens des sich formierenden Europa. Bereits der KSZE-Prozess mit seinem Abschluss in Helsinki (1975) und die verschiedenen Lomé-Abkommen mit afrikanischen Staaten hatten den Mitgliedern die Notwendigkeit einer Koordination der verschiedenen nationalen Außenpolitiken deutlich gemacht, die in der ›Europäischen Politischen Zusammenarbeit‹ (EPZ) Gestalt gewann. Bei den drei Mittelmeeranrainern ging die EG nun erstmals so weit, diesen beitrittsinteressierten Ländern eine Perspektive zu eröffnen, um deren innere Entwicklung zu stabilisieren und die Demokratisierung zu begleiten, verfügten doch alle drei nach dem Sturz bzw. der Ablösung rechter Diktaturen über erst schwach ausgeprägte demokratische Strukturen.
Dieses Bemühen um Stabilität im Umfeld der EG durch wirtschaftliche Unterstützung stand auch Pate bei den Kooperationsverträgen, die die EG in den späten 80er Jahren bilateral mit mittel- und osteuropäischen (MOE-) Staaten, aber auch mit dem ›Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe‹ (RGW) schloss. So wurde das im Herbst 1989 beschlossene ›PHARE-Programm‹ (Poland and Hungary Aid for Restructuring of the Economies) nach und nach auf fast alle MOE-Staaten ausgedehnt (Mittel bis 2000: ca. 11 Mrd. Euro). Speziell für die (ehemalige) UdSSR, die GUS, (und bis 2003 die Mongolei) wurde 1991 das ›TACIS-Programm‹ (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States) aufgelegt. Zugleich erhielt die ›Europäische Investitionsbank‹ (EIB) gemeinsam mit der im April 1991 in London gegründeten „Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ (auch: Osteuropabank, engl. European Bank for Reconstruction and Development, EBRD) den Auftrag, die Hilfen zu koordinieren. Zur Flankierung dieser Maßnahmen schloss die (seit Inkrafttreten des „Maastrichter Vertrages“ 1993 bestehende) EU zwischen 1991 und 1996 mit zehn MOE-Staaten Assoziierungsabkommen.
Der EU-Gipfel von Kopenhagen im Juni 1993 ging noch weiter und beschloss, dass assoziierte MOE-Länder Mitglieder der EU werden könnten, falls diese es wünschten und die mit einer Mitgliedschaft verbundenen Pflichten erfüllen könnten. Weiter formulierte der Gipfel Bedingungen, die als „Kopenhagener Kriterien“ zum Prüfstein aller kommenden Erweiterungen werden sollen:
- institutionelle Stabilität als Garantie für eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte und Gewährleistung des Minderheitenschutzes,
- eine funktionierende Marktwirtschaft und die Fähigkeit, im EU-internen Wettbewerb zu bestehen,
- die Übernahme der Ziele der politischen Union und der Wirtschafts- und Währungsunion.
Zum Maßstab des Angleichungsprozesses wurde der sog. Acquis communautaire, der „Gemeinschaftliche Besitzstand“ der EU, ein Konvolut von ca. 80.000 Seiten Rechtsvorschriften, in 31 Verhandlungskapitel unterteilt, die den Leitfaden der Transformation der MOE-Staaten bildeten. Jährliche Berichte der EU-Kommission stellten für jeden Beitrittskandidaten Fortschritte und Defizite auf diesem Weg fest. Das Interesse der EU galt dabei nicht nur der Überwindung der 40-jährigen Spaltung des Kontinents, sondern erwuchs auch aus der Erfahrung und Überzeugung, dass den Menschen in Ostmitteleuropa eine Perspektive geboten werden musste, wollte man nicht eine allgemeine Destabilisierung bis hin zu möglichen größeren Bevölkerungsbewegungen heraufbeschwören.
Auch wenn die EU ihr Angebot nicht als Beitrittsversprechen, sondern nur als -perspektive formuliert hatte, verstanden es die betroffenen Länder als Einladung: So stellten Polen und Ungarn (jeweils 1994), die Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Bulgarien (alle 1995) sowie Tschechien und Slowenien (beide 1996) ihren Aufnahmeantrag. Älter waren die Ersuchen der Türkei (1987) sowie Maltas und Zyperns (1990).
Die Attraktivität der EU für die Länder Ostmitteleuropas lag und liegt auf verschiedenen Ebenen begründet. Zum einen ist die Union gewissermassen Gefangene ihres eigenen Erfolges, mit dem sie den Begriff „Europa“ okkupiert hat, sodass die Nichtmitgliedschaft eines Landes in der EU nahezu gleichbedeutend mit dessen Ausschluss aus Europa ist. Dies gilt selbst für Länder wie Polen oder Tschechien, die sich selbst selbstverständlich in Mittel-, nicht in Osteuropa verorten. Vielen Polen und Tschechen schien und scheint der Beitritt ihres Landes zur Union eine Selbstverständlichkeit, auch als Wiedergutmachung, auf die geradezu ein Anrecht bestand. Neben diese, das Selbstverständnis mancher Beitrittskandidaten berührenden Ansichten traten nüchterne Überlegungen zur Sicherheit dieser oft jungen Staaten, der verständliche Wunsch, keiner Pufferzone anzugehören, nach eindeutiger Verankerung im Westen, die durch den doppelten Beitritt zu EU und NATO erreicht werden sollte. Stärkstes Moment war (und ist) aber sicherlich das Streben nach Wohlstand.
Es dauerte allerdings nur wenige Jahre, die so motivierte Beitrittseuphorie in Ostmitteleuropa abflauen zu lassen. Dazu trug die Erfahrung der „Brüssler Bürokratie“ sicherlich ebenso bei wie vielfache Enttäuschungen im Transformationsprozess, für dessen Härte – siehe ›acquis communautaire‹ – auch die EU verantwortlich gemacht wurde. Die Gewohnheit, die Verantwortung für manches Unangenehme in Brüssel zu suchen, ist allerdings nicht ostmitteleuropäischen Ursprungs. Schließlich wurde die Frage bedeutender, warum man die gerade erst errungene Souveränität schon wieder einer anonymen Fremdbestimmung opfern solle. Der EU-Skeptizismus gewann im Laufe des Annäherungsprozesses in den meisten Kandidatenländern deutlich an Boden, so dass die Billigung des Beitritts, der für die Regierungen der Länder nie zur Diskussion stand, seitens der Bevölkerung mittels jeweiliger Referenden in kaum einem Land als sicher galt.
Der EU-Gipfel von Essen im Dezember 1994 trug der sich abzeichnenden Bewerberwelle Rechnung und beschloss Maßnahmen zur Heranführung dieser Länder an die EU. Der EU-Gipfel von Madrid im Dezember des Folgejahres gab dann bereits eine Perspektive auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit MOE-Staaten, die gleichzeitig mit den Verhandlungen mit Malta und Zypern sechs Monate nach der Revision des „Maastrichter Vertrages“ beginnen sollten. Diese Revision war der Vertrag von Amsterdam des Jahres 1997, der in seinem Artikel 11 unter Akzentuierung von Maastricht ausdrücklich die „Unabhängigkeit und Unversehrtheit der Union“ als Ziel formulierte. Gerade für die baltischen Staaten musste eine solche Zielsetzung als zweiter Schutzwall neben der NATO gegen mögliche russische Ansprüche erscheinen.
In ihrer ›Agenda 2000‹ stellte die ›Europäische Kommission‹ am 16.7.1997 fest, dass von den Bewerbern Zypern, Polen, Ungarn, Estland, Tschechien und Slowenien nahe der Erfüllung der „Kopenhagener Kriterien“ seien, so dass der EU-Gipfel von Luxemburg im Dezember desselben Jahres die Aufnahme offizieller Beitrittsverhandlungen beschloss. Hierzu wurde eine zweimal jährlich tagende Europa-Konferenz eingerichtet, an der die 15 EU-Staaten und nicht nur die sechs Staaten der Luxemburg-Gruppe, sondern alle Bewerber einschließlich der Türkei teilnahmen. Dieses multilaterale Gremium trat erstmals am 12.3.1998 in London zusammen, und schrittweise kamen neben der Schweiz und den verbleibenden Ländern der „Europäischen Freihandelszone“ EFTA auch die Ukraine, die Moldau, Kroatien und Makedonien hinzu. Zur Unterstützung von Verhandlungen sowie Transformations- und Anpassungsprozessen wurden weitere 21,4 Mrd. Euro an Vorbeitrittshilfen bereitgestellt. Ordnungsmuster der Gespräche waren die 31 Acquis-Kapitel. Am 31.3.1998 begannen die Beitrittsverhandlungen mit den sechs Ländern der Luxemburg-Gruppe in Form von sechs getrennten Regierungskonferenzen auf Ministerebene, mit Malta, der Slowakei, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumänien begannen Vorgespräche. Die ›Europäische Kommission‹ hielt in ihrer Bewertung vom November ein Aufschließen Maltas, Litauens, Lettlands und der Slowakei für möglich.
Allerdings stürzte genau diese Kommission die EU zu diesem Zeitpunkt in eine tiefe Krise, denn aufgrund von Korruptionsaffären zwang das Europaparlament die Kommission unter der Leitung des persönlich unbescholtenen Luxemburgers Jacques Santer (*1937) zum Rücktritt. Skeptiker befürchteten Verzögerungen im Annäherungsprozess, doch den Interessen der Beitrittskandidaten gereichte die Krise nicht zum Nachteil, denn die Mitte 1999 berufene neue Kommission unter dem Italiener Romano Prodi (*1939) maß dem Erweiterungsprozess eine solche Bedeutung bei, dass unter der Leitung des Deutschen Günter Verheugen (*1944) eine eigene Kommission eingerichtet wurde. So erhielt die Diskussion der Erweiterung neuen Impetus, indem die Kommission erklärte, dass eine Großerweiterung (d. h. ein Beitritt möglichst vieler auf einmal, im Gegensatz zu der bis dahin favorisierten Einzelprüfung) die beste Methode sei, Frieden und Sicherheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit sowie Wachstum und Wohlstandschancen für ganz Europa zu erreichen und zu sichern.
Diese neue Dynamik war sowohl Folge als auch Ursache neuer Probleme. Die Kosovokrise und das aus ihr erwachsende Eingreifen der NATO in die inneren Konflikte der Bundesrepublik Jugoslawien zwang die Nachbarn der Krisenregion, Position zu beziehen, was angesichts ihrer Ambitionen nur die der Unterstützung der Intervention sein konnte. Insbesondere Bulgarien und Rumänien gab man nun eine konkrete Beitrittsperspektive als Reaktion auf ihre Kooperation durch Gewährung von Überflugrechten u. ä. So überraschte es nicht, dass der Kommissionsbericht vom 13.10.1999 allen Kandidaten – außer der Türkei – die Erfüllung der politischen Kriterien für einen Beitritt bescheinigte. Folgerichtig lud der EU-Gipfel von Helsinki im Dezember 1999 auch Malta, Litauen, Lettland, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien zu den Beitrittsverhandlungen ein, wodurch sich aus der Zusammenfügung dieser Helsinki-Gruppe mit der Luxemburg-Gruppe ein Kreis von zwölf Kandidatenländern ergab.
Die Perspektive einer solchen Großerweiterung führte nun auch innerhalb der bestehenden EU zu zu einem Erklärungsbedarf darüber, wie die anstehende Erweiterung mit einer immer wieder geforderten Vertiefung der Union zu vereinen sei. Die Entscheidung hierüber fiel auf dem EU-Gipfel von Nizza im Dezember 2000, der einen Großbeitritt von sechs bis zehn neuen Mitgliedern postulierte. In langwierigen Verhandlungen, die mehr an die „Eurosklerose“ der 70er/80er Jahre denn an die Aufbruchsstimmung von Maastricht erinnerten, gelang ein Minimalkonsens über den Umbau der europäischen Institutionen und ihre Anpassung an die Bedingungen nach der Erweiterung. An diesen Beratungen nahmen auch Delegationen der Kandidatenländer teil. Ohne dass sie den Vertrag unterzeichneten, wurden seine Regelungen bereits mit ihnen abgestimmt. Besonders für Polen waren manche Festlegungen wie etwa die der Stimmenzahl im Ministerrat günstig. Versuche einer Revision im Rahmen des europäischen Verfassungsprozesses wurden daher von Warschau erbittert bekämpft, und der Verfassungsentwurf des Konvents beim Brüsseler Gipfel im Dezember 2003 abgelehnt, weil er Polen entsprechend dessen Einwohnerzahl schlechter stellen wollte. Der Streit gipfelte in Kampfrufen wie „Nizza oder der Tod!“ Gleichwohl machte der Vertrag von Nizza – ungeachtet aller Kritik und Mängel – organisatorisch den Weg frei für die größte Erweiterung der EU.
Der EU-Gipfel von Brüssel im Oktober 2002 folgte dem Bericht der ›Europäischen Kommission‹ und bestätigte den zehn Staaten, den politischen Kriterien eines Beitrittes zu entsprechen. Er äußerte auch die Erwartung der Erfüllung der ökonomischen Kriterien für den Anfang des Jahres 2004. Kompromisse galt es nun für Details des ›acquis‹ zu finden; so einigte man sich auf Übergangsfristen von bis zu zwölf Jahren für Bereiche wie Wettbewerb und Subventionen, Steuern oder Verkehr und Umwelt. Für die erforderlichen Garantien auf Bankeinlagen und für den Investitionsschutz wurde bis 2007 Zeit gegeben. Eine siebenjährige Sperre gilt für Grunderwerb aus gewerblichen Zwecken in den Beitrittsländern, für Polen sogar eine zwölfjährige. Umgekehrt schränkten die alten Mitgliedsländer mit Ausnahme von Irland, Schweden, Großbritannien und den Niederlanden den freien Zugang zu ihren Arbeitsmärkten auf sieben Jahre ab Beitritt der neuen Länder für diese ein.
Der Gipfel zu Kopenhagen vom 12./13.12.2002 war der Ort der kritischen Entscheidung über den Umfang der Beihilfen, die die neuen Mitglieder erhalten sollten. Letzte Fragen wurden durch Kompromisse geklärt, v. a. die Höhe der Förderungen der Agrarwirtschaft war bis zuletzt umstritten. Für die Jahre 2004–06 (Ende des laufenden Finanzrahmens) wurden die Unterstützungen für die Beitrittsländer auf 40,744 Mrd. Euro festgesetzt. Im Bereich der Landwirtschaft haben die neuen Mitglieder für das Jahr 2004 Anspruch auf 25 % des Beihilfenniveaus der alten EU-Staaten, die Angleichung auf 100 % wird bis 2013 in allmählichen Steigerungen erfolgen. Der Transfer aus der Summe aller Förderungen darf außerdem für die Neumitglieder max. 4 % der jeweiligen BIPs nicht übersteigen. Das bedeutet de facto für die erste Dekade eine Mitgliedschaft zweiter Klasse, die andererseits die Staaten zwingt, bis zum Ende des Finanzrahmens 2007–13 das generelle und bisher unlösbare Problem der Subventionen v. a. im Agrarbereich für die gesamte EU zu klären.
Am 16.4.2003 unterschrieben 25 Staats- und Regierungschefs in Athen den Beitrittsvertrag, der in den Beitrittsländern (außer Zypern) durch Referendum bestätigt wurde. Allerdings bestanden Befürchtungen, dass zum einen die notwendige Wahlbeteiligung, zum anderen die notwendige Mehrheit nicht zustande kommen würde. Eine Sorge, die sich nicht bestätigte.
Volksabstimmungen in den EU-Beitrittsländern
Land | Datum | Wahlbeteiligung | Zustimmung |
Malta | 8.3.2003 | 91,0 % | 53,6 % |
Slowenien | 23.3.2003 | 60,3 % | 89,6 % |
Ungarn | 12.4.2003 | 45,6 % | 83,8 % |
Litauen | 10/11.5.2003 | 63,4 % | 91,1 % |
Slowakei | 16/17.5.2003 | 52,2 % | 92,5 % |
Polen | 7/8.6.2003 | 58,9 % | 77,5 % |
Tschechien | 13/14.6.2003 | 55,2 % | 77,3 % |
Estland | 14.9.2003 | 64,0 % | 66,8 % |
Lettland | 20.9.2003 | 72,5 % | 67,0 % |
Zypern | das Parlament stimmte einstimmig zu |
Mit dem 1.5.2004 wuchs die EU auf 25 Mitgliedstaaten. Die Verhandlungen mit Bulgarien und Rumänien dauern an, die 31 Kapitel des ›acquis‹ sind mit Bulgarien geklärt, mit Rumänien gilt es für wenige, noch eine Einigung herzustellen. Wie schnell die Normalität in der Beitrittsländern in Bezug auf Europa Einzug gehalten hat, belegen die Wahlen zum ›Europäischen Parlament‹ vom 10.-13.6.2004. Bereits in der EU-15 war festzustellen, dass die Wähler diesen Urnengang für relativ unbedeutend halten und deshalb in nur geringer Zahl zur Wahl gehen, sie die Wahl aber andererseits nutzen, den nationalen Regierungen aus innenpolitischen Gründen einen Denkzettel zu verpassen. So lassen die Daten der Beitrittsländer keine Rückschlüsse auf einen Wandel der Einstellung gegenüber der EU zu, sondern müssen in ihren jeweiligen nationalen Kontexten erklärt werden.
Wahlbeteiligung zum ›Europäischen Parlament‹ 2004
Estland | 26,8 % |
Lettland | 41,4 % |
Litauen | 48,4 % |
Malta | 82,4 % |
Polen | 20,9 % |
Slowakei | 17,0 % |
Slowenien | 28,3 % |
Tschechien | 28,3 % |
Ungarn | 38,5 % |
Zypern | 71,2 % |
EU insgesamt | 45,7 % |
Die EU-Osterweiterung begleitet eine neue Konzeption einer EU-Nachbarschaftspolitik, mit der die Union ihre Beziehungen zu ihren neuen Nachbarn v. a. in Osteuropa und im Mittelmeerraum gestalten möchte und die auf im Text des „Europäischen Verfassungsvertrages“ ihren Niederschlag gefunden hat. Am 12.5.2004 legte die EU-Kommission ein Strategiepapier und Länderberichte unter dem Namen ›European Neighbourhood Policy‹ (ENP) vor. Ausdrückliches Ziel dieser dort definierten Nachbarschaftspolitik ist es, das Entstehen neuer Trennlinien zwischen der EU und ihren Nachbarn zu verhindern. Die Kommission erläutert darin die Vorteile, die der erweiterten EU wie auch ihren Nachbarn aus der Anwendung dieses politischen Instrumentes erwachsen können. Durch das Angebot der EU zur Teilnahme am Binnenmarkt, zur Integration der Infrastrukturnetze und zur Ausweitung des europäischen Forschungsraumes sowie eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit unterhalb der Schwelle einer Mitgliedschaft sollen Entwicklung und Wohlstand auch in den Nachbarstaaten gefördert werden.
Darüber hinaus liegt es im Interesse der EU, solche Staaten um die EU zu fördern, die zur Stabilität im gesamteuropäischen Raum beitragen könnten. Dieses Angebot der EU unterhalb der Schwelle einer Mitgliedschaft richtete sich in erster Linie an folgende Staaten bzw. Staatengruppen, die zu unmittelbaren geographischen Nachbarn der erweiterten Gemeinschaft wurden: die Länder des südlichen Mittelmeerraumes, Russland sowie die Ukraine, Moldau und Weißrussland (westliche NUS = ›Neue unabhängige Staaten‹). Neben den Programmen TACIS, MEDA (Mésures d’accompagnement financières et techniques) und INTERREG (Interregional and Transnational Cooperation) sind für die Nachbarschaftspolitik des Zeitraums 2004−06 ca. 955 Mio. Euro bereitgestellt worden. Für die ENP im engeren Sinne stehen bis 2006 allerdings lediglich 250 Mio. Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung.
Daneben widmete und widmet die EU den krisenhaften Entwicklungen im früheren Jugoslawien besondere Aufmerksamkeit. Das Hilfsprogramm CARDS (Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilization) hatte bis 1999 ein Volumen von ca. 4,5 Mrd. Euro. Mit dem ›Stabilitätspakt für Südosteuropa‹ wurde nach der Kosovokrise im Juli 1999 ein Instrument zur Befriedung der Region geschaffen, das seit 2002 unter der Leitung des Österreichers Erhard Busek (*1941), Sonderkoordinator für Südosteuropa, wesentlich zur Beruhigung der Situation beigetragen hat. Die absehbare Limitierung der Finanzmittel macht allerdings eine klare – auch geographische – Prioritätensetzung im Hinblick auf die Selbstverpflichtung zu einem europäischen Friedenswerk notwendig. Hier wird die ENP seitens des Sonderkoordinators als unliebsame Konkurrenz zum notwendigen EU-Engagement auf dem westlichen Balkan gesehen.
Ingham H. (Hg.) 2003: EU Expansion to the East. Prospects and Problems. Cheltenham. Knipping F. 2004: Rom, 25. März 1957: die Einigung Europas. München. Läufer T. (Hg.) 2004: Vertrag von Nizza. Die EU der 25. Texte des EU-Vertrages und des EG-Vertrages mit Beitrittsvertrag, Europäische Sicherheitsstrategie, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, deutsche Begleitgesetze. Bonn (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 444). Weidenfeld W. (Hg.) 2004: Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 442). Ders., Wessels W. (Hg.) 2004: Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Bonn (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 393).