Dalmatien (Landschaft)

Dalmatien (bosn./kroat./serb. Dalmacija, italien. hist. Dalmazia)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

D. ist eine Kulturlandschaft
Dalmatien
an der östlichen Adriaküste, die nach heutiger Begriffsdefinition die Gebiete zwischen der Insel Rab (ital. Arbe) im Nordwesten (an der Festlandsküste Tribunj nordwestlich von Starigrad) und der Halbinsel Prevlaka vor der Bucht von Kotor im Südosten umfasst, damit ausschließlich auf kroatischem Gebiet liegt und im Nordwesten vom Kvarner und vom Kroatischen Küstenland (Hrvatsko primorje), im Nordosten vom Hochland der Lika und von Bosnien und der Herzegowina und im Südosten von Montenegro begrenzt wird.

Der Umfang des Begriffs D. war jedoch im Lauf der Geschichte starkem Wandel unterworfen. Der Name leitet sich wahrscheinlich von den illyrischen „Dalmatern“ ab, ist für das 1. Jh. v. Chr. als Gebietsname erstmals belegt und bezeichnete die römische Provinz Dalmatia, die von der Ostküste Istriens bis Nordalbanien reichte und sich auch weit ins Hinterland, bis vor die „Saveniederung“ (Posavina) erstreckte. Im Oströmischen Reich (5.–8. Jh.) verstand man unter D. die Küstengebiete und das weitere Hinterland zwischen Istrien und der Bucht von Kotor. In byzantinischer Zeit (8.–10. Jh.) verengte sich der Begriff auf die byzantinisch gebliebenen Küstenstädte (Zara, Spalato, Ragusa, Cattaro) und Inseln.

Er wurde von Venedig übernommen (Dalmazia) und wuchs mit der Ausdehnung der venezianischen Herrschaft im Mittelalter über die Küste und ab dem 17. Jh. auch ins Hinterland, so dass er schließlich den heutigen Umfang einschließlich der Kvarner-Inseln Veglia (heute Krk), Cherso (heute Cres) und Lussin (heute Lošinj), aber ausschließlich des Gebiets der Stadtrepublik Ragusa erreichte. Nach dem Ende der Republik Venedig 1797, unter österreichischer, französischer und wieder österreichischer Herrschaft, verfestigte sich ein D.-Begriff, der die oben genannten Kvarner-Inseln ausschloss, das Gebiet von Ragusa inkludierte und im Südosten auch noch heute montenegrinische Gebiete bis zur Ortschaft Kufin (von confine = ital. Grenze) nordwestlich von Čanj einschloss. Nach dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn bildete das Königreich D. mit diesem Umfang ein Kronland der österreichischen Reichshälfte. Der Berliner Kongress fügte ihm 1878 im Südosten noch das Gebiet von Spizza (heute Špic) zwischen Kufin und der heutigen Stadt Bar hinzu. Der heutige Begriff von D. entspricht also dem österreichischen Kronland, reduziert um die heute montenegrinischen und bosnischen Gebiete. Wichtige Teilgebiete des festländischen Dalmatiens mit starker eigener Identität sind die „ebenen Bezirke“ (Ravni kotari) im Hinterland von Zadar, das Hinterland von Šibenik und Split (Dalmatinska zagora), die Küstenebene nordwestlich von Split (Kaštela), die Küstenlandschaft Makarska rivijera zu Füßen des Gebirges Biokovo und die Region Konavle südlich von Cavtat bei Dubrovnik.

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Die Naturlandschaft D.s wird vom karstigen Dinarischen Gebirge bestimmt, das sich aus Kalkstein und Dolomit aufbaut und dessen Hauptkamm mit Höhen über 1700 m in zwei Gebirgszügen (Velebit und Biokovo) sowie südöstlich der Neretva-Mündung hinter Dubrovnik steil zum Adriatischen Meer abfällt. Nur im mittleren D. sind dem Hauptkamm, der dort von dem 1912 m hohen Dinara-Gebirge gebildet wird, flachere Gebiete (Ravni kotari und Dalmatinska zagora) vorgelagert. In ihnen beherrscht ein regelmäßiger Wechsel von Kalkrücken und Flyschmulden in nordwestlich-südöstlicher Streichungsrichtung das Landschaftsbild. Vor der Festlandsküste setzen mehrere Inselketten diesen regelmäßigen Wechsel fort, wobei tiefer gelegene Flyschmulden durch tektonische Senkungen und den postglazialen Anstieg des Meeresspiegels um mehr als 50 m unter das Meeresniveau abgetaucht sind. Mit Ausnahme der wasserstauenden Flyschmulden ist ganz D. wasserarm, weil es ein Karstgebiet ist, in welchem das Niederschlagswasser kaum oberflächlich abfließt, sondern versickert.

Das Klima D.s ist mediterran und zeichnet sich durch hohe Sommertemperaturen bei milden Wintern und zumindest im Gebirge nicht geringen Niederschlagsmengen aus, die jedoch v. a. im Winterhalbjahr fallen. Auf das Winterhalbjahr konzentriert sich auch der kalte Fallwind der Bora, die mit hoher Geschwindigkeit von den Küstengebirgen stürzt und beim Auftreffen auf den Meersspiegel eine Gischt erzeugt, welche die Böden der küstennahen Inseln versalzt. Der Bora müssen sich die Siedlungen anpassen, sie beeinträchtigt auch Verkehr, Landwirtschaft und Tourismus. Ihre stärkste Wirkung entfaltet sie, wo hohe Gebirgszüge direkt ans Meer treten, also an den Küsten und im küstennahen Bereich der Gebirge Velebit und Biokovo sowie um Dubrovnik.

Dem mediterranen Klima entsprechen die natürlichen Pflanzengesellschaften des immergrünen Steineichenwaldes (Quercetum ilicis) und des Flaumeichen-Orienthainbuchenwaldes (Carpinetum orientalis adriaticum), die aber heute nach Jahrtausenden der Weide-, Brenn- und Bauholznutzung nur noch in Restbeständen und Degradationsstadien (z. B. Macchie) zu finden sind. Deshalb und weil sich auch die landwirtschaftliche Nutzung in der Regel auf die Flyschmulden, Karstpoljen und -dolinen beschränkt macht D. heute überwiegend den Eindruck eines steinigen, unfruchtbaren Landstrichs. Der markante Rückgang landwirtschaftlicher Nutzung hat in den letzten Jahrzehnten aber zu einer teilweisen Wiederbegrünung durch Buschwerk geführt.

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2 Kulturgeschichte

Vor dem von Illyrern besiedelten Festland gründeten Griechen im 4. Jh. v. Chr. auf den Inseln Handelsstädte. Zwischen 35 und 33 v. Chr. eroberte Rom die östliche Adriaküste und richtete dort die Provinz D. ein. Die Küste wurde römisch besiedelt und es entstanden im Bereich des heutigen D.s bedeutende römische Städte, darunter Iader (heute Zadar), Scardona (heute Skradin), Tragurium (heute Trogir), Salonae hinter Split, Pharus (heute Hvar) und Epidaurum (heute Cavtat) bei Dubrovnik. D. kam bei der Teilung des Römischen Reichs 395 zum Westreich, fiel 489 an das Ostgotenreich und 535 an Ostrom, später Byzanz. Ab dem 6. Jh. stießen Slawen bis zur Küste vor, wobei sich in den Küstenstädten unter oströmischer, später byzantinischer Kontrolle die romanische Bevölkerung hielt und das Dalmatische, einen Abkömmling des Vulgärlateins, sprach. Die Slawen unterstellten sich 806 dem Frankenreich und wurden von dort her im Sinn der römischen Kirche missioniert, während Küstenstädte und Inseln bis über die Jahrtausendwende unter byzantinischem Einfluss blieben. Ab 877 bildete sich von Norddalmatien aus ein erstes eigenständiges kroatisches Fürstentum, das sich unter Fürst Tomislav (bis etwa 928) ins Hinterland erweiterte.

Seit der Jahrtausendwende nahm die nun im lateinischen, westlichen Sinn agierende Seemacht Venedig zur Sicherung ihres Levantehandels die Küstenstädte D.s. in Besitz (1202 Zara, 1204 Ragusa, 1327 Spalato, 1412 Sebenico, 1420 Cattaro), drang jedoch nicht ins Hinterland vor, das unter kroatisch-ungarischer Kontrolle stand und überwiegend slawisch besiedelt war. Ragusa gelang es als wichtiger Ausgangspunkt des Handels in den zentralen Balkan und durch geschickte Schaukelpolitik zwischen Venedig und den Reichen im Hinterland (Kroatien-Ungarn, Bosnien, später Osmanisches Reich) ab 1322 und bis in die napoleonische Zeit (1808) den Status einer unabhängigen Stadtrepublik zu bewahren. Ragusa stand aber wie die übrige Küste unter dem starken kulturellen Einfluss Venedigs. Dieser wirkte sich baulich auf die Städte aus, sprachlich als Vordringen des Venezianischen auf Kosten des Dalmatischen, sozial durch die Ausbildung einer venezianischen städtischen Oberschicht, an die sich Teile der slawischen Landbevölkerung assimilierten. Die venezianische Herrschaft verstärkte und prolongierte den in der Römerzeit angelegten romanischen und mediterranen Charakter der Küste und verstärkte den kulturräumlichen Gegensatz zum Hinterland.

Das in der zweiten Hälfte des 15. Jh. auch an die östliche Adriaküste vordringende Osmanische Reich konnte die venezianischen Besitzungen und die Republik Ragusa zwar gefährden und Flüchtlingsströme von Slawen und Balkanromanen (Vlachen) an die Küste und v. a. auf die sicheren Inseln auslösen, die dalmatinische Küste aber nicht dauerhaft unter seine Kontrolle bringen. Nach seinem Rückzug ab der Mitte des 17. Jh. dehnte Venedig sogar seine Besitzungen ins dalmatinische Hinterland aus: 1671 bis zur „Nani-Linie“ (Aquisto vecchio, unmittelbares Hinterland von Zara bis Spalato), 1700 bis zur „Grimani-Linie“ (Nuovo aquisto, Dalmatinska zagora, südliche Herzegowina, Krivošije oberhalb der Bocche di Cattaro [heute Boka Kotorska]), 1721 bis zur „Mocenigo-Linie“ (Nuovissimo aquisto, oberes Tal des Flusses Cetina).

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Nach dem Ende der Republik Venedig (Vertrag von Campoformio 1797) fielen die venezianischen Besitzungen in D. für kurze Zeit an Österreich. Dann verband Napoleon sie (ab 1808 auch Ragusa) zunächst mit dem napoleonischen Königreich Italien (1805–09), später mit den napoleonischen Illyrischen Provinzen (1809–13), die von Osttirol und Oberkärnten bis Kufin im heutigen Montenegro reichten und Slowenen, Kroaten und Serben erstmals in einer politischen Einheit verbanden. Dies förderte die Idee einer kulturellen Verwandtschaft und einer politischen Annäherung der Südslawen (Illyrismus), aus der sich später der Jugoslawismus entwickelte. Die französische Herrschaft unternahm auch tief greifende Verwaltungsreformen und errichtete Straßen, bewirkte also nach dem Reformstau der späten venezianischen Periode in kurzer Zeit eine Modernisierung. Der Wiener Kongress 1815 gab D. (samt Ragusa) wieder an Österreich zurück, das die französischen Reformen im Verwaltungsbereich teilweise rückgängig machte. Auch sonst konservierte die nun bis 1918 andauernde österreichische Herrschaft (ab 1867 war D. ein Kronland der österreichischen Reichshälfte) größtenteils die tradierten venezianischen Strukturen, änderte z. B. kaum etwas an der sozialen Schichtung von Venezianern und Slawen, am venezianischen Feudalsystem des Kolonats sowie an den sprachlichen Verhältnissen, wodurch das Venezianische, später das Italienische die dominante Sprache blieb. Bis in das späte 19. Jh. blieb D. für Österreich ein wenig beachtetes Randgebiet. Die Umstellung von der Segel- auf die Dampfschifffahrt, ein verheerender Reblausbefall, das Festhalten am Kolonat ließen D. zu einem Notstandsgebiet der Habsburgermonarchie werden, auch zu einer Hauptquelle der Auswanderung nach Übersee. Erst nach der Einigung Italiens (1870), das zu einem mächtigen Gegenspieler Österreich-Ungarns im Adriaraum geworden war und die nationalen Gefühle der Italiener auf der gegenüberliegenden Adriaküste ansprach, erwachte in Wien das Interesse an D., das sich nun in Maßnahmen zur Entwicklung des Tourismus, in (letztlich erfolglosen) Bemühungen um einen Eisenbahnanschluss, in Versuchen zur Lösung der nationalen und der Sprachenfrage und im Ausbau des Kriegshafens Cattaro äußerte.

Nachdem die Alliierten Italien für seinen Eintritt in den Ersten Weltkrieg im Londoner Vertrag (26.4.1915) den Norden D.s zugesprochen hatten, konnte sich im Vertrag von Rapallo (12.11.1920) der Staat der Serben, Kroaten und Slowenen (Država Srba, Hrvata i Slovenaca, SHS), das spätere Königreich Jugoslawien, ganz D. mit Ausnahme von Zara und Lagosta (heute Lastovo) sichern. Im Zweiten Weltkrieg annektierte Italien 1941–44 das nördliche dalmatinische Festland bis einschließlich Spalato, den Großteil der Inseln und das Gebiet von Cattaro. Am Ende des Kriegs flüchteten die meisten Italiener aus D. Bis 1991 gehörte D. ohne die nun montenegrinischen Gebiete und den kurzen bosnischen Küstenabschnitt bei Neum als Teil der Republik Kroatien zum föderativen Jugoslawien, ohne innerhalb Kroatiens den Status einer eigenen administrativen Einheit zu haben. Nach der Unabhängigkeit Kroatiens 1991 wurde das serbisch besiedelte Hinterland der norddalmatinischen Küste zum Teil eines serbischen Separatstaats mit dem Zentrum in Knin, der im August 1995 von der kroatischen Armee zurückerobert wurde. D. bildet auch im unabhängigen Staat Kroatien keine eigene Verwaltungseinheit, sondern setzt sich aus mehreren Gespanschaften zusammen: Zadarska županija, Šibensko-kninska županija, Splitsko-dalmatinska županija und Dubrovačko-neretvanska županija. D. hat aber auch noch Anteile an der Ličko-senjska županija und an der Primorsko-goranska županija. Ein dalmatinisches Regionalbewusstsein ist dennoch stark ausgeprägt, und in Diskussionen um eine administrative Regionalisierung Kroatiens nach größeren Kulturlandschaften und historischen Einheiten spielt D. stets eine Rolle.

D. ist heute mit Ausnahme des Zentralraums an der Festlandsküste zwischen Zadar und Split relativ dünn besiedelt. Sein städtisches und wirtschaftliches Zentrum ist Split (175.140 Einwohner, 2001), obwohl sich auch in Zadar (69.239), Šibenik (36.886) und Dubrovnik (30.078) wichtige zentrale Einrichtungen wie Universitäten (Zadar) und Fakultäten befinden. Der Großteil der Bevölkerung besteht aus römisch-katholischen Kroaten, nur in den Gebieten von Knin, Obrovac und Benkovac (= nördliche Dalmatinska zagora) haben sich nach ihrer Vertreibung im Jahr 1995 wieder orthodoxe Serben angesiedelt. Neben der im kommunistischen Jugoslawien stark forcierten Industrie (v. a. Nahrungsmittel und Textilien in Zadar, Aluminium in Šibenik, Zement, Chemie und Schiffbau in Split) hat heute der Tourismus wieder die Funktion eines Wirtschaftsmotors, obwohl er nach wie vor auf den unmittelbaren Küstensaum und die Inseln sowie die Sommersaison beschränkt ist. Die Nationalparks Paklenica (seit 1949), Mljet (1960), Kornati (1980) und Krka (1986) bilden zugleich Schutzgebiete und Tourismusattraktionen. Die 2005 fertig gestellte Autobahn von Karlovac nach Split bindet D. besser an den kroatischen Zentralraum an und begünstigt auch den Tourismus.

Borovac I. (Red.) 2002: Veliki atlas Hrvatske. Zagreb. Novak G. 1944: Prošlost Dalmacije. 2 Bde. Zagreb. Regan K. (Hg.) 2003: Hrvatski povijesni atlas. Zagreb. Wilkes J. J. 1969: Dalmatia. London.

(Peter Jordan)

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