Thrakien
Thrakien (bulg. Trakija, griech. Thrakī, türk. Trakya).
Inhaltsverzeichnis |
1 Geographie
T. (seltener Thrazien) ist eine historische Region auf der südöstlichen Balkanhalbinsel und eine der ältesten europäischen Kulturlandschaften. Ihre Außengrenze erstreckt sich vom Kap Emine an der mittelbulgarischen Schwarzmeerküste über das Balkan-Gebirge bis zum Gipfel Ostra, von dort südlich über das Mittelgebirge von Ihtiman und Musala im Rila-Gebirge, anschließend westlich des Sees von Dospat an die griechisch-bulgarische Grenze, wo sie dem Grenzverlauf zwischen den Gipfeln Kainčal und Gyftokastro folgt, schließlich zum Fluss Mesta und zu dessen Mündung herabführt, um entlang der Meeresküsten (Ägäisches Meer, Dardanellen, Bosporus, Schwarzes Meer) zum Ausgangspunkt zurückzugelangen.
Die Region wird in Nord-T. (oder Bulgarisch-T.), West-T. (oder Griechisch-T.) und Ost-T. (oder Türkisch-T.) unterteilt. Folglich gehören zu T. die bulgarischen Provinzen Burgas, Sliven, Jambol, Stara Zagora, Chaskovo, Plovdiv, Kărdžali, Pazardžik und Smoljan, die griechischen Provinzen Xanthī, Rodopī und Evros mit der vorgelagerten Insel Samothrakī sowie die türkischen Provinzen Kırklareli, Tekirdağ, Edirne sowie Teile von Istanbul und Çanakkale mit den vorgelagerten Inseln. Damit gehört der größte Teil mit 27.516 km² zu Bulgarien, zur Türkei gehören 23.764 km² und zu Griechenland nur 8578 km². Bezüglich der Bevölkerung steht mit 6 Mio. Einwohnern der türkische Teil an erster Stelle, und den Karpaten reichte. Plinius d. Ä. (24–79) begrenzte ihn durch die Flüsse Struma im Westen und Donau im Norden. Die römische Provinz Tracia reichte vom Fluss Mesta bis zum Balkan-Gebirge und grenzte im Norden an Mösien. T. war nie ein selbstständiges politisches Reich, sondern stets eine Großlandschaft im Sinne einer provinzial-politischen Verwaltung. In den Standardsprachen Südosteuropas werden heute unterschiedliche Vorstellungen mit dem Begriff T. verbunden.
Vier große Gebirge prägen die thrakische Landschaft: das Balkan-Gebirge (2376 m) im Norden, das Rila-Gebirge im Westen (2925 m), die Rhodopen im Süden (2306 m) und das Istranca-Gebirge (bulg. Strandža) im Osten (1031 m). Das Balkan-Gebirge ist ein tertiäres Faltengebirge und fällt steil in die Oberthrakische Ebene ab. Das Rila-Gebirge zeigt eine charakteristische alpine Reliefgestaltung. Kare mit Karseen, Trogtälern und Periglazialerscheinungen prägen das Gebirge, das im Pleistozän vergletschert war. Die Rhodopen dominieren den Raum. Sie sind aus paläozoischen Schiefern, Gneisen und Graniten aufgebaut, werden von Flüssen zerschnitten und dadurch in Einzelgebirgszüge unterteilt. Ihre Gipfel sind stark gerundet – Kennzeichen ihres hohen geologischen Alters – und von ausgedehnten Wäldern bedeckt. Die höchsten Erhebungen liegen in den Westrhodopen auf bulgarischem Boden (Vrăch Slav 2306 m, Goljam Perelik 2191 m), in Griechenland erreichen sie ihre höchste Erhebung im Berg Gyftokastro (1827 m). Nach Osten nimmt das Gebirge an Höhe ab, es ist hier begleitet von breiten Hügelländern, die im Dreiländereck in den eozänen bis pliozänen Ablagerungen des Thrakischen Beckens eine besondere Ausdehnung erreichen und in das Istranca-Gebirge und die Halbinsel Gelibolu übergehen. Während das nördliche Istranca-Gebirge dicht bewaldet ist, reichen seine südlichen Ausläufer in die ostthrakische baumarme Steppe. Trotz seiner relativ einfachen Oberflächenformen hat T. eine komplizierte Erdgeschichte. Phasenhafte Hebungen und Zerschneidungen führten zu einer Schiefstellung der alten Rumpfflächen gegen Süden zum Bosporus hin und zu Hebungen im Bereich der Dardanellen. Der Begriff Thrakische Masse stellt eine Sammelbezeichnung für die Gebirge Südbulgariens und Nordgriechenlands dar und umfasst somit auch die Gebirge Pirin und Falakron im geographischen Makedonien. Sie weisen hauptsächlich archaische Gesteine (kristalline Schiefer, Gneis) aus; im Tertiär wurden mehrere Becken in das Gebirge eingesenkt.
Das bedeutendste Flachland ist mit einer Fläche über 6000 km² die Marica-Ebene oder Oberthrakische Tiefebene, die auf durchschnittlich 160 m ü. d. M. zwischen Balkan-Gebirge, Rhodopen und Istranca liegt. Sie wird durch die Anhöhe von Čirpan in die Becken von Plovdiv-Pazardžik und Stara Zagora geteilt. Die Flüsse Marica und Tundža durchfließen die Region, die sich nach Südosten hin der noch größeren Ostthrakischen Ebene öffnet, die wiederum vom Fluss Ergene unterteilt wird.
Das Klima ist gemäßigt kontinental mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von ca. 540 mm. T. ist klimatisch und ökologisch eine Übergangszone, in der die Rhodopen eine Klimascheide darstellen. In der bulgarischen Bergklimazone fallen hohe Niederschläge und die Winter sind erheblich verlängert. An den Nordflanken hält sich Schnee auch im Sommer. In Küstennähe ist das Klima mediterran, landeinwärts nehmen die kontinentalen Eigenschaften schnell zu. Dies drückt sich in einer Verschiebung der Trockenzeit in den Spätsommer und einer größeren Temperaturamplitude aus. Die Jahresmitteltemperaturen liegen mit 14° C deutlich unter denen der übrigen ägäischen Küste (19° C). Der Winter bringt immer wieder Kaltlufteinbrüche, die die Mitteltemperaturen des Januar auf 3–6° C absinken lassen, während die Monatsmittel des Juli mit 24° C dagegen etwa denen Mittelgriechenlands entsprechen. Die Beschränkung der Ölbaumkulturen auf einen schmalen Küstenstreifen – in Bulgarien gedeiht die Olive bereits nicht mehr – macht die kontinentalen Klimaeinflüsse deutlich sichtbar. Durch die naturräumliche Funktion T.s als Übergangsraum erreichen viele Arten hier ihre äußerste Verbreitungsgrenze, was eine hohe Artenvielfalt bedingt. Die Deltabereiche der Flüsse Mesta und Marica mit ihren ausgedehnten Schwemmländern verfügen über wertvolle Biotope.
Die Rhodopen sind reich an Bodenschätzen (Eisen, Blei, Mangan) und Quellen, so dass Kraftwerkssysteme wie bei Batak im Nordwesten und bei Kladenec eingerichtet werden konnten. Problematisch ist, dass den Flüssen der Rhodopen bereits in Bulgarien ihr Wasser entnommen wird und somit die Flussdeltas in Griechenland nahezu trocken fallen. Das wenige übrig bleibende Wasser wird für die Landwirtschaft genutzt, viele ökologisch wertvolle Regionen trocknen gänzlich aus.
Die seit dem Altertum intensive wirtschaftliche Nutzung hat zur Vernichtung der natürlichen Vegetation geführt, so dass außer in den höheren Rhodopen nur kleine Wälder erhalten geblieben sind. Der industrialisierte Abbau von Braunkohle im Marica-Becken (etwa 70 % des gesamten Vorkommens im heutigen Bulgarien) hat deutliche Folgen für die Umwelt. Während Berg- und Gebirgsland wenig günstige Voraussetzungen für die Landwirtschaft bieten, sind die Ebenen für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignet, insbesondere dort, wo sie melioriert wurden und Bewässerungseinrichtungen vorhanden sind. Die bewaldeten Gebirgsbereiche unterliegen extensiver weidewirtschaftlicher Nutzung. Trotz weniger Naturweiden wird relativ viel Vieh gehalten. T. ist in allen drei Ländern für gute Milchprodukte bekannt. Die einst eingewanderten nomadisierenden Juruci sind sesshaft geworden.
Neben dem Anbau von Weizen, Mais, Zucker, Sonnenblumen, Bohnen, Wein und Obst auf den fruchtbaren Schwarzerden spielt vor allem im Marica-Tal und im Mesta-Delta der Reisanbau eine Rolle. In der Umgebung von Edirne und Kazanlăk (Tal der Rosen) trägt die Herstellung von Rosenöl zur lokalen Wirtschaft bei. Tabak wird in Bulgarien v. a. in der Umgebung von Ardino, Batak sowie um Goce Delčev herum angebaut, im griechischen und türkischen Teil T.s gibt es verstärkten Anbau in den auslaufenden Hügelländern. Die slawischsprachige muslimische Gruppe der Pomaken lebt zu großem Teil vom Tabakanbau. In den Ebenen wird Baumwolle angebaut. Die ostthrakische Steppe ist die wichtigste Kornkammer vor den Toren Istanbuls, der größte Teil ihrer Bodenfläche ist kultiviert. Die technische Modernisierung ist in diesem Teil der Türkei weiter fortgeschritten als in vielen anderen ländlichen Räumen der Türkei. Die Kulturlandschaft und Lebensweise Ost-T.s ähnelt in vielen Dingen eher dem Balkan als der kleinasiatischen Türkei. Die Gründe für die stellenweise geringe Produktivität der Landwirtschaft liegen in dem unterdurchschnittlichen Anteil an Bewässerungsland, aber auch an der geringen Neuerungsbereitschaft.
Anteil und die Produktivität der Erwerbspersonen im tertiären Sektor sind gering. Der Tourismus spielt nur punktuell, v. a. aber an den Stränden der Meere eine gewisse Rolle. Viele Küstenorte werden von der Bevölkerung zur Sommerfrische genutzt. Nur in Bulgarien liegen Ortschaften mit zentralen Funktionen auch in höheren Lagen. Bis in Höhen von 1300 m gibt es noch Bergbausiedlungen, Holzbearbeitungsorte und Erholungsorte, in Bulgarien auch Skitourismus (z. B. Pamporovo).
Die heutige Verteilung der Bevölkerung zeigt generell eine Konzentration in den Ebenen und den Küstenländern. Während mit Ausnahme der Hafenstadt Alexandroupolī die bedeutenden zentralen Orte West-T.s (Xanthī, Komotīnī) im Hinterland liegen, weist das türkische Ost-T. ein Reihe bedeutender Städte an der Küste des Marmarameeres (Şarköy, Tekirdağ) und entlang der Flusstäler (Edirne, Kırklareli, Lüleburgaz) auf. Innerhalb Bulgariens liegen die bedeutendsten Orte entlang der Schwarzmeerküste und im Marica-Tal; die wichtigste Stadt in den oberen Rhodopen ist Kărdžali.
Da spätestens seit dem griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch (1921–23) Ost-T. fast ausschließlich muslimisch besiedelt ist, scheint es heute schwer vorstellbar, dass das ostthrakische Hinterland und die Städte am Marmarameer einst wichtige kulturelle Zentren des Griechentums waren. Über 1,2 Mio. Christen aus Ost-T. und Kleinasien mussten die Türkei verlassen, im Gegenzug verließen rund 500.000 Muslime Nordgriechenland. Die Muslime West-T.s waren 1922 als Kompensation für die in Istanbul verbleibenden Griechen vom Bevölkerungsaustausch ausgenommen worden. Die meisten der in West-T. siedelnden Bulgaren wanderten ab 1919 nach Bulgarien ab, während sich Griechen von der bulgarischen Schwarzmeerküste in dem neuen Territorium niederließen. Flüchtlinge aus Kleinasien brachten die pontisch-griechische Kultur aus der Schwarzmeerregion unter anderem auch nach West-T. Sie wird in den Ansiedlungen der Flüchtlinge bis heute gepflegt. In Ost-T. konnte entsprechend der türkische Bevölkerungsanteil erhöht werden: Die heute dort lebenden Türken sind zum Teil Einwanderer aus dem griechischen Makedonien sowie aus Kreta.
Die Türken Griechenlands siedeln schwerpunktmäßig in der Provinz Komotīnī, das zu osmanischer Zeit Verwaltungszentrum des damaligen Sandschak Gümülcine war, ferner in Xanthī und Evros, während ihr Verbreitungsgebiet in Bulgarien nahezu die gesamten zentralen und östlichen Rhodopen ausmacht. Eine weitere muslimische Ethnie sind die Pomaken, die außerhalb ihres Siedlungszentrums in den westlichen Rhodopen (Griechenland, Bulgarien) als Zuwanderer auch in Ost-T. leben. Die angesiedelten christlichen Albaner in der nördlichen Provinz Evros sowie die turksprachigen christlichen Gagausen sind weitgehend assimiliert. In allen Teilen T.s, vornehmlich am Rande der Städte, leben muslimische Roma. Die Gruppen der Armenier und Juden sind auf kleine städtische Gemeinden beschränkt.
Innerhalb West-T.s ist die wichtigste West-Ost-Verbindung entlang der alten Via Egnatia gebaut worden: Die neue Nationalstraße Kavala–Alexandroupolī ist als Autobahn angelegt, die quer durch das griechische T. führt. Sie gibt der Peripherregion schnellen Anschluss an entwickelte Regionen wie Saloniki. Eine ausgebaute Querverbindung führt in Bulgarien vom Strumatal über Goce Delčev, Dospat und Devin nach Smoljan und Madan bis Ivailovgrad, wobei zwischen Dospat und Devin Passhöhen von 1500 m überschritten werden. Darüber hinaus ist eine Straßenverbindung, die von Xanthī nach Smoljan führen wird, über einen noch zu schaffenden Grenzübergang durch die Rhodopen in Planung. In Ost-T. führen die wichtigsten Straßen, von den Grenzübergängen ausgehend, strahlenförmig nach Istanbul. Die noch unter osmanischer Herrschaft gebaute, eingleisige Eisenbahnlinie mied aus strategischen Gesichtspunkten die Küste und erlaubt nur geringe Geschwindigkeiten. Die Verbindungen der Teile T.s unter den drei Staaten sind gering. Reisende aus Bulgarien, die an das Ägäische Meer und damit zu wichtigen Hafenstädten gelangen wollen, müssen weite Wege über die Grenzübergänge Kulata/Promachonas oder Dikaia/Svilengrad in Kauf nehmen.
Politische Gründe verhindern seit langem intensiveren Verkehr zwischen Griechenland und der Türkei, sodass die Transitfunktion der Region auch aus diesen Gründen eingeschränkt bleibt.
Der wichtigste Hafen in Nord-T. ist Burgas, während Nesebăr und Ahtopol an Bedeutung verloren haben. Im griechischen T. fehlen wichtige Häfen. Während der Zugehörigkeit West-T.s zum Osmanischen Reich hatte Edirne die wichtigsten zentralörtlichen Funktionen inne und Enez östlich der Marica-Mündung nahm die Hafenfunktionen wahr. Die Häfen von Alexandroupolī und Porto Lagos sind erst am Ende des 19. Jh. dem Status unbedeutender Fischerorte entwachsen und leiden unter einem mangelhaften technischen Zustand, dem wirtschaftsschwachen Hinterland und der peripheren Lage im Dreiländereck. Bereits in den ersten Wochen der bulgarischen EU-Mitgliedschaft (Januar 2007) zeigte die Öffnung der Grenzen positive Auswirkungen auf das wirtschaftliche Leben dieser Städte.
Der geringe Entwicklungsstand mehrerer peripherer Regionen in allen Teilen T.s führte in der zweiten Hälfte des 20. Jh. zur Abwanderung vieler Menschen als Gastarbeiter in die Bundesrepublik Deutschland. Aus Bulgarien kam es zu einer großen Abwanderung von Muslimen in die Türkei.
2 Kulturgeschichte
T. ist seit frühester Zeit besiedelt. Die Thraker waren ein indogermanisches Volk des Altertums in Südosteuropa und Vorderasien. Sie siedelten seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. im gesamten historischen T. sowie nördlich der unteren Donau. Nach makedonischer und keltischer Herrschaft gerieten die Thraker zunächst unter römische, dann unter byzantinische Herrschaft. Seit dem 6. Jh. beschleunigte sich der Untergang der Thraker durch die starke Einwanderung der Slawen auf der Balkanhalbinsel. Von der hochstehenden thrakischen Kultur zeugen zahlreiche Grabhügel und Schatzfunde wie der Schatz von Kazanlăk. In manchen Sprachen werden die Einwohner des antiken T. (griech. thrakes, bulgar. traki) von den heutigen (griech. thrakiōtes, bulg. trakijci) unterschieden.
Das thrakische Küstengebiet und die Halbinsel Chalkidike waren seit etwa 750 v. Chr. Ziel griechischer Koloniegründungen (Abdēra, Byzantion, Amphipolis, Poteidaia, Olynth), die in der klassischen Zeit zum Einflussbereich Athens zählten. Aus den zahlreichen thrakischen Stämmen des Binnenlandes bildete sich 450 v. Chr. ein Reich, das 342 v. Chr. von den Makedoniern unterworfen wurde und nach dem Tod Alexanders des Großen (323 v. Chr.) an Lissimachos fiel. Im 3. Jh. v. Chr. bildete sich auf thrakischem Boden das keltische Reich von Tylis (bis 193 v. Chr.), bis T. um 15 v. Chr. römischer Klientelstaat wurde.
Im Norden entstand um 44 die römische Provinz Mösien, die später mehrfach geteilt wurde, im Süden zwischen Balkan-Gebirge und Schwarzem Meer die Provinz Thracia. Im Mittelalter gehörte T. nördlich des Marmarameeres als Thema Thrakī zum Byzantinischen Reich, das den größten Teil des alten T.s an Bulgarien verlor. Seit der Mitte des 14. Jh. wurde T. osmanisch. Das ostthrakische Edirne war von 1365 bis 1453 Hauptstadt des Osmanischen Reiches und auch im späteren Verlauf eine der bedeutendsten Städte des Osmanischen Reiches.
Nach der Unabhängigkeit Bulgariens 1878 und des griechischen Nordostens 1912/13 verlor Edirne sein Hinterland und wurde im Dreiländereck immer mehr marginalisiert und schrumpfte schlussendlich zur Provinzhauptstadt. 1885 besetzten bulgarische Truppen Ostrumelien. Die Revolution der Jungtürken 1908 brachte eine verstärkte Unterdrückung der nicht-muslimischen Bevölkerung mit sich. Es folgte die Okkupation West-T.s im Zweiten Balkankrieg, in dem sich Serbien und Griechenland gegen Bulgarien verbündet hatten, und die Besetzung im Zweiten Weltkrieg, in dem Bulgarien auf der Seite der Achsenmächte kämpfte. Die Kriege und Friedensschlüsse zwischen 1912 und 1923 führten zur heutigen Grenzziehung zwischen Türkei, Griechenland und Bulgarien.
T. beherbergt große kulturelle Schätze, darunter die Klöster von Rila (920 gegründet) und Bačkovo (1088 gegründet), die geistige Zentren des Bulgarentums während der Türkenzeit darstellten. Das beste Beispiel für einen gut erhaltenen Altstadtkern mit reich ausgestatteten Herrenhäusern ist Plovdiv. Die Altstadtbereiche der westthrakischen Städte Xanthī und Komotīnī haben ihre osmanische Struktur bewahrt, während die griechische Struktur der ostthrakischen Städte weitgehend verlorengegangen ist. In Edirne wurde auf die byzantinische Stadtstruktur ein dichtes osmanisches Gebäudewesen gesetzt, von dem u. a. die 1575 vom Architekten Mimar Sinan vollendete Selimiye-Moschee und die Karawanserei Rüstem Pascha von 1554 besonders sehenswert sind. Malerische Herrenhäuser haben sich in den Rhodopen, so in Široka Lăka oder in Smoljan, halten können; im westthrakischen Soufli bilden die alten Seidenfabriken eine eindrucksvolle architektonische Besonderheit. Im ländlichen Raum fallen große und vergleichsweise wohlhabende Dörfer auf. Einen guten Eindruck der alten dörflichen Holzbauweise in Ost-T. geben Dörfer wie Üçmakdere am Marmarameer. In ethnisch gemischten Siedlungen haben sich Viertel gebildet. Während die Häuser in den christlichen Dörfern ihr Gesicht zur Straße kehren, sind die Häuser in den von Muslimen bewohnten Dörfern T.s von einer hohen Mauer umgeben und nach außen verschlossen.
Wichtigstes Universitätszentrum auf thrakischem Boden innerhalb Bulgariens ist Plovdiv, das über die Paisii-Hilendarski-Universität, ein Medizinisches Institut, eine Technische Universität, eine Landwirtschaftliche Hochschule und eine Hochschule der Nahrungs- und Genussmittelindustrie verfügt. Die Gleichwertigkeit der beiden griechischen Städte Komotīnī und Xanthī führte dazu, dass die 1973 eingerichtete Demokrit-Universität auf beide verteilt wurde. Ähnlich ist die Situation der türkischen Trakya-Universität, die Institute in Tekirdağ und Edirne betreibt.
Bălgarska akademija na naukite, Etnografksi institut i muzei (Hg.) 1994: Rodopi. Etnografski pročuvanija na Bălgarija. Tradicionna narodna duhovna i socialnonormativna kultura. Sofija. Echt R. (Hg.) 2004: Die Thraker. Mainz. Gerov B. 1980: Beiträge zur Geschichte der römischen Provinzen Mösien und Thrakien. Amsterdam. Hütteroth W.-D., Höhfeld V.: Türkei. Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Politik, Darmstadt 2002. Lienau C., Katsaros G. 2004: Ostmakedonien und Thrakien. Der Nordosten Griechenlands im Wandel, Geographische Rundschau 56, 7/8, 22–28. Philippson A. 1950: Die griechischen Landschaften. Eine Landeskunde. Der Nordosten der griechischen Halbinsel. Frankfurt a. M.