Mongolisches Reich

Mongolisches Reich

Das „mongolische Weltreich“ bestand als Reichsverband zwischen dem frühen 13. und Anfang des 14. Jh. Es wurde durch den meist gewaltsamen Zusammenschluß mongolischer und später u. a. zahlreicher türkischer Stämme, Sippen und Clans unter Dschingis Khan zwischen etwa 1190–1206 begründet und geformt. Die Expansion nach 1206 richtete sich der Vorstellungswelt der eurasischen Reitervölker gemäß nach allen vier Himmelsrichtungen.

Ein Großteil der Reiche und Personenverbandsstaaten Asiens und des östlichen Europas wurde im 13. Jh. mindestens vorübergehend von einem mongolischen Verband angegriffen. Um 1270 erstreckte sich das M. R. schließlich vom Pazifischen Ozean (China, Korea) im Osten bis in den Ostsee- und östlichen Donau-/Karpatenraum im Westen, von der sibirischen Tundra
Mongolisches Reich
im Norden bis nach Tibet und Nordindien, Kleinarmenien, Iran, Ostsyrien und Zentralanatolien im Süden. Klein- und Großpolen, Schlesien, Mähren, Ungarn und Byzanz, ebenso wie Java, Japan und Syrien, wurden von Mongolen attackiert und z. T. im großen Ausmaß verheert. Das M. R. ermöglichte abendländischen Gesandten, Kaufleuten und Missionaren im 13. und 14. Jh. erstmalig den Weg bis nach China und Indien. Die Erweiterung des abendländischen Weltbildes wurde u. a. auch damit langfristig in Gang gesetzt. Die stufenweise Transformation des der Fläche nach größten Reiches der Weltgeschichte in vier selbständige Großreiche unter den verschiedenen Linien der Dschingisiden vollzog sich seit der zweiten Hälfte des 13. Jh.:

1. Reich der Yüan in China (1279–1368) und der Mongolei (hier Großkhanat bis ins 17. Jh), regiert von den Nachkommen des jüngsten Sohnes von Dschingis Khan.

2. Reich der Čagataj (benannt nach dem zweitältesten Sohn) im östlichen Zentralasien (1241–1680er Jahre), zeitweise in zwei Teilreiche gespalten.

3. Reich der Il-Khane in Nordindien, Iran, Teilen des Kaukasus und Anatoliens (ca. 1258–1353).

4. Reich der sog. Goldenen Horde (ca. 1237/1242–1502), regiert von Nachkommen des ältesten Sohnes Dschingis Khans. Bis 1378 bestand in Form der „Blauen“ bzw. „Weißen Horde“ ein bislang wenig erforschtes, meist der Oberhoheit der Goldene Horde unterstehendes, der Fläche nach gewaltiges Teil-Khanat an der Wolga und der Steppenzone nördlich des Kaspischen Meeres. Durch weitere Teilungen entstanden die Khanate: Krim (ca. 1440–1783), Kasan (ca. 1437–1552), Astrachan (1466/90/1502–56), Kasimov (1466–1681), Sibirien (ca. Ende 15. Jh.–ca. 1630/40) und die „Große“ und die „Kleine Horde“ der Nogaier im nördlichen Kaukasusvorland an unterer Wolga und Don bis zum Donaudelta (15. Jh.–18. Jh.).

Hinsichtlich der Religion waren die Khane trotz des Wechsels der Eliten zum Islam in einigen Teilreichen bis ins 15. Jh. insgesamt eher indifferent. Die Führungsclans der Goldenen Horde traten im Laufe des 14. Jh. zum sunnitischen Islam über, der sich aber nur sehr allmählich und langzeitig nur oberflächlich innerhalb der Stammesverbände durchsetzen konnte. Die Bevölkerung bestand vorwiegend aus viehzüchtenden Nomaden. Im Reich der Goldenen Horde kam es regional auch zu einer Verstädterung und „Verbäuerlichung“ (z. B. auf der Krim, an der Wolga um Kasan und Astrachan). Synkretistische Varianten gelebter Religiosität aus Schamanismus und Islam dominierten die nomadische, städtische und bäuerliche Bevölkerung der Steppenwelt Eurasiens bis ins 19. Jh., mit Ausnahme der kulturell stärker osmanisch und persisch beeinflußten Krimtataren.

Das Reich der Goldenen Horde gehörte zu den spätmittelalterlichen Großmächten des östlichen Europa, im 13. und der ersten Hälfte des 14. Jh. trat es hier als dominierende Macht auf. Es war bis um 1360 straff organisiert, was auch dem Fernhandel sehr förderlich war. Der Radius militärischer Vorstöße der schon im 13. Jh. sog. Tataren reichte bis zum späten 17. bzw. frühen 18. Jh. von der Ostsee bis nach Wien und Niederösterreich, Mähren, Westungarn, Siebenbürgen und die Donaufürstentümer, von den Fürstentümern der Rus bis in den nördlichen Kaukasus, Anatolien und Iran. Auch hier fehlt weiterhin eine umfassende auf Vergleich der verschiedenen Epochen und betroffenen Regionen und Kulturen angelegte Untersuchung. Interne Auseinandersetzungen um das Erbe der 1360 verloschenen Linien der Gründerkhane Batu und Berke sowie Ereignisse wie die große Pest ab 1347 führten die Goldene Horde in eine langdauernde Krise. Im Verlauf des 14. und 15. Jh. konnten sich die Großfürstentümer Litauen und Moskau, ebenso wie das zweite Bulgarische Reich allmählich aus der Oberhoheit der Goldene Horde befreien, während sich die Fürstentümer Moldau und Walachei auf deren ehemaligen Territorium herausbildeten.

Als wissenschaftlich längst nicht mehr haltbarer Mythos gelten die Thesen des sog. Mongolischen Jochs über Russland und weitere Teile des östlichen Europa und des v. a. religiös begründeten Gegensatzes zwischen der Goldenen Horde bzw. ihren tatarischen Nachfolgereichen und den christlich-orthodoxen Fürstentümern, besonders der Rus. Zahlreich sind die Belege für intensiven Handelsaustausch, politische Allianzen und Bündnisse, kulturelle Nähe und Vertrautheit gerade unter den Adeligen und Städtern der Ostslawen und Tataren.

Conermann S., Kusber J. (Hg.) 1997: Die Mongolen in Asien und Europa. Frankfurt a. M. (= Kieler Werkstücke, Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte 4). Golden P. B. 1992: An introduction to the History of the Turkic Peoples. Ethnogenesis and State Formation in Medieval and Early Modern Eurasia and the Middle East. Wiesbaden. Ostrowski D. 1998: Muscovy and the Mongols: Cross-cultural influences on the steppe frontier, 1304–1589. Cambridge. Schmieder F. 1994: Europa und die Fremden. Die Mongolen im Urteil des Abendlandes vom 13. bis in das 15. Jahrhundert. Sigmaringen (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Bd. 16). Spuler B. 1965: Die Goldene Horde. Die Mongolen in Russland 1223–1502. Wiesbaden.

(Meinolf Arens)


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