Kola (Halbinsel)

Kola (russ. Kolʹskij poluostrov)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die Halbinsel K. (rd. 100.000 km²) ist Teil des Murmansker Gebietes (Murmanskaja oblastʹ) im äußersten Nordwesten der Russländischen Föderation. Sie liegt zwischen 66°und 69° nördlicher Breite bzw. 28° und 41° östlicher Länge, davon der größte Teil nördlich des Polarkreises. Im Norden ist sie durch die Barentssee, im Süden durch das Weiße Meer (Scheidelinie: Kap Svjatoj Nos), im Westen durch Norwegen und Finnland begrenzt. Sie zeigt typische, allerdings komplex strukturierte Tundrenvegetation (im Norden Sträucher, sonst boreale Nadelwälder) und lässt sich grob in gebirgige West-/Zentral- und hügelig-seenreiche Nordostgebiete unterteilen (höchste Erhebungen: „Chibin-Berge“, gory Chibiny, bis 1191 m). Wegen des Golfstroms herrscht an der Nordküste ein relativ wintermildes Klima. Der Januarwert liegt durchschnittlich bei –8 °C (in den übrigen Gebieten bei –13 °C), die mittlere Temperatur im Juli liegt bei 8 °C (14 °C).

Von den über 100.000 Seen ist der Imandrasee (ozero Imandra) im Westen am größten (812 km²) und der Umbsee (Umbozero) am tiefsten (115 m). Rd. 21.000 Flüsse sind über das ganze Land verteilt. Die größten sind der in die Barentssee mündende Tuloma im Westen und der Ponoj im Osten. Die Flüsse sind nicht schiffbar, werden aber zur Energieerzeugung genutzt. Die ca. 13.000 Sümpfe machen rd. 20 % des Territoriums aus und bedecken v. a. den Süden. Die Gewässer frieren durchschnittlich 220 Tage im Jahr zu. Im internationalen Vergleich ist die K.-Halbinsel das am dichtesten besiedelte und am stärksten durch menschliche Eingriffe bedrohte Polargebiet der Erde. Größere Städte liegen am Fluss Tuloma (Kola, Murmansk, Poljarnyj, Severomorsk) und an der Murmanbahn (Apatity, Kandalakša, Mončegorsk, Olenegorsk u. a.). Im Küstenschelf der Barentssee sind Erdgas und Erdölvorkommen erschlossen worden.

2 Kulturgeschichte

Über die ersten Bewohner der Halbinsel K. kann nur spekuliert werden. Möglicherweise sind um ca. 8000 v. Chr. Samen aus dem Gebiet des Ladoga- und Onegasees eingewandert. Es handelte sich dabei um eine nomadische Bevölkerung, die sich hauptsächlich von Fischfang und der Jagd nach Meeressäugern und Pelztieren ernährte. Weitgehend abgesicherte Aussagen über die Kolonisation des Gebietes lassen sich erst für die Zeit ab dem 12. Jh. gewinnen. Novgoroder Chroniken (13.–15. Jh.) zufolge stammten die ersten Kolonisten („Pomoren“, russ. Pomorcy) aus dem Herrschaftsbereich der Groß-Novgoroder Stadtrepublik. Sie erreichten im 12. Jh. das sog. Ter-Land (vgl. altnord. trennes = Landvorsprung), einen Landstrich an der Küste des Weißen Meeres („Ter-Küste“, Terskij bereg) und gründeten die ersten Siedlungen „am Meer“ (russ. pomorʹe). Ende des 12. Jh. flohen Ter-Pomoren an die Küsten der Halbinsel K. (Murmanküste, russ. Murmanskij bereg), um den Novgoroder Steuereintreibern zu entgehen. Mit den Orten Umba und Varzuga, erstmals erwähnt im Jahre 1466, begann die innere Besiedlung der Halbinsel, die sich im 16. Jh. mit der Gründung von Kandalakša und K. (1565) fortsetzte. Die Pomoren lebten hauptsächlich vom Fischfang. Gegen Ende des 19. Jh. wurde mit der Einrichtung eines dampfgetriebenen Sägewerks bei Umba der Grundstein zum Aufbau einer Holzindustrie gelegt.

Seit den 1860er Jahren erlebte die K.-Halbinsel einen bedeutenden Siedlungsschub. Finnische und norwegische Kolonisten ließen sich an der Ostküste, russische an der Westküste nieder. Als 1887 am Weißen Meer ein großes Rentiersterben einsetzte, wanderten Nordkomi (Komi-ižemcy) und Nenzen von der Halbinsel Kanin (poluostrov Kanin) mit den Resten ihrer Rentierherden nach Lovozero. Die Ansiedlung von Fremden zog die Etablierung lokaler Behörden und die Einbeziehung der K.-Halbinsel in die russländische Reichsverwaltung nach sich. In diesem Kontext wurde 1883 K. zur Hauptstadt des sog. K.-Distrikts (uezd Kola) erhoben. Nach der ersten gesamtrussischen Volkszählung von 1897 lebten im Norden der Halbinsel knapp über 9000 Einwohner, davon der größte Teil an den Küsten. Das Landesinnere war fast menschenleer. Am Ende des 19. Jh. setzten mehrere Entwicklungen ein, die die Region bis heute maßgeblich prägen. 1899 gründete die St. Petersburger Reichsregierung in Ekaterinskij Port (norweg. Murmanskfjord) den Kriegshafen, die Militärsiedlung und Hafenstadt Aleksandrovsk. Ekaterinskij Port, früher Ausgangs- und Versorgungspunkt für militärische und wissenschaftliche Expeditionen in die nördlichen Gewässer, diente zwischen 1933 und 1947 als Hauptbasis der sowjetischen „Nordmeerflotte“.

Während des Zweiten Weltkriegs erlangte Poljarnyj im Rahmen der alliierten Rüstungstransporte zentrale Bedeutung für die sowjetische Kriegsführung gegen Deutschland. Der Ausbau der Bahnlinie St. Petersburg-Petrozavodsk zur Murmanbahn (1451 km) seit 1916 (elektrifiziert 1939) und die Gründung von Romanov pri Murmane (seit 1917: Murmansk) als Endpunkt dieser Bahn in der eisfreien K.-Bucht verwandelten Murmansk in das politische, industrielle, wissenschaftliche und kulturelle Zentrum der Halbinsel. In den 1920er Jahren machten Fischerei und Bergbau (Chibin-Berge) rasche Fortschritte. Die 1930er Jahre brachten den Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens, verbunden mit massiven Versuchen der Sowjetisierung bzw. Deportationen der nichtrussischen Bevölkerung. Während des Zweiten Weltkriegs versuchte die deutsche Wehrmacht vergeblich, Murmansk, Poljarnyj und Kandalakša zu erobern. Die Murman-Bahn stand unter häufigem Beschuss, blieb jedoch ebenfalls in sowjetischer Hand. In der Nachkriegszeit entstanden zahlreiche Flottenstützpunkte, Kraft- und Bergwerke mit angeschlossenen Forschungseinrichtungen.

Mit der Militarisierung und Industrialisierung gingen zahlreiche Bevölkerungsverschiebungen einher, die die traditionelle ethnische Struktur veränderten. Während Karelier und Samen teils assimiliert, teils deportiert wurden, strömten Menschen aus allen Teilen der Sowjetunion, besonders aber Russen in die Region.

Der Abbau von Nephelin, Apatit und anderen Metallen in Apatity, Kandalakša, Kirovsk und in kleineren Städten sowie Einrichtungen zur Energiegewinnung (Wasser-, Gezeiten-, Atomkraftwerke) stellen eine schwere Belastung des sensiblen ökologischen Gleichgewichtes dar und bedrohen ernsthaft die Lebensgrundlagen für Tiere (Rentiere u. a.) und Menschen.

Vakhtin N. B. 1992: Native peoples of the Russian far north. London. Gurina N. N. 1997: Istorija kulʹtury drevnego naselenija Kol’skogo poluostrova. Sankt Peterburg. Kauppala P. 1998: The Russian North. The rise, evolution and current condition of state settlement policy. Helsinki (= Studies on the Northern Dimension 2).

(Ralph Tuchtenhagen)

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