Karpaten (Überblick)

Karpaten (poln./russ./slowak./tschech./ukrain. Karpaty, rumän. Carpaţi, ungar. Karpátok)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die K. erstrecken sich über eine Länge von etwa 1300 km von der Donau bei Wien und Bratislava bis zum Donaudurchbruch am Eisernen Tor. Sie haben eine Breite von meist 50–200 km und befinden sich auf tschechischem, polnischem, slowakischem, ukrainischem und rumänischem Staatsgebiet. Der bogenförmige Gebirgszug (auch K.bogen genannt) umgibt die nördliche Große Ungarische Tiefebene und Siebenbürgen in einem weiten, nach Südwesten offenen Oval. Die beiden Endpunkte sind dabei nur etwa 500 km voneinander entfernt. Der nördlichste Punkt wird in Polen, südlich von Krakau erreicht.

Die K. gehören zu den alpidischen Faltengebirgen und haben überwiegend den Charakter eines Mittelgebirges. Nur wenige Bergmassive erreichen Höhen über 2000 m ü. d. M. und wurden während der Eiszeiten von Gletschern geformt. Geotektonisch können die K. untergliedert werden in die Südwest-Nordost verlaufenden Westkarpaten, die Nordwest-Südost streichenden Waldkarpaten, die Nordwest-Südost und Nord-Süd verlaufenden Ostkarpaten und die Südkarpaten, die einen Ost-West und einen Nord-Süd verlaufenden Bereich enthalten.

Die Kontinentalität des Klimas nimmt in den K. von Ost nach West zu. Während in
Karpaten
Mitteleuropa die Temperaturamplituden üblicherweise unter 18 °C bleiben, liegen sie aufgrund der höheren Kontinentalität der K. generell über 20 °C und steigen in den Beckenlagen teilweise auf über 25 °C an. Im Nordwestteil liegt die jährliche Niederschlagssumme bei 1600 mm, im Osten sinkt sie auf 1100 mm ab. Der Niederschlagsarmut im späten Sommer und Herbst, die zu einer völligen Austrocknung führen kann, steht eine, v. a. auf die Schneeschmelze zurückzuführende Hochwasserperiode im Frühjahr bis frühen Sommer gegenüber. Gletscher gibt es in den K. nicht. Die Schneedecke bleibt nur in der Hohen Tatra über mehrere Monate liegen.

Die karpatischen Flüsse zeigen ein vergleichbares Flussregime wie die mitteleuropäischen Gebirgsflüsse, die meisten allerdings in einer weniger extremen Ausprägung. Die Beckenlagen sind als Trockeninseln ursprünglich waldfrei gewesen bzw. erfuhren frühe Rodung oder Waldverwüstung.

Die vertikale Vegetationsgliederung ist deutlich ausgeprägt: In den tiefen Lagen dominiert Laubwald aus Eichen. Oberhalb 700 m ü. d. M. wird Buche und teilweise Fichte dominierend. An der Waldgrenze bilden Krummholzkiefern (Latschen) und Zwergwacholder die Knieholzregion. Die Waldgrenze wurde durch Almwirtschaft gesenkt: In den Westk. liegt sie bei 1500–1600 m, in den Wald- und Ostk. bei 1700 m und in den Südk. bei 1900 m. Die K. sind insgesamt ein waldreiches und stark gegliedertes Gebirgsland mit vielen endemischen Arten. Der Tierwelt dienen die K. als Rückzugsraum. Noch heute leben in den abgeschiedenen Gebieten Bären, Wölfe, Wildkatzen und Luchse.

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2 Kulturgeschichte

Besiedlung

Die westlichen Bereiche der K. waren in der frühgeschichtlichen Zeit von illyrischen und keltischen Völkern bewohnt und wurden während der Völkerwanderung von Germanen berührt. Reste dieser Kulturen sollen bis ins 8. Jh. in einigen Tälern erhalten geblieben sein.

Die Goralen leben überwiegend an der Nordseite der Beskiden, Pieninen und der Tatra, wodurch die alte Grenze des polnischen Reichs bestimmt war.

Westslawische Stämme, die Vorfahren der Slowaken, wurden seit dem 10. Jh. durch die magyarische Einwanderung in der Ebene immer weiter ins Gebirge gedrängt. Die Magyaren (Ungarn) bewohnten dagegen ausschließlich die Ebene und Täler im Inneren des K.bogens. Der Südfuß der Waldk. bildete eine klare Grenze zu den nördlich davon lebenden ukrainischen Huzulen, deren Siedlungsgebiet in den Ostk. an das der Rumänen grenzt. Während der slawischen Wanderungen kamen Ostslawen von Norden her über die leicht wegsamen Waldk. bis auf die Südseite der K. und im Westen bis über den Fluss Poprad und lebten dort als Hirten. Dieser als Lemken bezeichnete Stamm berührte und mischte sich insbesondere am leicht gangbaren Duklapass eng mit den Slowaken (gegenwärtig wohnen Lemken v. a. im Süden der Transk.).

Als frühhistorische Bewohner der höheren Lagen Siebenbürgens sind die Daker bekannt, die seit dem 5. Jh. v. Chr. dort lebten. Ihr Land wurde um 106 als römische Provinz Dakien kolonisiert; der von ihnen betriebene Abbau von Edelmetallen und Salz wurde von den Römern weitergeführt. Die Herkunft der rumänischen K.bevölkerung ist umstritten. Die sog. dakoromanische Kontinuitätstheorie besagt, dass ein Teil der dakoromanischen Bevölkerung Siebenbürgens dort verblieben ist. Urkundliche Erwähnungen eines „rumänischen Volkstums“ im K.raum gibt es jedoch erst ab 1223.

Relativ jung ist die magyarische Bevölkerung in Siebenbürgen. Die Szekler am Westhang der Ostk. wurden wahrscheinlich bereits Ende des 11. Jh. an den Grenzen des Landes angesiedelt.

Rumänische Wanderhirten wiederum scheinen vom 14. bis 16. Jh. bis in das östliche Mähren gekommen zu sein: Bergnamen, Kultur- und Siedlungsformen erinnern an die Zuwanderung.

Für die gesamte K.region bedeutend ist die deutsche Kolonisation, die Mitte des 12. Jh. einsetzte.
Transkarpatien
In Polen betraf diese vorwiegend das K.vorland und wenige Städte in Westgalizien, kam jedoch durch die Polonisierung des Gebietes bald zum Erliegen. In den Waldk. beschränkte sich die deutsche Kolonisation auf wenige Dörfer am südlichen Gebirgsrand. Auf der damals ungarischen Seite der Westk. war v. a. die dünn besiedelte Gebirgslandschaft Ziel einer lange andauernden Kolonisation. Bevorzugtes Siedlungsgebiet war auch das Slowakische Erzgebirge. Bedeutend war die deutsche Besiedlung außerdem in Siebenbürgen, sie begann bereits im 11. und 12. Jh.

Die Kriege gegen das Osmanische Reich ab dem 16. Jh. hatten kaum Auswirkungen auf den K.raum. Auch nach der Befreiung von den Osmanen betraf die Wiederbesiedlung des Landes und die neuerliche deutsche Kolonisation die Gebirgsregionen kaum. Im 18. und 19. Jh. kam es zu einer erneuten v. a. deutschen Siedlungsbewegung, in deren Folge auf der ungarischen Innenseite und der galizischen Außenseite der K. deutsche Siedlungen im Zusammenhang mit der Entstehung von Glashütten, Waldarbeiterdörfern und Bergarbeiterkolonien in der Bukowina und dem „Banater Gebirge“ entstanden.

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Politische Zugehörigkeit

Die K. gehörten im Laufe der Geschichte unterschiedlichen Staaten und Herrschaftsbereichen an. Grenzverschiebungen und -neuordnungen, Bevölkerungsbewegungen, Minderheits- und ethnische Probleme prägten die Kulturen der K. Und nicht zuletzt deren landeskundliche Erforschung wurde durch die politische Aufteilung behindert und beschränkt(e) sich überwiegend auf Teilräume und Teilaspekte.

Es gibt jedoch auch Gemeinsamkeiten in der Geschichte der K. So gehörte fast der gesamte K.raum seit dem Ende des 18. Jh. dem Habsburgerreich an, bis auf die südlichen und östlichen Randbereiche, die zu den unter osmanischer Oberhoheit stehenden Fürstentümern der Moldau und Walachei, dem späteren Rumänien, gehörten.

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörten die K. zu Polen (einschließlich der heute ukrainischen Teile Galiziens), zur Tschechoslowakei (einschließlich der Transk.) und zu Rumänien (einschließlich der Bukowina). Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurden die polnischen Teile der K. dem deutschen Generalgouvernement angegliedert. Die Slowakei und Rumänien behielten Anteile an den K., wobei Ungarn 1944 die Transk. besetzte.

Nach dem zweiten Weltkrieg waren die K. Teil der Tschechoslowakei, Polens, Rumäniens und der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR), zu der die nördliche Bukowina und die Transk. gehörte. Die Grenzziehung ist seither stabil geblieben, jedoch gab es Änderungen durch die Unabhängigkeit der Staaten. Heute befinden sich die K. in der Slowakei, in Polen, Rumänien und der Ukraine, Randbereiche in der Tschechischen Republik.

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Wirtschaft

Handelswege kreuzten dank der zahlreichen Pässe die K. seit alters her. Das unwirtliche Gebirge bot jedoch nur wenig Möglichkeiten für eine ständige Besiedlung. Bis Ende des 19. Jh. wurde überwiegend traditionelle Landwirtschaft mit Rinder- und Schafzucht betrieben. Die Wiesen in tieferen Lagen dienten der Heugewinnung; die Almen der Hochlagen wurden in den Sommermonaten von Hirten als Viehweiden genutzt. Vielerorts wurde die Krummholzstufe abgeholzt, um mehr Weideflächen zu erhalten. Hier entstanden meist magere Weiden.

Bis Mitte des 20. Jh. hatte sich der Bergbau und die Holz verarbeitende Industrie zu einem weiteren wichtigen Tätigkeitsfeld für die montane Bevölkerung entwickelt. In einigen Regionen wurde intensiv Bergbau betrieben (Silber, Kupfer, Eisen usw.). Zur Verhüttung wurde Hartholz benötigt, wodurch die buchenreichen Wälder vernichtet wurden, an ihrer Stelle entstanden buchenarme oder reine Fichtenwälder, auch der Bestand an Eibe und Arve verringerte sich. Trotzdem wanderte bis 1990 ein Großteil der jungen Bevölkerung aus den Bergdörfern in die Städte ab, um Arbeit zu finden. Erst seit 1990 wird die traditionelle Landnutzung wieder vermehrt von der meist überalterten Bevölkerung betrieben, die in den Dörfern verblieben ist. In den Sommer- und Wintermonaten kommen zusätzlich Touristen in die landschaftlich attraktiven und verkehrstechnisch erschlossenen Gebiete. Alte Ansiedlungen finden sich in Binnensenken und Tälern sowie an Bergbaustandorten. Neuere Siedlungen sind Höhenkurorte und Ausgangspunkte für Bergwanderungen. Auch heute gibt es noch weite Gebiete, die unbesiedelt und nur zu Fuß erreichbar sind.

Kondracki J. 1989: Karpaty. Warszawa.

(Barbara Bosch)

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