Tarnów

Tarnów (poln., dt. hist. Tarnau).

Die südpolnische Stadt T. liegt in einer Höhe von ca. 200 m ü. d. M. am südlichen Rand des Tals von Sandomierz in der Woiwodschaft Kleinpolen am Fluss Białka. T. zählt 118.128 Einwohner (2006) und umfasst ein Gebiet von 72,4 km². Heute ist T. ein Zentrum der Maschinenbau-, Chemie- und Stahlindustrie sowie Standort einer Glashütte.

Die ältesten menschlichen Spuren in den Grenzen der heutigen Stadt werden von Archäologen auf die Zeit zwischen 8300 und 4500 v. Chr. datiert. Weitere Funde stammen aus der Steinzeit (ca. 700– 400 v. Chr.), als die Lausitzer Kultur auf polnischem Boden in voller Blüte stand. Um die Wende des 5. und 4. Jh. v. Chr. zogen aus dem Südwesten die Kelten hierher. Später, im 1.–4 Jh. n. Chr., befand sich ganz Kleinpolen mit seinen gemischten germanisch-keltischen Völkern unter römischer Herrschaft. Anfang des 5. Jh. war das Gebiet von hunnischen Vorstößen und später von der Völkerwanderung betroffen. Um die Mitte des 9. Jh. wurde auf der südlichen Seite des St. Martins-Berges in der Nähe von T. eine Burg errichtet. Die 1105 (1124?) im Güterverzeichnis der Benediktinerabtei erwähnte mittelalterliche Siedlung kaufte später die Familie Leliwa, die am 07.03.1330 vom polnischen König Władysław I. Łokietek das deutsche Stadtrecht erhielt. Danach gehörte die Stadt mehreren Adelsgeschlechtern: Tarnovsʹki, Ostrogski und Sanguszko. Dank seiner Lage an Handelswegen von Breslau nach Ungarn und von Krakau nach Ruthenien entwickelte sich T. zu einem großen Handels- und Handwerkerzentrum mit zahlreichen Privilegien für Handwerker und Kaufleute. Mitte des 15. Jh. bekam T. eine Wehrmauer (ausgebaut im 16. Jh.) und einen Festungswall. Noch im 16. Jh. galt T. als Wissenschafts- und Kulturzentrum. In dieser Zeit begannen sich jüdische Ansiedler in T. niederzulassen, indem sie einen eigenen Stadtteil außerhalb der Stadtmauer gründeten, nachdem sie keine Aufenthaltserlaubnis innerhalb der Stadt bekommen hatten. Von ihrer Anwesenheit zeugen heute Reste einer der einst zahlreichen Synagogen in T. und einige Straßennamen. Die weitere Entwicklung von T. wurde im 17./18. Jh. durch Seuchen, Kriege sowie zahlreiche Feuerbrünste gehemmt. Einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte T. nach 1772 unter österreichischer Herrschaft und in der zweiten Hälfte des 19. Jh., als eine Bahnverbindung nach Krakau, Lemberg und Stary Sącz eröffnet wurde. In den Jahren 1785–1807 und seit 1826 war T. Bischofssitz.

Seit dem 16. Jh. nahm die Bevölkerungszahl der jüdischen Gemeinde bedeutend zu. Die jüdischen Bürger, v. a. Chassiden, betrieben meistens Gewerbe und Schneiderhandwerk. Bis zum Ersten Weltkrieg produzierten sie Uniformen für die Kaiserliche Österreichische Armee. Die jüdische Gemeinde beteiligte sich aktiv am politischen Leben in T. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter war Eliyahu Goldhammer, der zum Vizebürgermeister von T. gewählt wurde. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrach die wirtschaftliche Entwicklung von T. und die Stadt erlitt Schäden durch Artilleriebeschuss. Die Zwischenkriegszeit brachte rasche Industrialisierung und eine Zunahme der Einwohnerzahl. Die Stadt war ein wichtiges Zentrum der jüdischen Religion mit einigen Synagogen und vielen Gebetshäusern Von 40.000 Bürgern der Stadt waren 1939 mehr als die Hälfte Juden. Sie waren 1940 die ersten Opfer in Auschwitz und später in Bełżec. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde T. ein großes Industriezentrum (v. a. Maschinenbau und Stickstoffbetriebe). Als Hauptstadt der Woiwodschaft 1975–97 wurde T. beträchtlich ausgebaut. Nach der Verwaltungsreform in Polen 1999 ist T. eine Kreisstadt.

Jahrhundertelang konnte T. stolz auf Toleranz und friedliches Zusammenleben seiner aus verschiedenen Nationen stammenden Bürger sein. Neben den Juden machten sich in T. Deutsche sesshaft, die aus Krakau und Nowy Sącz hierher umsiedelten. Im 16. Jh. ließ sich hier eine große Gruppe von Siedlern aus Schottland nieder, die Handel mit ganz Europa betrieben und die ersten Banken und Handelsgesellschaften in T. gründeten. Die kulturelle und nationale Vielfalt der Stadt spiegelt sich in der heutigen Architektur der restaurierten Altstadt wider, die als „Perle der Renaissance“ bezeichnet wird. An die ehemals große Zahl der jüdischen Bewohner in T. erinnert der jüdische Friedhof mit Grabsteinen aus dem 17. Jh., der zu den größten jüdischen Friedhöfen in Südpolen gehört. Bekannt ist T. auch durch die seit 1963 bestehende älteste polnische Zigeunergesellschaft und das jedes Jahr veranstaltete Fest der Zigeuner. Im Ethnografischen Museum von T. wird an das Schicksal dieser Bevölkerungsgruppe zur Zeit des Nationalsozialismus erinnert.

Żerelik R. (Red.) 2001: Studia i materiały z dziejów Śląska i Małopolski. Wrocław.

(Jarosław Czochański, Mirosława Czochańska)

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