Zentralasien

Zentralasien

Den Begriff Z. führte 1844 Alexander von Humboldt in seinem gleichnamigen Werk ›Central-Asien‹ ein, als Bezeichnung für das Hochland zwischen dem Altai und dem Himalaja in der Länge und dem Großen Hinggan und dem Tiefland von Turan in der Breite. Über die Grenzen Z.s sind die Geographen bis heute uneins. Je nach Standpunkt beträgt die Gesamtfläche 4–6 Mio. km². Etwa ¾ der Fläche liegen in China, ¼ in der Mongolei, wobei z. T. Gebiete bis in den östlichen Pamir und südliche Gebiete der russischen Teilrepublik Tuwinien mit einbezogen werden.

Die Diskussion um die Begriffsdefinition entbrannte direkt nach der Edition des Humboldtschen Werkes. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach den unter dem Begriff tatsächlich zu subsumierenden Regionen und den dafür ausschlaggebenden – geographisch-physikalischen oder geopolitischen – Kriterien. Die russische Geographie und mit ihr die deutsche zerfielen darüber in zwei Lager. Das erste plädierte für die Anwendung des Begriffes auf die vom Zarenreich im 19. Jh. eroberten, im Russischen als Mittelasien (›Srednjaja Azija‹) bezeichneten Gebiete und damit für eine geopolitische Definition. Das zweite Lager lehnte dies ab und verstand unter Z. im geographischen Sinne nur die heutige Mongolei, Westchina und Tibet. (Der Begriff Mittelasien bot in dieser Frage im eigentlichen Sinne keine Lösung, da er letztendlich das Problem der Mitte bzw. des Zentrums ebenso aufwarf.) 1871 schon monierte der Iranist Friedrich von Spiegel (1820–1905), den schwankenden Gebrauch des Begriffes Z. Ein Jahr später bemerkte der bekannte Mittelasienreisende Ármin Vámbéry (1832–1913) dessen „Unbestimmt- und Unbegrenztheit“.

Der deutsche Geograph und Asienforscher Ferdinand von Richthofen (1833–1905) bescheinigte dem Terminus 1877 in seinem Werk ›China‹ einen „durchaus künstlichen“ Charakter, der trotz der Autorität von Humboldts nach ihm inhaltlich zerfloss, die willkürlichsten Gestaltungen annahm und „vielfache Wanderungen auf der Karte von Asien machte“. Einen allzu weit westwärts gerücktes Verständnis von Z., das überdies politische, nämlich seiner Ansicht nach gegen Europa gerichtete Dimensionen erhielt, missbilligte er und plädierte für eine naturräumliche Definition. Nach dieser meine Z. das Gebiet „von Tibet im Süden zum Altai im Norden, und von der Wasserscheide am Pamir im Westen zu derjenigen der Riesenströme von China und dem Gebirge Khingan im Osten“ (Richthofen 1877: 6). Die Abflusslosigkeit dieser Region gilt bis heute als ihr wichtigstes Merkmal.

Friedrich von Hellwald (1842–92) sprach in seinem Buch ›Centralasien‹ (1880) dann von einem Z. im engeren – und meinte damit jene Landschaften, die damals unter dem Namen Turkestan bekannt waren – und weiteren Sinne. Dabei berücksichtigte er weniger die geographischen, sondern vielmehr kulturhistorische und zivilisatorische Merkmale als Unterscheidungsgrundlage. Demnach seien der Altai, die kasachische Steppe, das Siebenstromland und die Dsungarei, Tienschan, Xinjiang, angrenzende Landschaften bis Indien, die Landschaften am oberen Amudarja, Turkmenistan und die damaligen Steppenkhanate, das russische Turkestan und endlich Afghanistan – Landschaften, die in engen Beziehungen zueinander stünden – als Z. aufzufassen.

Der deutsche Geograph Wilhelm Sievers (1860–1921) wies in seinem Werk Asien (1892) darauf hin, dass die russische Geographie unter Z. „nur das turanisch-kaspische Tiefland“ verstehe und dadurch ein nicht gerechtfertigter Gegensatz zu Tibet und der Mongolei suggeriert werde. Die eingangs geschilderten Positionen werden von deutschen und russischen Geographen bis heute vertreten. Keine von beiden konnte sich aufgrund der Uneinigkeit darüber, welches Zentrum – das geographische oder das geopolitisch-kulturelle – bezeichnet werden soll, letztendlich durchsetzen. In der deutschen Geographie gibt es damals wie heute zwei inhaltlich verschiedene Begriffe von Z. Der eine umfasst aus geographischer Perspektive China, Tibet und die Mongolei, der andere – kulturhistorisch begründete – das Gebiet Mittelasiens. Damit existieren zwei Konzeptionen von Z.: eine, die geographisch Mittelasien meint, weil sie geopolitisch-kulturhistorisch dort das Zentrum Asiens bzw. des Islams sieht, eine andere, die das im geographischen Sinne eigentliche Z. umfasst, in dem sich tatsächlich auch das geographische Zentrum Asiens befindet. Dieses wurde durch russische Geographen bereits Ende des 19. Jh. ermittelt, etwa 25 km von Kyzyl entfernt liegend, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tuwinien, heute durch einen Obelisken im Stadtzentrum markiert.

Humboldt A. v. 1844: Central-Asien: Untersuchungen über die Gebirgsketten und die vergleichende Klimatologie. 2 Bde. Berlin. Richthofen F. v. 1877–1912: China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien. 5 Bde. u. Atlas. Berlin. Hellwald F. v. 1880: Centralasien. Landschaften und Völker in Kaschgar, Turkestan, Kaschmir und Tibet unter Berücksichtigung der jüngsten Ereignisse in Afghanistan und von Russlands Bestrebungen und Kulturberuf. Leipzig. Sievers W. 1892: Asien. Eine allgemeine Landeskunde. Leipzig.

(Bahodir Sidikov)

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