Großpolen (Region)

Großpolen (latein. Polonia Maior, poln. Wielkopolska)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die historische Region G. befindet sich am Mittel- und Unterlauf der Warthe im mittleren Teil der „Großpolnischen Tiefebene“ (Nizina Wielkopolska) und weist nur wenige Erhebungen auf, jedoch viele Seen. Auf ihrem Gebiet liegen die „Großpolnische“, die „Lissaer“ sowie ein Teil der „Westpommerschen Seenplatte“ (Pojezierze Wielkopolskie bzw. Leszczyńskie bzw. Zachodniopomorskie). Zu den größten Flüssen zählen neben der Warthe und der Netze (Noteć), Gwda (dt. hist. Küddow) und Prosna. Die Region ist zu ca. einem Viertel bewaldet. Zu den landschaftlich bedeutsamsten Waldgebieten gehören der ca. 130.000 ha große „Netze-Urwald“, auch „Netzer Heide“ (Puszcza Notecka) genannt, am nordwestlichen Rand G.s sowie der südlich Posens gelegene „Großpolnische Nationalpark“ (Wielkopolski Park Narodowy); im direkt östlich angrenzenden „Rogaliner Landschaftspark“ (Rogaliński Park Krajobrazowy) findet sich der europaweit größte Bestand alter Eichen.

G. liegt in der gemäßigten Klimazone und zählt zu den niederschlagsärmsten Regionen Polens. Es besitzt außer Braunkohle (bei Konin) keine nennenswerten Bodenschätze und ist vorwiegend landwirtschaftlich geprägt. Die wichtigsten Anbaupflanzen sind gegenwärtig Getreide (u. a. Roggen, Weizen und Gerste), Zuckerrüben, Raps und v. a. Kartoffeln. Daneben wächst die Bedeutung hochtechnologischer Branchen und Dienstleistungen.

Der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung ist mit gegenwärtig knapp über 50 % im ostmitteleuropäischen Vergleich relativ niedrig, die Anzahl der Städte dagegen hoch, die meisten sind jedoch sehr klein.

Die größten Städte sind Posen (Poznań), Kalisz (dt. hist. Kalisch), Konin, Piła (dt. hist. Schneidemühl), Ostrów Wielkopolski (dt. hist. Ostrowo), Gnesen (Gniezno) und Leszno (dt. hist. Lissa). Als der ältesten polnischen Region kommt G. eine besondere kulturelle und touristische Bedeutung zu, auf der „Piastenroute“ (Szlak Piastowski) lassen sich zahlreiche Bauwerke und Kunstdenkmäler besichtigen.

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2 Kulturgeschichte

Mitte des 9. Jh. kam es durch den an der Warthe siedelnden westslawischen Stamm der „Polanen“ zur Errichtung eines ersten Staatsgebildes auf dem Gebiet G.s. Dieses stand unter der in Gnesen beheimateten Dynastie der Piasten und wurde in der zweiten Hälfte des 10. Jh. von Posen aus missioniert. Mit dem 1000 in Gnesen eingerichteten Erzbistum blieb G. auch in der Zeit der Teilfürstentümer (1138–1320) das geistliche Zentrum Polens. Erstmalig erwähnt wurde der Name G. 1257 bei Bolesław Pobożny („dem Frommen“), Herzog von G.-Kalisz. Die Bezeichnung verwies nicht auf die Größe, sondern das Alter und die historische Bedeutung dieses Gebiets, das seit der Mitte des 10. Jh. mit seinen Städten Posen und Gnesen die Keimzelle des mittelalterlichen Polen gebildet hatte. Eine exakte territoriale Abgrenzung G.s hat sich im Sprachgebrauch und in der administrativen Praxis nicht ergeben. Vom 14. bis zum 18. Jh. bestand G. aus den Woiwodschaften Posen und Kalisz und bildete im Südwesten nach Schlesien und im Nordwesten entlang der Drage (poln. Drawa) nach der Mark Brandenburg die Westgrenze Polens. Im Osten grenzte G. an die Woiwodschaft Sieradz, nach Nordosten trennte die Netze G. von Kujawien, im Norden grenzte G. an Pommerellen.

In einer zweiten, seltener verwendeten Beschreibung, die sich im Verlauf des 16. Jh. herausbildete, wurde unter G. ein nach Osten um Masowien und Podlachien erweitertes Gebiet verstanden, dem Kleinpolen mit der Hauptstadt Krakau gegenüberstand.

G. entwickelte sich zu der am stärksten urbanisierten Region Polens, in der sich Landwirtschaft, Handel, Textil- und Lebensmittelindustrie überdurchschnittlich gut entwickelten. Ende des 15. Jh. lebte ein Drittel der Bevölkerung in Städten, darunter in steigender Zahl deutsche, böhmische und schlesische Glaubensflüchtlinge. In den folgenden Jahrhunderten bildeten sich allerdings – mit Ausnahme Posens – keine Großstädte heraus, so dass der Anteil der Stadtbevölkerung erst im 20. Jh. wieder spürbar anstieg. Die Gesamtbevölkerungszahl wuchs von rd. 310.000 Anfang des 15. Jh. auf rd. 800.000 Ende des 18. Jh.

Durch die erste und zweite Teilung Polen-Litauens 1772 und 1793 geriet G. unter preußische Herrschaft und verteilte sich auf die Provinzen Südpreußen und (zu geringen Teilen) Westpreußen.

1815 ging das Gebiet fast vollständig im neu errichteten Großherzogtum Posen auf, der nördliche Teil des Netzedistrikts fiel an Westpreußen, im Osten die Gebiete um Konin und Kalisz an Russland. Nach dem Ausbruch des sog. Novemberaufstands 1830 wurde das mit einem privilegierten Status ausgestattete Großherzogtum de facto in eine reguläre Provinz umgewandelt, die Bezeichnung ›Großherzogtum‹ hielt sich aber noch bis 1850 im amtlichen Sprachgebrauch.

In den 1830er Jahren wurde G. zum Ausgangspunkt des nach 1848 polenweit rezipierten Programms der sog. Organischen Arbeit (Praca organiczna). Neben einer Reihe wissenschaftlicher und kultureller Einrichtungen in der Provinzhauptstadt Posen stärkten bis 1914 die Gründung von rd. 500 Volksbibliotheken und die Stipendienvergabe durch den „Verein für Unterrichtshilfe“ (Towarzystwo Naukowej Pomocy) das Bildungswesen und das Nationalbewusstsein der polnischen Bevölkerung in der Provinz. Weder die von staatlicher Seite 1886 gegründete ›Ansiedlungskommission für Posen und Westpreußen‹, das kulturell-wirtschaftliche Programm zur „Hebung des Deutschtums“ in den Städten 1898–1914 und die gegen die polnische Sprache gerichtete Gesetzgebung noch der von privater Seite 1894 gegründete ›Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken‹ (1899 umbenannt in ›Deutscher Ostmarkenverein‹, bekannt auch als „Hakatisten“) verhinderten das wirtschaftliche Erstarken der polnischen Bevölkerung.

Die demographischen Verhältnisse blieben, von einigen Schwankungen abgesehen, trotz der einseitigen Förderung deutscher Interessen weitgehend stabil: Die Nationalitätenstatistik vermeldete 1825 62,9 % Polen, 30,8 % Deutsche und 6,3 % Juden; 1910 64,7 % Polen, 34 % Deutsche und 1,3 % Juden.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beschleunigte der am 27.12.1918 ausgebrochene Großpolnische Aufstand, der am 16.2.1919 mit einem deutsch-polnischen Waffenstillstand endete, die Wiedereingliederung G.s in den neuen polnischen Staat. Jeweils mit geringen territorialen Veränderungen entsprach G. seitdem der Woiwodschaft Posen (1919–38), dem weiter nach Osten ausgedehnten Reichsgau Posen (1939–40) bzw. Wartheland (1940–45) unter deutscher Besatzung, der Woiwodschaft Posen (1945, kleinere Grenzkorrekturen 1950), deren Territorium 1975 ganz oder teilweise auf neun kleinere Woiwodschaften verteilt wurde, von denen seit 1999 wiederum sieben ganz oder teilweise die Woiwodschaft G. bilden.

Łuczak Cz. (Hg.) 1969–1973: Dzieje Wielkopolski. 2 Bde. Poznań. Topolski J. 1999: Wielkopolska poprzez wieki. Poznań.

(Christoph Schutte)

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