Bug

Bug (auch: Westlicher B., poln./russ. B., ukrain. Zachidnyj Buh, weißruss. Zachodni Buh)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Fluss im Übergangsgebiet zwischen dem Osteuropäischen Tiefland und der Mitteleuropäischen Tiefebene. Bis zur Aufstauung des am Unterlauf des B. gelegenen Stausees bei Zegrzyń (poln. Jezioro Zegrzyńskie, 33 km²) im Jahr 1962 herrschte in polnischer und sowjetischer Literatur Übereinstimmung, dass der B. ein rechter Nebenfluss der Weichsel ist. Dagegen galt der deutlich kürzere Fluss Narew, welcher auf dem Gebiet des heutigen Stausees in den B. mündete, als sein Nebenfluss. Die ukrainische Literatur vertritt auch weiterhin mehrheitlich diese Auffassung. In Polen gilt der B. aber seit 1962 als Nebenfluss des Flusses Narew, da aufgrund des Stausees heute optisch der Eindruck besteht, dass der B. in diesen mündet. Betrachtet man den B. als Nebenfluss des Flusses Narew, so hat er eine Länge von 772 km und ein Einzugsgebiet von 39.420 km². Die mittlere Abflussmenge beträgt in diesem Fall 155 m³/s. Sieht man dagegen den B. als Hauptfluss an, so hat er eine Länge von 831 km und ein Einzugsgebiet von 75.175 km². Seine mittlere Abflussmenge an der Mündung in die Weichsel beträgt dann 313 m³/s. Aufgrund der relativen Gleichwertigkeit der beiden Flüsse wird der Flussabschnitt unterhalb des Stausee bei Zegrzyń auch Bugonarew genannt.

Der B. entspringt im Westen der Podolischen Platte im ukrainischen Gebiet Lʹviv. Im bis zu 40 m breiten Mittellauf bildet er auf 363 km die Ostgrenze der polnischen Woiwodschaft Lublin, zunächst mit dem ukrainischen Gebiet Wolynien und im weiteren Verlauf mit dem weißrussischen Gebiet Brėst. Im bis zu 100 m breiten Unterlauf fließt er durch die Woiwodschaften Podlachien und Masowien und mündet nördlich von Warschau in den Fluss Narew bzw. die Weichsel. Über den Fluss Muchavec (poln. hist. Muchawiec), den Dnjepr-Bug-Kanal und die Flüsse Pina und Pripjet besteht eine Verbindung zum Dnjepr. Mit der Memel ist er über den Fluss Narew und den Augustów-Kanal verbunden. Wichtige Städte am B. sind Kamʹjanka-Buzʹka (Ukraine), Červonohrad (Ukraine), Sokalʹ (Ukraine, poln. hist. Sokal), Brėst (Weißrussland), Włodawa (Polen) und Wyszków (Polen). Der Fluss ist von der Mündung bis Brėst schiffbar.

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2 Kulturgeschichte

Seit der Landnahme durch die Slawen ab dem 7. Jh. lag der B. in der Übergangszone zwischen west- und ostslawischen Stämmen. Bereits zu dieser Zeit war der Fluss ein wichtiger Transportweg für den Handel zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Am Oberlauf siedelten die ostslawischen „Bužani“ (Wolynier), während am Unterlauf die westslawischen Masowier lebten. Im Mittellauf des Flusses überschnitten sich die Siedlungsgebiete, ohne dass es bis Mitte des 20. Jh. klare ethnische Grenzen gab. Im 10. Jh. lag der Fluss in der Grenzregion zwischen der Kiewer Rus und Polen. Mit dem Schisma 1054 war diese Grenze nicht nur politischer sondern auch konfessioneller Art. Ab dem 13. Jh. immigrierten in mehreren Wellen eine große Anzahl von Juden aus Westeuropa in das Gebiet am Bug. Diese waren u.a. aus England, Frankreich und dem ›Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation‹ vertrieben worden, weil sie für die Pest verantwortlich gemacht worden waren.

Nachdem Ober- und Mittellauf zeitweise die östliche Tributgrenze der mongolischen Herrschaft bildeten, kam der Mittellauf ab dem 14. Jh. unter die Kontrolle des litauischen Großfürstentums, während der Oberlauf vom Königreich Polen erobert wurde. Da die beiden Reiche ab 1386 eine Union bildeten, hatte die Grenze nur wenig Auswirkungen auf die Region. Mit der dritten Teilung Polen-Litauens 1795 kam das linke Ufer des Mittel- und Unterlaufs zum Habsburger Reich, während das rechte Ufer des Mittellaufs dem Russischen Reich, und das rechte des Unterlaufs dem Königreich Preußen zugeschlagen wurde. Preußen und das Habsburger Reich mussten aber ihre Gebietsgewinne von 1795 bereits 1807 wieder an das Herzogtum Warschau abtreten, welches 1815 von Russland einverleibt wurde. Nur der 1772 den Habsburgern bei der ersten Teilung Polen-Litauens zugeteilte Oberlauf verblieb bis 1918 unter den Habsburgern bzw. der Herrschaft der Doppelmonarchie.

Anfang des 19. Jh. und erneut 1846 gab es Bestrebungen, am B. eine Flussregulierung durchzuführen, welche aber letztendlich nicht umgesetzt wurden. So fließt der Fluss bis heute in seinem natürlichen Bett. Mit dem Bau der Eisenbahn in der zweiten Hälfte des 19. Jh. kam die Flussschifffahrt im Mittel- und Oberlauf oberhalb von Brėst praktisch komplett zum Erliegen.

Nachdem das Flussgebiet sich im Ersten Weltkrieg in der Kampfzone befunden hatte, schlugen die Westmächte am Kriegsende vor, die Ostgrenze des unabhängig gewordenen Polens entlang der Curzon-Linie zu ziehen, welche anhand der Minderheitsverhältnisse ermittelt worden war. Diese verlief über 322 km entlang des Bs. Die Polen nutzten jedoch angesichts des vom Bürgerkrieg geschwächten Russlands die Gelegenheit, ihr Staatsgebiet weit über diese Linie hinaus nach Osten auszudehnen. Da die ukrainische Mehrheit in diesen Regionen durch die Polen in der Folge zahlreiche Benachteiligungen erfuhr, bauten sich Spannungen zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen auf.

Im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts, welcher in einem geheimen Zusatzprotokoll die Grenze zwischen der deutschen und der russischen Einflusssphäre in Ost- und Südosteuropa festlegte, wurde ab dem 28.9.1939 der Mittellauf des Bugs erneut zur Grenzlinie. Nach dem deutschen Überfall auf Russland war 1941–44 das gesamte Flussgebiet von der deutschen Wehrmacht besetzt. Nur 5 km vom Flussufer des Bs. entfernt errichteten die deutschen bei Lublin das Konzentrationslager Sobibór, in welchem von Mai 1942 bis November 1943 ca. 250.000 Juden ermordet wurden.

Während der deutschen Besatzungszeit war die polnische Bevölkerung 1943–44 von ethnischen Säuberungen in Wolynien betroffen, welche von Einheiten der ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) und ukrainischen Bauern durchgeführt wurden. Im Zuge von Vergeltungsakten verloren aber auch viele Ukrainer ihr Leben.

Nach dem Krieg wurden durch die polnische und die sowjetische Regierung eine Reihe von Umsiedlungsmaßnahmen durchgeführt, sodass der Mittellauf des Bs. heute auch praktisch eine ethnische Grenze darstellt. Während die Umsiedlungen in der Regel in die jeweiligen Heimatstaaten erfolgten, so wurden 1947 in der „Operation Weichsel“ ca. 140.000 im Osten Polens lebende Ukrainer gezwungen, nach Westpolen umzuziehen.

Seit der Auflösung der Sowjetunion ist in dieser Region ein Dreiländereck zwischen Polen, der Ukraine und Weißrussland entstanden. Mit der Lockerung der Grenzkontrollen nach 1991 konnte sich auch wieder ein reger Personen- und Warenaustausch über den Bug hinweg entwickeln. Nachdem aber Polen ab dem 1.10.2003 die Visumpflicht für Ukrainer und Weißrussen eingeführt hatte, ging in den ersten Monaten der Grenzverkehr stark zurück. 2004 wurde aber bereits fast wieder das Niveau des Vorjahres erreicht. Seit dem EU-Beitritt Polens am 1.5.2004 bildet der Mittellauf des Bs. nun auch die östliche Außengrenze der EU.

Wyrobisz A. 1984: Spław na Bugu w XVI i w pierwszej połowie XVII wieku. Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 4/1984, 471–490. Janecki J. 2003: Przyroda Polska 2/2003 Rzeka Bug naturalną wstęgą wiążącą regiony http://www.przyrodapolska.pl/luty03/bug.html [Stand 28.5.2005].

(Sebastian Klüsener)

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