Rhodopen
Rhodopen (bulg. Rodopi, griech. Rodope).
Inhaltsverzeichnis |
1 Geographie
Entlang der Ländergrenze zwischen Bulgarien und Griechenland erstreckt sich auf ca. 225 km Länge und 100 km Breite das R.-Gebirge, von dessen Gesamtfläche (ca. 14.737 km²) sich 83 % auf bulgarischer Seite befinden. Eingeschlossen zwischen dem Oberthrakischen Tiefland im Norden und dem Küstenland der Ägäis im Süden, reichen die R. im Westen bis zu den Tälern der Flüsse Mesta, Dreštenec und Jadenica, im Osten bis zum Unterlauf der Marica. Aufgrund deutlicher morphographischer Unterschiede gliedert sich das Gebirge in West- und Ostr. Die Grenze zwischen dem gebirgigen West- und dem hügeligen Ostteil verläuft durch die Täler der Flüsse Borovica, Vărbica und Kajalijka und über den Gebirgssattel Tri kamăka (550 m). Die durchschnittliche Höhe des Massivs beträgt 785 m. Die höchste Erhebung ist der Berg Goljam Perelik (2191 m). Die R. entstanden durch mächtige Bewegungen der Erdkruste im Neogen und Quartär, wobei sich die heute noch erkennbaren Bögen der West-, Zentral- und Ostr.-bildeten. Die Verschiebung vulkanischer Gesteine bedingte u. a. die Entstehung der berühmten Bergseen rund um Smoljan. Die vorherrschenden Braunerde-Waldböden sind besonders in den Ostr. stark bis vollständig erodiert.
Zu den wirtschaftlich genutzten Bodenschätzen gehören Buntmetalle und Nichterze. Das kontinentale Klima der R. weist im Süden mediterrane Einflüsse auf und ist im Westen rauer als im trockeneren und wärmeren Osten. Die R. sind dicht bewaldet, im Westen v. a. mit Nadelhölzern (hauptsächlich Kiefern), während der Ostteil unterschiedliche Waldtypen aufweist. Hier wachsen u. a. Kastanien, Feigen, Jasmin und Orchideen. Bekannt sind über 2000 Pflanzenarten, von denen ca. 15 hier endemisch sind. Ebenso artenreich ist die Tierwelt, zu deren typischen Vertretern Hirsche, Wildschweine, Bären und Füchse sowie Wachteln und Rebhühner zählen.
2 Kulturgeschichte
Die geschichtsträchtigen R., deren Name auf die thrakische Göttin Rodopa zurückgeht, wurden bereits im späten Paläolithikum besiedelt, worauf die ältesten Funde menschlicher Spuren in Höhlen der Region hinweisen. Im 2. Jt. v. Chr. siedelten sich die Thraker an. Der Mythologie nach soll der thrakische Sänger und Heiler Orpheus hier gelebt haben. Zahlreiche archälogische Denkmäler und Pflasterwege zeugen von der Besiedlung in römischen Zeit. Etwa im 6. Jh. n. Chr. ließen sich slawische Stämme in der Region nieder, denen später die Protobulgaren unter Khan Kuber folgten; sie siedelten sich v. a. in den Westr. an. Ruinen von Festungen des Zweiten Bulgarischen Reiches (1185–1396) sind bei den Dörfern Široka lăka, Gela, Stikăl (dem 1.822 m hohen Berg Turlata) zu finden. Die R.-Region fiel nach dem Untergang des Zweiten Bulgarischen Reiches Ende des 14. Jh. an die Osmanen, deren Herrschaft bis zum Russisch-Türkischen Krieg 1877/78 dauerte. Nach den Festlegungen des Berliner Vertrages (13.7.1878) entstand im Norden des ehemals osmanischen Bulgarien ein unabhängiges Fürstentum. Der Süden mit dem Großteil der R.-region verblieb in der osmanischen Provinz Ostrumelien. Durch den Zusammenschluss beider Gebiete 1885 fiel ein Teil, 1912 die gesamte Region R. an Bulgarien. Im Friedensvertrag von Neuilly-sur-Seine (27.11.1919) wurde der südliche Teil Griechenland zugesprochen.
Haupterwerbszweig der R.-bevölkerung war über Jahrtausende die Vieh-, besonders die Schafzucht, die v. a. im 17. und 19. Jh. eine Blüte des Weberei-, Gerberei- und Färbereihandwerks hervorrief. Wollstoffe aus der R.-Region sind bis heute für ihre wärmenden, weichen Eigenschaften und intensiven Naturfarben berühmt. Weiterhin bedeutsam waren Kupfer- und Goldschmiedehandwerk und Holz verarbeitende Gewerbe, insbesondere die Holzschnitzerei. In der sozialistischen Periode nach 1944 erreichte die Industrialisierungswelle auch die R. Es entstanden v. a. Standorte der Nichteisenmetallurgie, Textil-, Chemie- und Maschinenbauindustrie. Ferner wurden der traditionelle Tabakanbau und die Forstwirtschaft staatlich ausgebaut. Die Verkehrserschließung der R. erfolgt hauptsächlich durch Autostraßen, die sämtliche Ortschaften mit größeren Regionalzentren verbinden und fast ausschließlich nord-südlicher Ausrichtung sind. Nur zwei Eisenbahnverbindungen verlaufen quer durch die R.
Nach der politischen Wende 1989 und der Schließung staatlicher Betriebe ist die R.-bevölkerung v. a. subsistenzwirtschaftlich tätig. Ackerbau wird auf kleinen Flächen mit Hilfe von Ochsen und Pferden betrieben. Die Westr. bieten günstige Bedingungen für den Kartoffelanbau. In den Ostr. wird Wein und Tabak angebaut. Die bulgarische R.-Region hat gegenwärtig etwa 490.000 Bewohner (2002), die sich auf zahlreiche kleine Dörfer und Städte verteilen. In den R. siedelt die Mehrzahl der bulgarischen Muslime. Während der Osten, mit dem Hauptort Kărdžali, v. a. von bulgarischen Türken, besiedelt ist, stellen in den West- und Mittelr. bis heute die Pomaken, in der Osmanenzeit islamisierte Bulgaren, die Bevölkerungsmehrheit.
Bei der Wiederaufnahme ausgestorbener bzw. verdrängter traditioneller Bräuche im letzten Jahrhundert spielt das zum architektonischen und ethnographischen Reservat erklärte Dorf Široka lăka und sein Volksmusikgymnasium eine maßgebliche Rolle. Es wird der Frühlingsbrauch am Lazarus-Tag (›lazaruvane‹) wieder gefeiert. Ferner findet dort in den ersten Märztagen das Maskenspielfest ›Pesponedelnik‹ statt, das in einer landesweiten Veranstaltung gipfelt. Im Dorf Stojkite belebte man 2001 das traditionelle Fest am St. Georgstag (›Gergʹovden‹) wieder. Das ab 1898 landesweit bekannte Folklore-Festival der Region Rožen wurde im sozialistischen Bulgarien wie andere Festivals national vereinnahmt und wird (ab 1961) regelmäßig wiederkehrend am letzten Augustwochenende mit großem Pomp begangen. Alljährlich am St. Eliastag findet in dem mittelrhodopischen Dorf Gela das lokale Volksfest ›Ilinden‹ statt. Das Zusammentreffen der Familien und Sippen aus der Gegend wird mit traditionellen Reigen und Liedern, musikalischen Wettspielen und dem regionaltypischen Lammgrill ›čeverme‹ gefeiert. Das traditionelle bulgarische R.-Lied ist einstimmig und lyrischen Charakters, vorgetragen von höheren Frauenstimmen mit milder Stimmgebung oder von tiefen Männerstimmen. Typisch sind langgezogene, pentatonische Melodien (vom Typ d-f-g-a-c), die meist freimetrisch oder im Zweier-Takt sind. Unter den regionalen Volksinstrumenten sind die liedbegleitende Sackpfeife, und zwar in ihrer tiefen Abart als ›kaba-gajda‹, sowie der ›kaval‹ und die ›tambura‹ beliebt.
Brunnbauer U. 2003: Gebirgsgesellschaften auf dem Balkan. Wirtschaft und Familienstrukturen im Rhodopengebirge (19./ 20. Jahrhundert). Wien. Rodopi. Enciklopedija Bălgarija. Sofija 1986, t. 5, 798–803. Stoin E. 1967: Muzikalnofolklorni oblasti. Enciklopedija na bălgarskata muzikalna kultura. Sofija 1967, 52.
http://www.rhodope.org/cul_fr_bg.htm [Stand 26.4.2004]. http://www.geocities.com/moite_pohodi/rodopi.html [Stand 26.4.2004].