Wojwodina

Wojwodina (auch: Woiwodina, serb. Vojvodina).

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Lage

Die W. nach heutigem Verständnis ist eine 1945 geschaffene autonome Provinz im Norden Serbiens (21.500 km²), welche jene Landesteile umfasst, die bis 1918 zur österreichisch- ungarischen Monarchie gehörten. Sie gliedert sich in drei Regionen, die jeweils über die Staatsgrenzen Serbiens hinausreichen, und die untereinander durch Flüsse abgrenzt werden: Die (Süd-) Batschka südlich der ungarischen Grenze zwischen Donau und Theiß, das (West-) Banat zwischen Theiß und rumänischer Grenze sowie (Ost-) Sirmien, östlich der kroatischen Grenze zwischen Donau und Save.

Bevölkerung 2002 hatte die W. 2.031.992 Einwohner. Als Resultat der seit dem Spätmittelalter hohen Migration ist die ethnische und konfessionelle Struktur komplex: An der Grenze zu Ungarn sind sechs Gemeinden mehrheitlich von Ungarn bewohnt (in der W. insgesamt 290.207=14, 3 %), darüber hinaus haben einzelne Dörfer kroatische, slowakische rusinische/ukrainische, rumänische und tschechische Bevölkerungsmehrheiten. Bis 1944 wies das Gebiet eine starke deutsche Minderheit (1931 20,2 %, so genannte Donauschwaben) auf, zudem hatten Juden und Protestanten, und bis 1991 auch die „Jugoslawen“ (1991 174.295) , in diesem Gebiet ihre „Hochburgen“. Durch die Ansiedlung von Serben aus den südlichen Landesteilen („Kolonisten“ aus Bosnien u. a.) ist die ethnische Zusammensetzung nach 1918, 1944 und 1991 stark verändert worden.

Städte und Siedlungen

Die Hauptstadt der W. ist Novi Sad, das traditionelle kulturelle Zentrum der serbischen Bevölkerung, die zweitgrößte Stadt, das mehrheitlich katholische Subotica in der Nord- Batschka, stellt dazu einen gewissen Gegenpol dar. Historisch war eine geringe Stadt-Land-Differenzierung charakteristisch: Während die Städte von einem hohen Anteil landwirtschaftlicher Bevölkerung und von einer weitflächigen, eingeschossigen Bauweise geprägt waren, waren die Dörfer, gemessen an anderen Teilen Jugoslawiens, oft groß. Typischweise handelt es sich um im 18. Jh. angelegte Plansiedlungen mit Schachbrett- Grundriss, relativ entwickelter Infrastruktur und z. T. eigener „Mittelschicht“, darunter heute auch vielen Pendlern.

Wirtschaft

Die W. ist bekannt für ihre guten Böden, die verkehrsgünstige Lage (Donau, Landwege Balkan−Mitteleuropa) sowie für ihren aus der Habsburgerzeit tradierten Entwicklungsvorsprung gegenüber Serbien (Infrastruktur, Bildung, Mehrsprachigkeit, bis hin zu Gender-Aspekten). Beim Anbau von Mais, Weizen und Industriepflanzen, auch für den Export auf westeuropäische Märkte, wurden stets hohe Erträge erzielt, so dass die W. innerhalb Serbiens seit 1918 als Netto-Zahler gilt. Andererseits haben die lange einseitige Konzentration auf die Landwirtschaft, das Abfließen von Kapital in die Metropolen, nationalstaatliche Grenzziehungen, die Verluste an menschlichen Ressourcen und die Peripherisierung innerhalb Jugoslawiens auch zu Entwicklungsdefiziten bei Industrialisierung und Urbanisierung geführt. So war z. B. die Bevölkerungsdichte in der Region – einst die landesweit höchste – durch Abwanderung der jungen Generation bis 1991 unter den jugoslawischen Durchschnitt gefallen. Durch die Entwicklung seit 1991 hat die Region jedoch erneut eine starke Zuwanderung erlebt, und ist im kleineren Staat umso mehr in der Rolle eines nördlichen Wohlstandsgürtels.

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2 Kulturgeschichte

Die W. hat nur zum Teil eine gemeinsame Geschichte, da die Donau bis 1918 eine natürliche und politische Grenze darstellte: Batschka und Banat nördlich des Stroms gehörten als Komitate Bács-Bodrog bzw. Torontál, praktisch seit der Zeit der ungarischen Landnahme im 10. Jh., zum Königreich Ungarn – unterbrochen von der osmanischen Zeit (ca. 1526-1718/Frieden von Passarowitz). Sirmien hingegen war seit dem Ende des 17. Jh. die östlichste Gespanschaft (županija) im Königreich Kroatien-Slawonien. Beide Königreiche waren seit der ›pacta conventa‹ von 1102−1918 dynastisch miteinander verbunden, seit 1526 unter der Krone der Habsburger.

Die Einwanderung der Serben in die Region ist das Resultat jahrhundertelanger „balkanischer Wanderungen“. Dieses Wanderungsgeschehen vom Spätmittelalter bis zum Beginn des 18. Jh. war in politischer Hinsicht sowohl ausgelöst als auch gefördert worden durch das Vordringen der Osmanen nach Südosteuropa, die Ursachen allerdings waren insbesondere sozioökonomischer Art (Transhumanz-Problem). Umstritten ist inwieweit bereits von den im 14. Jh. auf ungarisches Gebiet übergetretenen serbischen Fürsten (Despoten, wie z. B. Durad Branković, 1427−56) ein „serbisches Herzogtum“ (Vojvodina) begründet wurde. Schwerpunkte der serbischen Einwanderung waren der Südbanat und vor allem Sirmien, wo im Gebirge Fruška Gora bereits damals wichtige Klosteranlagen der serbisch-orthodoxen Kirche entstanden, z.B. Ravancia.

Dagegen verließ nach der osmanischen Eroberung ein großer Teil der autochthonen Bevölkerung die Region. Die heutige Bevölkerungsstruktur ist im Wesentlichen ein Resultat der Bevölkerungspolitik des habsburgischen Absolutismus. Dieser versuchte einerseits die serbischen sowie kroatischen (Šokci bzw. Bunjevci Zuwanderer und Flüchtlinge im Land zu halten und war andererseits bestrebt Siedler aus allen Teilen der Monarchie sowie Deutschland (Schwaben) ins Land zu holen. Mit dieser Kolonisation waren Privilegien und erhebliche Investitionen in die Infrastruktur verbunden. An der Grenze zum osmanischen Reich wurde auch in der W. die Militärgrenze (Vojna krajina) eingerichtet, welche der dortigen, oft serbischen Bevölkerung eine gewisse Selbstverwaltung ermöglichte.

Die verschiedenen serbischen Einwanderungswellen in die W. wurden im serbischen Geschichtsbild „verdichtet“ zur Erzählung von der „Großen Wanderung“ (vgl. das Gemälde von Paja Jovanović [1859–1957]) unter Führung des Patriarchen Arsenije III. Crnojević 1690, vorgestellt als „ Flucht vor den Türken“. In Diplomen billigte der katholische Kaiser Leopold I. den Orthodoxen in Ungarn dieselben Rechten wie im ›millet‹-System der Osmanen zu und anerkannte Arsenije als Kirchenoberhaupt. Damit war der Grundstein gelegt für ein Erzbistum in Karlovci (Eparhija sremska), und eine „nationalkirchliche” Autonomie, welche im Europa des „konfessionellen Zeitalters“ ein echtes Privileg darstellte, und später auch ein eigenes Schulwesen einschloss. Die W. und besonders die Klöster der Region Fruška gora wurden so zum Refugium serbisch-orthodoxer Tradition. Doch zugleich − und manchmal wie beim Aufklärer Dositej Obradović (um 1742−1811) in Opposition dazu −, bildete sich auf dem anderen Donauufer, in den königlichen Freistädten Novi Sad und Sombor im 18. Jh. auch ein serbisches Bürgertum heraus. Dieses war durch den Vieh- und Getreidehandel an der Schnittstelle der Imperien reich und selbstbewusst geworden, von hier wurden die Impulse europäischer Geistesentwicklung wie Barock, Aufklärung und Romantik in den serbisch-orthodoxen Kontext buchstäblich „übersetzt“. In der W. entstanden die ersten serbischen Druckereien, Gymnasien, Theater und Zeitschriften, von hier stammte ein nicht geringer Teil jener Elite, die im 19. Jh. das Königreich Serbien aufbaute.

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Das Selbstbewusstsein der serbischen Bourgeoisie, das sich zunehmend in der Forderung nach politischer Autonomie artikulierte, trat früh in ein Spannungsverhältnis mit den Bestrebungen des Adels nach Rekonstruktion des ungarischen Feudalsystems und nach Aufhebung der Militärgrenze. Beim Versuch der ungarischen Revolution von 1848 einen Nationalstaat zu schaffen entlud sich dieser Gegensatz, die W. wurde zum Schlachtfeld. Zum Dank für ihre Unterstützung gewährte Wien den W.-Serben anschließend ein „autonomes“ Fürstentum, welches jedoch 1859 wieder aufgelöst wurde. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 wurde das Königreich Ungarn, einschließlich der W. in Richtung auf einen ungarischen Nationalstaat umgebaut. Die Jahre vor 1914 waren von der Kapitalisierung der Landwirtschaft und dem Ausbau von Industrie und Infrastruktur geprägt und ermöglichten der Region, trotz konjunktureller Schwankungen, v. a. seit der Jahrhundertwende einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Da ein Teil der serbischen Nationalliberalen wie Svetozar Miletić (1826−1901) das Bündnis mit den ungarischen Eliten suchte, traten die nationalen Spannungen etwas zurück. Erst jetzt verlor Novi Sad seine Rolle als serbisches Zentrum zugunsten Belgrads.

1918/20 fiel die W. an das neu gegründete „Königeich der Serben, Kroaten und Slowenen“, seit 1929 an Jugoslawien. Die Zwischenkriegszeit war bestimmt von der „Agrarreform“ (Enteignung der meist ungarischen Großgrundbesitzer, Ansiedlung serbischer „Kolonisten“), ökonomischen Folgen der Grenzziehungen, ungarischem Revisionismus, Minderheitenproblemen und hohen Steuerzahlungen zum Ausgleich für die Entwicklungsdefizite in den südlichen Landesteilen. Seit Mitte der zwanziger Jahre formierte sich dagegen eine nationalitätenübergreifende regionalistische „W.-Bewegung“. In den dreißiger Jahren wandten sich große Teile der deutschen Bevölkerung dem Nationalsozialismus zu. 1941 wurde die W. besetzt: Sirmien kam an den „Unabhängigen Staat Kroatien“ und wurde Schauplatz zahlreicher Massaker und des Partisanenkrieges, die Batschka kam wieder zu Ungarn, wo bei der „Razzia“ im Januar 1942 Tausende von Serben und Juden u. a. in Novi Sad ermordet wurden. Das Banat verblieb beim besetzten Serbien, mit einer gewissen Sonderstellung, von der die „Volksdeutschen“ profitierten. Die Juden des Banats wurden 1941/42 ermordet, nach der deutschen Besetzung Ungarns 1944 auch diejenigen der Batschka. Nach einer kurzen sowjetischen Besatzung 1944 bildeten die jugoslawischen Kommunisten aus Batschka, Banat und Sirmien eine „Autonome Provinz“ im Rahmen Serbiens. Die deutsche Bevölkerung wurde vertrieben, auch an den Ungran kam es zu zahlreichen „Racheakten“. Wiederum wurden Kolonisten angesiedelt.

In der Nachkriegszeit wurde in der autonomen W. ein "multinationales" Bildugns- und Kulturleben aufgebaut. Mit der Verfassung von 1974 wurde die Provinz bereits annähernd in den Status einer Teilrepublik erhoben. Doch im Zuge der Machtergreifung der Milošević-Bewegung in der Provinz 1988 (als „antibürokratische Revolution“ inszeniert), verlor die W. die meisten Selbstverwaltungskompetenzen. 1991/95 wurde der größte Teil der kroatischen Minderheit aus Sirmien vertrieben. Viele Menschen flohen in den 1990er Jahren aus der Provinz, v. a. nach Ungarn. Andererseits gelang der Aufbau einer ungarischen Partei, die vor allem in den Gemeinden im Norden der W. regiert. Zum Teil in Verbindung mit der Anti-Kriegs-Bewegung meldete sich auch dger Regionalismus wieder zu Wort. Seit der Wende 2000 wird die W. von einer Koalition aus Regionalisten, Ungarn und Demokarten regiert, ein Teil der Autonomie wurde wiederhergestellt.

Boarov D. 2001: Politička istorija Vojvodine. Novi Sad. Janjetović Z. 2000: Between Hitler and Tito. The disappearance of the Vojvodina Germans. Belgrad. Kerenji E. 2005: Vojvodina since 1988, Ramet S.P., Pavlakovic V.: Serbia since 1989. Politics and Society under Milosevic and After, 350-380. Sajti E. 2003: Hungarians in the Vojvodina 1918−1947. New York.

(Carl Bethke)

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