Ternopilʹ

Ternopilʹ (ukrain.; poln. hist. Tarnopol, russ. Ternopolʹ)

Die Stadt T. liegt im Westen der Ukraine in der podolischen Hochebene rund 120 km südlich von Lemberg und ist die Hauptstadt der Region T. Das Gebiet der auf einer Höhe von 320 m gelegenen, 233.152 Einwohner (2004) zählenden Stadt umfasst ca. 59 km².

Die in der seit 1434 polnischen Woiwodschaft Podolien gelegene Stadt wurde 1540 vom polnischen Hetman Jan Amor Tarnowski (1488–1561) an Stelle einer früheren, bereits im Fürstentum Halicz-Wolhynien bekannten und von den Tataren zerstörten Siedlung gegründet. Die königliche Lokationsurkunde garantierte der Stadt 15 Freijahre. Die Privilegierung und günstige Lage an Handelswegen von Kiew und Podolien in den Westen förderten die weitere Stadtentwicklung. Bereits 1548 erhielt T. mit einem königlichen Privileg das Magdeburger Stadtrecht und 20 Jahre Steuerfreiheit (1550 auch das Stapelrecht). 1550 erließ Tarnowski ein Stadtprivileg mit einer Stadtordnung. Demnach erhielt die Stadt eine Verwaltung, einen Vogt, ein Gericht und eine Satzung für die Stadtverteidigung. Die Ordnung regelte Bürgerpflichten, Abhalten von Jahrmärkten, Scharwerk (Wehrmauer- und Strassenbau) und Gemarkung. Das im Privileg genannte Verbot für den Hauserwerb am Markt ist zugleich der erste Quellennachweis über Juden in T. Mehrmals griffen Tataren die Stadt an (1544, 1575, 1589). 1648 und 1655 wurde T. von aufständischen Kosaken erobert und zerstört, wie auch noch 1667 von den Tataren, 1672, 1688 und 1694 von den Osmanen. In einer 1672 erstellten Inventur wird die Einwohnerzahl von T. mit rund 2500 Personen, darunter 420 Juden, und die Zahl der Häuser mit 432 angegeben, die Stadt litt jedoch schwer unter einer dreijährigen osmanischen Besatzung, bei deren Ende 1675 nur noch rund ein Zehntel der Gebäude existierte. T. wurde in der Folgezeit für seine Jahrmärkte, v. a. den Pferdemarkt berühmt. 1740 verlieh Józef Potocki den Juden von T. ein Handels- und Freiheitsprivileg. 1770 starben rd. 40 % der Einwohner T.s an der Cholera. Nach 1567 gehörte T. zum Besitz verschiedener Familien: Ostrogski, Zamoyski, Koniecpolski, Sobieski, Potocki, Korytowski - 1840 kaufte sich die Stadt schließlich von Tadeusz Turkułło frei.Nach der ersten Teilung Polens 1772 kam T. an Österreich, zeitweise, 1809–15, an Russland.

T. war danach Sitz eines Kreishauptamtes und eines Kreisgerichtes. Der Ausbau T.s zum Eisenbahnknotenpunkt (seit 1870) förderte die Entwicklung zum Handelszentrum. 1808 lebten in T. 7093 Menschen, 1880 waren es bereits 25.819, davon 13.468 Juden, 6170 Katholiken und 6023 Unierte. 1900 zählte T. knapp über 30.000 Einwohner, davon 44,3 % Juden, 28,3 % Ruthenen und 27,1 % Polen.

Nach der Schlacht bei T. im September 1915 hielt die russische Armee die Stadt bis 1917 besetzt. Nach Kämpfen 1918/19 fiel T. im Juli 1919 an Polen und wurde 1921 – nach vorübergehender Besetzung durch die Rote Armee 1920 – Hauptstadt der Woiwodschaft (30.900 Einwohner). Der Beamtenapparat veränderte das ethnische Stadtbild: 1939 zählte T. 37.500 Einwohner, davon 39,7 % Polen, 39,3 % Juden und 19,2 % Ukrainer. T. befand sich 1939 – 41 unter sowjetischer und von Juni 1941 bis April 1944 unter deutscher Besatzung, wobei seit 1940 die Verschleppung der Polen, seit 1941 der Juden aus T. erfolgte. Etwa 28.000 der Einwohner von T. starben im Krieg. Seit 1944 gehörte T. zur Sowjetukraine. Der Wiederaufbau der zu 85% zerstörten Stadt (1946: 12.000 Einwohner, 1959: 52.000 Einwohner) veränderte völlig das Antlitz der Stadt. T. ist heute ein wichtiger Industriestandort (Textilindustrie, Maschinenbau, Lebensmittelindustrie, Baumaterialien), Verkehrsknotenpunkt (Eisenbahn- und Strassenknoten, Flughafen), Bildungsstandort (medizin., ökonom., pädagog. Hochschule, zahlreiche andere Schulen) und Sitz kultureller Institutionen (Philharmonie, Theater, Puppentheater). Zwischen 1974 und 1994 verdoppelte sich die Einwohnerzahl von T. (1974: 112.000, 1989: 206.000, 1994: 232.000 Einwohner). Aus T. stammten u. a. der jüdische Schriftsteller der Aufklärung Józef Perl, der deutsche Slawist Aleksander Brückner, der polnische Historiker Ludwik Finkel und der Archäologe Kazimierz Michałowski. Zu den Sehenswürdigkeiten zählen die orth. Kirche, die Dominikanerkirche mit Kloster und der Tarnowski/Potocki-Palast.

Sulimierskiego F., Chlebowskiego B., Krzywickiego J., Walewskiego W. (Hg.) 1986: Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich 1880–1902 12. Warszawa, 187–194.

(Robert Friedl)

Views
bmu:kk