Litauen (Land)

Litauen (litau. Lietuva), Kurzform für Republik Litauen (Lietuvos Respublika).

Inhaltsverzeichnis

1 Statistische Angaben


Lage:
Staat im nördlichen Osteuropa (Baltikum), grenzt im Osten und Südosten an Weißrussland (660 km), im Süden an Polen (103 km), im Südwesten an die russische Exklave Kaliningrad (273 km) und im Norden an Lettland (576 km) sowie im Westen an die Ostsee (die Küstenlänge beträgt 90 km). Die Fläche des Staatsterritoriums beträgt 65.395,8 km².
Einwohner (2005):
3.403.284, davon 46,7 % männlich, 53,3 % weiblich; Altersstruktur 0–14 Jahre: 17,1 %, 15–64 Jahre: 67,8 %, 65 Jahre und älter: 15,1 %; Bevölkerungsdichte: 52 Einwohner/km²; 64,9 % im arbeitsfähigen Alter (Männer 15–64, Frauen 15–59, 2002); 63,7 % Beschäftigte (von den Personen im erwerbsfähigen Alter); 8,3 % Arbeitslose; Bevölkerungsentwicklung 1950–2005: +0,50 % jährlich, 1994–2005: –0,56 % jährlich; Nationalitäten (2001): 2.907.293 Litauer (83,4 %), 234.989 Polen (6,7 %), 219.789 Russen (6,3 %), 42.866 Weißrussen (1,2 %), 22.488 Ukrainer (0,6 %), 4007 Juden (0,1 %), 3243 Deutsche (0,1 %), 3235 Tataren (0,1 %), 2955 Letten (0,1 %), 2571 Roma (0,1 %), 1477 Armenier, 39.059 (1,1%) ohne Angabe u. a.; Religionszugehörigkeit (2001): 79,0 % Katholiken, 4,1 % russisch-orthodoxe Christen, 1,4 % Nichtgläubige, 0,2 % Anhänger freier Evangelischer Kirchen, 0,1 % Altgläubige, 0,1 % Protestanten, Zeugen Jevohas, Muslime, Juden, Karäer, Buddhisten u. a.
Hauptstadt und größere Städte (2005):
Wilna (553.391 Einwohner), Kaunas (360.637), Klaipeda (187.316), Panevėžys (115.315), Alytus (69.145) Marijampolė (47.356), Mažeikai (40.925), Jonava (34.696), Utena (32.881).
Währung: 1 Litas (Lt) = 100 centų (ct)
Wappen:
left
Das Staatswappen zeigt in einem roten Schild einen silbernen Reiter (›Vytis‹) auf einem silbernen Ross, der auf dem linken Arm einen blauen Schild mit dem goldenen Doppelkreuz des mittelalterlichen Großfürsten Jogaila hält und mit der Rechten ein silbernes Schwert schwingt. Das nach links zum Sprung ansetzende Pferd symbolisiert die Verfolgung feindlicher Heere aus dem Westen.
Flagge:
left
Die drei Streifen stehen für Sonne, Licht und Güte (gelb), Natur, Freiheit und Hoffnung (grün), Land, Mut und Blut, das für die Heimat vergossen wurde (rot).
Hymne: Tautiška giesmė („Nationalhymne“), Text und Melodie von Vincas Kudirka (1858-99).
Feiertage:
Staatliche Feiertage: 1. Januar (Neujahr), 16. Februar (Unabhängigkeitstag), 11. März (Wiedererlangung der Staatlichkeit), 6. Juli (Jahrestag der Krönung Mindaugas, des ersten Königs von Litauen); sonstige Feiertage: 25. Juni (Johannistag), 15. August (Mariä Himmelfahrt), Ostermontag, 1. November (Allerheiligen), 25. und 26. Dezember (Weihnachten).
Zeit: Mitteleuropäische Zeit
Staatssprache: Litauisch
Staatsform: parlamentarische Republik
Staatsoberhaupt: Präsident (derzeit Valdas Adamkus)
Regierungschef: Ministerpräsident (derzeit Gediminas Kirkilas)
Politische Parteien:
Darbo partija (DP, „Arbeiterpartei“), Liberalų ir centro sąjunga (LiCS, „Liberale Zentrumsunion“), Liberalų sąjūdis (LS, „Liberale Bewegung“), Lietuvos socialdemokratų partija (LSDP, „Litauische Sozialdemokratische Partei“), Naujoji sąjunga (socialliberalai) - (NS, „Neue Union“ [„Die Sozialliberalen]“), Pilietinės demokratijos partija (PDP, „Partei der bürgerlichen Demokratie“), Tėvynės sąjunga (Konservatoriai) - (TS, „Vaterlandsunion“ [„Die Konservativen“]), Tvarkos ir Teisingumo (Liberalų demokratų) partija (TTLDP, „Partei der Ordung und Gerechtigkeit [Liberale Demokraten]“), Valstieciu ir Naujosios Demokratijos Sajunga (VNDS, „Union der Bauern und Demokraten“).
Bruttoinlandsprodukt (2005): 23,810 Mrd. US-Dollar, pro Kopf der Bevölkerung: 6974 US-Dollar
Bruttosozialprodukt (2005): 25,589 Mrd. US-Dollar, pro Kopf der Bevölkerung: 7495 US-Dollar
Auslandsverschuldung (2005): 13,005 Mrd. US-Dollar
Haushaltsdefizit (2005): 84,704 Mio. US-Dollar (0,4 % des BIP)
Außenhandel (2005):
Importe 15,47 Mrd. US-Dollar: 25,6 % Mineralstoffe und Öle, 17,9 % Maschinen und Maschinenteile, 11,7 % Transportmittel; Hauptlieferländer: 27,8 % Russland, 15,2 % Deutschland, 8,3 % Polen, 3,9 % Lettland, 3,7 % Niederlande; Exporte 11,81 Mrd. US-Dollar: 27,5 % Mineralstoffe und Öle, 12,4 % Maschinen und Maschinenteile, 9,2 % Textilien; Hauptabnehmerstaaten: 10,4 % Russland, 10,3 % Lettland, 9,4 % Deutschland, 7,0 % Frankreich sowie 5,9 % Estland.
Mitgliedschaften:
Council of the Baltic Sea States (CBSS), EU, Europarat, European Bank for Reconstruction and Development (EBRD), Inter-Parliamentary Union (IPU), International Monetary Fund (IMF), Interpol, NATO, OSZE, UNO, Weltbank, World Trade Organization (WTO).


Anmerkung der Redaktion: Stand der statistischen Angaben ist, wenn nicht anders vermerkt, das Publikationsdatum des Artikels.

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2 Geographie

2.1 Naturraum

Die parlamentarische Republik L. ist die südlichste der drei baltischen Republiken. L. wird in vier Landschaften bzw. ethnographische Regionen unterteilt: Žemaitija (auch: Niederlitauen, im Nordwesten L.s), Aukštaitija (Oberlitauen, in Mittel- und Ostlitauen), Suvalkija (südlich der Memel, an Polen grenzend) und Dzūkija (südöstliches L.). Gelegentlich wird das ehemalige Memelland als Mažoji Lietuva („Kleinlitauen“), im westlichen Teil von Žemaitija als fünfte Region angeführt. Hier um die Hafenstadt Klaipeda grenzt L. mit kilometerlangen durch die jahrtausendelange Einwirkung von Wind und Wellen entstandenen Sandstränden und Dünen an die Ostsee und die Kurische Nehrung, die als Nationalpark komplett unter Naturschutz steht.

In L. gibt es 816 Flüsse, die mehr als 10 km lang sind und 2830 Seen mit einer Fläche von mehr als 0,5 ha. Zu den größten Flüssen des Landes zählen die in das Kurische Haff (Ostsee) mündende Memel (mit 475 km auf litauischem Gebiet) und ihr rechter Nebenfluss Neris (235 km in L.); der größte See ist der Drūkšiai (42,26 km²). Die höchste Erhebung ist der Hügel Juozapinė (293,6 m).

L.s Klima reicht von kontinental bis maritim. An der Küste ist das Klima ausgeglichener als in der Hauptstadt. Die durchschnittliche Lufttemperatur variiert im Winter von –2,5 °C an der Küste und –6 °C im Westen, im Sommer ist der Unterschied geringer und die mittleren Temperaturen liegen zwischen 16–17 °C. An der Küste werden im Jahresdurchschnitt höhere Niederschlagsmengen gemessen (750 mm) als im (Süd-)Westen (600–650 mm). Ein relativ hoher Anteil der Niederschläge fällt in den Sommermonaten.

Im Westen des Landes sind aufgrund der hier höheren Niederschlagsmengen und hohen Luftfeuchtigkeit Hochmoore weit verbreitet. Im Südwesten und –osten sowie im Nordwesten ist die Landschaft sowohl in Aukštaitija als auch in Žemaitija von Moränen gekennzeichnet. Erstere Region ist v. a. im Grenzgebiet zu Weißrussland sehr hügelig und seenreich. In ihrem Zentrum befindet sich der Aukštaitija-Nationalpark. Östlich von Suvalkija bildet Dzūkija mit sehr waldreicher Landschaft die Grenze zu Weißrussland. Im Dzūkija-Nationalpark steht die gesamte Landschaft unter Schutz.

Insgesamt ist etwa ein Drittel L.s von Wäldern bedeckt, die v. a. im Süden und Osten des Landes aus Kiefern, Fichten und Birken bestehen. Als Beimischung treten Stieleichen, Eschen, Espen, Rot- und Weißerlen auf. Aufgrund des gemäßigteren Klimas ist der Laubholzanteil höher als im übrigen Baltikum. L. beheimatet verschiedene Tierarten, wie z. B. Elche, Hirsche, Luchse und Wildschweine. Auch Biber, Nerz, Marderhunde, Otter und Wölfe sind in teilweise großen Populationen vorhanden. Ausgestorben ist der Bär, der allerdings noch im Nachbarland Lettland zu finden ist. Daneben gibt es verschiedenartige Wasservögel, Birk- und Auerhühner. Neben den drei genannten Nationalparks existieren in L. zwei weitere in Žemaitija und bei Trakai, der ehemaligen Hauptstadt L.s Zudem gibt es noch weitere 30 Regionalparks.

Besonders hervorzuheben ist ein allgemein hoher Karbonatgehalt der Böden. Es dominieren v. a. Podsole, aber auch Braunerden, Rendzina, Parabraunerden, Pseudogleye, Gleye und Moorböden. Obwohl L. reich an Seen ist, sind mineralische Rohstoffe, wie Quartzsand, Kalkstein, Dolomit und Lehm eher unergiebig vorhanden. Es werden daneben auch Bernstein-, Torf-Lagerstätten und kaum erwähnenswerte Erdölvorkommen genutzt.

Während der Sowjetzeit spielte der Umweltschutz eine untergeordnete Rolle. Inzwischen wurde ein modernes Umweltministerium aufgebaut. Durch den Beitritt zur EU muss L. die Vorschriften der EU umsetzen und die entsprechenden Berichtspflichten erfüllen. Das Umweltinformationssystem UIS unterstützt ein effizientes Umweltmanagement, integriert Daten aus über zehn verschiedenen Quellen wie Luftreinhaltung, Forstwirtschaft, Grundwasser- oder Artenschutz, erstellt Berichte und ist die wichtigste Informationsstelle für alle Umwelt betreffende Daten.

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2.2 Bevölkerung

66,7 % der Bevölkerung L.s leben in Städten (2005). Frauen stellen 53,4 % der Einwohnerschaft des Landes. Die Bevölkerungsdichte ist in den großen Städten und deren Umland am größten. Mit weniger als 20 Einwohnern/km² ist der Osten L.s hingegen sehr dünn besiedelt. Von den 64,9 % der Bevölkerung L.s im arbeitsfähigen Alter machen sowohl die Männer als auch die Frauen etwa je die Hälfte aus. Anders sieht es bei der Bevölkerung im Rentenalter (insgesamt 20 %) aus; hier ist das Verhältnis Frauen zu Männern etwa 70 zu 30.

Die Geburtenrate auf 1000 Einwohner beträgt 8,9 (2005). Die errechnete Fertilitätsrate (durchschnittliche Anzahl der Kinder, die eine Frau in ihrem Leben zur Welt bringt) beträgt 1,27. Die Sterblichkeitsrate (auf 1000 Einwohner) hingegen ist mit 12,8 deutlich größer. Im ersten Lebensjahr sterben statistisch 6,8 von 1000 Neugeborenen. Seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre verzeichnet L. eine hohe natürliche Bevölkerungsabnahme: wenn 2003 die Differenz zwischen der Zahl der Lebendgeburten und der Sterbefälle je 1000 Einwohner noch –3,0 betrug, so stieg die Zahl 2004 auf –3,2 und 2005 sogar auf –3,9. Das negative Wanderungssaldo verstärkt mit –2,6 pro 1000 Einwohner noch die Bevölkerungsabnahme. Darin nicht berücksichtigt ist die Arbeitsemigration, die sich in der neuesten Zeit deutlich verstärkt hat. Nach offiziellen Schätzungen halten sich 69,8 Tsd. in L. angemeldete Personen längerfristig im Ausland, v. a. in Großbritannien (22,6 Tsd.), Irland (17,2 Tsd.), Deutschland (8,5 Tsd.), den USA (4,9 Tsd.) und Spanien (4,0 Tsd.) auf, 83,1 % zu Arbeitszwecken.

Die zu erwartende Lebensdauer in L. beträgt 71,32 Jahre (2005), wobei für Männer 65,36 Jahre und für Frauen 77,42 Jahre errechnet wurden. 2005 heirateten 19.938 Paare und scheiden ließen sich 11.097, d. h. jedes zweite Paar. Auch die meisten Minderheiten L.s leben vorwiegend in den Städten. Die Polen stellen nach den Volkszählungsangaben von 2001 mit 6,7 % die größte Minderheit. Die zum größten Teil ländliche polnische Bevölkerung findet sich auf ganz L. verteilt, konzentriert sich jedoch mehrheitlich um Wilna (Stadt: 101.526, Kreis: 104.446; = 18,9 % der Bevölkerung) und dessen Umgebung (Bezirk Wilna), so in den Landkreisen Wilna (54.322 bzw. 61,3 %) und Šalčininkai (31.223 bzw. 79,5 %), wo sie die absolute Mehrheit bildet, sowie in Švenčionys (9089 bzw. 27,4 %), Trakai (12.403 bzw. 33,2 %) und in der Nähe der litauisch-polnischen Grenze. Die zweite große Minderheit bilden mit 6,3 % die Russen. Diese Bevölkerungsgruppe lebt vorwiegend in der Stadt Wilna (75.850 bzw. 14,0 %) und deren Umgebung (11,6 % der Landkreisbevölkerung), weiterhin in der Hafenstadt Klaipeda (41.110 bzw. 21,3 %) und in der Stadt Kaunas (16.622 bzw. 4,4 %) und im Kreis Utena (13,4 %). Lokal die absolute Mehrheit haben die russischen Einwohner in der Stadt Visaginas (4419 Litauer zu 15.491 bzw. 52,4 % Russen). Zu den weiteren Minderheiten Ls. gehören Weißrussen (1,2 % vorwiegend in Wilna, Klaipeda, Visaginas lebend) und mit jeweils weniger als 1 % Ukrainer (zahlreich in bspw. Wilna, Klaipeda, Visaginas, Kaunas), Juden (meist in der Umgebung von Wilna, insgesamt 2896 Personen), Deutsche in Klaipeda und Umgebung (rd. 1000 Personen), insgesamt rd. 3243 Personen, Tataren (verbreitet in Wilna und Alytus), Letten (meist in der Umgebung von Šiauliai und in Wilna), Roma (in Kaunas und Wilna). Die altansässigen Minderheiten (Deutsche, Juden, Polen und Russen) haben in unterschiedlichen Zeitperioden die Geschichte L.s stark beeinflusst. In Trakai hat sich eine kleine Gruppe (257 Personen 1997) von Karaimen gehalten, die im ausgehenden 14. Jh. von der Krim in diese Gegend eingewandert sind.

Analog zum früheren sowjetischen Modus wird zwischen Nationalität und Staatsangehörigkeit unterschieden. 2001 lebten in L. lediglich 35.094 (1 % der Gesamtbevölkerung) Personen ohne litauische Staatsangehörigkeit. Die meisten von ihnen waren Staatsangehörige der ehemaligen Sowjetunion (38,1 % russisch, 6,2 % weißrussisch sowie 4,3 % ukrainisch), 30,0 % besaßen keine Staatsangehörigkeit – hierbei handelte sich meistens ebenfalls um ehemalige Bürger der Sowjetunion.

Die Staatssprache L.s ist litauisch. Das erste entsprechende Gesetz wurde am 1.8.1922 erlassen, galt während der Sowjetzeit jedoch nicht. Erst am 18.11.1988 wurde auf Drängen des Volkes verfügt, dass in L. Litauisch in öffentlichen Einrichtungen, Ämtern, Bildungs- und Kultureinrichtungen etc. zu gebrauchen sei. Gleichzeitig wurde Russisch auf den Status einer Verbindungssprache zwischen den Sowjetrepubliken heruntergestuft. Am 25.1.1989 schließlich wurde Litauisch per Gesetz zur Staatssprache, deren Kenntnis zur Pflicht für alle Führungskräfte wurde. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit ist Litauisch wieder die alleinige offizielle Staatssprache Führungskräfte und Personen im öffentlichen Dienstleistungsbereich, in denen die Mehrheit nicht muttersprachliche Litauer waren, mussten bis zum 1.1.1995 Grundkenntnisse der litauischen Sprache nachweisen. Sie wurden darüber hinaus verpflichtet, schrittweise zum litauischen Schriftverkehr überzugehen. Die litauische Regierung stellt seit 1996 jährlich finanzielle Mittel zur Verfügung, damit jede Minderheit die litauische Sprache erlernen kann. Seit 1993 haben mehr als 70.000 Personen die Sprachprüfung bestanden.

Das Gesetz über den Gebrauch der litauischen Amtssprache schränkt die ethnischen Minderheiten im Gebrauch ihrer Muttersprache prinzipiell nicht ein. Im Gegenteil haben diese durch das 1989 verabschiedete „Gesetz über ethnische Minderheiten“ (Tautinių mažumų įstatymas, geändert 1991) das Recht, ihre Sprache zu pflegen. und öffentlich, im Bildungs- und Kulturbereich, insbesondere im Radio und Fernsehen uneingeschränkt zu verwenden. Polnisch ist in der Umgebung von Wilna weit verbreitet und in den polnischen Siedlungsgebieten als Amtssprache zugelassen. Russisch wird vorwiegend in Wilna und in Klaipeda, aber auch in anderen größeren Städten gesprochen und ist als ehemalige Verkehrssprache in passiver Kenntnis noch weit verbreitet. In den Grenzgebieten beherrschen die Menschen in der Regel auch die Sprache der jeweiligen Grenzregion: Weißrussisch, Lettisch, aber auch Ukrainisch, Jiddisch oder durch das Fremdsprachenlernen Deutsch, Englisch u. a.

Die Bevölkerung L.s gehört mehrheitlich (79 %) der römisch-katholischen Kirche an. Zu den religiösen Minderheiten zählen Angehörige der russisch-orthodoxen Kirche (verbreitet v. a. im Osten L.s) sowie Altgläubige, Protestanten (Lutheraner und Reformierte, die mehr im Westen des Landes vertreten sind), weiterhin Juden, Muslime, Baptisten u. a. Seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit genießt die katholische Kirche öffentlich wieder hohes Ansehen. Das am 4.10.1995 verabschiedete „Gesetz über religiöse Gruppierungen“ (Lietuvos Respublikos religinių bendruomenių ir bendrijų įstatymas) hält in Artikel 2 indessen fest, dass es in L. keine Staatsreligion gibt und jeder Bürger L.s freie Religions- und Glaubenswahl hat, das Recht, seine Wahl zu ändern und seinen Glauben uneingeschränkt privat und öffentlich zu praktizieren. Die Religionszugehörigkeit wird in den amtlichen Dokumenten im Unterschied zur Nationalität nicht vermerkt.

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2.3 Staat und Gesellschaft

Zunächst schuf das provisorische Grundgesetz vom 11.3.1990 die verfassungsrechtlichen Grundlagen für den unabhängigen litauischen Staat. Die heute gültige Verfassung geht auf einen Referendumsentscheid vom 25.10.1992 zurück. In ihrer Präambel werden u. a. die staatlichen, historischen und kulturellen Traditionen und Anstrengungen der litauischen Nation sowie das Recht des litauischen Volkes zur Gründung eines unabhängigen Staates hervorgehoben. Sie setzt sich aus insgesamt 14 Kapiteln zusammen, die das Staatswesen, die bürgerlichen Grundrechte, das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die Volkswirtschaft, die Verfassungsorgane, die Gerichte, die kommunale Selbstverwaltung, den Staatshaushalt, die staatliche Finanzaufsicht, die Außenpolitik und zuletzt Verfassungsänderungen behandeln. In vielen der 154 Verfassungsartikel findet sich der Hinweis, dass ihre Ausführungsbestimmungen und ggf. Einschränkungen durch Parlamentsgesetze festgelegt werden.

Die Verfassung L.s sieht das Parlament (Seimas) mit seinen 141 Abgeordneten als zentrale staatliche Gewalt vor. Bei den in Abständen von vier Jahren stattfindenden Parlamentswahlen werden Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht miteinander verknüpft, d. h., von den 141 festgeschriebenen Mandaten werden 70 über landesweite Parteilisten und 71 in direkter Wahl vergeben. Seit 1996 gilt bei der Sitzvergabe über die Parteilisten für Einzelparteien eine 5 %-Klausel und für Wahlbündnisse eine 7 %-Hürde, um eine allzu große Zersplitterung der Parlamentsfraktionen zu verhindern. Die 71 Einzelmandate werden in Wahlbezirken vergeben, wobei die Wahlentscheidung nur gültig wird, wenn mindestens 40 % der registrierten Wähler ihre Stimme abgeben. Sofern keiner der Kandidaten in der ersten Wahlrunde die absolute Stimmenmehrheit erhält, findet eine Stichwahl zwischen den beiden erstplazierten Kandidaten statt. In den bisherigen Parlamentswahlen konnten nur wenige Kandidaten das Mandat bereits im ersten Wahlgang erringen. In aller Regel ist eine Stichwahl erforderlich.

Die registrierten Parteien können Kandidaten für die einzelnen Wahlkreise nominieren. Für die Nominierung einer Landesliste müssen mindestens 1000 Unterstützungsunterschriften nachgewiesen werden. Vorgezogene Parlamentswahlen werden abgehalten, wenn mindestens drei Fünftel der Parlamentsmitglieder dafür stimmen. Das Staatsoberhaupt der Republik hat das Recht, Neuwahlen anzuordnen, wenn es dem gewählten Parlament nicht innerhalb von 30 Tagen gelingt, ein Regierungsprogramm zu beschließen oder das Parlament der Regierung sein Misstrauen ausspricht.

Zweimal jährlich findet das Parlament zu ordentlichen Sitzungsperioden zusammen (10.3.–30.6. und 10.9.–23.12.). Außerordentliche Sitzungen werden auf Vorschlag von mindestens einem Drittel der Parlamentsmitglieder oder in bestimmten Fällen durch den Präsidenten einberufen. Die Arbeit des Parlaments basiert sehr stark auf der Tätigkeit von Ausschüssen und Fraktionen. Dabei besteht die Aufgabe der Parlamentskommission, die sich aus dem Parlamentsvorsitzenden und seinen drei Stellvertretern zusammensetzt, in der Organisation der parlamentarischen Arbeit. Zu diesem Zweck bilden die Kommissionsmitglieder und die Repräsentanten der Fraktionen ein parlamentarisches Organ, das die Tagesordnung und den Zeitplan der Parlamentssitzungen festlegt. Neben den typischen legislativen Aufgaben zählen zu den Vollmachten des Parlaments weiterhin: Verfassungsänderungen, die Durchführung von Referenda, die Verkündigung der Präsidentschaftswahlen und der Wahlen zu den lokalen Selbstverwaltungen, die Verhängung des Kriegsrechts und Verkündigung des Staatsnotstandes sowie die Entscheidung über die Mobilmachung und den Einsatz der Streitkräfte.

Das Recht, Gesetzesentwürfe einzureichen, besitzen sowohl die Mitglieder des Parlaments, als auch der Präsident und die Regierung. Eine Gesetzesinitiative kann außerdem von einem Bürgerbegehren ausgehen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf kommt im Parlament zur Abstimmung, wenn er von mindestens 50.000 Wahlberechtigten unterstützt wird. Verfassungsgesetze bedürfen der Zustimmung von mindestens der Hälfte aller Parlamentsabgeordneten, Verfassungsänderungen erfordern eine Drei-Fünftel-Mehrheit. In bestimmten Fällen kann das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten. Gemäß der Verfassung wurden vom Parlament fünf Inspektoren bestellt, deren Aufgabe darin besteht, Bürgerbeschwerden über Machtmissbrauch und Bürokratismus in den Staats- und Kommunalverwaltungsbehörden zu untersuchen und dem Parlament ggf. die Entlassung des schuldigen Beamten vorzuschlagen.

Das Amt des Staatsoberhauptes der Republik L. wird von einem gewählten Präsidenten ausgeübt und hat allein repräsentativen Charakter. Dieser Präsident wird in allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen von den Bürgern L.s für eine fünfjährige Amtsperiode gewählt und kann höchstens für eine zweite Amtsperiode bestätigt werden. In der Zeit der Amtsführung muss der Präsident seine Aktivitäten in politischen Parteien und Organisationen aussetzen. Die Befugnisse des Präsidenten werden in Artikel 84 der Verfassung und durch das Präsidentengesetz geregelt. Hierunter fallen die Entscheidung über die Grundsätze der Außenpolitik, die Unterzeichnung internationaler Verträge und ihre Vorlage zur Ratifizierung im Parlament. Eine einfache Mehrheit der Abgeordneten ist ausreichend, um ein Veto des Präsidenten gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz zu überstimmen.

Mit Zustimmung durch das Parlament ernennt der Präsident den Ministerpräsidenten und beauftragt ihn mit der Regierungsbildung bzw. bestätigt die Regierungszusammensetzung; er ernennt auch den Oberkommandierenden der Armee und den Chef des Geheimdienstes sowie die Richter und den Vorsitzenden des Appellationsgerichts. Bei der Besetzung von öffentlichen Ämtern schlägt er dem Parlament u. a. die Kandidaten für die staatliche Finanzaufsichtsbehörde, für den Vorsitz des Aufsichtsgremiums der Bank von L. sowie für den Vorsitz am Obersten Gericht und am Verfassungsgericht vor. Er kann den Staatsnotstand verkünden und Dekrete erlassen.

Die gegenwärtige (14.) Regierung L.s besteht aus dem Ministerpräsidenten Gediminas Kirkilas und 13 Ministern. Zu den grundsätzlichen Aufgaben der Regierung zählen der Schutz der territorialen Integrität L.s, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Implementierung der vom Parlament verabschiedeten Gesetze und der präsidialen Dekrete sowie die Empfehlung diplomatischer Vertreter. Innerhalb von 15 Tagen nach seiner Ernennung muss der Ministerpräsident dem Parlament ein Regierungsprogramm zur anschließenden Beratung vorlegen. Die neugebildete Regierung muss zurücktreten, wenn es das Parlament zweimal in Folge ablehnt, dem Programm zuzustimmen. Der Ministerpräsident muss zurücktreten, wenn die Hälfte der Abgeordneten ihm sein Misstrauen ausspricht.

Um das demokratische Funktionieren des Staates langfristig zu garantieren, wurden durch die Verfassung neue Institutionen wie das Verfassungsgericht und die staatliche Finanzaufsichtsbehörde eingeführt. Am 26.9.2000 hatte das Parlament der Republik L. das erste selbstständig vorbereitete Strafgesetzbuch verabschiedet. Bei der Rechtsreform hatte – da eine vollständige Harmonisierung des Rechtssystems mit der EU durchgeführt werden musste – die westliche Jurisdiktion eine Vorbildfunktion.

Mit dem von staatlichen Einrichtungen, Personen oder Organisationen unabhängigen Verfassungsgericht entstand eine in L. bis dato nicht vorhandene Institution. Es ist für Entscheidungen in jenen Fällen zuständig, in denen die Verfassungskonformität von Gesetzen, Rechtsakten des Parlaments, des Präsidenten oder der Regierung in Frage steht. Darüber hinaus entscheidet es über Verletzungen des Wahlgesetzes während der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, über die Verfassungskonformität von internationalen Abkommen, darüber, ob der Gesundheitszustand des Präsidenten seine Amtsführung beeinträchtigt und ob ein Anklageverfahren gegen ein Parlamentsmitglied oder einen Staatsbeamten in Übereinstimmung mit der Verfassung steht. Das Recht, sich an das Verfassungsgericht zu wenden, haben sämtliche andere Gerichte, die Regierung, eine Abgeordnetengruppe, der mindestens ein Fünftel der Parlamentsmitglieder angehören und der Präsident. Die vom Verfassungsgericht gefällten Entscheidungen sind endgültig und ohne Revisionsmöglichkeit.

Trotz Ratifizierung der ›Europäischen Menschenrechtskonvention‹ war in L. die Todesstrafe lange Zeit zulässig. Da die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung an der Todesstrafe festhalten wollte, wurde ihre Abschaffung vom Parlament zunächst für unbestimmte Zeit aufgeschoben. Letztlich stimmte das litauische Parlament am 21.12.1999 mit 76 gegen drei Stimmen für die Abschaffung. Einige Woche vorher hatte auch das Verfassungsgericht die Todesstrafe als verfassungswidrig erklärt. Die letzte Hinrichtung in L. fand im Mai 1995 statt.

Die rechtsprechende Gewalt L.s besteht aus dem Obersten Gericht, dem Appellationsgericht, den Bezirks- und Amtsgerichten sowie dem Handelsgericht. Die Richter und Gerichte sind unabhängig und ausschließlich den Gesetzen verpflichtet Das Oberste Gericht kontrolliert die anderen Gerichte und fungiert als Kassationsinstanz der rechtsgültigen Entscheidungen, Urteile und Beschlüsse von Bezirksgerichten und der vor dem Appellationsgericht verhandelten Fälle. Das Appellationsgericht ist für die Berufung und bei Beschwerden in den vor den Bezirksgerichten verhandelten Fällen zuständig. Den Amtsgerichten, in denen jeweils ein Einzelrichter urteilt, obliegt in der Regel die Ausübung der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit. In Streitfällen zwischen Unternehmen und anderen geschäftlichen Organisationen wird das Handelsgericht angerufen.

Das staatliche Sozialsicherungssystem wird durch das Einkommensgarantie-, das Beschäftigungs-, das Sozialversicherungs- und das Rentengesetz geregelt. Das Sozialversicherungsgesetz vom Oktober 1990 setzt sich aus Renten-, Kranken-, Mutterschafts-, Arbeitslosen- und Arbeitsunfallversicherung zusammen.

Nach der Unabhängigkeit entstand in L. eine sehr dynamische Parteienlandschaft. Bis Ende 1992 wurden elf politische Parteien gegründet; 1993–97 entstanden 24, und 1998–2003 weitere 17 politische Parteien. Außerdem lösten sich seit der Einführung der parlamentarischen Demokratie mehrere Parteien auf, teilten sich oder vereinigten sich zu neuen Parteien. 2006 waren im Justizministerium 36 politische Parteien registriert. Das parteipolitische Kräfteverhältnis unterlag dabei erheblichen Schwankungen. Es zeichnete sich bislang v. a. durch den ideologischen Gegensatz zwischen der LDDP (Lietuvos demokratinė darbo partija – „Litauische demokratische Arbeiterpartei“), die auf einem außerordentlichen Parteitag im Dezember 1990 aus der KP L.s hervorgegangen ist und im Gegensatz zu den Kommunistischen Parteien Estlands und Lettlands ihr politisches Gewicht behalten hat und der von Vytautas Landsbergis (*1932) geführten konservativen TS aus, die 1993 aus dem Sąjūdis-Bündnis entstanden ist.

Die liberale Wirtschaftspolitik der litauischen Konservativen orientiert sich sehr an den Programmen westlicher konservativer Parteien. Sie propagieren besonders wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die Investitionen und freiem Handel förderlich sind. Mit der traditionsreichen, weitaus gemäßigteren LKD (Lietuvos krikščionys demokratai – „Litauische Christliche Demokraten“) besteht neben der Vaterlandsunion eine weitere christlich-konservative Partei. Eine eher sozialliberale Programmatik vertritt die LCP (Lietuvos Centro Partija – „Litauische Zentrumspartei“) unter der Führung von Romualdas Ozolas (*1939). Seit ihrer Gründung 1993 konnte sie ihre Wahlergebnisse kontinuierlich verbessern und damit im entstehenden Parteiensystem etablieren.

Als sog. Parteien der Mitte werden die LSDP und die LLS (Lietuvos liberalų sąjunga – „Litauische Liberale Union“) bezeichnet. Die ehemalige Ministerpräsidentin Kazimiera Prunskienė (*1943) gründete 1994 die LMP (Lietuvos moterų partija – „Litauische Frauenpartei“), die für einen moderaten marktwirtschaftlichen Kurs und eine schnelle Westintegration eintritt. Die kleineren Parteien wie die LLRA, die von russischen und weißrussischen Minderheitsorganisationen unterstützt wird, die nationalistische ›Tautininkai‹ und die LDP (Lietuvos demokratų partija – „Partei der Demokraten Litauens“) spielen im Parlament bisher nur eine unbedeutende Rolle.

Zu den in den Kommunalparlamenten vertretenen Splitterparteien zählen ferner die LLS, die TPP (Tautos pažangos partija – „Partei des Volksfortschritts“) und die LPA (Lietuvos piliečių aljansas – „Alliance der Bürger Litauens“). Insgesamt ist die Einteilung in ein klassisches Rechts-Links-Schema bei vielen Parteien schwierig, da die Programme häufig ein sehr breites politisches Feld abdecken.

Seit der Einführung marktwirtschaftlicher Bedingungen in L. haben auch die Gewerkschaften als klassische Arbeitnehmervertretungen eine gewisse Renaissance und Aktualität erfahren. Nachdem im Juli 1990 im Parlament die „Nationalisierung”, d. h. die Konfiskation, des sozialistischen Gewerkschaftseigentums beschlossen worden war und sich infolge des massenhaften Austritts von Mitgliedern zahlreiche Grundorganisationen auflösten, wurde im November 1991 vom Obersten Rat ein Gewerkschaftsgesetz verabschiedet, das das Recht auf freien gewerkschaftlichen Zusammenschluss, Bestimmungen zum Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, Regelungen zwischen Staatsorganen und Gewerkschaften, Garantien zu den Arbeitsbedingungen sowie das Streik- und Demonstrationsrecht beinhaltet.

Mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit wurde das Verwaltungssystem L.s grundlegend geändert. Eine Vielzahl an Gesetzen wurde erlassen, um ein neues System kommunaler Selbstverwaltung und v. a. größerer territorial-administrativer Einheiten zu installieren. Die 573 kommunalen Gebietskörperschaften, die in der Sowjetperiode bestanden, wurden 1995 komplett umstrukturiert. Es entstanden zehn übergeordnete Bezirke (apskritys): Alytus, Kaunas, Klaipėda, Marijampolė, Panevėžys, Šiauliai, Tauragė, Telšiai, Utena, Vilnius, die in 56 Kreise (inzwischen 60) aufgeteilt wurden (darunter neun kreisfreie Städte).

Der Rat des Bezirks setzt sich aus dem Regierungspräsidenten (der von der Regierung auf Empfehlung des Ministerpräsidenten ernannt und abberufen wird), dem stellvertretenden Regierungspräsidenten und den Leitern der Kommunalverwaltungen zusammen. Die Befugnisse der Bezirke umfassen die Umsetzung staatlicher Politik, z. B. im Bildungs- und Gesundheitswesen, in Kultur, in sozialer Sicherheit etc.

Die Ratsmitglieder der Kreise können von den wahlberechtigten Einwohnern für vier Jahre in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt werden. Bürgermeister und stellvertretender Bürgermeister (Exekutive) bilden den Vorsitz dieses Rats. Der Stadt- und Kreisdirektor wird durch den Stadt- und Kreisrat auf Vorschlag des Bürgermeisters ernannt, die Stadt- und Kreiskämmerer für fünf Jahre, sie überwachen die Einhaltung des kommunalen Haushaltes und führen interne Wirtschaftsprüfungen durch. Durch das Gesetz über kommunale Selbstverwaltungen haben diese lokalen Behörden lediglich allgemeine Verwaltungsbefugnisse, d. h. sie können nicht dem Staat vorbehaltene Aufgaben, z. B. in Sachen des öffentlichen Personennahverkehrs, Bibliotheken, Sozialhilfe usw. wahrnehmen. Bei der direkten Verwirklichung der Gesetze der Republik L., der Regierungsbeschlüsse und der Beschlüsse des Selbstverwaltungsrates bildet dieser eigene Exekutivorgane.

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2.4 Wirtschaft

Seit der Einführung marktwirtschaftlicher Bedingungen 1990 konnten die wirtschaftlichen Verhältnisse L.s insgesamt stabilisiert werden. Allerdings liegt der durchschnittliche Lebensstandard der Bevölkerung noch immer deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Bei den Einkommen und Renten – 2005 durchschnittlich 1289,5 LTL bzw. 420,3 LTL – besteht ein starkes Gefälle zwischen den beiden nördlichen Baltenrepubliken und dem deutlich niedrigeren Niveau L.s.

Die Zahl der Arbeitslosen, die seit 1991 offiziell registriert wird, ist trotz des drastischen Produktionseinbruchs nach dem Zerfall der UdSSR zunächst nur mäßig gestiegen. Im Jahr 2001 erreichte sie allerdings 17,4 %. Erst in jüngster Zeit ist ein Rückgang zu verzeichnen (8,3 % 2005). Davon weitestgehend unberührt ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Zur gleichen Zeit fehlt es in L. an Fachkräften, besonders im Bau- und auch Gesundheitswesen, die inzwischen v. a. nach Großbritannien und Irland abwandern. Die Regierung L.s hat bereits ein Programm angekündigt, das Facharbeiter motivieren soll, im Land zu bleiben.

Nach den Bestimmungen des EU-Beitrittsabkommens hat L. ab 1.5.2004 die gemeinsame EU-Agrarpolitik übernommen. Die gesamte EU-Förderung für die Landwirtschaft 2004–06 beträgt 489,5 Mio. Euro.

Derzeit werden 54 % (rd. 3,5 Mio. ha) der Fläche L.s landwirtschaftlich genutzt. Zum Ackerbaugebiet zählen davon 2,3 Mio. ha, zum Wiesen- und Weideland 1,2 Mio. ha. Das landwirtschaftlich am meisten genutzte Gebiet stellt Suvalkija dar. Die wichtigsten Anbauprodukte sind Getreide, Zuckerrüben und Gemüse. Bedeutend sind auch Milch- und Fleischproduktion sowie der Fischfang.

15 % der gesamten landwirtschaftlichen Produktion entfallen derzeit auf die Fischwirtschaft (= 0,1 % des BIP). L.s Fischerei konzentriert sich im wesentlichen auf den Ostseehafen Klaipeda. Es werden v. a. Dorsche, Heringe, Sprotten und Flundern gefangen. 17 große Fischzuchtunternehmen züchten daneben fast ausschließlich Karpfen, von denen 35 % exportiert werden. Die Fischverarbeitungsindustrie produziert zu 40 % eingesalzene, geräucherte oder getrocknete Fische, die fast ausschließlich für den litauischen Markt bestimmt sind und ist somit ein wichtiger Zweig der litauischen Nahrungsmittelindustrie. Die finanzielle Unterstützung der EU erfolgt im Rahmen der FIAF-Verordnung („Finanzinstrument für die Ausrichtung der Fischerei“), die für den Zeitraum 2004–06 knapp über 12 Mio. Euro zur Verfügung gestellt hat, damit die litauische Fischfangflotte umstrukturiert werden kann. Damit soll u. a. erreicht werden, dass die Fangkapazität an die verfügbaren Ressourcen angepasst und Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit der Fischerei wiederhergestellt wird.

Was die forstlichen Ressourcen betrifft, ist L. mit 32,5 % (2005) das am wenigsten bewaldete Land des Baltikums. Die Staatsforstverwaltung L.s sowie die Welternährungsorganisation FAO und die Ökonomische Kommission der EU (ECE) erwarten, dass der Holzeinschlag ab 2010 wieder den Stand der Vorkriegszeit (etwa 6 Mio. Vorratsfestmeter=VFm) erreichen wird. Eine forstwirtschaftliche Rolle spielen weiterhin die Harzgewinnung für industrielle Zwecke, auch die Nutzung von Waldbeeren, Pilzen und Heilpflanzen sowie die Wildtierjagd, nicht zuletzt der Jagdtourismus, der auf 5,6 % der Jagdfläche beworben wird.

Insgesamt trägt die Land- und Forstwirtschaft 5,5 % (2005) zum BIP bei. 13,9 % der Erwerbstätigen sind im Landwirtschaftssektor beschäftigt, knapp ein Drittel der Bevölkerung L.s ist insgesamt von diesem abhängig. Verglichen mit den anderen beiden baltischen Staaten verfügt L. über die leistungsfähigste Landwirtschaft, ihre Erzeugnisse gehen zu 34 % in den Export.

L. besitzt nicht viele bedeutende Bodenschätze. Industriell verwertet werden Torf, Kalkstein, Dolomit, Kies, Quarzstein und Lehm sowie das in der Grenzregion zu Lettland zu findende Erdöl. Deswegen ist das Land auf die Importe von Energierohstoffen – meist aus Russland – angewiesen.

Das einzige Kernkraftwerk Ignalina ist nach wie vor der größte Energielieferant L.s, es liefert knapp 80 % der Elektrizität. L. hat sich bei den EU-Beitritts-Verhandlungen verpflichtet, Ignalina, das den gleichen Reaktortyp besitzt, wie der Unglücksreaktor von Tschernobyl, abzuschalten. Der erste Reaktorblock wurde Ende 2004 abgeschaltet, der zweite – obwohl schon für 2005 gefordert – soll 2009 abgeschaltet werden, wozu die EU finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Es wird derzeit auch über den Bau eines neuen Reaktors westlichen Typs und über den Anschluss an das westeuropäische Stromnetz diskutiert, wobei die Finanzierungsfragen noch nicht geklärt sind.

›Mažeikių Nafta‹ ist die einzige Ölraffinerie in L. Sie gehört dem russischen Unternehmen JUKOS und sorgt für etwa 10 % des BIP. Auch ›Lietuvos Dujos‹ („Litauisches Gas“) wurde privatisiert und gehört zum größten Teil zur deutschen ›E.ON Ruhrgas AG‹ (38,9 %) und dem russischen Unternehmen ›Gazprom‹ (37,1 %). Der Anteil der erneuerbaren Energien, wie z. B. Holz und Wasser, soll bis 2010 von den heutigen 8,2 % auf 12 % gesteigert werden. Auch die Nutzung von Wind und Biogas wird von der Regierung gefördert.

Die wenigen wichtigen Industriezentren des Landes befinden sich in den größten Städten. In Wilna bspw. wird Metall verarbeitet und Maschinenbau betrieben, es gibt außerdem Baustoff- und Nahrungsmittel-, Papier und Möbelindustrie sowie elektrotechnische und chemische Industrie. In Kaunas gibt es Textil-, Baustoff- und Arzneimittelindustrie neben der erwähnten Nahrungsmittel- und Möbelindustrie. In Klaipeda ist die Schiffbau- und Fischereiindustrie hervorzuheben, in Šiauliai der Maschinenbau. Neben einer nennenswerten Nahrungsmittelindustrie gibt es in Panevėžys Bildröhren-, Bauglas- und Kabelproduktion.

Der Anteil der Industrie am BIP beträgt ca. 20,5 %. Der Anteil der Bauwirtschaft ist einige Jahre stabil geblieben, 2005 war jedoch im Vergleich zum Vorjahr ein elf prozentiges Wachstum auf 6,9 % am BIP festzustellen. Die Schwerpunkte der litauischen Wirtschaftpolitik liegen bei der Förderung der Bio- und Lasertechnologie. Für die chemische Industrie sind mehrere Unternehmen bedeutend, z. B. die ›Achema‹-AG, die der größte Hersteller von stickstoffhaltigen Düngemitteln und die ›Akmenės cementas‹-AG, die der wichtigste Produzent in der Zementindustrie im ganzen Baltikum ist. Letztere exportiert 53 % ihrer Produktion nach Westeuropa.

Laut litauischem Statistikamt konnte L. seine Exporte 2005 um 26,9 % bzw. Importe um 25,5 % im Vergleich zum Vorjahr steigern. Deutschland importiert v. a. Textilien, Holzwaren sowie Eisen- und Stahlerzeugnisse und ist neben Russland der wichtigste bilaterale Handelspartner L.s. Die Exporte L.s fallen geringfügiger niedriger als die Importe aus, größte Im- und Exportpartner sind die Länder der EU (59,3 % bzw. 65,4 %), danach folgen Russland und die Länder der GUS.

Zu den vielfältigen Gesetzgebungsakten im ökonomischen Bereich gehört das Unternehmensgesetz vom Mai 1990, das auf der Grundlage der in der Verfassung festgehaltenen Unternehmensfreiheit die zulässigen Unternehmensformen und die Voraussetzungen für Unternehmensgründungen regelt. Im gleichen Jahr wurde das Bankengesetz verabschiedet, das die Errichtung eines zweistufigen Bankensystems ermöglichte – bestehend aus der Zentralbank und mehreren Geschäftsbanken. Ein Bankenzusammenbruch führte 1995 zu erheblichen politischen und sozialen Spannungen.

Nach Einschätzungen der Weltbank gehört L. heute jedoch zu den wirtschaftlich gut situierten Ländern. Nach dem EU-Beitritt wurde die Litauische Zentralbank (Lietuvos Bankas) Mitglied im System der Europäischen Zentralbanken. Zu den wichtigen Banken des Landes gehören außerdem ›Bankas Snoras‹, ›Hansa Bankas‹ und die hauptstädtische ›Vilniaus Bankas‹.

1991 wurde die Industrie- und Handelskammer L.s, die bereits von 1924 bis 1940 tätig gewesen war, nach der Auflösung der vergleichbaren sowjetischen Institution wiedergegründet. Seit 1992 vereinigt die Assoziation der Industrie- und Handelskammern L.s die sechs regionalen Handelskammern in Wilna, Klaipeda, Šiauliai, Panevėžys und Marijampolė. Der Handels- und Dienstleistungssektor stellt zusammen mit dem Transportwesen 54,2 % des BIP (2005) und wurde zur stärksten Wachstumsbranche.

Bis Ende 2005 waren in L. mehr als 90 % der vormals staatlichen Unternehmen privatisiert. 2005 wurde die litauische Fluggesellschaft ›Lithuanian Airlines‹ privatisiert. Der Anteil des Privatsektors an der litauischen Volkswirtschaft liegt bei gut 80 %. Ausländische Investitionen gehen zurück und betrugen 2005 149,2 Mio. Euro.

Durch seine Lage an der Ostsee und aufgrund seines eisfreien Hafens spielt Klaipeda in der Abwicklung des Außenhandels eine sehr wichtige Rolle. Hier werden mit Mitteln der EU inzwischen auch verschiedene Ost-West Verkehrskorridore ausgebaut. Die schiffbaren Wasserwege L.s betragen momentan 600 km. L. spielt auch als Transitland zwischen Mittel- und Nordeuropa, zwischen Weißrussland und Skandinavien sowie zwischen der Exklave Kaliningrad und dem übrigen Russland eine nicht unbedeutende Rolle.

Das Straßennetz von insgesamt 79.497 km (2005) wird weiter ausgebaut. Der wichtigste internationale Flughafen befindet sich in Wilna, einen weiteren gibt es jeweils in Kaunas und Palanga. Das Schienennetz von der Litauischen Bahn (Lietuvos Geležinkeliai) beträgt 1771 km (davon 122 km elektrifiziert). Die wichtige und einzige Strecke führt zum Grenzübergang nach Polen (Šeštokai-Suwałki). Der Nachtzug von Warschau nach Wilna wurde 2004 allerdings durch eine Busverbindung ersetzt.

L. ist mit langen Stränden, unzähligen Seen, Nationalparks, Wäldern und hohen Dünen auf der Kurischen Nehrung ein sehr attraktives Reiseziel. Aber nicht nur die Natur ist sehenswert, sondern auch zahlreiche Städte, wie z. B. die Altstadt von Wilna, die 1999 von der UNESCO in das Weltkulturerbe aufgenommen wurde.

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2.5 Bildung und Kultur

Die Reformierung des litauischen Bildungssystems begann 1988, das entsprechende Gesetz zur Regulierung staatlicher und privater Bildungseinrichtungen wurde 1991 verabschiedet. Die Reform soll bis 2010 abgeschlossen sein.

Das Recht auf Bildung ist in der litauischen Verfassung fest verankert. Der Unterricht wird an allen Bildungseinrichtungen in litauischer Sprache abgehalten. Wo der Anteil an Anderssprachigen allerdings hoch ist, kann der Unterricht in der Muttersprache dieser Bevölkerungsgruppe geführt werden. Der Besuch öffentlicher Schuleinrichtungen ist kostenfrei. Die allgemeine Schulpflicht beginnt normalerweise mit sechs Jahren und beträgt neun Jahre bzw. reicht bis zum vollendeten 16. Lebensjahr.

Das Bildungssystem L.s ist wie folgt gegliedert: Grundschule (4 Jahre), Sekundarstufe 1 (6 Jahre), Sekundarstufe 2 (2 Jahre) und universitäre Bildung. Die beiden Sekundarstufen sind an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen angesiedelt. Universitäre Bildung wird an Universitäten und Kollegien angeboten.

Das Schuljahr beginnt am 1. September und endet Mitte Mai bis Anfang Juni; die Abiturienten beenden das Schuljahr eher als die Schüler der 1.–5. Klasse, die widerum kürzer lernen als die Schüler der 6.–11. Klasse. Einen Beruf können Jugendliche schon ab 14 Jahren in Berufsschulen erlernen, wo sie Theorie mit Praxis verbinden. Das universitäre Bildungssystem gleicht dem amerikanischen, denn das Studium dauert meist 4 Jahre und wird mit einem Bachelor-Grad abgeschlossen. Danach kann man in anderthalb bis zwei Jahren einen Magisterabschluss erwerben, an den die Promotion angeschlossen werden kann.

Es gibt insgesamt 1664 Bildungseinrichtungen (2005), davon 42 private. Von den 76 Berufschulen werden zwei, von den 28 Kollegien zwölf und von den 21 Universitäten sechs privat geführt.

Neben drei nationalen Museen mit Sitz in Wilna - das sind das „Litauische Nationalmuseum“ (Lietuvos nacionalinis muziejus), das „Mikolajus-Konstantinas-Čiurlionis-Kunstmuseum“ (Nacionalinis M. K. Čiurlionio dailės muziejus) und das „Litauische Kunstmuseen“ (Lietuvos dailės muziejus), zu dem u. a. das Uhrenmuseum in Klaipeda (Klaipėdos laikrodžių muziejus) und das Bernsteinmuseum in Palanga (Palangos gintaro muziejus) gehören -, gibt es in L. etwa 16 überregionale und ungefähr 50 Regionalmuseen, eine Reihe privater Museen und mehr als zwei Dutzend Museen öffentlicher Institutionen, darüber hinaus zahlreiche Galerien, in Wilna bspw.: ›Lietuvos aido‹ („Litauisches Echo“) und ›Vartų‹ („Das Tor“) und Kulturzentren, wie das Wilnaer „Zeitgenössische Kunstzentrum“ (Šiuolaikinio meno centras) oder das “Thomas Mann Kulturzentrum” (Tomo Mano kultūros centras) in Nidden, auf der Kurischen Nehrung.

L. hat eine sehr vielfältige Theaterlandschaft mit langer Tradition, sowohl im Bereich des Sprech- als auch des Musiktheaters, das sich neben Wilna v. a. auf Kaunas, Klaipeda und Panevėžys konzentriert.

Jüngst hat sich Wilna gemeinsam mit dem österreichischen Linz erfolgreich als ›Europäische Kulturhauptstadt 2009‹ beworben und ist damit die erste Stadt, die vom neuen Auswahlverfahren profitiert, demnach fortan jeweils eine Stadt aus der „alten“ und einer aus der „neuen“ EU Kulturhauptstadtstatus genießen soll. Kulturpolitik nimmt einen wichtigen Stellenwert ein, insbesondere der Austausch mit den anderen europäischen Ländern. In L. sind viele europäische Kulturinstitutionen tätig: ›Goethe Institut‹, ›Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD)‹, ›Friedrich-Ebert-Stiftung‹, ›Konrad-Adenauer-Stiftung‹, ›Deutsch-Litauisches Forum‹, ›The British Council‹, ›Centre Culturel Français‹, ›Nordic Council of Ministers Office in Lithuania‹ sowie die Kulturinstitute von Dänemark, Italien, Polen.

Die litauische Nachrichtenagentur ›ELTA‹ wurde schon 1920 gegründet, während der Sowjetzeit Tel des sowjetischen Informationssystems ›TASS‹, ist sie seit 1996 erneut. Das im selben Jahr verabschiedete Mediengesetz stärkt die Unabhängigkeit der Medien von staatlicher Kontrolle. Seit 2004 gründet das Recht auf Meinungsfreiheit auf dem EU-Recht. 2005 belegte L. in der Rangliste der Pressefreiheit des Vereins ›Reporter ohne Grenzen‹ den 21. Platz und lag damit noch vor Frankreich (30) und den USA (44).

Der „Nationale Rundfunk und Fernsehsender Litauens“ (Lietuvos nacionalinis radijas ir televizija, LTV) sendet sowohl auf Litauisch als auch in den Sprachen der ethnischen Minderheiten. Inzwischen haben auch zahlreiche private Rundfunk- und Fernsehanstalten Marktanteile gewonnen. Zu den bekanntesten litauischen Tageszeitungen gehören: ›Lietuvos rytas‹ („Der Morgen Litauens“), ›Vakaro žinios‹ („Abendnachrichten“) und ›Respublika‹ („Die Republik“); zu den fremdsprachigen Zeitungen und Zeitschriften zählen die in deutscher Sprache publizierte ›Baltische Rundschau‹ und die englische ›Lithuanian Business Review‹ sowie ›The Baltic Times‹. Auch die E-Presse ist relativ aktiv.

Die bekannteste und wichtigste Sportart in L. ist Basketball, mit einer sehr langen Tradition. Bereits 1939 gewann L. den Europameister-Titel. Während der Sowjetzeit spielten bekannte litauische Basketballer, wie z. B. Arvydas Sabonis (*1964), Šarūnas Marčiulionis (*1964), Rimas Kurtinaitis (*1960), in den UdSSR-Teams. Nach der Unabhängigkeit L.s konnte das Basketballteam 1992, 1996, 2000 bei den Olympischen Spielen Bronze gewinnen. 1995 wurde die litauische Mannschaft Vize- und 2003 mit Šarūnas Jasikevičius (*1976) an der Spitze Europameister. Die bekannteste Vereinsmannschaft ist ›BC Žalgiris‹ („Grünwald”), die 1944 gegründet wurde und unzählige Preise gewonnen hat, z. B. 1998 den Europapokal.

Neben Basketball gibt es in L. einige Fußballmannschaften, die international jedoch weitaus weniger erfolgreich sind, anders als etwa Leichtathleten, Radsportler und Ruderer. Zu den erfolgreichsten Sportlern gehören hier u. a. die Diskuswerfer Virgilijus Alekna (*1972) und Romas Ubartas (*1960), die je zweimal Gold bei Olympischen Spielen gewonnen haben. Weitere Medailliengewinner bei Olympischen Spielen sind z. B. die Basketballerin Angelė Rupšienė (*1952), die Handballerin Aldona Česaitytė-Nenėnienė (je zweimal Gold), der Handballer Valdemaras Novickis (Gold und Silber) und der Radfahrer Gintautas Umaras (*1963, zweimal Gold).

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3 Kulturgeschichte

Erste Siedlungsspuren auf litauischem Territorium reichen bis zu 12.000 Jahre zurück. Die baltische Urbevölkerung dürfte seit ca. 3000–2500 v. Chr. in der Region siedeln. Die erste urkundliche – mit der Missionierung des Baltikums in Zusammenhang stehende – Erwähnung L.s findet sich in den „Quedlinburger Annalen“ (latein. Annales Quedlinburgenses), um 1008/9.

Zur Vereinigung der litauischen Stämme (Aukštaičiai, Žemaičiai, Dzūkai und Suvalkiečiai) und einer ersten quasi-staatlichen Herrschaftsbildung kam es unter Fürst Mindaugas Mitte des 13. Jh., der sich taufen ließ und auf Veranlassung Papst Innozenz’ IV. zum König gekrönt wurde. Zu Beginn des 14. Jh. entstand mit dem Großfürstentum L. eines der mächtigsten mittelalterlichen Herrschaftsgebilde im östlichen Europa.

1385 ging dieses in der Union von Krėva eine Personalunion mit dem Königreich Polen ein. Die Vereinigung beider Staaten hielt in unterschiedlicher Intensität über vier Jahrhunderte, sie schuf die Voraussetzung für die Zurückdrängung des Deutschen Ordens, beförderte die Christianisierung L.s durch die polnische römisch-katholische Kirche und – aufgrund ihrer Privilegierung nach polnischem Vorbild – die Polonisierung der oberen Gesellschaftsschichten.

Den Höhepunkt an politischer Macht und territorialer Ausdehnung erreichte das litauische Reich im 15. und 16. Jh., nachdem es, seinen Herrschaftsbereich um große ostslawische (heute in Russland, der Ukraine und in Weißrussland liegende) christlich-orthodoxe, ab 1596 (Union von Brėst) auch griechisch-katholische Siedlungsgebiete erweitert hatte. Das viele Völker umfassende Großfürstentum war zudem auch zu eines der Siedlungszentren der Aschkenasim.

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Zu den wichtigsten in L. wirkenden kulturellen Einflüssen an der Wende zur Neuzeit ist die Reformation zu zählen, und hier insbesondere der Calvinismus, der in weiten Teilen der litauischen Oberschicht Verbreitung und ein erstes litauisches Sprachbewusstsein hervorbrachte.

1569 wurde die Personalunion mit Polen in eine Realunion (Union von Lublin) verwandelt. Im Laufe des 17. Jh. wurde L. – trotz eigener quasi staatlicher Institutionen und Rechtskodifizierung („Litauen (Großfürstentum, Statuten)|Litauische Statuten“) – innerhalb dieser praktisch zu einer Provinz. Wie in der polnischen Reichshälfte gingen zentralherrschaftliche Kompetenzen weitestgehend auf den Adel, de facto auf wenige Magnatengeschlechter, über. Große Teile des südöstlichen L. (u. a. Podlachien, Wolynien) wurden zudem im Rahmen der Union Polen angegliedert. Die Nordischen Kriege und ein anhaltender Reformstau führten schließlich im 18. Jh. zum Niedergang der polnisch-litauischen Adelsrepublik (Rzeczpospolita).

Mit der dritten Teilung Polen-Litauens 1795 verschwand das föderative Doppelreich von der Landkarte Europas. Der Hauptteil des litauischen Kerngebiets fiel an das zaristische Russland, Südwestlitauen (Suvalkija) bis 1807 an Preußen, danach bis 1815 an das Herzogtum Warschau, nach dessen Auflösung zum russischen Kongresspolen. Die Aufteilung hatte zur Folge, dass die beiden Gebiete eine unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung nahmen. Die von Russland ab 1795 verwalteten Gebiete wurden in Gouvernements (Wilna, Kaunas und Hrodna) gegliedert und als „baltische Provinzen” bezeichnet. Die Leibeigenschaft wurde hier erst 1861 aufgehoben, etwa ein halbes Jahrhundert später als in Südwestlitauen.

Zu Beginn des 19. Jh. kam es in den annektierten Gebieten zu einem von Russland tolerierten und beförderten, aus der polnisch-litauischen Reformbewegung der 1790er Jahre hervorgehenden Aufschwung des Bildungs- und Kulturlebens, Ausdruck dessen war u. a. die Gründung der Universität von Wilna, wo auch die geheimen Studentengesellschaften der „Filareten“ und „Filomaten“ wirkten.

Die nach den gescheiterten Aufständen 1831 und 1864 forcierten Russifizierungsmaßnahmen beendeten diesen und lösten eine Massenauswanderung, hauptsächlich in die USA, aus und führten zur Entstehung der litauischen Nationalbewegung. Dabei kam es zu wachsenden Spannungen zwischen dieser und der polnischen Nationalbewegung. Bei den Polen stieß die nationallitauische Haltung auf Ablehnung, da man dort eine Wiederherstellung der polnisch-litauischen Union anstrebte.

Die gelehrten Litauer setzten ihr Vorhaben jedoch fort, indem sie z. B. 1879 in Tilsit (heute russ. Sovetsk) eine „Litauische Literarische Gesellschaft“ (litau. Lietuvių literatūros draugija) gründeten, und das Verbot, litauische Schriften in lateinischer Schrift zu drucken, umgingen, indem sie alles in Ostpreußen drucken und durch sog. Bücherträger (Knygnešiai) über die Grenze schmuggeln ließen. 1883 gründete Jonas Basanavičius (1851–1927) die literarische Zeitschrift ›Aušra‹ („Morgenröte“). 1889 folgte die Zeitschrift ›Varpas‹ („Die Glocke“).

Innerhalb des russischen Imperiums erhoben die Litauer nach der Revolution 1905 als eine der ersten nationalen Minderheiten die Forderung nach Autonomie. Im Dezember 1905 versammelten sich 2000 Delegierte zum „Großen Wilnaer Landtag” (Didysis Vilniaus Seimas) und verlangten in einer Resolution demokratische Wahlen, nationale Autonomie und die Einführung des Litauischen als Amtssprache. Doch erst etwa ein Jahrzehnt später fand diese Entwicklung ihre Fortsetzung.

Während des Ersten Weltkriegs fasste die Heeresleitung des Deutschen Reichs die im Herbst 1915 eroberten litauischen Gouvernements zum ›Militärverwaltungsgebiet L.‹ zusammen und erteilte die Erlaubnis zur Bildung eines provisorischen Rates (Taryba), der am 16.2.1918 die Unabhängigkeit L.s proklamierte. Entscheidend für die Wiederherstellung eines unabhängigen litauischen Staates war der durch die Oktoberrevolution 1917 bewirkte Zusammenbruch des russischen Imperiums.

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Die sowjetrussische Regierung erkannte nach vergeblichen Versuchen, in L. eine Sowjetregierung zu installieren, am 12.7.1920 die Eigenstaatlichkeit L.s unter ausdrücklicher Einbeziehung des von Polen beanspruchten Wilnagebietes vertraglich an.

Im Zuge der andauernden polnisch-sowjetischen Kampfhandlungen wurde dieses jedoch im Oktober 1919 endgültig von polnischen Verbänden besetzt und im Februar 1922 als „Mittellitauen“ Polen angeschlossen. Die Wilnafrage überschattete das litauisch-polnische Verhältnis nachhaltig und erwies sich als entscheidendes Hindernis für ein Bündnis der sog. „Randstaaten” Finnland, Estland, Lettland, L. und Polen als Gegengewicht zu Russland respektive Deutschland. Vorläufige Hauptstadt des unabhängigen L. wurde Kaunas.

In den bilateralen Beziehungen zum Deutschen Reich sorgten die von beiden Staaten erhobenen Ansprüche auf das Memelgebiet (litau. Klaipėdos kraštas) für in unterschiedlicher Intensität wiederkehrende Belastungen und Krisen.

Die komplizierte und unbefriedigende außenpolitische Konstellation, die auch Ursache dafür war, dass L. erst am 22.9.1921 in den Völkerbund aufgenommen und erst am 20.12.1922 von allen Allierten anerkannt wurde, wirkte sich u. a. aufgrund der Grenzsperren auf die wirtschaftliche Entwicklung und schließlich auch auf die innenpolitische Stabilität und die Minderheitenpolitik negativ aus. Am 17.12.1926 übernahm die bis dato politisch unbedeutende nationalistische Partei ›Tautininkai‹ mit Unterstützung der Armee durch einen Staatsstreich die Macht und etablierte unter Antanas Smetona (1874–1944) ein autoritäres Einparteiensystem. Der parlamentarischen Demokratie war damit ein Ende gesetzt.

Die Lösung der Agrarfrage war eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Probleme der Zwischenkriegszeit. 1922 wurde eine Bodenreform erlassen, die große Teile des (vorwiegend polnischen und russischen) Großgrundbesitzes verstaatlichte und an landlose Bauern verteilte, alte Dorfstrukturen auflöste und zur bäuerlichen Einzelhofbewirtschaftung, vielfach auf Genossenschaftsbasis, führte.

Als die Expansionspolitik des Dritten Reichs und der UdSSR die Friedensordnung in Europa akut bedrohte, konnte das isolierte L. den von den beiden totalitären Regimen gefällten Beschlüssen nichts entgegensetzen. Im zweiten geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt wurde L. – trotz wiederholter beidseitiger Friedensverträge seit 1920 – zur sowjetischen Interessenssphäre erklärt. Vor diesem Hintergrund wurde die litauische Regierung am 10.10.1939 ultimativ zur Unterzeichnung eines Grenz- und Beistandspakts, der einerseits die Rückgabe des Wilnagebietes an L. und andererseits die Stationierung sowjetischer Truppen beinhaltete, mit der UdSSR gezwungen. Unter dem Vorwand, eine baltische Blockbildung gegen die Sowjetunion zu verhindern, wurde L. am 16.6.1940 durch die Rote Armee besetzt und binnen weniger Wochen als Sowjetrepublik in die UdSSR inkorporiert. In dieser Phase leistete die litauische Bevölkerung keinen aktiven Widerstand. Begleitet wurde die Eingliederung von extremen stalinistischen Repressionen, Gewalt und massenhaften Deportationen.

Während der deutschen Okkupation von 1941 bis 1944 – in der L. Teil des ›Reichskommissariats Ostland‹ wurde – wurden etwa 94 % der ca. 240.000 litauischen Juden von NS-Einsatzgruppen ermordet. Insgesamt wurden während dieser Zeit, ca. 436.000 Zivilpersonen sowie 230.000 sowjetische Kriegsgefangene getötet. Im Verlauf der sowjetischen Rückeroberung entstand im Herbst 1944 eine starke litauische Widerstands- und Partisanenbewegung gegen die Reorganisation sowjetischer Macht in L., die mit beträchtlichem logistischem und militärischem Aufwand erst 1953 endgültig niedergeschlagen werden konnte.

In diesem Zeitraum eskalierten die stalinistischen Verfolgungsmaßnahmen und Massendeportationen. Etwa 200.000 Menschen (die Schätzungen reichen bis 500.000) fielen der Sowjetdiktatur zum Opfer, sie wurden in andere Teile der Sowjetunion deportiert oder auch ermordet bzw. starben im Widerstand. Annähernd ebenso viele emigrierten ins westliche Ausland. In der litauischen Sprachpraxis ist es heute allgemein üblich, den stalinistischen Terror als „Genozid am litauischen Volk” zu bezeichnen.

Die Zwangskollektivierung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft wurde bis 1951 abgeschlossen und das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben dem sowjetischen Modell angepasst. Eine Estland und Lettland vergleichbare rasante Industrialisierung mit einhergehendem massenhaften Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Teilen der Sowjetunion erfuhr L. jedoch nicht. In der Zeit des „Tauwetters“ eröffneten sich Möglichkeiten eigenständiger wirtschaftlicher Entwicklung, von der insbesondere die Lebens- und Konsumgüterproduktion profitierte. Die Intensivierung der kollektiven Landwirtschaft in den 60er/70er Jahren machte L. schließlich zu einem der wichtigsten landwirtschaftlichen Produzenten der Sowjetunion.

Die auf Russifizierung setzende sowjetische Nationalitätenpolitik stieß jedoch auf Widerstand. Die Perestroika zeigte die Lebendigkeit des litauischen Patriotismus, der Ende der 1980er Jahre schließlich auch zu erneuter Eigenständigkeit führte. Bereits 1986 formierte sich in L. eine von großen Teilen der Bevölkerung unterstützte Umweltschutzbewegung, die der späteren Reform- und Unabhängigkeitsbewegung wichtige Impulse verlieh. Ein Überraschungserfolg, der landesweit Beachtung fand und die Umgestaltungsambitionen beflügelte, gelang, als man sich gegen die Interessen Moskaus durchsetzen und die umstrittene Erweiterung des Atomkraftwerks Ignalina verhindern konnte.

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Am 3.6.1988 wurde in Wilna von einem Kreis litauischer Intellektueller gegen den Willen der damaligen KP-Führung die Reformbewegung Sąjūdis („Volksfront“) gegründet. Deren ursprüngliches Anliegen bestand darin, über die Geschichte der baltischen Ostseerepublik aufzuklären. Ihre Gründer sahen sich in einer Tradition des Widerstandes gegen die russische Fremdherrschaft. Die ca. 500 Anhänger forderten demokratische Umgestaltung und nationale Souveränität. Die in dieser Auseinandersetzung erfahrene Stärke der eigenen Position schuf die Voraussetzung dafür, dass sich das Sąjūdis-Bündnis rasch zu einer Massenbewegung reformorientierter Gruppierungen entwickeln konnte, die im Rahmen des von Michail Gorbatschow propagierten „Neuen Denkens“ zur führenden Kraft L.s avancierte und den innersowjetischen Wandlungsprozess in hohem Maße prägte. Hinter die Sąjūdis-Forderungen stellte sich auch die katholische Kirche L.s, die am öffentlichen Leben nun wieder ohne Einschränkungen teilnehmen konnte.

Am 19.10.1988 löste Algirdas Brazauskas (*1932) als „Wunschkandidat” der Bürgerbewegung den moskautreuen Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei L.s (KPL) Ringaudas Bronislavas Songaila (*1929) ab. Mit diesem Wechsel begann ein politischer Verselbständigungsprozess, der auf dem 20. Parteitag der KPL im Dezember 1989 letztlich zum Bruch mit der KPdSU führte. Damit wurde das Herrschaftsmonopol des zentralen Parteiapparates zum ersten Mal in der Geschichte der UdSSR in Frage gestellt.

Bei den Wahlen am 25.3.1989 konnten die reformfreundlichen Kandidaten die absolute Mehrheit erringen. Die KPL unterstützte die Reformbewegung Sąjūdis nun auf breiter Front: Am 18.5.1989 erklärte sich die Litauische Sowjetrepublik für souverän. Im selben Monat beschloss der Oberste Sowjet der Republik L. (um die mit der Unabhängigkeitserklärung verbundene politische Zäsur zu kennzeichnen, wird das litauische Parlament erst ab diesem Zeitpunkt als ›Seimas‹ bezeichnet) eine Verfassungsänderung, die den litauischen Gesetzen Vorrang vor sowjetischen Gesetzen einräumte.

Im Juli wurde das Sąjūdis-Mitglied Kazimiera Prunskienė zur stellvertretenden Ministerratsvorsitzenden gewählt. In einem weiteren wichtigen Schritt wurde am 7.12.1989 die Monopolstellung der KPL gänzlich gestrichen und ein Mehrparteiensystem zugelassen. Litauisch war inzwischen wieder offizielle Amts- bzw. Staatssprache.

Am 24.12.1989 annullierte der Volksdeputiertenkongress der UdSSR zwar die Geheimprotokolle des Hitler-Stalin-Pakts, lehnte die Möglichkeit eines Unionsaustritts der baltischen Republiken jedoch ab. Anlässlich des 50. Jahrestages des Hitler-Stalin-Pakts wurde die friedliche Wiedererlangung nationaler Eigenstaatlichkeit in den drei Ostseerepubliken erstmals als „baltischer Weg” – charakterisiert. Der bewusste Gewaltverzicht, mit der auf sowjetische Einwände und Provokationen reagiert wurde, vergrößerte in den westlichen Staaten die Sympathien für die baltischen Intentionen.

Bei den ersten freien Wahlen zum Obersten Sowjet seit der Inkorporation durch die UdSSR 1940 gelang dem Sąjūdis-Bündnis im Februar 1990 ein überwältigender Wahlsieg. Als klarer Sieger verdrängte Sąjūdis unter ihrem Vorsitzenden Vytautas Landsbergis die KPL von der Macht. Erneut hatten die Wähler ihre Zustimmung zur Überwindung des Sowjetsystems und zu dem propagierten politischen Kurs zum Ausdruck gebracht. Vorsitzender des Parlaments und in dieser Funktion Staatsoberhaupt wurde Landsbergis. Die zur Ministerpräsidentin ernannte Prunskienė bildete eine neue Regierung, Algirdas Brazauskas wurde zu ihrem Stellvertreter gewählt.

Am 11.3.1990 fasste das neugewählte Parlament den Beschluss zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit und ersetzte die Verfassung der UdSSR durch ein provisorisches Grundgesetz. Dabei stellte man eine verfassungsrechtliche Kontinuität zur gleichnamigen Republik der Zwischenkriegszeit her und unterstrich den völkerrechtswidrigen Charakter der Eingliederung in die UdSSR. Bei einem Referendum am 9.2.1990 hatten über 90 % der Wählenden für eine unabhängige demokratische Republik L. votiert.

Als Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung erklärte die sowjetische Regierung am 15.3.1990 alle in L. neu erlassenen Gesetze für ungültig. Zur Verunsicherung der neuen Regierung setzten parallel hierzu – unter demonstrativer Verletzung der Souveränitätsrechte – starke sowjetische Truppenbewegungen auf litauischem Territorium ein. Um den Druck auf die litauische Regierung zu erhöhen und sie zur Rücknahme der Unabhängigkeitserklärung zu zwingen, verfügte Gorbatschow am 17.4.1990 eine Wirtschaftsblockade gegen L. Als Zeichen guten Willens beschloss der Oberste Sowjet L.s daraufhin im am 29.6.1990 ein 100-tägiges Moratorium des Unabhängigkeitsaktes. Dieser Schritt sollte neue Verhandlungen mit der sowjetischen Regierung ermöglichen.

In dieser prekären Situation, in der zudem die westlichen Vorwürfe zunahmen, die baltischen Republiken würden den Reformprozess in der UdSSR destabilisieren, unterstützte der Vorsitzende des Obersten Sowjets Russlands, Boris Jelzin, immer wieder öffentlich das vorbehaltslose Selbstbestimmungsrecht der baltischen Staaten. In einem Vertrag über die bilateralen Beziehungen erkannte er in seiner Funktion als neugewählter Präsident der RSFSR die Unabhängigkeit L.s am 29.6.1991 an. Dieses wichtige politische Moment stärkte die Position L.s, das von seiner Haltung nicht abrückte, die geforderte Wiederanerkennung der sowjetischen Verfassung beharrlich verweigerte und damit schon im Oktober 1990 begonnen hatte, an den litauischen Außengrenzen eigene Grenzposten aufzustellen.

Der Konflikt mit der sowjetischen Regierung war bereits Anfang 1991 eskaliert, als sowjetische Fallschirmjägereinheiten das Pressehaus in Wilna besetzten. Bei der Erstürmung des Rundfunkgebäudes und des Fernsehturms am 13.1.1991 starben 14 Menschen, die gewaltlosen Widerstand gegen das militärische Vorgehen geleistet hatten, mehrere hundert wurden verletzt. Nach der Niederschlagung des Putsches in Moskau im August 1991 gewann die Unabhängigkeitsentwicklung schließlich an unerwarteter Dynamik, als mit dem Zerfall der UdSSR die Voraussetzungen für eine zügige, weltweite diplomatische Anerkennung L.s gegeben waren. Im September 1991 wurde L. in die UNO aufgenommen. Im selben Monat erkannte auch Gorbatschow offiziell die Unabhängigkeit des Landes an.

Die ersten freien Parlamentswahlen nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit fanden am 25.10. und 15.11.1992 statt. Die Wahlbeteiligung lag bei 75 %. Zu den Wahlen zugelassen waren 20 Parteien. Von den abgegebenen Stimmen entfielen ca. 43,98 % der Stimmen auf die LDDP, 21,17 % auf das Sąjūdis-Bündnis, 12,61 % auf die „Litauische Christdemokratische Partei“ (Lietuvos Krikščionių Demokratų Partija, LKDP), die eine Verbindungsliste mit der LDP und der „Union der politisch Verfolgten und Deportierten“ (Lietuvos politinių kalinių ir tremtinių sąjunga, LPKTS) eingegangen waren sowie knapp 6 % auf die LSDP. Bei den Präsidentschaftswahlen im Februar 1993 konnte sich der Reformkommunist A. Brazauskas gegen V. Landsbergis durchsetzen.

Da man sich bewusst nicht als Nachfolgestaat der Sowjetunion definierte, lehnte L. ebenso wie seine baltischen Nachbarn bei der Auflösung der UdSSR im Dezember 1991 eine Rechtsnachfolge für sie und daraus resultierende völkerrechtliche Verpflichtungen ab. Das Parlament erklärte das auf dem Territorium der Republik befindliche Staats- und Parteivermögen zum Eigentum L.s.

Sofort nachdem der äußere Zwang zur nationalen Solidarität durch den Zusammenbruch der Sowjetunion seine Gültigkeit verloren hatte, zerfiel das Sąjūdis-Bündnis in einzelne Interessengruppen. Damit setzte ein für die Festigung der parlamentarischen Demokratie wichtiger, unumgänglicher Prozess der gesellschaftlichen Pluralisierung ein.

Eine der ersten Maßnahmen der jungen Republik bestand in der Rehabilitierung der Teilnehmer am antisowjetischen Widerstand. Am 23.1.1997 verabschiedete das Parlament ein Gesetz über die rechtliche Behandlung von Mitgliedern von Freiwilligentruppen und Partisanenverbänden, die gegen die deutsche Okkupation im Zweiten Weltkrieg und die sowjetische Annexion (1940–90) gekämpft hatten. Durch den damaligen Einsatz entstandene Nachteile sollen durch Entschädigungen und soziale Leistungen ausgeglichen werden.

Das litauische Staatswappen zeigt seit 1990 wieder den von der Sowjetregierung 1940 verbotenen Reiter ›Vytis‹. In Anknüpfung an die Zwischenkriegszeit ebenfalls wiederhergestellt wurde die Nationalflagge in den Farben Gelb, Grün und Rot.

Seit September 1996 befindet sich auch an zentraler historischer Stelle in Wilna ein Denkmal für Gediminas, den Begründer des litauischen Hegemonialstrebens im Mittelalter. Als nationale Gedenktage begeht man den 13. Januar („Tag der Verteidiger der Freiheit L.s”) in Erinnerung an die blutigen Ereignisse von 1991 ebenso wie den 23. August als historischen Jahrestag der Unterzeichnung des für das Baltikum so folgenschweren Hitler-Stalin-Pakts. Zum Gedenken an die Opfer stalinistischer Verfolgungsmaßnahmen wurden namentliche Sterbebücher herausgegeben.

Seit der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit bildet die Entwicklung und Durchführung eines Programms ökonomischer, gesetzlicher und administrativer Reformen einen zentralen Schwerpunkt des Transformationsprozesses. Als erste der ehemaligen Sowjetrepubliken begann L. bereits im Februar 1991 mit der Privatisierung staatlichen Eigentums. Bis Juli 1996 haben fast 140.000 Menschen Grundstücke zurückerhalten. Wegen des öffentlichen Geldmangels konnten dagegen Entschädigungen nur zögerlich ausgezahlt werden.

Auf die Konsolidierung des Staatswesens wirkte sich in den vergangenen Jahren der häufige Regierungswechsel negativ aus. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde mehrfach neubesetzt und die Regierung umgebildet. Die linksgerichtete LDDP, die aus den Parlamentwahlen 1992 als triumphaler Sieger hervorgegangen war, erlitt bei den Parlamentswahlen Ende 1996 eine schwere Niederlage und wurde durch eine rechtskonservative Regierungskoalition abgelöst. Großen Anteil an dieser Niederlage hatte der Bankenskandal (1995/1996) um den ehemaligen Ministerpräsidenten und LDDP-Vorsitzenden Adolfas Šleževičius (*1948). Nach den Wahlen im Herbst 1996 sah sich L. mit einer schwierigen parlamentarischen Situation konfrontiert. Der rechten Parlamentsmehrheit stand ein linker Präsident gegenüber.

Am 22.12.2002 fanden in L. wieder Wahlen zum Präsidentschaftsamt und zu den Selbstverwaltungsorganen statt. Die Stelle des Präsidenten strebten 17 Kandidaten an. In den zweiten Wahlgang gerieten der damals 76-jährige Valdas Adamkus, welcher die meiste Zeit in den USA verbrachte und sich dort in der Umweltbewegung hervortat und der damals 46-jährige Vorsitzende der Liberalen Rolandas Paksas, der schließich mit 54,7 % der Stimmen gewann. Bei den Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen siegte die LSDP, die 332 Plätze errang. Am 6.4.2004 wurde Paksas aufgrund von Verstößen gegen die litauische Verfassung seines Amtes enthoben. Am 13. und 27.6.2004 fand daraufhin eine erneute Präsidentschaftswahl statt. Diese gewann der jetzige Präsident Adamkus mit 52,65 % der Stimmen. Die Gegenkandidatin Prunskienė erhielt 47,35 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 52,46 %.

An den am 13.6.2004 stattgefundenen Wahlen der 13 Vertreter L.s in das Europäische Parlament nahmen 48,4 % der Bevölkerung teil. Seit dem 1.5.2004 ist L. Mitglied der EU und ein Teil der litauischen Staatsgrenze deren Außengrenze.

Garleff M. 2004: Die Geschichte der baltischen Länder. Der Bürger im Staat 54(2004)2/3, 92–101. Girnius S., Leontjeva E. (1996): „Litauen”. Weidenfeld W. (Hg.): Mittel- und Osteuropa auf dem Weg in die Europäische Union. Gütersloh, 93–117. Hartung G. (1994): Neue Staaten – Neue Gewerkschaften? Die Gewerkschaften in Litauen, Lettland und Estland Anfang der 90er Jahre. Leipzig. Hellmann M. 1990: Grundzüge der Geschichte Litauens und des litauischen Volkes. Darmstadt. Knab F. C. 2004: Der Holocaust in Litauen 1941 bis 1944. Der Bürger im Staat 54(2004)2/3, 163-89. Kubilius V. 2000: Die litauische Literatur von der „Tauwetterperiode“ bis zur Unabhängigkeit. Annaberger Annalen. Jahrbuch über Litauen und deutsch-litauische Beziehungen, 8 (= http://jahrbuch.annaberg.de/kubilius.html [Stand 10.10.2006]). http://www.lietuva.lt. http://www.zum.lt. http://www.std.lt/lt/pages/view/?id=1113. http://www.istorija.lt/ [Stand 10.10.2006].

(Renata van der Wal)

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