Germanen
Germanen
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1 Name
Die Herkunft des Namens G. ist nicht geklärt. Unklar bleibt auch seine Bedeutung. In der Antike leitete der Grieche Strabo (* ca. 64 v. Chr. † ca. 23) den Begriff aus dem lateinischen ›germanus‹ ab, was soviel bedeute wie „echt“. Erstmalige Erwähnung findet der Begriff bei Poseidonios (* ca. 135 v. Chr. †51 v. Chr.), der damit wahrscheinlich jedoch nur eine Teilgruppe der Kelten meinte. Diese Auffassung erklärt sich aus der antiken Ethnographie, welche die Bevölkerung außerhalb des Mittelmeergebiets in Kelten im Nordwesten und Skythen im Nordosten unterteilte. Der Erste, der die G. als selbständige Bevölkerungsgruppe wahrnahm, war Caesar. Er grenzte sie von den Galliern ab und sah als ethnische Trennlinie den Rhein. Ob er damit eine Bezeichnung aufnahm, die ursprünglich nur einem rechtsrheinischen Stamm galt, der dann von den linksrheinisch wohnenden Galliern verallgemeinert wurde, um sich von der rechtsrheinisch wohnenden Bevölkerung abzugrenzen, ist die wahrscheinlichste Annahme, jedoch nicht zweifelsfrei zu klären.
Allerdings deckt sich der seit Caesar übliche Anwendungsbereich für die G. nicht mit den archäologischen Erkenntnissen. Eine klare Abgrenzung zwischen G. und Kelten etwa durch den Rhein kann nicht gemacht werden. In der Antike war die Zugehörigkeit einzelner Stämme zu den G. umstritten und wurde von verschiedenen Autoren durchaus unterschiedlich beurteilt. Unklar war auch die Begrenzung germanischen Siedlungsraumes im Osten, da für diesen Raum genaue Informationen fehlten. Im Laufe der Zeit nahmen die Kenntnisse zu und führten zugleich mit den Wanderbewegungen einzelner Stämme zu immer neuen inhaltlichen Nuancierungen des G.-Begriffs. Zu denken ist hier an die Kenntnis über Skandinavien einerseits oder die gotischen Wanderbewegungen des zweiten nachchristlichen Jh. andererseits. Da somit der G.-Begriff immer umfassender wurde, begann man in der Spätantike, diese Bezeichnung eingeschränkt zu gebrauchen, indem man nur die dominierenden Völkerschaften, wie etwa Alamannen oder Franken als G. bezeichnete. Andere Völker wie die bei Tacitus genannten ›Gutones‹, als Vorläufer der Goten, und die ›Vandili‹ als Vorgänger der Vandalen zählten bei diesem noch zu den G. Später jedoch wurden sie den Skythen zugerechnet oder nur noch mit ihren Eigennamen bezeichnet. Auch die Skandinavier zählten zwar noch bei Tacitus, bei späteren antiken Autoren jedoch nicht mehr zu den G.Während im Altertum jedoch vorrangig geographische Kriterien für die Zuordnung zu den G. verwendet wurden, orientiert sich die heutige Forschung vorwiegend an sprachlichen Merkmalen. Zur zentralen Gruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie gehörig, bilden die G. v. a. im Bereich der Nord- und Ostsee eine kulturelle wie auch sprachliche Einheit.
2 Gliederung
Die antiken Autoren Plinius d. Ä. und Tacitus gliedern die G. in die mythischen Verbände der ›Ingaevones‹, ›Istaevones‹ und ›Herminones‹, die jedoch zur Annäherung an den G.-Begriff schwierig ist. Die Forschung interpretiert die genannten Gruppierungen meist als Kultverbände, ist aber unsicher, aus welchem zeitlichen Rahmen diese Einteilung stammt. Unklar ist auch, welche Rolle sie im kultischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben spielten und inwieweit sie ständig bestimmten ethnischen Gruppierungen entsprachen. In der archäologischen Forschung werden am häufigsten die ›Ingaevones‹, mit den Nordseeg., die ›Istaevones‹ mit den Rhein-Weser-G. und die ›Herminones‹ mit den Elbg. in Zusammenhang gebracht. Neben dieser genannten Dreiteilung berichtet der römische Autor Tacitus außerdem über die Sweben, zu denen er die ›Semnones‹, Langobarden, die sog. Nerthusstämme, die ›Hermunduri‹, ›Naristi‹ und Markomannen, Quaden sowie alle Stämme ostwärts der Oder rechnet.
Für den heutigen Betrachter jedoch ist als Arbeitshypothese eine wertungsfreie, geographische Gliederung in Westg. (Alamannen, Sueben, Markomannen, Franken), Ostg. (Vandalen, Goten, Heruler, ›Varini‹, Rugier, Burgunden, Gepiden, Langobarden) sowie Elb-, Nordsee- und Nordg. brauchbar. Allerdings bleibt zu bedenken, dass gerade die Entwicklung im osteuropäischen Raum als ständige Vermischung auch mit ethnisch fremden Elementen zu sehen ist. Stämme und Kultverbände verschwanden oder bildeten sich neu, bestehende soziale Strukturen veränderten sich. Aus archäologischer Sicht unterscheidet man zwischen den großen Kulturgruppen der Rhein/Weser-G., Elbg. Nordseeküsteng., G. aus dem südskandinavischen Gebiet sowie G. aus dem Oder-Weichsel-Raum.
3 Das Germanenbild
Im Wesentlichen stellt die antike Überlieferung die G. wenig individuell, nach dem Schema des typischen Barbaren des nördlichen Raumes dar. Angaben zu Wesensart und Aussehen, aber auch zu gesellschaftlichen Strukturen oder religiösen Sitten sind von Stereotypen durchzogen, die es schwer machen, zwischen Klischee und originärer Beobachtung, die natürlich auch vorhanden ist, zu trennen. Dominiert ist dieses Bild zusätzlich von einem Furchtmotiv, das in den G. eine latente, Rom und das Reich bedrohende Gefahr sah. Seinen Ursprung hat dies in der ersten Begegnung mit den G., den Kimbern und Teutonen, die auf ihren Wanderungszügen bis nach Rom vorgestoßen waren. Angereichert wurden diese Vorstellungen außerdem durch die zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen mit den G., die beinahe dauerhaft eine Gefahr für die Grenzen darstellten und deren Land zudem als äußerst wild und unwirtlich erfahren wurde.
4 Geschichte
Etwa seit der Mitte des 1. Jt. v. Chr. sind G. in Europa bekannt. Ihr Kerngebiet war Südskandinavien und Norddeutschland. Von dort breiteten sie sich allmählich aus. Als Grund für diesen Prozess nennen die antiken Quellen die Überbevölkerung, die die G. zwang, neue Gebiete zu erschließen. Bereits um 120 v. Chr. wanderten die Kimber und Teutonen von Nordjütland bis nach Italien. Um die Zeitenwende kamen die Goten aus Skandinavien bis in das Weichseldelta, gegen Ende des 2. Jh. zogen die Langobarden von der Niederelbe in Richtung Süden etc.
Erstmals archäologisch identifiziert werden die G. in der sog. Jastorf-Kultur (6.-1. Jh. v. Chr.), deren Name von einem niedersächsischen Gräberfeld herrührt. Sie umfasst Holstein, Nordost-Niedersachsen, Teile der Altmark und Westmecklenburgs. Hinzu kommen Randgruppen in Nordjütland, auf den dänischen Inseln, in Südschweden, West- und Vorpommern sowie an der Weser. Das letzte vorchristliche Jh., die jüngere vorrömische Eisenzeit, ist für die G. eine Phase wirtschaftlichen und technischen Forstschritts und damit einhergehend von gesellschaftlicher Differenzierung, aber zugleich auch die Zeit der Spaltung der germanischen Stämme. In den ersten Jahrzehnten n. Chr. bildeten sich die ersten historisch überlieferten Reiche wie das der Markomannen unter Marbod in Böhmen oder das der Quaden unter Vannius in der südwestlichen Slowakei.
Die Folge der germanischen Wanderungen war eine allmähliche Ausbreitung in Richtung Süden und Westen mit der Konsequenz, dass die G. z. T. einheimische Völker vertrieben oder wie im Fall der Kelten absorbierten und zugleich zu Nachbarn des Römischen Reiches wurden. In dieser Eigenschaft wurden sie von den Römern als ständige Bedrohung empfunden. Bereits Caesar begründete daher seine beiden Rheinübergänge (55 und 53 v. Chr.) als Strafexpedition gegen die G. und Schutzmaßnahme für Gallien. In der Zeit von 12 v. Chr. bis 16 n. Chr. unternahmen die Römer, die Gründe dafür sind strittig, den Versuch, Germanien bis zur Elbe zu unterwerfen und möglicherweise zur Provinz zu machen. Diese Zeit ist geprägt durch zahllose militärische Auseinandersetzungen zwischen Römern und G. und der aus dieser Zeit gewonnenen römischen Erfahrung, dass dieses unwegsame Land mit seinen zahlreichen Stämmen und Stammesverbänden nicht kontrollierbar war. Der Versuch ganz Germanien zur Provinz zu machen wurde aufgegeben; die Einrichtung der beiden Provinzen Germania inferior und superior um 85 umfasste nur vergleichsweise kleine, rheinnahe Gebiete. Die Folgezeit bis zur Völkerwanderung (378) kann etwas verallgemeinernd als Zeit der Grenzsicherung bezeichnet werden, in der die Römer mit militärischen, diplomatischen und finanziellen Mitteln versuchten, den Druck auf die Grenzen zu lindern. Trotzdem kam es gerade im 3. Jh. zu germanischen Vorstößen, etwa durch die Goten an der oberen Donau, die Franken am Niederrhein, die dann bis Gallien oder Spanien einfielen oder die Alamannen, die den Obergermanisch-rätischen Limes überrannten. Mit der durch den Hunnensturm ausgelösten Wanderbewegung jedoch drangen germanische Völkerschaften endgültig in das Reich ein. 410 wurde Rom durch die Westgoten eingenommen. Das Weströmische Reich ging unter und in der Folge entwickelten sich neue, germanische Reiche, die die Basis der abendländischen Staatenwelt bildeten.
Krüger B. (Hg.) 1988: Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. 2 Bde. Berlin. Wolfram H. 2002: Die Germanen. München. Beck H. (Hg.) 1998: Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde. Berlin.