Jugoslawien
Jugoslawien (serbokroat. Jugoslavija)
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1 Königreich Jugoslawien
Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie bildeten 1918 Slowenen, Kroaten, Serbien, Bosnier und Montenegriner das „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ (Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca). Erster König war Petar I. Karajordjević. Der Führungsanspruch der Serben wurde in der Verfassung des Jahres 1921 festgeschrieben.
Von Beginn an prägten Zwistigkeiten zwischen Serben und Kroaten den neuen Staat, die in einem Schussattentat auf den Vorsitzenden der „Kroatischen Bauernpartei“ (Hrvatska Seljačka Stranka, HSS), Stjepan Radić, im Belgrader Parlament am 20.6.1928 gipfelten. Radić, der am 8. 8. an den Folgen des Attentats verstarb, hatte sich gegen die serbische Übermacht und für kroatische Autonomie ausgesprochen. Am 6.1.1929 versuchte der seit 1921 regierende König Aleksandar I. die offene Staatskrise zu beenden, indem er das Parlament auflöste und mit Hilfe des Militärs eine Königsdiktatur errichtete. Am 3.10.1929 erfolgte die Umbenennung des Königreiches in „Königreich Jugoslawien“ (Kraljevina Jugoslavija). Am 3.9.1931 erklärte der König die Diktatur für aufgehoben, es folgte die Einrichtung eines Zweikammernparlamentes und die Abhaltung von öffentlichen Parlamentswahlen mit Einheitslisten der Regierung. Das Königreich J. stand von Beginn an weiterhin unter serbischer Vorherrschaft, was durch die autoritäre Verfassung vom 3.9. 1931 zementiert wurde. Nach der Ermordung von Aleksandar I. 1934 in Marseille durch kroatische und makedonische Extremisten wurde der erst elfjährige Petar II. Karajordjević zum jugoslawischen König ernannt.
1939 unterzeichneten der jugoslawische Ministerpräsident Dragiša Cvetković und der Nachfolger von Radić an der Spitze der „Kroatischen Bauernpartei, Vlado Maček die so genannte „Übereinkunft“ (sporazum). Dieses Abkommen, das eine autonome „Provinz Kroatien“ (Banovina hrvatska) vorsah, sollte den anhaltenden serbisch-kroatischen Gegensatz überwinden helfen.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war J. neutral, am 25.3.1941 trat es jedoch dem Dreimächtepakt bei. In Belgrad kam es daraufhin zu Großdemonstrationen gegen das Bündnis mit Hitler. Nur zwei Tage später wurden Ministerpräsident Cvetković und Prinzregent Pavle von hochrangigen Offizieren der Armee mit Unterstützung von König Petar II. gestürzt. General Dušan Simović wurde zum Premierminister ernannt; die neue Regierung blieb formell neutral, lehnte sich in der Praxis aber eng an die Westalliierten an. Am 6.4.1941 marschierten deutsche und italienische Truppen in J. ein. Am 17.4.1941 folgte die jugoslawische Kapitulation. Auf kroatischem Territorium wurde der von dem Wohlwollen von Adolf Hitler und Benito Mussolini abhängige „Unabhängige Staat Kroatien“ (Nezavisna Država Hrvatska) unter der Herrschaft von Ante Pavelić ausgerufen, Serbien der deutschen Militärverwaltung unterstellt und der Rest J.s unter Deutschland, Italien, Ungarn und Bulgarien aufgeteilt. Der ins Exil geflohene König Petar II. bildete in London eine Exilregierung. 1943 besetzten deutsche Truppen auch die vormals italienische Besatzungszone.
Anfang Juli 1941 beschloss die „Kommunistische Partei J.s“ (Kommunistična partija Jugoslavije), gegen die Besatzungsmächte zu kämpfen. Unter der Führung von Tito entstand eine von der Sowjetunion und Großbritannien unterstützte Partisanenarmee, die sich schon bald an die Spitze des Widerstandes setzte. Am 29. November 1943 berief Tito im bosnischen Jajce den ein Jahr zuvor gegründeten „Antifaschistischen Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens“ (Antifašistićko Veće Narodnog Oslobođenja Jugoslavije, AVNOJ) ein und bildete ein regierungsähnliches „Volksbefreiungskomitee“. Am 12.9.1944 verzichtete König Petar II. auf eine Rückkehr nach J. und übertrug die Führung des Widerstandes offiziell auf Tito.
Am 20.10.1944 marschierten Truppen der Partisanen und der sowjetischen Roten Armee in Belgrad ein.
2 Volksrepublik Jugoslawien
Mit Einwilligung der Alliierten bildete Tito am 7.3.1945 eine provisorische Regierung für J. Am 11.11.1945 fanden Wahlen statt, die Titos Kommunisten mit rund 90 % der Stimmen gewannen. Seit dem 29.11.1945 fungierte Tito als Ministerpräsident. Am selben Tag rief er die „Föderative Volksrepublik J.“ (Federativna Narodna Republika Jugoslavija, FNRJ) aus. Am 30.1.1946 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die sechs Republiken, Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Makedonien und Montenegro und zudem zwei autonome Provinzen innerhalb Serbiens, die Vojvodina und den Kosovo, vorsah. In der Folge kam es zur Umgestaltung nach sozialistischen Grundsätzen, zur Verstaatlichung von Industrie, Handel und Banken sowie zur Einrichtung einer Einheitspartei.
Ab Anfang 1948 widersetzte sich J. zunehmend der Bevormundung durch die Sowjetunion, ein Jahr später kam es zum Bruch zwischen beiden Staaten und die jugoslawischen Kommunisten wurden aus dem Kommunistischen Informationsbüro (Kominform) ausgeschlossen. Von nun an führte J. einen unabhängigen außenpolitischen Kurs und profilierte sich rasch an der Spitze der neutralen und Blockfreien Staaten.
1950 wurde in J. die sog. „Arbeiterselbstverwaltung“ eingeführt und die Kollektivierung der Landwirtschaft gestoppt. 1953 übernahm Tito neben dem Amt des Ministerpräsidenten auch das des Staatspräsidenten. 1954 wurde der langjährige Konflikt mit Italien um Triest beigelegt, ein Jahr später folgte die Aussöhnung mit der Sowjetunion: der sowjetische Parteichef Nikita S. Chruschtschow besuchte Jugoslawien und erkannte dessen „eigenen Weg zum Sozialismus“ an. Allerdings verschlechterten sich die Beziehungen bereits 1956 wegen der Kritik an der sowjetischen Intervention in Ungarn wieder. Am 7.4.1963 erfolgte die Umbenennung der Volksrepublik in „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“ (Socialistička Federativna Republika Jugoslavija, SFRJ). Eine Verfassungsänderung machte 1963 Tito zum jugoslawischen Präsidenten auf Lebenszeit. 1971 wurde durch eine weitere Verfassungsänderung die Selbstverwaltung der jugoslawischen Republiken und Provinzen eingeführt. 1974 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die den Teilrepubliken größere Selbstständigkeit gewährte und auch die beiden autonomen Provinzen stärker in die Verwaltung des Gesamtstaates einbezog.
Am 4.5.1980 starb Tito im Alter von 88 Jahren. Daraufhin übernahm ein kollektives Staatspräsidium mit jährlich wechselndem Vorsitz die Führung in Belgrad. Ab Anfang der 80er- Jahre verschlechterte sich die Wirtschaftslage in J. rapide und der Rückgang des Lebensstandards führte zu einer weiteren Verschärfung der Nationalitätenkonflikte. So kam es im Jahr 1981 in der serbischen Provinz Kosovo zu schweren Unruhen. 1987 verschärfte sich unter dem Vorsitz des Serben Slobodan Milošević die Lage, ein Jahr später wurde nach erneuten Unruhen die Autonomie im Kosovo eingeschränkt. 1990 verzichtete die „Serbische Kommunistische Partei“ auf ihr Machtmonopol. Am 25.6.1991 erklärten die Teilrepubliken Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit, am 18.9.1991 folgte Makedonien, am 3.3.1992 Bosnien-Herzegowina. Am 27.4.1992 schlossen sich die verbleibenden Teilrepubliken Serbien und Montenegro zur Bundesrepublik J. (Savezna Republika Jugoslavija) zusammen, die bis Februar 2003 Bestand hatte.
Elvert J. (Hg.) 1997: Der Balkan. Eine europäische Krisenregion. Wiesbaden. Melčić D. (Hg.) 1999: Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zur Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. Opladen. Moennesland S. 1997: Land ohne Wiederkehr. Ex-Jugoslawien: Die Wurzeln des Krieges. Klagenfurt.