Wien (Schiedssprüche)
Wiener Schiedssprüche
Ungarn verfolgte nach der Abtrennung von rd. 70 % des Staatsterritoriums (darunter Siebenbürgens und der Slowakei) und 64 % der Bevölkerung im Trianon-Vertrag (4.6.1920) das Ziel einer wenigstens partiell-ethnischen Revision seiner Grenzen, außerhalb derer rd. 3,2 Mio. Ungarn lebten. Die beiden W. S. (2.11.1938 und 30.8.1940) waren auf diesem Weg die wichtigsten Ergebnisse, die Ungarn mit Unterstützung des Dritten Reiches erreichte. Im Anhang des ›Münchener Abkommens‹ (30.9.1938) legten die Signatarmächte (England, Frankreich, Italien und das Deutsche Reich) auf Betreiben Hitlers der Tschechoslowakei nahe, innerhalb von drei Monaten die ungarischen und die polnischen Grenzfragen durch Verhandlungen zu lösen. Die zwischen dem 9. und 13.10.1938 in Komárom (slowak. Komárno) geführten ungarisch-slowakischen Verhandlungen scheiterten jedoch, weil Ungarn auf der Rückgabe kompakt ungarisch besiedelter Grenzgebiete beharrte, während die slowakische Seite die Zugeständnisse so klein wie möglich halten wollte und wirtschaftliche, strategische bzw. verkehrstechnische Überlegungen dem ethnischen Prinzip überordnete. Die ungarische Bevölkerung der Slowakei bekundete während der Verhandlungen ihren Willen, zu Ungarn zurückzukehren.
Nach ergebnislosen Verhandlungen verlangte Ungarn am 24.10.1938 offiziell einen Schiedsspruch, zu dem sich die Vertreter des Deutschen Reiches, Italiens und der beiden betroffenen Länder am 2.11.1938 in Wien trafen. England und Frankreich verzichteten auf eine Teilnahme, erkannten aber nachträglich inoffiziell die Ergebnisse an. Die Entscheidung der beiden Außenminister, Graf Galeazzo Ciano und Joachim von Ribbentrop, entsprach den ungarischen Wünschen, Ungarn erhielt sogar einige slowakische Dörfer. Das Urteil sprach Ungarn ein 11.927 km² großes Gebiet mit einer Bevölkerung von 1.062.022 Menschen zu, wovon 84 % ungarischer Nationalität waren (Angaben der ungarischen Volkszählung von 1941).
Während im Falle des sog. Oberungarn, also der Slowakei, die Unterstützung Ungarns durch das Dritte Reich seit 1933 sicher war, entbrannte im Falle Siebenbürgens zwischen Ungarn und Rumänien nach dem Einmarsch ungarischer Truppen in die Karpato-Ukraine (15.–18.3.1939) ein Wettrennen um die Gunst Hitlers. Der Umschwung in Hitlers Überlegungen, gegenüber dem rumänischen Beharren auf dem Status Quo die revisionistischen Ansprüche Ungarns aufzugreifen, fand nach dem erfolgreichen Frühjahrsfeldzug gegen Frankreich und der kampflosen Übergabe Bessarabiens durch Rumänien an die Sowjetunion (Mai/Juni 1940) statt.
Der Gedanke, dass die Versailler Verträge nunmehr endgültig zu beseitigen seien, verband sich bei Hitler mit seiner Befürchtung einer zu starken sowjetischen Einflussnahme auf dem Balkan, wobei es ihm auch an der Sicherung rumänischer Erdöllieferungen an das Dritte Reich gelegen war. Nach ungarisch-rumänischen Grenzzwischenfällen und mehreren Treffen ungarischer und rumänischer Politiker mit Hitler bzw. Mussolini (in München, Rom und Berchtesgaden), wobei rumänischerseits Ende Juli die Idee eines deutsch-italienischen Schiedsspruches aufgeworfen wurde, empfahl Hitler beiden Staaten, Verhandlungen über die „Siebenbürgische Frage“ miteinander aufzunehmen. Einen erneuten Schiedsspruch lehnten die Achsenmächte zu diesem Zeitpunkt unter Verweis auf ihre schlechten Erfahrungen nach dem ersten W. S. ab.
Die rumänisch-ungarischen Verhandlungen fanden zwischen 16. und 24.8.1940 in Turnu-Severin statt. Die ungarische Verhandlungsdelegation forderte von der rumänischen die Rückgabe von ca. 70.000 km², wobei das Kerngebiet, das kompakt ungarisch besiedelte Szeklerland in der Mitte Rumäniens, durch eine Art Korridor mit Ungarn verbunden sein sollte. Rumänien schlug einen Bevölkerungstausch mit einer anschließenden minimalen Gebietsabtretung an der Grenze vor, die jedoch weit unter den ungarischen Erwartungen liegen und das Szeklerland ausschließen sollte. Ungarn bereitete sich unter diesen Umständen auf einen Krieg gegen Rumänien vor und erklärte die Verhandlungen für gescheitert. Nachdem Rumänien in Berlin einen Schiedsspruch verlangte, befasste sich am 27.8.1940 Hitler persönlich mit dem Problem und zog weitgehend jene Grenzen, die von Ribbentrop und Graf Ciano am 30.8.1940 in Wien verkündeten. Ungarn erhielt Nordsiebenbürgen mit dem Szeklerland (43.104 km²) sowie mit 1.343.000 (52 %) Ungarn und 1.069.000 Rumänen (41,5 %) zurück. Mit der Teilung band Hitler beide Länder an das Reich, da beide Nord- bzw. Südsiebenbürgen weiterhin für sich beanspruchten. Die Westmächte betrachteten den 2. W. S. (nach 1942 auch den ersten) als Ausdruck nationalsozialistischer Aggressionspolitik und daher als ungültig. Der Pariser Friedensvertrag (1947) legte für Ungarn die Grenzen von 1937 fest.
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