Sirmien

Sirmien (hist., auch: Syrmien, kroat. Srijem, serb. Srem, ungar. hist. Szerémség).

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Lage

Unter S. versteht man einerseits eine heute teils zu Serbien (4361km²), teils zu Kroatien (2506 km²)gehördene historische Region auf dem Gebiet des bis 1918/22 existierenden Komitats (›županija‹) S. mit der Hauptstadt Vukovar. Heute ist S. eine geographische Bezeichnung für den zwischen Donau und Save gelegenen Landstrich, dessen Grenzen nach Westen bzw. Slawonien hin allerdings naturräumlich kaum bestimmbar sind. 1991/95 war der syrmisch-slawonische Grenzraum heftig umkämpft, aus politischen Gründen nehmen viele Kroaten, besonders seit dem Krieg 1991/98, den Westteil des historischen S. um Vukovar und Vinkovci eher als Teil von „Ostslawonien“ wahr.

Raum

S. besteht einerseits aus fruchtbaren Ebenen und anderseits aus dem Gebirgszug Fruška gora, besonders an der Save gibt es darüber hinaus auch Au- und Bruchwaldzonen (z. B. im Bosut-Gebiet). Die Ebenen werden zum Anbau von Getreide, besonders aber auch für Mais und Sonnenblumen genutzt, ansonsten sind wirtschaftlich die Nahrungsmittelindustrie, das Betonwerk Beočin oder auch das ehemalige Bergwerk Vrdik zu erwähnen. Kleinere Ölvorkommen sind vorhanden. Europäische Bedeutung hat S. v. a. als Durchgangsraum für den Fernverkehr (München-Istanbul), außerdem spielt der Binnenschiffsverkehr auf Donau und Save eine Rolle. Nach Norden bzw. Pannonien hin bildet die Donau eine natürliche Barriere (z. T. Steilufer), die früher oft auch politisch Bedeutung hatte, Novi Sad-Petrovaradin bzw. Belgrad verfügten dabei bis in die 1960er Jahre über die einzigen Brücken. Heute ist der Ostteil S.s in die Suburbansierungsprozesse Belgrads einbezogen („Plattenbauten“ in Novi Beograd, Flughafen Surčin). Dadurch hat er viel von seinen regionalen Charakteristika engebüßt und gilt z. T. als sozialer Brennpunkt (vgl. Zemun-Clan), sowohl Slobodan Milošević als auch Vojislav Šešelj hatten in Novi Beograd und Zemun viele Anhänger.

Bevölkerung

Die Bevölkerung S.s ist im Westen mehrheitlich kroatisch und im Osten mehrheitlich serbisch, die Grenzziehungen von 1945 und 1991 entsprechen in etwa dieser ethnographischen Linie. Die bis zum Zweiten Weltkrieg in beiden Teilen ansässige deutsche Minderheit (z. B. in Ruma) war teils im 18. Jh. aus Deutschland und teils im 19. Jh. aus Ungarn eingewandert, zusammen mit Magyaren, Juden, Slowaken und Ukrainern. Auch die Kroaten in Osts. (in Slankamen, Hrtkovci usw.) waren erst im 18. Jh. aus Dalmatien, Herzegowina u. a. zugezogen. Eine Besonderheit waren die sog. „Klementiner“, also katholische Albaner des Klemendi-Clans, die damals auf habsburgisches Gebiet übertraten und unter dem Einfluss der Kirche im 19. und 20. Jh. meist kroatisiert wurden. Ab 1991 wurde ein großer Teil der Kroaten Osts.s vertrieben (Hrtkovci) oder flüchtete, im „Fall Šešelj“ wird darüber vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien verhandelt. Umgekehrt haben sich viele serbische Zuwanderer und Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien in Osts. niedergelassen, das somit heute ein ethnisch homogeneres Bild bietet als die nördlich gelegene Teile der Wojwodina. In Wests. dagegen konnten die „ethnischen Säuberungen“ durch den Prozess der „Friedlichen Reintegration“ zwar rückgängig gemacht werden, doch hat in den letzten Jahren eine starke Abwanderung von Serben stattgefunden.

Städte

Die historische Hauptstadt der Region ist die an der Donau gelegene Barockstadt Vukovar, bekannt durch das Schloss der Grafen von Eltz. In den 1920er und 1930er Jahren entstand am Rande der Stadt die modern konzipierte, nach 1945 ausgebaute Arbeitersiedlung der Bata-Schuhfabrik Borovo selo. Von hier nahm der Krieg in Kroatien 1991 seinen Ausgang, Vukovar ist dabei so schwer zerstört worden wie keine andere Stadt im ehemaligen Jugoslawien. In Wests. spielt ansonsten noch Vinkovci als Eisenbahnknotenpunkt bzw. Güterbahnhof eine Rolle. In Osts. kann Sremska Mitrovica als infrastrukturelles Zentrum gelten. Ganz im Osten liegt gegenüber von Belgrad das inzwischen eingemeindete Zemun mit barockem Stadtkern. Sremski Karlovci hat als einstiger Sitz der serbisch-orthodoxen Kirche für die Serben ebenso besondere kulturgeschichtliche Bedeutung wie die Fruška gora-Klöster (Nationalpark). Ein eindrucksvolles Ensemble stellt auch die Festung Petrovaradin gegenüber von Novi Sad dar.

Anfang

2 Kulturgeschichte

Bereits in römischer Zeit war die Region sowohl politisch als auch wirtschaftlich von Bedeutung, der Name S. stammt von der römischen Stadt Sirmium (Sremska Mitrovica). Nach der Völkerwanderungszeit geriet Osts. im Frühmittelalter unter byzantinischen und bulgarischen Einfluss. Zwar gehörte S. seit 1071 zu Ungarn (vgl. Ortsnamen Vukovar, Erdut), doch ließen sich bereits zur Zeit der osmanischen Expansion im Spätmittelalter in Osts. verstärkt Serben nieder. Schon aus dieser Zeit stammen die wichtigsten orthodoxen Klöster in der Fruška Gora, so etwa Hopovo, Krušedol und Ravanica. Unter der osmanischen Herrschaft nahm die serbische Einwanderung nach Osts. im 16. und 17. Jh. noch zu, ihren lediglich symbolischen Höhepunkt errichte sie mit der „Großen Wanderung“ (serb. Velika seoba) des Patriarchen Arsenije III. Crnojević 1690. In den Türkenkriegen war die Region jahrelang ein Hauptkriegsschauplatz, worunter diese wirtschaftlich, ökologisch (Versteppung) und sozial noch lange zu leiden hatte. Seit dem Frieden von Karlowitz 1699 gehörte S., seit dem Frieden von Passarowitz einschliesslich Osts., dann als eigenes Komitat im Rahmen des Habsburgerreiches zum Königreich Kroatien-Slawonien. Während die muslimische Bevölkerung das Land verließ bzw. verlassen musste, genoss die orthodoxe Kirche mit Zentrum in Sremski Karlovci fortan Religionsfreiheit und über das Bildungswesen zudem eine Art kulturelle Autonomie. Im letzten Drittel des 19. Jh. entstanden in S. verschiedene Industrien, auch Ansätze der Arbeiterbewegung entwickelten sich.

Im neuen südslawischen Staat ab 1918 bildete S. nach der Auflösung der Komitate 1922 zunächst noch eine eigene Verwaltungseinheit, verschwand dann aber mit der Schaffung der Banschaften 1929 von der politischen Landkarte. 1931 wurde S. erstmals in einen kleineren, auf Zagreb orientierten, westlichen Teil (zur Savebanschaft, ab 1939 autonome Banschaft Kroatien), und einen größeren – auf Novi Sad und Belgrad ausgerichteten – serbischen Ostteil (Donaubanschaft) getrennt. Im Zweiten Weltkrieg gehörte ganz S. unter der Bezeichnung „Großgespanschaft Vuka“ (der Name S. wurde aus politischen Gründen vermieden) zum unabhängigen kroatischen Staat. Osts. entwickelte sich zu einem Zentrum des jugoslawischen Partisanenkrieges, es kam zu schweren Massakern an Serben In Sajmište bei Belgrad befand sich ein deutsches Massenvernichtungslager, in dem bereits im Frühjahr 1942 die serbischen Juden mit LKW vergast worden waren. 1945 wurde an der sog. Srem-Front östlich Vukovar wochenlang heftig gekämpft. Nach dem Krieg wurde durch die sog. Ðilas-Komission die heute völkerrechtlich gültige Grenze zwischen Kroatien und Serbien festgelegt, welche im Wesentlichen dem ethnographischen Prinzip folgt. Nach den ersten freien Wahlen in Kroatien 1990 und der Unabhängigkeitserklärung 1991 entwickelte sich Wests. zu einem schwer umkämpften Kriegsschauplatz, besonders die Massaker und die Zerstörungen nach der Einnahme von Vukovar im Herbst 1991 haben große internationale Aufmerksamkeit gefunden. Teile Wests.s blieben dennoch noch jahrelang von Serbien besetzt, erst 1998 kehrte es im Rahmen der „Friedlichen Reintegration“ unter UN-Aufsicht zurück unter kroatische Souveränität.In der Vukovarisch-syrmischen „Gespanschaft Vukovar-S.“ lebt heute noch der alte Namen S. weiter.

(Carl Bethke)

Anfang
Views
bmu:kk