Galizien (Region)

Galizien (poln. Galicja, russ. Galicija, ukrain. Halyčyna)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Österreich wurde bei der Ersten Teilung Polens 1772 das Gebiet des ehemaligen Kleinpolen zugesprochen, das den Namen Königreich Galizien und Lodomerien erhielt. Dieser Teil Polens, der verschiedene Gebietsveränderungen in der Zweiten (1793) und Dritten Teilung Polens (1795) erfuhr, gehörte bis 1918 zur Habsburgermonarchie. Hauptstadt war Lemberg.

Im Westen grenzte das etwa 82.000 km² umfassende G. entlang des Flusses Przemsza an das preußische Schlesien und im Norden entlang der Weichsel und im Nordosten an das Königreich Polen bzw. Russland, Wolynien und Podolien, im Süden an die Beskiden und Waldkarpaten und im Südosten an die Bukowina. G. ist in folgende landschaftliche Gebiete von Westen nach Osten gehend geteilt: das Krakauer Gebiet mit Kohle- und Erzvorkommen, an das sich die westgalizische Tiefebene, das Bug- und Styrgebiet, Podolien und die ostgalizische Grabensenke anschließen. Das Karpatengebirge im Süden zieht sich in einem fast 500 km langen Bogen von der schlesisch-ungarischen Grenze bis zum Fluss Čeremoš, der die Grenze G.s zur Bukowina bildet. Zu G. zählt ebenso der nördliche Teil der Tatra, der jedoch nur ca. 50 km Breite misst.

Zu den bedeutendsten Flüssen G.s zählen die Weichsel, die in die Ostsee fließt, und Dnjestr und Dnjepr, die in das Schwarze Meer fließen. Zuflüsse der Weichsel sind San, Wisłok und Dunajec, Zuflüsse des Dnjepr sind Siret und Zbruč.

In G. herrschen westeuropäische klimatische Verhältnisse vor; das Klima ist milder als im benachbarten Ungarn. Nur Podolien hat ein ähnlich kontinentales Klima wie Ungarn.

G. ist ein Getreide- und Weideland. Über das Land verstreut sind Mischwälder mit Buchen, Kiefern, Fichten, Eichen und zum Teil Edeltannen, größere zusammenhängende Wälder sind in den Karpaten zu finden. An Bodenschätzen gab es um 1900 enorme Mengen an Erdöl um Boryslav in Ost-G., das die Petroleumindustrie Österreich-Ungarns versorgte und deren verarbeiteten Produkte auch exportiert wurden. Zu den weiteren Bodenschätzen zählen die Salzvorkommen in Wieliczka und Bochnia in der Nähe von Krakau. Eine wirtschaftliche Bedeutung haben auch die zahlreichen Mineralquellen sowie einige Schwefelquellen im Karpatengebirge.

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Bevölkerung

G. zählte 1776 2.628.483 Einwohner, 1810 3.301.156 und 1848 5.181.799 Einwohner und verdoppelte demgemäß innerhalb von sieben Jahrzehnten seine Einwohnerzahl. Das neuerworbene Gebiet unterschied sich ethnisch und konfessionell sehr stark. Die ethnische Grenze zwischen West- und Ost-G. verlief entlang der Flüsse San und Wisłok. In West-G. stellten die katholischen Polen die Mehrheit dar, griechisch-katholische Ruthenen, wie damals die Ukrainer genannt wurden, bildeten dagegen in Ost-G. die Bevölkerungsmehrheit, die zu über 90 % als Bauern auf dem Lande lebte. Eine größere Anzahl der Ruthenen in West-G. lebte in Przemyśl und Umgebung sowie entlang des Flusses San. Darüber hinaus lebten noch Armenier in G. In Lemberg residierten drei Erzbischöfe: ein römisch-katholischer, ein griechisch-katholischer und ein armenisch-katholischer Erzbischof. Juden wohnten vornehmlich in den Städten in abgesonderten Stadtteilen. Bis 1785 bestand eine jüdische Selbstverwaltung mit einem Oberlandesrabbiner an der Spitze.

Seit 1772 kamen Beamte, Lehrer, Professoren sowie Handwerker, Kaufleute und Unternehmer nach G., die aus den deutschsprachigen Ländern der Habsburgermonarchie, den deutschen Ländern, aus Schlesien, Preußen oder dem Ermland stammten. Darüber hinaus kamen zwischen 1782 und 1803 rund 15.000 protestantische und katholische Einwanderer, meist Bauern oder Handwerker, aus dem heutigen Südwesten Deutschlands, insbesondere aus der Pfalz (65 %), sowie aus anderen Herkunftsgebieten nach G. Unter den Einwanderern befanden sich auch 28 mennonitische Familien. Nach dem Tode Josephs II. 1790 fanden die Ansiedlungen zunächst ein Ende und erst unter Kaiser Franz I. kamen noch rund 1200 Familien nach G., die jedoch schon nicht mehr so günstige Ansiedlungsbedingungen vorfanden. Größere deutsche Ansiedlungen bzw. Kolonien befanden sich in Ost-G. in der Nähe größerer Städte.

Die Ruthenen hatten bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. den größten Anteil an der Gesamtbevölkerung G. In manchen Kreisen Ost-G.s lag der Anteil der Ruthenen an der Gesamtbevölkerung der Kreise sogar manchmal bei bis zu 70 %. Gemäß der Volkszählung 1857 lebten in Galizien insgesamt 4.597.470 Einwohner, davon waren 114.293 Deutsche, 1.981.076 Polen, 2.085.431 Ruthenen, 448.973 Juden, 2463 Armenier und andere Nationalitäten. Von den 4.597.470 Einwohnern gehörten 2.072.633 dem römisch-katholischen, 2.077.112 dem griechisch-katholischen und 2309 dem armenischen Glauben an; 153 Personen gaben als Religion griechisch-nichtuniert und 98 Personen armenisch-nichtuniert an. Zum evangelischen Glauben Augsburger Konfession bekannten sich 29.960 und zum evangelischen Glauben Helvetischer Konfession bekannten sich 4140 Personen, zum jüdischen Glauben insgesamt 448.973 Personen.

Die seit 1880 regelmäßig alle zehn Jahre durchgeführten Volkszählungen berücksichtigten jedoch nur mehr die Umgangssprachen, so dass die Zahlenangaben nicht den tatsächlichen Zahlen der Nationalitäten entsprachen. Daher gibt es auch keine genauen Zahlenangaben zur jüdischen Bevölkerung, da Jiddisch nicht als Sprache anerkannt wurde und die Juden die von ihnen verwendete Umgangssprache angeben sollten. Gemäß diesen (durchaus zweifelhaften) Statistiken hat sich der Anteil der Ruthenen an der Bevölkerung seit 1880 verringert. Das Bevölkerungsverhältnis verhielt sich gemäß der Umgangssprache im Jahre 1880 folgendermaßen: Polnisch 51,50 %, Ruthenisch 42,94 %, Deutsch 5,46 % und im Jahre 1910: Polnisch 58,55 %, Ruthenisch 40,20 % und Deutsch 1,13 %.

Die zunehmende Bevölkerungszahl und die gleichzeitig fehlenden Erwerbsmöglichkeiten für die Bevölkerung führte zu einer bedeutenden Auswanderungswelle zwischen 1890 und 1900 bei allen Nationalitätengruppen. In der Hauptstadt Lemberg lebten 1773 22.545, 1850 69.651 und 1869 87.109 Einwohner. 1900 zählte man knapp 160.000 Einwohner, darunter 51,6 % Polen, 27,8 % Juden, 18,3 % Ruthenen und 2,3 % Deutsche.

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Verwaltung

Mit der Einführung der österreichischen Verwaltung fand eine neue Verwaltungsgliederung in zuerst 59 Bezirke, dann 1777 in 19 Kreise statt. Mit der Eingliederung der Bukowina 1786 kam noch der Kreis Czernowitz hinzu, der bis 1849 Teil G.s war, 1846 wurde Krakau G. angegliedert. An der Spitze der Verwaltung des Landesguberniums in der Hauptstadt Lemberg stand der Landesgouverneur. An der Spitze der Kreisämter stand ein Kreishauptmann. 1849 erhielt die Verwaltung die Bezeichnung Statthalterei, an deren Spitze nun ein Statthalter stand. Im Rahmen der Verwaltungsreform 1849 entstanden zwei Statthaltereien in Lemberg und Krakau, später noch – bis zur endgültigen Unterteilung in 19 Bezirkshauptmannschaften – eine dritte in Stanislau. Die Bezirkshauptmannschaften mit einem Kreishauptmann an der Spitze gewannen nun an Bedeutung, da sie direkt den Wiener Ministerien unterstanden. Darüber hinaus wurde der Polizeiapparat ausgebaut und 1849 die Gendarmerie als militärische Hilfstruppe eingerichtet, die große Vollmachten besaß. Seit 1871 nahm der in Wien residierende Minister für galizische Angelegenheiten die höchste Stellung in der Verwaltungshierarchie in G. ein.

1861 nahm auch der galizische Landtag als autonomes Organ wieder seine Tätigkeit auf, dessen Mitglieder Entscheidungsbefugnisse auf Landesebene hatten. Reichsangelegenheiten fielen dagegen in den Kompetenzbereich der Statthalterei.

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Wirtschaft

In G. wurde vornehmlich Getreide angebaut. Die podolische Platte galt als Kornkammer Österreichs, wo neben Weizen auch Zuckerrüben, Mais und Tabak angebaut wurden. Eine große Bedeutung für die Landwirtschaftsindustrie hatten die Mühlen und die Sägewerke. Das Handwerk war insbesondere in den größeren Städten Lemberg und Krakau entwickelt. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war auch die Weberei, die jedoch meist nur im häuslichen Rahmen ausgeübt wurde. Viehzucht wurde hauptsächlich in West-G. betrieben. Mit Pferdezucht befassten sich v. a. adelige Familien. Das landwirtschaftlich geprägte G. erfuhr erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. eine langsame wirtschaftliche Entwicklung. Eine stabile und wichtige Einnahmequelle war das schon seit Jahrhunderten in Wieliczka und Bochnia in West-G. gewonnene Salz. Im Gebiet um Jaworzno wurden Steinkohle sowie Blei-, Zink- und Eisenerze gefördert. Insbesondere die Erdölindustrie in Ost-G., die seit den 1850er Jahren immer mehr an Bedeutung gewann und Ende des 19. Jh. einen Höhepunkt ihrer Fördermengen erreichte, trug zu einem Aufschwung der Wirtschaft bei. Einen wichtigen Wirtschaftsfaktor bildeten auch die Branntweinbrennereien und die Brauereien. Die 1844 in Okocim in West-G. gegründete Brauerei nahm 1913 die fünfte Stelle unter den österreichischen Brauereien ein. Seit 1857 produzierte auch die von Erzherzog Albrecht in Żywiec errichtete Brauerei. Größere Industriebetriebe siedelten sich hauptsächlich in der Umgebung von Lemberg und Krakau an, wo auch zahlreiche Banken und Versicherungsgesellschaften gegründet wurden. Das Genossenschaftswesen der Polen, Deutschen und Ruthenen entwickelte sich seit Ende des 19. Jh. und sollte die jeweiligen nationalen Gruppen unterstützen.

Seit 1846 verband die Kaiser-Ferdinand-Nord-Bahn Wien mit Krakau, die eine Hauptverkehrsachse zwischen der Metropole und G. wurde. Die Strecke der Galizischen Carl-Ludwig-Bahn, die von Lemberg über Zoločiv und Brody nach Ternopilʹ führte, wurde abschnittweise in den Jahren 1869 und 1871 eröffnet.

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Bildung und Kultur Die Organisation des Schulwesens in G. nach dem Vorbild der 1774 von Maria Theresia erlassenen „Allgemeinen Schulordnung“ nahm mehrere Jahre in Anspruch, wobei man sich zu Beginn v. a. auf die Hauptstadt Lemberg konzentrierte, wo Volksschulen, Gymnasien, ein Lehrerseminar und 1784 eine Universität errichtet wurden. Amts- und Unterrichtssprache war nun Deutsch und zum Teil auch Latein.

Zur Hebung der Bildung des griechisch-katholischen Klerus veranlasste Kaiserin Maria Theresia 1775, dass Priesterkandidaten zum Studium an dem sog. ›Barbareum‹ in Wien, einem Seminar für die griechisch-katholischen Priesterkandidaten Ungarns und Siebenbürgens, zugelassen wurden. Viele Persönlichkeiten des ruthenischen Geisteslebens erhielten hier zwischen 1775 und 1783 ihre Ausbildung. Nach der von Joseph II. angeordneten Aufhebung der Diözesan- und Ordensseminare, wurden in Lemberg zwei Generalseminare für den griechisch-katholischen Klerus sowie für den römisch-katholischen gemeinsam mit dem armenisch-katholischen Klerus gegründet. In beiden Generalseminaren wurde zunächst in lateinischer Sprache unterrichtet, die jedoch nicht von der Mehrheit der Kandidaten beherrscht wurde, so dass seit 1786 gestattet wurde, Vorlesungen auch in Ruthenisch zu halten. Aus diesem Grund entstand bei dem griechisch-katholischen Generalseminar das sog. Studium Ruthenum, in dem die nur ruthenisch sprechenden Priesterkandidaten unterrichtet wurden. Die Absolvierung der Generalseminare war die Voraussetzung, um ein Theologiestudium an der 1784 gegründeten Lemberger Universität aufnehmen zu können.

Das von Joseph II. 1787 initiierte Modell eines staatlichen deutsch-jüdischen Schulwesens scheiterte nach knapp zwei Jahrzehnten. Zweck dieser deutsch-jüdischen Schulen sollte es sein, mit der Zeit die privaten jüdischen Schulen (›Cheder‹) zu verdrängen, was aufgrund des vehementen Widerstands der orthodoxen jüdischen Kreise nicht gelang. 1806 verfügte Kaiser Franz I. die Auflösung dieses Schulmodells. Ein großes Problem war die Analphabetenrate in G. 1859 besuchten nur 20 % der schulpflichtigen Kinder die Schule. Bis 1900 verbesserte sich die Situation und 71 % der schulpflichtigen Kinder besuchten in dieser Zeit eine Schule.

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Lemberg war nicht nur Hauptstadt, sondern auch kultureller Mittelpunkt G.s. Hier gab es seit Ende des 18. Jh. Theater- und Opernaufführungen, mehrere Druckereien und Buchhandlungen. In der ersten Hälfte des 19. Jh. wurden deutsche und polnische Zeitungen herausgegeben, später Zeitungen und Zeitschriften in polnischer, ruthenischer und seltener in deutscher Sprache. Ebenfalls gab es eine jiddische und hebräische Presse. 1817 wurde das „Ossolińskische National-Institut“ (›Zakład Narodowy im. Ossolińskich‹) von dem Präfekten der Wiener Hofbibliothek Józef Maksymilian Ossoliński gestiftet. 1838 entstand der Musikverein, seit 1843 gab es ein ständiges Theatergebäude, das Skarbeksche Theater, 1900 wurde die Oper eröffnet.

Für die Ruthenen blieb Lemberg das geistige Zentrum, hier wurde 1873 die Ševčenko-Gesellschaft gegründet, die die Funktion der ersten ukrainischen Akademie übernahm. Daneben gab es an der Lemberger Universität vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges sieben ukrainische Lehrstühle. 1894 erhielt der Historiker Mychajlo S. Hruševskyj aus Kiew an der Lemberger Universität den Lehrstuhl für allgemeine Geschichte und osteuropäische Geschichte mit Ukrainisch als Vorlesungssprache. Er gewann im Laufe der Zeit einen sehr großen Einfluss auf die ukrainische Nationalbewegung und setzte sich nachdrücklich für die Errichtung einer eigenen ukrainischen Universität in Lemberg ein, was jedoch am Widerstand der Polen scheiterte.

Noch heute verbindet der deutschsprachige Leser G. mit der Person Joseph Roths (1894–1939), der zahlreiche Romane dem Untergang der Habsburgermonarchie widmete. Als in G. aufgewachsener deutschsprachiger Schriftsteller war er sein Leben lang, auch nachdem er seine Heimat verlassen hatte, mit dieser multikulturellen und multiethnischen Landschaft eng verbunden. Ihm ist es zu verdanken, dass seine Bücher diese Kulturlandschaft vor dem Vergessen im deutschen Sprachraum bewahrt haben. Eng befreundet war Joseph Roth mit dem polnischen Schriftsteller Józef Wittlin (1896–1976), der sich ebenfalls G. in seinen Werken gewidmet hat. Dem ukrainischen Schriftsteller und Publizist Ivan J. Franko (1856–1916), der in ukrainischer, polnischer und deutscher Sprache publizierte, gelang es mit seinen gesellschaftskritischen Themen, alle Sprachgruppen zu erreichen. Eine schillernde Persönlichkeit war zweifelsohne Leopold von Sacher-Masoch (1836–95), der seine Jugendzeit in Lemberg verbrachte, wo sein Vater die Stelle des Polizeidirektors inne hatte. In seinen Werken hat er immer wieder galizische Themen aufgenommen. Berühmt wurde auch der ebenfalls durch G. geprägte Religionsphilosoph Martin Buber (1878–1965), der sich in seinen Schriften besonders mit dem ostjüdischen Chassidismus beschäftigte.

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2 Kulturgeschichte

Im Rahmen der Ersten Teilung Polens gelangten zahlreiche Beamte aus den deutschsprachigen Gebieten nach G. zur Errichtung einer deutschsprachigen Verwaltung, ebenso wie Lehrer zur Gründung eines allgemeinen Schulwesens nach österreichischem Vorbild. In dem am 01.10.1774 von Maria Theresia ausgestellten Patent wurden katholische Kaufleuten, Handwerker und Unternehmer im In- und Ausland zu einer Ansiedlung in G. eingeladen. Protestanten dagegen erhielten nur eine eingeschränkte Niederlassungserlaubnis für vier galizische Städte, nämlich für Lemberg, Jaroslau, Zamość und Zališčyky (ukrain., russ. Zaleščiki, poln. Zaleszczyki), in einem weiteren Patent vom 16.11.1774 durften sie sich auch noch in Kazimierz und Brody niederlassen. Außerdem erhielten sie das Recht, Gottesdienste in privaten Gebetshäusern abzuhalten. Aber erst das am 17.09.1781 von Joseph II. ausgestellte Patent gewährte den evangelischen Ansiedlern – nun wurden insbesondere evangelische Bauern angeworben – sehr viel größere Freiheiten und Vergünstigungen. So durften sie sich nun in ganz G. niederlassen.

Ein weiteres Patent Josephs II. vom 05.04.1782 verkündete die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern. Die Frondienste wurden dagegen nicht aufgehoben, sondern erfuhren in den nächsten Jahren gewisse Regelungen.

Die Stellung der Juden wurde in dem von Joseph II. 1789 erlassenen sog. Toleranzpatent neu geregelt. Es wurde ihnen nun die Ausübung eines Gewerbes freigestellt, allerdings waren sie gleichzeitig von allen zunftmäßig betriebenen Gewerben ausgeschlossen. Verwehrt blieben ihnen darüber hinaus zunächst auch der Apothekerberuf sowie das Müller-, Brau- und Schankgewerbe. Das Verbot der Ausübung des Schankgewerbes, von dem rund ein Neuntel der jüdischen Bevölkerung G.s lebte, hatte zur Folge, dass dieser Personenkreis ein neues Auskommen in den Städten suchen musste. Dadurch vergrößerte sich die Anzahl der Juden in den Städten, wobei sie sich nicht in allen galizischen, insbesondere westgalizischen, Städten niederlassen durften. In Städten wie beispielsweise Krakau, Tarnów, Nowy Sącz, Lemberg, Gródek Jagielloński und Sambir durften sie sich nur in besonderen Stadtteilen niederlassen. Zwar hatte Joseph II. im Geiste der Aufklärung mit seinem Toleranzpatent eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Juden herbeiführen wollen, allerdings erwies sich dies aufgrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen sowie der hohen Sondersteuern als unmöglich.

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Eine besondere Rolle fiel der Stadt Krakau zu, die erst nach den Verhandlungen über die Dritte Teilung Polens Anfang 1796 mit weiteren Gebieten Österreich zugesprochen wurde. 1803 wurden schließlich diese als Neu- oder West-G. bezeichneten Gebiete dem Kronland eingegliedert und unterstanden seitdem dem Landesgouverneur in Lemberg. Aufgrund der napoleonischen Kriege gelangten 1809 im Friedensvertrag von Schönbrunn Krakau sowie das auf der anderen Weichselseite gelegene Podgórze und größere Gebiete aus der ersten Teilung zum Herzogtum Warschau. Erst nach der Niederlage Napoleons und nach den auf dem Wiener Kongress 1815 getroffenen Bestimmungen erhielt Österreich wieder die Gebiete zurück, musste jedoch auf Krakau verzichten, das den Status einer Freien Stadt sowie eine polnische Verwaltung unter Aufsicht der drei Residenten der Teilungsmächte erhielt. 1846 wurde Krakau nach den Bauernaufständen im Gebiet um Tarnów und Bochnia von österreichischem Militär besetzt und G. eingegliedert.

Trotz der Niederlage der Polen im Kampf gegen die russische Teilungsmacht hatte das Jahr 1831 in G. wichtige Impulse für eine noch intensivere Beschäftigung mit der nationalen Kultur gegeben. Zahlreiche polnische, zum Teil sogar auch deutsche, Gymnasiasten und Studenten schlossen sich in konspirativen Zirkeln zusammen, um sich in ihrer Freizeit der polnischen Kultur zu widmen. Seit 1832 entstanden außerdem mehrere konspirative Organisationen, an denen vornehmlich polnische Adelige, Literaten und Verleger, aber auch Handwerker beteiligt waren. 1837 deckte die Lemberger Polizei die illegale „Vereinigung des polnischen Volkes“ (›Stowarzyszenie Ludu Polskiego‹) auf und verhaftete den größten Teil der Mitglieder. 1840 gelang der Polizei ein weiterer Schlag gegen Verschwörer, diesmal sogar in militärischen Kreisen. Zahlreiche politische Verschwörer kamen für mehrere Jahre in die Festungen Theresienstadt, Spielberg bei Brünn und v. a. in die Festung Kufstein, die traurige Berühmtheit in G. gewann.

Ebenfalls stark war in den 1830er Jahren die konspirative Tätigkeit unter den ruthenischen Seminaristen in dem griechisch-katholischen Seminar in Lemberg. Hier hatten ruthenische Studenten einen „Selbstbildungszirkel” gegründet, wodurch Lemberg zum Zentrum der ruthenischen nationalen Bewegung wurde.

Der nächste Versuch einer politischen Erhebung fand im Februar 1846 – geführt von zwei noch nicht verhafteten Mitglieder der „Vereinigung des polnischen Volkes“ in West-G. statt. Das politische Attentat auf den Bürgermeister von Pilzno löste jedoch einen Aufstand der Bauern gegen Adelige aus, welche die der österreichischen Regierung gegenüber loyalen Bauern als Aufständische verdächtigten. Die Überfälle auf die Herrenhöfe in der Umgebung endeten in einem schrecklichen Blutbad (›rabacja‹). Erst herbeigerufene Truppen beendeten dieses grausame Schauspiel, das von den österreichischen Behörden zunächst geduldet worden war. Als Ergebnis des niedergeschlagenen Aufstandes in West-G. gelangte Krakau an Österreich und spielte nun nicht mehr die herausragende Rolle wie zuvor seit den 1832er Jahren als einzige polnisch verwaltete Stadt in den drei Teilungsgebieten.

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Nach dem Ausbruch der Revolution im Februar 1848 in Paris und im März in Wien ging man wenig später auch in Lemberg auf die Barrikaden. Zum ersten Mal verbündeten sich alle Nationalitäten, um gemeinsam ihre Forderungen für mehr Berücksichtigung der einzelnen Ethnien zu postulieren. Eine Gruppe polnischer Politiker arbeitete am 18./19.03.1848 eine Petition an den Kaiser aus, in der gleiche Rechte für alle Untertanen, die Freiheit des Wortes, die Einberufung des Landtages, die Aufhebung der Frondienste, das Recht der Bauern auf Grundeigentum, die Einführung der polnischen Sprache in Behörden und Schulen, eine Amnestie für politische Gefangene und die Schaffung einer Nationalgarde gefordert wurden.

Um jedoch ihren Anspruch auf eine alleinige politische Vertretung in G. geltend machen zu können, gründete eine Gruppe von Polen Ende April in Lemberg einen „Polnischen Nationalrat” (›Rada Narodowa‹), woraufhin die ruthenische Intelligenz mit dem griechisch-katholischen Bischof von Przemyśl an der Spitze ihrerseits Anfang Mai einen „Ruthenischen Hauptrat” (›Rus’ka Holovna Rada‹) gründete und damit ihre politische Eigenständigkeit unterstrich. Der „Ruthenische Hauptrat” forderte die Teilung G.s mit dem gleichzeitigen Anschluss der von Ruthenen bewohnten Teile Ungarns an G. Als sich im Juni 1848 liberale polnische und ruthenische Politiker und Literaten auf dem Slawenkongress in Prag für die Beibehaltung der Einheit G.s mit gleichzeitiger vollkommener Gleichberechtigung beider Nationen und Konfessionen einsetzten, scheiterte dieser Versuch an der fehlenden Kompromissbereitschaft sowohl des „Polnischen Nationalrats“ als auch des „Ruthenischen Hauptrats“.

Zu den Erfolgen der Revolution 1848 zählte die Abschaffung der Frondienste. Zum ersten Mal erhielten die Bauern Grundbesitz und befanden sich nicht mehr in einem Untertänigkeitsverhältnis zum Grundherren.

Jegliche Unabhängigkeitsbestrebungen wurden jedoch zunichte gemacht, als es in Lemberg am 01.11.1848 zu blutigen Gefechten zwischen der Nationalgarde und dem österreichischen Militär kam. Für G. bedeuteten die von der Regierung Schwarzenberg eingeführten verschiedenen politischen Veränderungen nach der Einführung der oktroyierten Verfassung am 07.03.1849 zunächst eine Rückkehr zu den politischen Verhältnissen von vor 1848. Die den Nationalitäten zuvor zugesicherte Gleichberechtigung fand schon bald keine Berücksichtigung mehr. Erst nach der Niederlage Österreichs gegen Frankreich 1859 konnte Kaiser Franz Joseph I. einen Richtungswechsel in der Innenpolitik durchsetzen. Innenminister Bach wurde entlassen und der galizische Statthalter Agenor Graf Gołuchowski zum neuen Innenminister ernannt, womit zum ersten Mal ein polnischer Verwaltungsbeamter eines der höchsten österreichischen Ämter bekleidete. Aufgrund ihrer relativ großen Abgeordnetenzahl gelang es den Polen im Wiener Reichsrat eine recht einflussreiche Gruppe, die als „Polenklub“ bekannt wurde, zu bilden. Für die Wiener Regierung war dieser „Polenklub“ von großer Bedeutung, da es häufig auf dessen Unterstützung ankam, um Gesetze gegen den Widerstand anderer im Reichsrat vertretenen Nationalitäten durchzubringen. Um sich der polnischen Unterstützung sicher zu sein, mussten allerdings auch gewisse Zugeständnisse gemacht werden.

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Eine bedeutende Zäsur in der Geschichte des galizischen Kronlandes begann 1861 mit der Eröffnung des Landtags in Lemberg, der nun größere Kompetenzen im Gesetzgebungsbereich erhielt. Die staatliche Macht wurde weiter vom Statthalter repräsentiert, die nun mit wenigen Ausnahmen Polen waren. Problematisch erwies sich in der Folge für die einzelnen Nationalitäten G.s jedoch die Zusammensetzung des Landtags nach dem allgemein in Österreich geltenden Kuriensystem, das den Großgrundbesitzern, also hier dem polnischen Adel, verhältnismäßig mehr Plätze einräumte als den anderen Bevölkerungsschichten. Dieses Kurienwahlsystem bildete in den kommenden Jahrzehnten einen ständigen Zündstoff für die verschiedenen nationalen Gruppen, denn es berücksichtigte in keiner Weise die Nationalitätenverhältnisse in G. Seit Anfang der sechziger Jahre hob die Wiener Regierung auch schrittweise die diskriminierende Judengesetzgebung auf und das politische Leben der aufgeklärten galizischen Juden erfuhr einen erneuten Aufschwung. In den galizischen Landtag und den Wiener Reichsrat wurden nun auch jüdische Abgeordnete gewählt. Auch die wirtschaftliche Lage der Juden verbesserte sich in manchen Bereichen, zumal sie wieder in ihre traditionellen Berufe als Schankwirte und Gutshofpächter zurückkehren konnten. Andererseits sahen sie sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte einer ihnen zunehmend feindlich gesinnten Umgebung gegenüber.

Nach dem 1867 vollzogenen österreichisch-ungarischen Ausgleich befaßte sich die Wiener Regierung auch wieder mit der Frage einer Autonomie für G. Eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der polnischen Forderungen spielte der galizische Statthalter Agenor Graf Gołuchowski, der Vertreter der austropolnischen Orientierung, der zwischen 1859 und 1866 verschiedene Ministerämter in der Wiener Regierung inne hatte. Das erste Zugeständnis für eine eingeschränkte Autonomie im Sinne einer Selbstverwaltung G.s war die Verabschiedung eines Landesgesetzes am 22.06.1867 über die Unterrichtssprache in den Volks- und Mittelschulen, wonach jeweils der Träger der Schule über die Unterrichtssprache zu bestimmen hatte. Dies hatte zur Folge, dass in West-G. die deutsche durch die polnische und in Ost-G. durch die polnische und ruthenische Amtssprache ersetzt wurde. Am 25.06.1867 wurde der galizische Landesschulrat gegründet, der nun für die Organisation des galizischen Schulwesens zuständig war. Diese Behörde verlieh G. eine Sonderstellung, da keines der anderen Kronländer einen Landesschulrat erhielt. Das galizische Landesschulgesetz vom 22.06.1868 berücksichtigte ausschließlich Schulen mit polnischer und ruthenischer Unterrichtssprache. Dies widersprach eindeutig dem österreichischen Staatsgrundgesetz vom 21.12.1867, in dem im Art. 19 festgelegt worden war, dass jeder Volksstamm das „Recht auf Wahrung seiner Nationalität und Sprache“ habe und das alle „landesüblichen Sprachen in Schule, Ämtern und öffentlichem Leben“ vom Staat anerkannt würden. Da im Landesschulgesetz die Ortsschulorgane den Bezirksschulräten unterstellt wurden, oblag nun dem galizischen Landesschulrat auch die alleinige Aufsicht über das evangelische Volksschulwesen und die Bestätigung der Lehrer. Um den polnischen Einfluss auf die evangelischen Schulen möglichst gering zu halten, waren daher die galizischen Superintendenten bemüht, die evangelischen Volksschulen weiter als Privatschulen zu führen. Ähnlich verfuhren auch die Ruthenen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ein privates Schulwesen aufbauten, um sich dem zunehmenden Polonisierungsdruck entgegenzustellen.

Weitere Zugeständnisse an die Polen erfolgten schließlich 1869 mit der Einführung des Polnischen als Amtssprache bei den Verwaltungsbehörden und Gerichten. 1870/71 wurde dann auch an den Universitäten in Krakau und Lemberg sowie an der Technischen Hochschule in Lemberg Polnisch als Vorlesungssprache eingeführt.

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Zwar gewährte die eingeschränkte Autonomie im Vergleich zum preußischen und russischen Teilungsgebiet eine freie Entfaltung der polnischen Sprache und Kultur und bot auch für die ruthenische Sprache und Kultur eine weitere Entwicklungsmöglichkeit, selbst wenn diese immer wieder Versuchen der Verdrängung ausgesetzt war. Allerdings führte die zunehmende Intoleranz der konservativen polnischen Politiker gegenüber den Ruthenen in Ost-G. in den nächsten Jahrzehnten zu zum Teil blutigen Auseinandersetzungen. Auftakt war die Ermordung des galizischen Statthalters Andrzej Graf Potocki 1908 durch einen ruthenischen Studenten. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens zeigte sich schnell, dass die Habsburgermonarchie in G. Sprengstoff hinterlassen hatte. Wie in einem Prisma zeigten sich hier ganz besonders deutlich die ungelösten Nationalitätenfragen, die zwischen 1918 und 1939 zu zahlreichen Zerreißproben der polnischen Republik führen sollten. Dies betraf v. a. in Ost-G. das äußerst gespannte Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern. Nachdem am 01.11.1918 ukrainische Regimenter der aufgelösten österreichisch-ungarischen Armee einen großen Teil Ost-G.s und Lembergs besetzt hatten, proklamierte die neuerrichtete nationalukrainische Regierung am 13.11.1918 die Westukrainische Volksrepublik mit Stanislaviv als Hauptstadt. Der nicht ukrainisch besetzte Teil Lembergs wurde von den polnischen Soldaten und Offizieren der ehemaligen k. u. k. Armee sowie eines Teils der Zivilbevölkerung bis zum Eintreffen regulärer polnischer Truppen am 22.11.1918 verteidigt. Nach der Zurückdrängung der ukrainischen Soldaten aus Lemberg kam es zu einem Pogrom seitens des polnischen Militärs und der Zivilbevölkerung an den Juden.

Nachdem am 18.06.1919 den Polen auf der Pariser Friedenskonferenz vorläufig die Besetzung Ost-G.s bis zum Grenzfluss Zbruč zugestanden worden war und die polnischen Truppen am 16.07. die ukrainische Armee über den Zbruč zurückgedrängt hatten, gehörte Ost-G. bis 1939 zu Polen. Gemäß den im Hitler-Stalin-Pakt getroffenen Vereinbarungen annektierte 1939 die UdSSR Ost-G. 1941 wurde es von deutschen Truppen besetzt und gelangte 1944 wieder an die UdSSR. Seit 1990 ist es der westliche Teil der Ukraine.

Binder H. 2005: Galizien in Wien. Parteien, Wahlen, Fraktionen und Abgeordnete im Übergang zur Massenpolitik. Wien (= Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 29). Wandruszka A., Urbanitsch P. 1980: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. III: Die Völker des Reiches. Wien. Mark R. A. 1994: Galizien unter österreichischer Herrschaft. Verwaltung – Kirche – Bevölkerung, Marburg/Lahn. Bieberstein C. Marschall Frhr. v. 1993: Freiheit in der Unfreiheit. Die nationale Autonomie der Polen in Galizien nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867. Wiesbaden (= Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund 11). Röskau-Rydel I. (Hg.) 1999: Galizien, Bukowina, Moldau. Berlin (= Deutsche Geschichte im Osten Europas).

(Isabel Röskau-Rydel)

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