Osmanen (Dynastie)
Osmanen (osman.-türk. Āl-i ʿOsmān, türk. Osmanlılar).
Die O. waren eine türkische Dynastie, die zwischen 1281 und 1918 das nach ihnen benannte Osmanische Reich beherrschten, das sich zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung von Ungarn bis zur persischen Westgrenze und vom Schwarzen Meer bis zum Roten Meer und dem Persischen Golf erstreckte.
Die Bezeichnung O. leitet sich vom Reichsgründer ʿOs̲mān ab, der nach dem dritten Kalifen des Islams, ʿUṯmān, benannt war.
Die O. waren zunächst den Rum-Seldschuken von Anatolien lehenspflichtig, die den osmanischen Anführer Erṭuġrul um 1281 mit der Herrschaft Söġütlü, nahe dem heutigen Eskişehir, belehnten; Erṭuġrul nahm den Titel eines Emirs an. Die geographische Lage dieses Lehens zwischen dem Seldschukenreich und dem Byzantinischen Reich bestimmte in der Folgezeit die Expansionsrichtung der O. bzw. des von ihnen beherrschten Großreiches. Die Motivation der O. zur Reichsgründung war gleichzeitig pragmatisch und religiös. Ein Traum verhieß Sultan ʿOs̲mān I. (reg. 1299–1326) die Weltherrschaft. Die O. sahen sich jedoch zunächst v. a. als Kämpfer für den Islam; aus diesem Grund nahmen die ersten Sultane der O. den Titel „Glaubenskrieger“ (osman.-türk. ġāzī) an.
Unter ʿOs̲māns Sohn und Nachfolger Orḫān (1326–62) eroberten die O. 1326 Bursa und machten es zu ihrer Hauptstadt. 1356 gelang es den O., die Dardanellen zu überschreiten und damit ihrem Herrschaftsgebiet die ersten europäischen Territorien hinzuzufügen. 1361 eroberten sie Adrianopel (türk. Edirne), das 1365 zur zweiten osmanischen Hauptstadt wurde. Thrakien wurde osmanische Besitzung, während Serben und Bulgaren den O. Tribut leisten mussten. Die O. gewannen auch Gebiete in Anatolien durch den freiwilligen Anschluss der türkischen Saraḫān und Karesī-Emirate im Nordwesten. Orḫān schuf eine effiziente Verwaltungsstruktur für die eroberten Besitzungen und begründete das Janitscharen-Korps (osman.-türk. yeni çeri, „neue Truppe“).
In der Schlacht an der Maritza (1371) und der Schlacht auf dem auf dem Kosovo polje (serb., „Amselfeld“, 1389) schlug Sultan Sultan Murād I. (1362–89) die Serben und ihre Verbündeten und legte den Grundstein zur osmanischen Herrschaft über Südosteuropa.
Murāds Nachfolger Bāyezīd I. Yıldırım („Blitz“, 1389–1402) heiratete 1394 eine Prinzessin aus dem Emirat der Germiyān, die die Region um Kütahya beherrschten; der größte Teil dieser Territorien fiel als Mitgift seiner Frau an den osmanischen Sultan. 1402 erlitt dieser jedoch eine vernichtende Niederlage gegen den türkisch-usbekischen Herrscher Timur Leng, dessen Reich sich von der Westgrenze Chinas bis zum Mittelmeer erstreckte und der zur Sicherung der Westflanke seines Reiches in Anatolien eingefallen war. In der Schlacht von Ankara besiegte Timur die O. und nahm den Sultan selbst gefangen.
Die osmanischen Gebiete wurden unter Bāyezīds Söhne Süleymān, Mūsā Çelebi und Meḥmed aufgeteilt. Erst nach über zehn Jahre dauernden internen Kämpfen („Prinzenkriege“) gelang Meḥmed I. (1413–21) die Wiedervereinigung des Reiches (1413). Unter Sultan Murād II. (1421–51) konnten Aufstände auf dem Balkan den O. Gebiete an der unteren Donau wieder abtrotzen, doch die Siege bei Warna (1444) und erneut auf dem „Amselfeld“ (1448) konsolidierten die osmanische Herrschaft über den Balkan. Murāds II. Sohn Meḥmed II. Fātih („Der Eroberer“, 1451–81) eroberte am 29. Mai 1453 Konstantinopel, das neue osmanische Hauptstadt wurde. Meḥmed II. schloss die Eroberung Serbiens ab (1459) fügte dem Reich Morea (1460), Bosnien (1463) und Albanien in Europa sowie Trapezunt (heute türk. Trabzon, 1461) und Karaman (1468) in Anatolien hinzu und verlieh dem Osmanischen Reich damit den Status einer Großmacht. Der schon unter den ersten osmanischen Sultanen praktizierte Brudermord zur Vermeidung von Thronstreitigkeiten wurde von Meḥmed II. seinen Nachfolgern als Pflicht auferlegt und erst im späten 16. Jh. wieder abgeschafft.
Nach einer für die interne Konsolidierung wichtigen Friedensphase unter Bāyezīd II. (1481–1511) eroberte Selīm I. Yavuz („Der Gestrenge“, 1512–20) 1516/17 Syrien, Ägypten, Irak und die heiligen Zentren des Islam (Mekka und Medina). Die osmanischen Sultane wurden zu „Beschützern der heiligen Stätten“ und erhielten den Titel eines Kalifen.
Den Zenith seiner Macht erlangte das Osmanische Reich unter Sultan Süleymān I. Kanūnī (türk. „Der Gesetzgeber“, in Europa auch genannt „Der Prächtige“, 1520–66). Ungarn wurde Teil des Reiches (1526), und Wien zum ersten Mal von den O. belagert (1529).
Unter Selīm II. (1566–74) konnte Zypern erobert werden, doch erlitten die O. in der Seeschlacht von Lepanto (1571) eine erste schwere Niederlage gegen die christlichen Staaten. Die Macht wurde zunehmend vom Sultan auf die Großwesire delegiert; einige dieser Wesire waren teilweise in der Lage, den Niedergang aufzuhalten (so Sokullu Meḥmed Paša, der 1565–79 als Großwesir unter den Sultanen Süleymān Kanūnī, Selīm II. und Murād III. (1574–95) diente und die Dynastie der Köprülü-Wesire (1656-76). Unter diesen wurde in der Regierungszeit Meḥmeds IV. Wien 1683 ein zweites Mal belagert. Generell waren die auf Süleymān Kanūnī folgenden Sultane von geringer Bedeutung und nicht in der Lage, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Der Harem und der Palast wurden zum wirklichen Machtzentrum, das Janitscharenkorps verlor stark an Qualität.
Als erster Sultan versuchte Selīm III. (1798–1806), durch Reformen die Macht des Reiches wiederherzustellen, unterlag jedoch den konservativen Kräften. Sein Nachfolger Maḥmūd II. (1808–39) begründete eine moderne Armee europäischen Stils und entledigte sich 1826 der Janitscharen durch ein Massaker. Jedoch war weder diesen noch den darauffolgenden Reformversuchen dauerhafter Erfolg beschieden. Unter ʿAbdülmecīd (1839–61) wurden zwei Dekrete erlassen, die die Gleichheit aller osmanischen Untertanen vor dem Gesetz (ohne Rücksicht auf Religion) besiegelten sowie die Religionsfreiheit einführten. Daneben wurden auch europäische Instrukteure für Armee und Flotte rekrutiert sowie neue Militärakademien geschaffen. Die immens teuren Reformen ruinierten jedoch die Staatsfinanzen; 1876 musste das Osmanische Reich Bankrott anmelden und seine Wirtschaft unter die Kontrolle eines aus Europäern bestehenden Gremiums, der ›Dette Publique Ottomane‹, stellen. Ab dieser Zeit mischten sich auch die europäischen Großmächte immer stärker in die osmanische Politik ein. Diese Semi-Unabhängigkeit zwang den letzten großen osmanischen Sultan, ʿAbdülḥamīd II. (1876–1908) zur Schaukelpolitik zwischen den europäischen Mächten.
Durch eine Revolution wurde er 1908 gezwungen, die 1878 suspendierte Verfassung wieder in Kraft zu setzen; das „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (türk. Ittihat ve Teraki) wurde nun zur zentralen Macht im Osmanischen Reich. Die 1909 unternommene Gegenrevolution blieb erfolglos, und ʿAbdülḥamīd wurde zugunsten seines Bruders Meḥmed V. Reşad (1908–18) abgesetzt. 1922, nach dem Ende des türkischen Unabhängigkeitskrieges schaffte die „Türkische Nationalversammlung“ das Sultanat ab.