Barentssee
Barentssee (nenz. Barencovo jamʹ, norweg. Barentshavet, russ. Barencevo more)
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1 Geographie
Die B. ist ein Teil des Nordpolarmeers. Im Süden ist sie durch die Nordküste Europas und das Weiße Meer (Meerenge Gorlo), im Osten durch Nowaja Semlja, im Norden durch Franz-Joseph-Land, im Nordwesten durch Spitzbergen begrenzt. Ihre Gesamtfläche beträgt 1,424 Mio. km². Die Wassertiefe schwankt üblicherweise zwischen 10 und 100 m, die tiefste Stelle erreicht 600 m. Ausläufer des Golfstroms (Norwegenstrom) sorgen dafür, dass die B. ganzjährig eisfrei bleibt. Das Klima der B. wird vornehmlich durch das Großraumwetter zwischen Norwegen und Grönlandsee bestimmt. Der Meeresboden besitzt eine leichte Neigung zum zentralen Nordpolarmeer und zur Grönlandsee hin. Der Tidehub erreicht bis 6,1 m, was von einem Gezeitenkraftwerk nahe Murmansk zur Elektrizitätsgewinnung genutzt wird (Kislogubskaja prilivnaja ėlektrosancija). Die gesamte B. ist ein bedeutendes Wal- und Fischfanggebiet. In ihrem nördlichen Teil befindet sich ein großes Offshore-Erdgasfeld, auch Erdölgewinnungsanlagen befinden sich im Bau. Der wichtigste, nicht zufrierende Hafen an der B. ist Murmansk.
2 Kulturgeschichte
Die B. wurde nachweislich erstmals von dem niederländischen Seefahrer Willem Barentsz befahren. Auf der Suche nach der „Nordostpassage“ erreichte Barentsz 1594 die Westküste von Nowaja Semlja und entdeckte 1596 die Bäreninsel und Spitzbergen. Der um 1740 an der europäischen Nordküste beginnende „Pomorhandel“ (russ. pomorʹe – Küstenland) führte zu profitablen Wirtschaftsbeziehungen, war aber mit zahlreichen Konflikten, hauptsächlich um Handelsmonopole und Fischereirechte, verbunden. Handelsrechte entlang der norwegischen Küste besaß allein die Stadt Bergen. Die dänische Regierung duldete den Pomorhandel jedoch, weil er zur Versorgung der norwegischen Finnmark mit Getreide und Fisch beitrug. 1787 legalisierte und liberalisierte sie ihn. Ähnliche Maßnahmen der russischen Regierung führten im 19. Jh. zu einer Hochkonjunktur im Pomorhandel. Gleichzeitig beobachteten die, seit 1814, schwedisch-norwegische und die russische Regierung denselben mit Misstrauen, weil mit ihm auch Staatsgeheimnisse ins jeweilige Ausland gelangen konnten und außerdem zu befürchten stand, dass sich der Pomorhandel als trojanisches Pferd zur Besetzung Nordskandinaviens durch Russland bzw. Nordrusslands durch Schweden-Norwegen dienen könnte. 1826 schlossen Norwegen und Russland schließlich einen Vertrag, der die Grenzen in Nordskandinavien eindeutig festlegte.
Nach dem Krimkrieg (1853–56) diente Norwegen als Modell zur Modernisierung Nordrusslands. 1859 siedelten sich die ersten norwegischen Familien an der Murmanküste an, um nach dem Willen der russischen Regierung als „Musterbauern, -fischer und -kaufleute“ die Region zu entwickeln. Finnen aus dem Großfürstentum Finnland folgten. Aus Sicht russischer Nationalisten bedeutete die Ansiedlung von Norwegern jedoch eine Ausweitung Norwegens auf „russische Erde”. In diesem Zusammenhang nahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. v. a. Konflikte um die Fischereigrenzen zu. Die norwegischen Fischfangflotten waren aufgrund ihrer besser ausgestatteten Häfen und effektiveren Arbeitstechniken im Vorteil. Norweger erforschten Nowaja Semlja, kartographierten die B., sicherten sich die besten Fanggründe und kontrollierten auf diese Weise das gesamte Gebiet.
Ende des 19. Jh. begannen auch Schweden, Briten und Deutsche, sich für die ökonomischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten in der Arktis und damit auch in der B. zu interessieren. Es begann ein Wettlauf um die Territorialrechte. Internationale Vereinbarungen über den Status von Spitzbergen, Bjørnøya und Nowaja Semlja wurden unumgänglich. 1899 gründete die russische Regierung die Verwaltungsstadt Aleksandrovsk (heute Poljarnyj) am Kola-Fjord. Außerdem ließ sie Nowaja Semlja mit Nenzen, später auch Russen besiedeln, um den russischen Besitzanspruch zu unterstreichen. In Murmansk wurde ein Patrouillenboot zur Kontrolle der Murmanküste in den Sommermonaten stationiert. 1905 unterstützte Russland die Unabhängigkeit Norwegens von Schweden – nicht zuletzt, um die schwedischen, deutschen und britischen Aktivitäten in der B. zu bremsen. Während des russischen Bürgerkriegs (1918–20) dienten die B. und besonders die Murmanküste als Versorgungsroute der Westalliierten zur Unterstützung der Weißen Armeen 1919, im Zweiten Weltkrieg als Transitroute der westalliierten Rüstungstransporte über Archangelsk in die Sowjetunion. Am 31.12.1942 errangen die Briten einen entscheidenden Sieg über die deutsche Kriegsmarine in der B., die deren Aktivitäten für einige Zeit fast zum Erliegen brachte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die B. v. a. als Auslaufgebiet der sowjetischen Marinebasis in Poljarnyj genutzt. Die atomare Verseuchung der Gewässer durch gesunkene Atomantriebe von Kriegsschiffen und Verschmutzungen durch die sowjetische Montanindustrie in Nordrussland sind heute ernst zu nehmende Umweltprobleme. Eine andere Art der Verseuchung zeigt sich mit der explosionsartigen Vermehrung der Kamtschatka-Krabben, die in den 1960er Jahren in der B. angesiedelt wurden, um die Versorgung der sowjetischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu sichern. Sie aktualisierten in den norwegischen Medien Befürchtungen über den „Einmarsch einer neuen Roten Armee“.
1993 schlossen Finnland, Norwegen, Russland und Schweden einen Vertrag über die „Barentskooperation“. Sie regelt die Zusammenarbeit der vier Staaten im Umweltschutz und bei der wirtschaftlichen Erschließung der „Barentsregion“ (auch: „Euro-Arktische Region“) völkerrechtlich.
Niemi E. (Hg.) 1992: Pomor. Nord-Norge og Nord Russland gjennem tusen år. Oslo. Raurala N. (Hg.) 1992: The Northeast Passage from the Vikings to Nordenskiöld. Helsinki. McCannon J. 1998: Red Arctic. Polar Exploration and the Myth of the North in the Soviet Union, 1932-1939. Oxford.