Gnesen (Stadt)

Gnesen (poln. Gniezno)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die Stadt G. befindet sich im Osten der Woiwodschaft Großpolen, ca. 50 km von Posen entfernt. Sie liegt im südöstlichen Teil der „Großpolnischen Tiefebene“ (Nizina Wielkopolska) im Gebiet der „G.er Seenplatte“ (Pojezierze Gnieźnieńskie) ca. 120 m ü. d. M. G. ist auf insgesamt sieben Erhebungen errichtet, die von den Seen Jelonek, Świętokrzyskie jezioro und Winiary umgeben sind. Die Ausdehnung der Stadt beträgt 40,9 km². Die mittlere Temperatur in G. beträgt im Januar –2 °C, im Juli 18 °C, die jährliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf ca. 510 mm. G. hat 69.971 Einwohnern (2006) und ist Kreisstadt sowie Sitz des Landrates.

G. ist ein wichtiger Knotenpunkt für den Schienen- und Straßenverkehr auf der Nord-Süd-Achse Breslau–Posen–Bydgoszcz–Danzig. Um G. herum wurde bereits am Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. ein relativ dichtes Schmalspurbahnnetz entwickelt. Die meisten Strecken wurden jedoch nach 1990 stillgelegt. Z. Zt. werden einige Strecken für den Touristenverkehr betrieben. In den 1990er Jahren erlebten in G. die Elektrotechnik, Leichtindustrie und die Baubranche dank ausländischen Investitionen einen Aufschwung und bilden heute die wichtigsten Industriezweige der Stadt. In G. befinden sich fünf staatliche (davon eine Filiale der Adam-Mickiewicz-Universität Posen) und zwei private Hochschulen.

Anfang

2 Kulturgeschichte

Das Gebiet wurde erstmals im 6./7. Jh. durch den slawischen Stamm der „Polanen“ besiedelt. Die Legende erzählt von drei Brüdern, die sich auf Wanderschaft befanden, als einer von ihnen, Lech, auf einem Baum einen weißen Adler nisten sah und beschloss, an dieser Stelle eine Stadt zu gründen. Der Name G. (von poln. gniazdo, „Nest“) läßt sich davon herleiten.

An den Haupthandelsstraßen von und nach der Rus, Mähren und Pommern gelegen, konnte sich der Ort rasch zum Machtzentrum und bedeutenden Umschlagspunkt entwickeln. Im 8. Jh. wurde auf dem nach der Sage benannten Lech-Hügel vermutlich bereits eine Burganlage errichtet. Unter Fürst Mieszko I. (960–992), dem ersten bekannten Fürsten aus der Dynastie der Piasten wurde G. Hauptstadt des polnischen Reiches. Um dieses nach außen zu stärken, übernahm Mieszko 966 das Christentum.

999 ließ Bolesław I. Chrobry („der Tapfere“), Sohn Mieszkos und Herrscher seit 992, die Überreste des böhmischen Bischofs Adalbert nach G. bringen, der zwei Jahre zuvor auf einer Missionsreise von den heidnischen Prußen ermordet wurde. Bolesław erwirkte beim Papst die Heiligsprechung des Märtyrers sowie dessen Einverständnis zur Einrichtung eines G.er Erzbistums mit den Bistümern Krakau, Breslau und Kolberg (Kołobrzeg). Die Schaffung des Erzbistums wurde im Jahre 1000 bei einem Besuch des deutschen Kaisers Otto III. am Grab des hl. Adalbert feierlich verkündet (sog. Akt von G.). Nur wenig später, 1025, ließ sich Bolesław in der G.er Kathedrale vom Papst zum ersten polnischen König krönen.

Das Reich wurde durch dynastische Streitigkeiten und einen Volksaufstand 1034 jedoch so geschwächt, dass es dem Einfall des Herzogs von Böhmen Břetislav I. 1039 nichts entgegenzusetzen hatte. Dieser vernichtete Burg und Stadt und entführte die Reliquien des hl. Adalbert nach Prag.

Der polnische König Kazimierz I. Odnowiciel („der Erneuerer“; 1039–58) verlegte daraufhin die Hauptstadt des polnischen Reiches nach Krakau. 1238 erhielt G. das Magdeburger Stadtrecht. Bis 1320 blieb es Krönungsort der polnischen Könige. 1331 wurde die Stadt noch einmal durch den Deutschen Orden fast vollständig zerstört, unter König Kazimierz III. Wielki („der Große“, 1333–70) wieder errichtet und erneut bedeutende Handelsstadt. König Władysław II. Jagiełło stärkte im 14. Jh. die Position der Stadt als religiöse Hauptstadt, indem er erreichte, dass ab 1419 der G.er Erzbischof den Titel „Polnischer Primas“ (Prymas Polski) tragen durfte und die Würde eines Kardinals bekam.

Im 16./17. Jh. erlebte G. mehrfache Zerstörung, v. a. durch Stadtbrände, 1655 durch den Einfall der Schweden. Im Zuge der Teilungen wurde G. 1793 preußisch, 1807–15 gehörte es zum Herzogtum Warschau, danach wieder bis 1919 zu Preußen. Das gesamte 19. Jh. hindurch galt G. als einer der Mittelpunkte des Widerstandes gegen die Germanisierungspolitik der preußischen Machthaber und war auch 1918 eines der Zentren des Großpolnischen Aufstandes. Zu einem großangelegten städtischen Umbau kam es nach einem verheerenden Stadtbrand 1819, dem nahezu die gesamte Altstadt zum Opfer fiel. Während des zweiten Weltkrieges erlitt G., 1939 in das Deutsche Reich (Warthegau) eingegliedert, neuerlich Zerstörungen.

Seit 1994 trägt G. offiziell den Titel „Stadt des hl. Adalbert“. Die gotische Kathedrale auf dem Lech-Hügel mit den Überresten des Heiligen ist bis heute ein beliebtes Pilgerziel. Das bronzene Eingangsportal der Kathedrale aus der zweiten Hälfte des 12. Jh. gilt als eine der wertvollsten Sehenswürdigkeiten der europäischen Romanik. Auf ihm ist in vielen kleinen Einzeldarstellungen die Vita des hl. Adalbert wiedergegeben.

Im Archiv der Erzdiözese ist die sog. Goldene Bulle der polnischen Sprache (Bulla gnieźnieńska) aufbewahrt. In dieser Bulle des Papstes Innozenz II. aus dem Jahr 1136 sind 410 polnische Orts- und Personennamen verzeichnet. Dieses Dokument ist eines der ältesten polnischen Sprachdenkmäler.

G. ist zudem wichtigste Station des sog. Piastenweges, einer Route entlang bedeutender Denkmäler der Piastenzeit, die u. a. auch durch Posen und Inowrocław führt. Im Jahre 2000 wurde das tausendjährige Jubiläum des Treffens zwischen Kaiser Otto III. und Bolesław II. Chrobry mit zahlreichen Staatsgästen und einem umfassenden Festprogramm feierlich begangen.

Łęcki W. 1982: Gniezno. Poznań. Topolski J. 1979: Gniezno: zarys dziejów. Poznań. Ders. (Hg.) 1995: Gniezno: studia i materiały historyczne. Poznań.

(Gabriele Käbisch)

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