Polen-Litauen (Teilungen)

Teilungen Polens (richtiger: Teilungen Polen-Litauens); Bezeichnung für die territoriale Aufteilung Polen-Litauens durch Russland, Preußen und Österreich 1772, 1793 und 1795, verursacht durch die innenpolitische Krise Polen-Litauens und den machtpolitischen Konstellationswechsel in Ostmitteleuropa: Der Niedergang der Adelsrepublik an der Wende zum 18. Jh. begünstigte, dass Polen-Litauen am Ende des Nordischen Krieges (1700-21) unter „hegemoniale Kontrolle und Steuerung“ (M. G. Müller) Russlands, Preußens und Österreichs geriet, die von Russland bis 1768 zu einem Protektorat ausgebaut wurde.

Die Missachtung polnischer Souveränität und Russlands Unterstützung der Konföderation von Radom (1767), mobilisierte die Opposition eines großen Teils des polnisch-litauischen Adels 1768 (Konföderation von Bar). Diese bot den formellen Anlass zur russischen Intervention in Polen-Litauen. Preußen und Österreich nutzten diese Situation, um eigene Territorialforderungen durchzusetzen und verlorenen machtpolitischen Einfluss gegenüber Russland zu kompensieren: 1770 inkorporierte Österreich die Zips, Preußen errichtete einen von Schlesien bis nach Ostpreußen reichenden Cordon sanitaire und trat mit Russland in Verhandlungen über die T., denen sich Österreich dann anschloss.

Am 5.8.1772 kam es zu einem förmlichen Teilungsvertrag, der Russland ca. 93.000 km² und 1,3 Mio. Einwohner zusprach, Preußen ca. 36.000 km² und 340.000 Einwohner, Österreich ca. 82.000 km² und 2,6 Mio. Einwohner. Der Sejm ratifizierte unter Protest einer kleinen Minderheit (angeführt von Tadeusz Rejtan) 1773 diesen Vertrag. Bestrebungen nach Revision dieser Regelungen zeichneten sich bereits in dem von Preußen 1778/79 entworfenen Tauschplan ab, nach dem es Danzig, Thorn und Teile Großpolens, Polen dafür Teile Galiziens zurück erhalten sollte.

Während Preußens und Österreichs militärische Kräfte im Krieg mit Frankreich gebunden waren, schuf Russland 1792 mit seiner Intervention zugunsten der gegen die Reformen des Vierjährigen Sejms (1787-91) und die Maiverfassung (1791) gerichteten Konföderation von Targowica vollendete Tatsachen und setzte sich als Ordnungsmacht in Polen-Litauen durch, zumal Preußen seiner Bündnisverpflichtung gegenüber Polen von 1790 nicht nachkam. Der polnische König Stanisław II. August Poniatowski kapitulierte, indem er der Konföderation von Targowica beitrat. In den seit Mai 1792 geführten Teilungsverhandlungen ging es Preußen vorrangig um Kompensation seiner Kriegsleistungen gegen Frankreich.

Das russische Interesse am Bestehen der antirevolutionären Koalition gegen Frankreich gab neben eigenen territorialen Ansprüchen und den wachsenden Schwierigkeiten bei der Kontrolle Polens den Ausschlag zur Zweiten Teilung, die in dem preußisch-russischen Vertrag vom 23.1.1793 festgeschrieben wurde. Der in Grodno einberufene sog. Stumme Sejm musste im September 1793 die Abtretungsverträge ratifizieren. Russland erhielt ca. 250.000 km² und 3 Mio. Einwohner, Preußen ca. 58.000 km² mit 1,14 Mio. Einwohnern. Der polnische Staat mit ca. 215.000 km² und 3,4 Mio. Einwohnern war nun wirtschaftlich nicht mehr lebensfähig und vollständig dem russischen Protektorat unterworfen, eine Fortführung der Teilung war absehbar: Infolge des französischen Vordringens im Westen richteten sich die Expansionsziele Österreichs und Preußens verstärkt nach Osten.

Der Kościuszko-Aufstand 1794 zog die neuerliche Intervention Russlands in Polen-Litauen nach sich, an der nun auch Österreich und Preußen eine Mitbeteiligung forderten. Obwohl der polnische Jakobinismus als reale Gefahr empfunden wurde, spielte der machtpolitische Ausgleich zwischen den Teilungsmächten durch Revision des Vertrages von 1793 eine ebenso große Rolle für das weitere Vorgehen. Russland nutzte den preußisch-österreichischen Gegensatz und gelangte durch ein geheimes Abkommen mit Österreich am 3.1.1795 in eine Schlüsselposition. Die Verträge vom 24.10.1795 vereinbarten die völlige Aufteilung Polen-Litauens. Russland erhielt ca. 120.000 km² mit 1,3 Mio. Einwohnern, Preußen ca. 48.000 km² mit 1 Mio. Einwohnern, Österreich. ca. 47.000 km² mit 1,1 Mio. Einwohnern. Der polnische König musste am 25.11.1795 abdanken.

Es entstanden noch Auseinandersetzungen bei der Entflechtung der Interventionstruppen und der Demarkation der neuen Grenzen, so dass die Konvention vom 26.1.1797 das Teilungsgeschäft eigentlich erst abschloss, zumal im geheimen Zusatz nun auch der Staatsbegriff „Königreich Polen“ unwiderruflich aufgehoben wurde.

Gelegentlich wird die Aufteilung des Herzogtums Warschaus auf dem Wiener Kongress (1815) als vierte und die durch den Hitler-Stalin-Pakt (1939) vollzogene Aufteilung Polens in deutsches und sowjetisches Interessengebiet als fünfte T. bezeichnet. Das Erlebnis der Teilungen und der staatlichen Nichtexistenz Polens von 1795 bis 1918 hatte starken Einfluss auf die Entwicklung des polnischen Nationalbewusstseins. Es verschwanden mit der Aufteilung des einzigen nichtabsolutistischen Staates in Europa Ansatzpunkte für eine politische Modernisierung, die T. sind v. a. aber der Beginn der Auflösung der alten europäischen Staatenbeziehungen, da die Herausbildung und Festigung der europäischen Pentarchie nur vor dem Hintergrund der sog. Polnischen Frage zu sehen ist.

Müller M. G. 1984: Die Teilungen Polens 1772, 1793, 1795. München.

(Heidi Hein-Kircher)

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