Kleinarmenien
Kleinarmenien (Fürstentum, Königreich).
Im frühen 12. Jh. entstand auf dem Gebiet der byzantinischen Provinz Kilikien das Fürstentum K. Es waren dem mehrere, v. a. durch das Ende der armenischen Königreiche um 1054 und die Schlacht von Manzikert 1071 ausgelöste Ansiedlungs- und Flüchtlingswellen vorausgegangen, die zu einem wachsenden Einfluss des armenischen Bevölkerungsanteils in K. im Laufe des 11. Jh. führten.
Im Taurus-Gebirge etablierten sich schließlich zwei armenische Kleinherrschaften: die der Heťumiden um die Burgen Barbaron (nördlich von Mersin) und Lampron (nordwestlich von Tarsos) und die der Rubeniden um die Burg Vahka (nordöstlich von Kozan). Die Provinz blieb auch nach dem Ersten Kreuzzug (1096–99) nominell unter byzantinischer Oberhoheit. Die Rubeniden handelten jedoch de facto unabhängig. Die Eroberung von Tarsos, Adana und Mopsuestia (heute türk. Misis) durch Leon I. (1129–37) veranlasste schließlich den Einmarsch des byzantinischen Kaisers Iōannēs II. Komnēnos und die Gefangennahme Leons I. und zwei seiner Söhne.
Ťoros II. (ca. 1148–ca.1168) gelang später die Flucht aus Konstantinopel in die kilikischen Berge, von wo aus er mit der Rückeroberung des Besitzes seines Vaters begann. 1158 wurde die Herrschaft über Kilikien zwischen ihm und Kaiser Manouēl I. Komnēnos geteilt. Byzanz erhielt die Kontrolle über die kilikische Ebene, Ťoros II. die Herrschaft über das Bergland. Unter seinen Nachfolgern Mleh (1170–75) und Ruben III. (1175–87) gelangten die Städte Adana, Mopsuestia und Tarsos endgültig in armenischen Besitz.
Rubens Bruder Leon II. wurde 1198 zum König von K. gekrönt. Unter seiner Herrschaft erreichte die Macht des kleinarmenischen Staatswesens ihren Höhepunkt. Ayas (Lajazzo, heute türk. Yumurtalık) wurde zu einem der bedeutendsten Häfen des Orienthandels. In der Herrschaftsausübung orientierte sich Leon I. verstärkt an abendländischen Vorbildern. Hofämter erhielten lateinische Bezeichnungen. Nach Leons Tod wurde seine Tochter Zabȇl (1219–52) Königin. Durch ihre Ehe mit Heťum I. (1226–69) von Lampron verbanden sich die beiden Familien der Heťumiden und der Rubeniden zu einer nun herrschenden Dynastie. In ihre Regierungszeit fällt das Bündnis mit den Mongolen, das bis zu deren Niedergang die Integrität des Königreiches schützte.
Nach der mongolischen Niederlage bei ʾAyn Jālūt (Palästina) 1260 geriet K. ins Visier der Mamelucken: 1266 erfolgte der erste von zahlreichen verheerenden Einfällen. Auch Leon III. (ca. 1269–89) konnte weitere Plünderungszüge der Mamelucken und verbündeter Turkstämme ebenso wenig wie den Fall von Ayas (1337) verhindern. K. war einer der letzten christlichen Staaten in der Region. Im Kampf um die Existenz ihres Reiches suchten die kleinarmenischen Könige sowohl die Nähe des Königreiches Zypern als auch die von Byzanz, was u. a. zu Heiratsverbindungen mit den herrschenden Dynastien der Lusignan und Palaiologoi führte.
Die Islamisierung der ehemals verbündeten mongolischen Il-Khane machte aber ebenso wie die Kämpfe innerhalb des kleinarmenischen Adels die Position des Königreiches aussichtslos. 1374 eroberten die Mamelucken Sis, die letzte Festung K.s. Im Königreich K. entstanden zahlreiche historische, literarische und theologische Schriften sowie Übersetzungen lateinischer Werke. Ihre Illustrationen zählen zu den Höhepunkten der mittelalterlichen Buchmalerei. Die kleinarmenischen Herrscher stifteten außerdem zahlreiche Klöster und Kirchen, die jedoch heute meist nur noch als Ruinen erhalten sind.
Der Nersessian S. 1962: The Kingdom of Cilician Armenia. Setton K. M. (ed.): A History of the Crusades 2. Philadelphia, 630–659. Kühl H. 2000: Leon V. von Kleinarmenien: Ein Leben zwischen Orient und Okzident im Zeichen der Kreuzzugsbewegung Ende des 14. Jahrhunderts. Frankfurt a. M.