Ivano-Frankivsʹk

Ivano-Frankivsʹk (ukrain., russ. hist. Ivano-Frankovsk; 1662–1939 poln. Stanisławów, ukrain. Stanislaviv; 1772–1918 auch dt. Stanislau, 1939–62: russ. /ukrain. Stanislav)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Stadt und Gebietszentrum in den westukrainischen Vorkarpaten mit 221.000 Einwohnern (2006). Im gleichnamigen Gebiet wohnen auf 13.927 km² 1.385.400 Einwohner. Die mittlere Temperatur beträgt in I.-F. im Januar –5,1 °C, im Juli 18,5 °C. Die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf 603 mm. Im Stadtkreis I.-F. wohnen überwiegend Ukrainer (2001: 92,3 %), 6 % der Bevölkerung sind Russen. Polen und Juden, die I.-F. vor dem Zweiten Weltkrieg noch mehrheitlich bewohnten, machen nur noch Anteile von 0,3 % bzw. 0,1 % aus. Die Stadt, welche in der hist. Provinz Galizien liegt, ist ein bedeutendes industrielles und kulturelles Zentrum der Region und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Wirtschaftlich sind insbesondere Maschinenbau, Bekleidungs-, Leder- und Nahrungsmittelindustrie von Bedeutung. Im Südwesten der Stadt werden Gasvorkommen gefördert. I.-F. verfügt über vier Universitäten, eine Philharmonie, drei Theater und mehrere Museen. Zu den bedeutenden Bauwerken im historischen Stadtzentrum zählen u.a. die Kathedrale der Heiligen Jungfrau Maria (ukrain. Kostel Presvjatoji Divy Mariji, 1672-1703), ein Jesuitenkolleg (ukrain. Kolehija Jesujitiv, 1744) und eine armenische Barockkirche (ukrain. Virmensʹkyj kostel, 1762).

2 Kulturgeschichte

Das heutige I.-F. wurde 1662 durch den polnischen Magnaten Jędrzej (Andrzej) Potocki an der Stelle des Dorfes Zabłocie (ukrain. Zabolotiv) gegründet und Stanisławów nach seinem Sohn Stanisław benannt. 1663 erhielt der Ort das Magdeburger Stadtrecht. Im Grenzgebiet zum Osmanischen Reich gelegen, war er mit großen Verteidigungsanlagen ausgestattet. Diese konnten jedoch nicht verhindern, dass die Stadt bis Mitte des 18. Jh. wiederholt Plünderungen und Besetzungen erlebte. Dennoch entwickelte sie sich rasch zu einem florierenden Handels- und Produktionszentrum insbesondere für Leder und Pelze. Hierbei spielten bis Mitte des 18. Jh. Armenier eine wichtige Rolle, welche 1673 in der Stadt Zuflucht vor den Osmanischen Besatzern im östlich gelegenen Podolien gesucht hatten. Ab 1677 verfügte die armenische Minderheit über eine eigene Selbstverwaltung. 1732 waren unter den 3300 Einwohnern 45 % Polen und Ukrainer, 44 % Juden und 10 % Armenier.

Im 18. Jh. und 19. Jh. behinderten neben Kriegen auch Epidemien und Brände die Entwicklung der Stadt, welche mit der ersten Teilung Polen-Litauens (1772) zur Habsburgermonarchie kam. 1866 zum Eisenbahnknotenpunkt ausgebaut, erlebte sie in der Folge einen industriellen Aufschwung. Allerdings wurde 1868 bei einem verheerenden Brand fast die gesamte Altstadt zerstört, welche teilweise wiederaufgebaut wurde. 1880–1910 wuchs die Einwohnerzahl von 18.626 auf 33.400. Ende des 19. Jh. gewann auch das ukrainische Kulturleben an Bedeutung. 1884 gründete beispielsweise die Schriftstellerin Natalija Kobrynsʹka in der Stadt den ersten ukrainischen Bildungsverein für Frauen. 1885 wurde der Ort Sitz eines ukrainischen griechisch-katholischen Bischofs.

Im Ersten Weltkrieg erlitt das heutige I.-F. bei Kämpfen starke Schäden. In den Wirren am Ende des Krieges wurde die Stadt Ende 1918 provisorischer Parlaments- und Regierungssitz der Westukrainischen Volksrepublik, nachdem die Hauptstadt Lemberg von polnischen Truppen besetzt worden war. Im Mai 1919 kam aber auch das heutige I.-F. unter polnische Kontrolle (bestätigt im Frieden von Riga, 1921). Unter der anschließenden polnischen Herrschaft erlebte die Stadt eine weitere Aufschwungsphase und wuchs bis 1939 auf 64.000 Einwohner, unter welchen 41,4 % Juden, 36,7 % Polen und 18,8% Ukrainer waren.

Im Zweiten Weltkrieg war die Stadt 1939–41 von der Sowjetunion besetzt. 1941–44 stand sie unter Kontrolle der Deutschen Wehrmacht, die fast die gesamte jüdische Bevölkerung tötete bzw. deportierte (v. a. nach Bełżec). Von 26.500 Juden (1939) überlebten nur ca. 1500 den Krieg. Ab 1944 war die Stadt wieder unter sowjetischer Herrschaft, wobei es insbesondere in den ersten Jahren zu Repressionen kam. In dieser Zeit wurde fast die gesamte polnische Bevölkerung nach Polen umgesiedelt, während neue Einwohner u.a. aus Russland angesiedelt wurden. Der Ort erholte sich trotz wirtschaftlicher Investitionen nur langsam von den erlittenen Verlusten. 1959 lebten dort 66.000 Einwohner, wovon 67 % Ukrainer und 25 % Russen waren. 1962 wurde die Stadt anlässlich ihres 300-jährigen Bestehens nach dem Schriftsteller Ivan Franko umbenannt. Ab den 1960er Jahren erlebte I.-F. eine starke Wachstumsphase, so dass 1989 dort 214.000 Einwohner lebten. Die wirtschaftliche Krise der 1990er Jahre konnte die Stadt relativ gut überstehen. In den letzten Jahrzehnten hat sich in I.-F. wieder ein reges Kulturleben entwickelt, dessen bedeutendster Vertreter der Schriftsteller Jurij Andruchovyč ist.

http://www.sbedif.if.ua/city/homepage.uk.htm [Stand 23.7.2005].

(Sebastian Klüsener)


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