Plovdiv

Plovdiv (bulg., altgriech. Philippopolis, latein. Trimontium, osman.-türk. Filibe)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

P. ist heute die zweitgrößte Stadt Bulgariens, Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks und erstreckt sich auf etwa 160 m Höhe über 53 km² in der Thrakischen Ebene zu beiden Ufern des Flusses Marica. P. hat 341.873 Einwohner (2005). Die Stadt wurde auf sieben Hügeln (aus Syenitgestein, ca. 200–280 m hoch) erbaut; sechs davon sind erhalten und geben ihr ein unverwechselbares Gepräge. Das maritim-kontinentale Übergangsklima bringt milde Winter, heiße Sommer und einen warmen, langandauernden Herbst. Der mittlere jährliche Niederschlag beträgt 515 mm. Durch die Stadt verlaufen wichtige Verkehrsadern, die schon in der Antike das Baltikum mit dem Mittelmeer und das Schwarze Meer mit der Adria verbunden haben. Heute sind das die Trassen der europäischen Fernverkehrsstraßen 4 und 8. In Nord-Süd-Richtung verläuft eine weitere Transitachse, die Nord- und Zentraleuropa über die Donau mit Griechenland und dem Mittelmeer verbindet.

Anfang

2 Kulturgeschichte

P. ist eine der ältesten Städte Europas. Archäologische Überreste von Festungsmauern, Hof- und Kultanlagen lassen auf eine thrakische Siedlung (Eumolpia, Zentrum des Odryserreiches) schon im 5. Jh. v. Chr. schließen. 342 v. Chr. eroberte Philipp II. von Makedonien diese Siedlung und baute sie zu einer Stadt (Philippopolis) mit zahlreichen öffentlichen Gebäuden, Tempeln und einem Stadion aus. 278 v. Chr. fiel P. in die Hände der Kelten, 66 Jahre später wurde sie vom Odryserkönig Seuthes IV. eingenommen. Anschließend besetzten die Römer Thrakien und schlossen es dem Römischen Reich an. Seit dem 1. Jh. hieß die Stadt Trimontium (auch Flavia und Ulpia). In dieser Zeit erlangte der Fluss Marica für das wirtschaftlich aufstrebende P. (mit eigener Münzprägung) als Transportweg zur Ägäis erste Bedeutung.

Während des 2. und der ersten Hälfte des 3. Jh. erlebte P. seine größte Blüte: Zu dieser Zeit hatte P. schon Vororte sowie eine Villengegend und zählte mehr als 100.000 Einwohner. Es war administratives, wirtschaftliches, militärisches und religiöses Zentrum der Provinz Thrakien. 251 zerstörten die Goten die Stadt (u. a. die antike Synagoge, die damals dreizehntgrößte und größte in der Diaspora). Bald darauf bauten die Römer P. wieder auf, das nach dem Zerfall des römischen Imperiums (4. Jh.) zu Byzanz gehörte. P. wurde von den Hunnen unter Attila 441 erneut zerstört. Unter Kaisers Justinian erhielt die Stadt Mitte des 6. Jh. Befestigungsanlagen und zahlreiche christliche Kultstätten. Im Umland der Stadt siedelten sich jetzt dauerhaft slawische Stämme an, die allmählich das ethnische Gepräge der Region veränderten. Sie übernahmen die thrakische Bezeichnung Pulpudeva (überliefert sind Păldin oder Ploudin), die sich auch im heutigen Namen P. verbirgt. Nach der Gründung des Ersten Bulgarischen Reiches (681) begannen die Bulgaren, nach Thrakien einzudringen, wobei sich P. als wichtige byzantinische Grenzfestung erwies. Zum ersten Mal innerhalb des bulgarischen Herrschaftsbereichs befand sich die Stadt unter Khan Malamir (831–836). Zu Zeiten der Kreuzzüge erlebte P. eine Reihe von Plünderungen (1096, 1100/01, 1147, 1189). Die Kreuzritter – z. B. die etwa 100.000 Mann zählende Armee Friedrich I. Barbarossas – quartierten sich in der an Handelswaren und Lebensmitteln reichen Stadt ein, bevor sie Richtung Konstantinopel weiterzogen. P. wurde vom byzantinischen Kaiser Isaakios II. Angelos wieder aufgebaut und nach der Gründung des Zweiten Bulgarischen Reiches (1185) in dieses eingegliedert. 1204 wurde P. kurzzeitig Hauptstadt des Herzogtums Philippopel unter der Herrschaft des Ritters Renier de Trit (›ducatus de Finepople‹).

Das Wachstum P.s im 13. und 14. Jh. schlug sich auch im Stadtbild nieder. In der inneren, befestigten Stadt lebten v. a. städtische Aristokraten, in der äußeren die Handwerker, Händler und Bauern. Dort befanden sich auch die Viertel der Ausländer: die sog. „Lateiner“ (Westeuropäer), Armenier, Byzantiner Georgier und Juden. Die Herren der Stadt wechselten mehr als 15 Mal, ehe P. 1364 an die Osmanen fiel und als Filibe fünf Jahrhunderte lang zum Osmanischen Reiches gehörte.

P. verlor allmählich seine Festungsfunktion, war aber als wichtige Station auf der Trasse von Zentral- und Westeuropa nach Konstantinopel bedeutend. Von hier wurden nicht nur in die Gebiete des Reiches, sondern auch weit über seine Grenzen hinaus – nach Ägypten, Indien, Zentral- und Westeuropa – hauptsächlich landwirtschaftliche Produkte und Handwerksgüter exportiert. Die alten Befestigungsanlagen wurden abgetragen, die Steinblöcke zum Bau von öffentlichen und Wohngebäuden verwendet. P. veränderte seine architektonische Gestalt nahezu völlig und verwandelte sich in eine orientalische Stadt. Für das 17. Jh. bezeugt Evliya Çelebi, dass es in der Stadt 23 türkische und noch einmal so viele bulgarische, lateinische, griechische, jüdische und armenische Viertel sowie 50 Moscheen, 70 Grundschulen, elf Gasthäuser und acht öffentliche Bäder gegeben hat.

1818 wurde P. durch ein Erdbeben fast gänzlich zerstört, blühte aber durch den internationalen Handel wieder auf. Viele P.er Familien hatten Handelshäuser und Kontore in Konstantinopel, Odessa, Wien, Kalkutta, Manchester und betrieben Import und Export im großen Stil. In der Umgebung der Stadt wurden einige der ersten Fabriken auf der Balkanhalbinsel gebaut und Bankhäuser eröffnet, die Kreditoperationen in ganz Europa und im Osmanischen Reich durchführten. P. war eines der sich rasch entwickelnden Wirtschafts- und Verkehrszentren im europäischen Teil des Osmanischen Reiches und daher für den bulgarischen Freiheitskampf bedeutend. Nach der Unabhängigkeit Bulgariens (1878) war P. für einige Jahre Hauptstadt der Provinz Ostrumelien.

Ab 1888 verband die Eisenbahnlinie des Orient-Express P. und Sofia mit Europa und Kleinasien, 1892 wurde in P. die erste Handels- und Industrieausstellung unter internationaler Beteiligung durchgeführt (eine Vorgängerin der heutigen P.er Messe). In der wechselvollen Geschichte Bulgariens der ersten Hälfte des 20. Jh. gelang es P., sich als wichtiges ökonomisches Zentrum zu etablieren, das ausländische Investitionen anzog. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges war v. a. es Hauptexporteur für Obst und Gemüse sowie für Halbfabrikate aus selbigen.

In dem mit Deutschland verbündeten Bulgarien kam es zum Widerstand mehrerer Gemeinden gegen die Auslieferung ihrer jüdischen Bevölkerung, so auch in P., wo im März 1943 der Metropolit Kiril und eine Gruppe angesehener P.er Bürger eine erfolgreiche Protestaktion gegen die Deportation organisierte. Im Rahmen der sozialistischen Industrialisierung entwickelten sich die Lebens- und Genussmittel-, die Textil- sowie die chemische Industrie, die Buntmetallverhüttung und der Maschinenbau, wodurch die P.er Wirtschaft ihre Positionen auf dem Binnen- und dem europäischen Markt bedeutend erweiterte. Die Jahre des Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft sind von strukturellen Veränderungen, v. a. der Privatisierung der führenden Industrie- und Handelsunternehmen geprägt. Heute ist P. Haupterzeuger und Exporteur von Lebensmittelprodukten, Tabak, Buntmetallen, Kunstdüngern, Papier und Parfümprodukten.

P. ist die zweitwichtigste Universitätsstadt Bulgariens. Neben der P.er Universität (mit 9 Fakultäten) gibt es auch eine technische Universität, eine landwirtschaftliche Hochschule, eine Hochschule für Nahrungs- und Genussmitteltechnik, eine medizinische Akademie und eine Akademie für Musik und Tanz. An den P. Universitäten studieren über 22.000 bulgarische und ausländische Studenten.

Unbestritten ist P.s Rolle als Kulturzentrum. Die „Gesellschaft der P.er Künstler“ (bulg. Družestvo na plovdivskite chudožnizi) ist in Bulgarien und im Ausland anerkannt, das dramatische Theater und die Oper ziehen v. a. während der Sommerfestivals ein großes Publikum an. P. verfügt über zahlreiche römische Bauten, z. B. das antike Theater, das rekonstruiert wurde und 3500 Plätze bietet, oder den Aquädukt, der die Stadt bis Ende des 19. Jh. mit Wasser aus den Rhodopen versorgte, weiterhin die Thermen mit Bodenheizungssystem. Auf dem Platz Džumajata kann ein Teil des für 30.000 Zuschauer angelegten Amphitheaters (Stadions) besichtigt werden. Die Altstadt P.s mit mehr als 300 Bauten im Stil der Wiedergeburt steht unter Denkmalschutz. Zahlreiche archäologische Ausgrabungsstätten zur Geschichte der Thraker sowie das Archäologische, das Ethnographische, und das Museum der Wiedergeburtszeit machen P. und seine Umgebung zu einem attraktiven Ziel für Touristen.

P. ist bis in die Gegenwart eine kosmopolitische Stadt. Seit dem Mittelalter ist es Zentrum einer der größten Ansiedlungen der Paulikianer, die 1842 und 1863 zwei bedeutende Bildungsstätten der Stadt gründeten. Die katholische Kathedrale ›Sv. Ljudvig‹ ist überdies ein architektonisch bemerkenswertes Denkmal (Barock). In der Stadt lebt traditionell auch eine kleine Gruppe von Protestanten verschiedener konfessioneller Ausrichtungen, auf die ebenfalls wichtige Bildungsinstitutionen zurückgehen. Seit frühester Zeit ist in P. eine homogene Gruppe jüdischer Bevölkerung ansässig, die auch heute noch ihre religiöse und kulturelle Identität bewahrt. Die armenische Gemeinschaft in P. ist eine der größten in Bulgarien, mit eigener Schule, Kirche und eigenen Publikationen. Mit über 50.000 Einwohnern bilden die in P. lebenden Roma eine der größten Minderheiten. Muslime sind seit dem 14. Jh. in P. ansässig. Obwohl große Gruppen von ihnen nach der bulgarischen Staatsgründung nach Kleinasien auswanderten, prägen sie das Stadtbild bis heute. Es gibt zwei aktive Moscheen – Džumaja und Imaret (beide aus dem 15. Jh.) –, die zu den bemerkenswertesten Denkmälern islamischer Architektur auf dem Balkan gehören. Zudem leben in P. und Umgebung kleine Gruppen von weitgehend an ihre bulgarische Umgebung assimilierten Griechen. Die Einbeziehung von Vertretern der Minderheiten in den Organen der Stadtregierung hat jahrhundertealte Tradition und setzt sich auch heute fort.

Ohne Autor 2001: Plovdiv into the new millenium. Plovdiv. Rajčevski G. 2002: Plovdivska enciklopedija. Plovdiv. Dojčinov D. 2003: Obštinite na Plovdivska oblast. Plovdiv. Ohne Autor 2003: Biznes gid. Plovdiv. Nacionalen statističeski institut (Republika Bălgarija) (http://www.nsi.bg/prev.census/Ethnos) [Stand 31.1.2004].

(Maria Schnitter, Übersetz. Alexander Sitzmann)

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