Dobrudscha (Landschaft)

Dobrudscha (bulg. Dobrudža, rumän. Dobrogea, türk. hist. Dobruca).

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

Der Raum der so genannten D., der naturräumlich und kulturgeographisch betrachtet im Kern aus dem Donaudelta und den nördlich wie südlich angrenzenden teilweise steppenartig trockenen und teilweise auch wasserreich fruchtbaren Steppenzonen besteht, ist als spezifische historische Größe erst im 14. Jh. fassbar. Er reicht im Norden bis in den Jedisan, bis in die Steppe Bărăgan im Westen und den Raum von Warna im Süden.

Der Name leitet sich von einem sich in der Mitte des 14. Jh. südlich des Deltas etablierenden orthodoxen Despoten kumanischen Ursprungs (Dobrotica) her. Seit der Ausformung der Welt der eurasischen Steppennomaden im 5. Jt. v. Chr. bildete der Raum der unteren Donau eine der wichtigsten zentralen Übergänge und Schnittstellen zwischen der Welt der Steppe und sesshaftegrer Kulturen. Der Raum der unteren Donau – also im Grunde auch das Gebiet des heutigen Muntenien (rumän. Muntenia) war immer wieder Ausgangspunkt für militärische Operationen von Reitervölkern in den südosteuropäischen Raum hinein. Aufgrund der militärischen Überlegenheit der Nomaden in eigenem Terrain bis ins späte 17. Jh. kam es in diesem für sie idealen Raum der grundsätzlich zur eurasischen Steppenzone hinzugerechnet werden muss sehr lange nicht zu einer Herausbildung eines längerfristiger existenten Reichverbandes. In römischer Zeit (1. Jh.– um 600), sowie im 11. und 12. Jh. bildete die Donau die Grenze des römischen bzw. byzantinischen Imperiums, ohne allerdings einen nachhaltigen Schutz gewähren zu können. Typisch für den Raum, den wir heute unter D. verstehen, sind daher ethnische, sprachliche, religiöse und kulturelle Diskontinuitäten. Waren es auch lateinisch- und griechischsprachige Bewohner in der Spätantike, die dann verschwanden, – so sind im Früh- und Hochmittelalter Slawen, Ostgoten, Bulgaren, Magyaren, Petschenegen, Uzen, Kumanen und Tataren nachweisbar, die wie etwa der berühmte Khan Nogai (ca. 1267-99) im Raum der unteren Donau eigene Herrschaften errichteten. Im Spätmittelalter errichtete die Seerepublik Genua in einigen Häfen entlang der westlichen Schwarzmeerküste Stützpunkte, die byzantinische Herrschaft konnte sich im Raum der südlichsten D. bis 1453 (Mesembria, Anchialo u. a.) behaupten und für rund 5 Jahrzehnte konnte sich ein unabhängiges orthodoxes kumanisch-bulgarisches Despotat aufrecht erhalten, dass im Rahmen des Vordringens der Osmanen um 1391 bereits ausgelöscht wurde.

Das dominierende vom 14. Jh. bis in die Zeit des Krimkrieges (1853–56) türkische Ethnikum geht partiell sicher auf Nachfahren mittelalterlicher Turkvölker zurück, zum Teil auch auf Kolonisationsbewegungen innerhalb des osmanischen Reiches. Ein Sonderfall sind die im 19. Jh. aus dem südlichen Teil der D. durch Russland zwangsumgesiedelten Gagauzen – ein christlich orthodoxer turksprachiger Verband, der sich seit Spätmittelalter aus dorthin geflohenen anatolischen Türken und christianisierten Kumanen herausgebildet hatte. Die heute in der D. anzutreffenden Tataren sind Nachfahren der im Verlauf des 19. Jh. aus Russland vertriebener und verdrängter Nogaier und Krimtataren, die in diesen damals noch zum Osmanischen Reich gehörenden Raum geflohen waren.

Das dominierende vom 14. Jh. bis in die Zeit des Krimkrieges (1853–56) türkische Ethnikum geht partiell sicher auf Nachfahren mittelalterlicher Turkvölker zurück, zum Teil auch auf Kolonisationsbewegungen innerhalb des osmanischen Reiches. Ein Sonderfall sind die im 19. Jh. aus dem südlichen Teil der D. durch Russland zwangsumgesiedelten Gagauzen – ein christlich orthodoxer turksprachiger Verband, der sich seit Spätmittelalter aus dorthin geflohenen anatolischen Türken und christianisierten Kumanen herausgebildet hatte. Die heute in der D. anzutreffenden Tataren sind Nachfahren der im Verlauf des 19. Jh. aus Russland vertriebener und verdrängter Nogaier und Krimtataren, die in diesen damals noch zum Osmanischen Reich gehörenden Raum geflohen waren. Die heute etwa im nördlichen Teil absolut dominierende rumänische und im südlichen Teil gleich absolut dominierende bulgarische Bevölkerung gelangte erst im Zuge massiver Vertreibungs- und Kolonisationsmaßnahmen nach 1878 in diesen Raum. Völlig marginalisiert sind die bis 1878 auch der Zahl nach dominierenden Tataren (ca. 30.000), Türken (ca. 40.000) Griechen und Armenier (zusammen wenige hundert). Die im Verlauf des 18. Jh. aus dem Zarenreich geflohenen Altgläubigen und Kosaken („Lipowaner“) (rd. 45.000) gehen der Zahl nach ebenfalls weiter zurück. da sie über kaum eine geistige Elite verfügen und durch Arbeitsmigration in urbane Zentren sich an die Staatsnation rasch akkulturalisieren. Lediglich die Zahl der Roma im Raum der heutigen D. nimmt quantitativ gesehen weiter zu.

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2 Kulturgeschichte

Nach dem siegreichen Krieg gegen das Osmanische Reich 1877/78 behielt Russland es sich vor, die neu eroberte D. zwangsweise gegen das zu Rumänien gehörenden südliche Bessarabien zu tauschen. Auf dem Berliner Kongress wurde die Provinz zwischen Rumänien, das den größeren Nordteil erhielt und dem neu gegründeten Bulgarien geteilt. Die Zugehörigkeit der ethnisch heterogenen D. wurde trotz vertraglicher Festlegung zum Zankapfel zwischen den beiden Staaten. Nach innen versuchten sie, durch eine ethnische und kulturelle Homogenisierung sowie wirtschaftliche Modernisierung die Integration des Gebietes in die jungen Nationalstaaten zu erreichen. Rumäniens Entwicklungsstrategie folgte fünf Prinzipien, die sich in der für die Provinz eingerichteten Sonderverwaltung niederschlugen: die Kolonisierung des Gebietes mit ethnischen Rumänen, die u. a. dazu dienende teilweise Nationalisierung des Grundbesitzes, die kulturelle Homogenisierung der Bewohner, die Einrichtung einer stark zentralisierten Verwaltung sowie den Ausschluss der ethnisch nicht rumänischen Wirtschaftseliten aus dem politischen Prozess. Erst ab 1909 wurde die politische Organisation der D. schrittweise an das übrige Rumänien angeglichen. Durch die staatlich geförderte Immigration stieg die Bevölkerungszahl der Nordd. zwischen 1878 und 1912 von ca. 100.000 auf 368.189 Einwohner. Der Anteil der ethnischen Rumänen erhöhte sich in den Jahren 1880 bis 1905 von 36,3 % auf 52,5 %. 1895 wurde die Donaubrücke bei Cernavodă eröffnet, die erstmals eine direkte Eisenbahnverbindung in die neue Provinz ermöglichte und zu dieser Zeit die längste Eisenbahnbrücke in Europa war. Der ab 1896 neu ausgebaute Hafen in Constanţa wurde zu einem Hauptverkehrsknotenpunkt zwischen Westeuropa und Kleinasien und war Endstation für den Orientexpress.

Nach dem zweiten Balkankrieg konnte Rumänien im Frieden von Bukarest (1913) Bulgarien zur Abtretung des südlichen Teils der D. zwingen. Wie in den nördlichen Teilen nach 1878 versuchte Rumänien die neu gewonnenen Gebiete durch eine Erhöhung des ethnisch-rumänischen Bevölkerungsanteils, der 1913 lediglich 2 % betrug, in den Nationalstaat zu integrieren. In der Folge emigrierten zahlreiche muslimische und bulgarische Einwohner. Während des Ersten Weltkrieges wurde die D. erneut zum Streitpunkt. Ein Ziel des bulgarischen Kriegseintritts auf Seiten der Mittelmächte am 14.10.1915 war die Revision des Bukarester Friedens und damit u. a. die Wiedergewinnung zumindest der ehemals in bulgarischem Besitz befindlichen Teile der D. Nach der rumänischen Kriegserklärung an Österreich-Ungarn am 27.08.1916 gelang den Truppen der Mittelmächte unter dem Oberbefehl August v. Mackensens rasch die Besetzung der gesamten Provinz. Im von Rumänien nie ratifizierten Frieden von Bukarest (07.05.1918) erhielt Bulgarien erneut die Südd., die Nordd. wurde der gemeinsamen Verwaltung aller vier Mittelmächte unterstellt. Diese Regelung führte in Bulgarien zu heftigen Proteste und zum Rücktritt des Ministerpräsidenten Vasil Radoslavov. Nach dem Waffenstillstand 1918 wurde die D. zunächst von Truppen der Armées en Orient besetzt, bevor 1919 die Pariser Konferenz im Frieden von Neuilly das gesamte Gebiet erneut Rumänien zusprach. Die Zwischenkriegszeit war gekennzeichnet von Konflikten v. a. zwischen den ethnisch rumänischen und bulgarischen Bevölkerungsteilen – die z. T. in bewaffnete Auseinandersetzungen mündeten – und der Agitation bulgarischer Vereine, die die Revision des Friedensvertrages bzgl. der D. forderten. Das Auftreten bewaffneter bulgarischer Banden im Grenzgebiet hatte soziale Ursachen, richtete sich aber auch gegen die rumänische Verwaltung. Als Reaktion auf die restriktive rumänische Minderheitenpolitik und die Konflikte in Folge der Neuansiedlung zahlreicher Mazedorumänen in der südlichen D. kam es seit Dezember 1918 außerdem zu einer Auswanderungswelle der bulgarischen Bevölkerung.

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Die Lage der verbliebenen bulgarischen Minderheit in der D. und die damit verbundenen Probleme blieben in der gesamten Zwischenkriegszeit eine schwere Belastung des rumänisch-bulgarischen Verhältnisses. Ab 1938 begann Bulgarien, offen Revisionsansprüche anzumelden. Auf deutschen Druck hin war Rumänien gezwungen, 1940 einer Revision der Pariser Verträge zuzustimmen und im Vertrag von Craiova die Südd. endgültig an Bulgarien abzutreten (1947 Bestätigung im Frieden von Paris). Die Regelung beinhaltete auch die Zwangsumsiedlung der rumänischen und bulgarischen Bevölkerungsteile. Die zusätzliche Aussiedlung der deutschen Minderheit und die Abwanderung der Muslime trugen ebenfalls zum Verlust der bisher kennzeichnenden ethnischen Heterogenität bei.

Nach dem Staatsstreich gegen Ion Antonescu vom 23.08.1944 und dem Bruch Rumäniens mit den Achsenmächten wurde die D. von sowjetischen Truppen besetzt. Bis zum Abzug der Roten Armee 1958 hatte Constanţa die größte sowjetische Garnison in Rumänien und war Sitz des Oberkommandos der Roten Armee für Südost-Europa. 1949–53 scheiterte der unter Beteiligung von Zwangsarbeiterkolonnen begonnene Bau des als sozialistisches Vorzeigeobjekt konzipierten Donau-Schwarzmeer-Kanals unter erheblichen Opfern der Bevölkerung. Erst unter Nicolae Ceauşescu wurde er in einer zweiten Bauphase von 1975–84 vollendet. Bezüglich der Zwangskollektivierung diente die D. in Rumänien als Modellregion: 1957 konnte sie in ihr als erster Provinz abgeschlossen werden. In den 60er Jahren kam es in der D. zu einem ersten Aufschwung des Tourismus auch aus dem Westen, der nach einer Flaute Mitte der 80er Jahre seit 1993 wieder starke Zuwachszahlen aufweist. Heute ist die D. auch für das Weinanbaugebiet Murfatlar bekannt und besitzt mit dem größten rumänischen Schwarzmeerhafen in Constanţa einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor.

Inalcık H. (1960–2001): Artikel Boghdan, Budjak, Dobrudja. Gibb H. A. R.: The encyclopedia of Islam. Leiden. Iordachi C. 2001: “The California of the Romanians”: The Integration of Northern Dobrogea into Romania 1878–1913. Trencsényi B. u. a. (Hg.): Nation-Building and Contested Identities. Romanian and Hungarian Case Studies. Budapest, 121–152. Lowry H. W. 2003: The nature of the Early Ottoman State. New York. Sallanz J. 2007 (Hg.): Bedeutungswandel von Ethnizität unter dem Einfluss von Globalisierung, Die rumänische Dobrudscha als Beispiel. Potsdam (= Potsdamer geographische Forschungen 26). Schmidt-Rösler A. 1994: Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg: Die Grenzziehung in der Dobrudscha und im Banat und die Folgeprobleme. Frankfurt a. M. Vásáry I. 2005: Cumans and tatars. Oriental Military in the Pre-Ottoman Balkans 1185–1365. Cambridge University Press.

(Meinolf Arens, Lisa Mayerhofer)

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