Bratislava (Stadt)

Bratislava (slowak.; bis 1919 dt. Pressburg, slowak. Prešporok, ungar. Pozsony; altgriech. Istropolis, latein. Posonium)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Lage

B., Hauptstadt und größte Stadt der Slowakischen Republik, liegt ca. 60 km östlich von Wien am äußersten Südwestrand der Slowakei. Die Stadt befindet sich größtenteils am linken Ufer der Donau, die hier aus dem engen Tal der Ungarischen Pforte (hist. [latein.] Porta Hungarica, slowak. Devínska brána) in das Kleine Ungarische Tiefland tritt, am Fuße der Kleinen Karpaten. Die mittlere Temperatur beträgt im Januar –0,7 °C, im Juli 19,1 °C, wodurch B. zu den wärmsten Orten des Landes zählt. Der mittlere jährliche Niederschlag beträgt 527,4 mm.

Die Donau erreicht in B. eine Breite von bis zu 300 m und wird von fünf Brücken überspannt. Das auf einer Höhe von 127–514 m ü. d. M. gelegene Stadtgebiet erstreckt sich auf einer Gesamtfläche von 367,9 km². In B. trafen seit der Römerzeit wichtige Handelsstraßen aufeinander. Bis ins 15. Jh. war die Furt bei B. wichtig für die Überquerung der Donau auf der Bernsteinstraße zwischen Adria und Baltikum. Die wichtigsten Fernverkehrswege heute sind die Autobahnen über Brünn nach Prag sowie ins mittlere Waagtal, die E 58 nach Wien und die E 75 nach Budapest. B. verfügt über einen Eisenbahnknotenpunkt, einen internationalen Flughafen und einen Donauhafen. B. gliedert sich in fünf Bezirke mit 17 Stadtteilen.

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Bevölkerung

Ende 2001 betrug die Einwohnerzahl 428.672, davon 391.761 Slowaken, 16.451 Ungarn, 7972 Tschechen, 1200 Deutsche, 635 Mährer, 614 Kroaten, 475 Bulgaren, 461 Ruthenen, 452 Ukrainer, 417 Roma, 399 Russen, 339 Polen, 125 Serben, 84 Juden u. a. 2005 betrug die Einwohnerzahl 425.459.

Zur römisch-katholischen Kirche bekannten sich 243.048, zur „Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses“ (ECAV), 24.810, zur griechisch-katholischen Kirche 3163, zur reformierten christlichen Kirche 1918, zu den Zeugen Jehovas 1827, zur orthodoxen Kirche 1616, zur Evangelischen-Freikirchlichen Gemeinde-Brüdergemeinde (Kresťanské Zbory) 769, zu den Methodisten 737, zur Brüderkirche (Církev bratská) 652, zu den Baptisten 613, zur Apostolischen Kirche 484, zur „Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche“ (Církev československá husitská) 397, zu den Adventisten vom Siebenten Tag 310, zu den Altkatholiken 206 Personen. Die jüdische Gemeinde zählte 748 Mitglieder. Ohne Bekenntnis waren 125.712 Personen, 20.174 gehörten einer unbekannten Religionsgemeinschaft an.

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Gesellschaft, Bildung und Kultur

In B. befinden sich der Sitz des Slowakischen Nationalrates (Slovenská národná rada), der Regierung, des Staatspräsidenten und zahlreicher Behörden. B. ist zudem Sitz eines katholischen Erzbischofs sowie eines Bischofs der „Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakei“, ist Standort der „Slowakischen Akademie der Wissenschaften“ (Slovenská akadémia vied, SAV, gegr. 1953/92), von vier Universitäten – der Comenius-Universität (Univerzita Komenského, gegr. 1919) mit 13 Fakultäten (2003 studierten dort 25.975 Studenten), der Wirtschaftsuniversität (gegr. 1940) mit über 14.000 Studenten, der Technischen Universität (seit 1938 in B.) und der Medizinischen Universität –, zwei weiterer Hochschulen – der „Hochschule für musische Künste“ (Vysoká škola múzických umení, gegr. 1949) mit 3 Fakultäten und der „Hochschule für bildende Künste“ (Vysoká škola výtvarných umení, gegr. 1947) –, der staatlichen „Akademie für Forensik“ (Akadémie policajného zboru v Bratislave) – und dreier privater Hochschulen – der „B.er Hochschule für Recht“ (Bratislavská vysoká škola Práva), der „Hochschule für Gesundheitswesen und Sozialarbeit Hl. Elisabeth“ (Vysoká škola zdravotníctva a sociálnej práce sv. Alžbety v Bratislave) sowie der „Hochschule für Wirtschaft und Verwaltungsmanagement“ (Vysoká škola Ekonómie a Manažementu verejnej správy v Bratislave). Des Weiteren hat die Slowakische Nationalbibliothek ihren Sitz in B., ein Nationaltheater und mehr als ein Dutzend weiterer Bühnen, die Slowakische Philharmonie und eine Oper.

Die Stadt hat zudem über 44 Kirchen und Kapellen – in 23 von diesen und in mehreren Gemeindezentren werden regelmäßig Gottesdienste abgehalten – sowie eine Synagoge der jüdischen Gemeinde.

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Wirtschaft

B. ist das größte industrielle und wirtschaftliche Zentrum der Slowakei. Von Bedeutung sind der Maschinenbau (Kfz-, Bautechnik), die Elektrotechnik, die Nahrungsmittel-, Baustoff-, Papierindustrie und die (petro)chemische Industrie.

Die ersten schriftlichen Zeugnisse über den Anbau von Wein, dem wichtigsten landwirtschaftlichen Produkt und Handelsgut B.s, stammen aus dem 11. Jh., aber bereits in der Römerzeit wurde Wein rund um B. angepflanzt. Neben dem Weinbau waren die Fischerei sowie der Hafenumschlag von Textil- und Bergbauprodukten bis zur Industrialisierung die wichtigsten Handelssegmente. Mit seiner Holz- und Metallverarbeitung entwickelte sich B. im Verlauf des 19. Jh. zum größten Industriezentrum Ungarns. B. liefert heute rd. 13 % der gesamten Industrieproduktion der Slowakischen Republik.

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2 Kulturgeschichte

Die Besiedlung des Territoriums lässt sich archäologisch bis in die Jungsteinzeit zurückverfolgen. Im 1. Jh. v. Chr. bestand dort eine von den keltischen „Bojern“ (latein. Boii) angelegte Stadtsiedlung (latein. oppidum). Auf die keltische Epoche folgte die Besiedlung des Territoriums durch die Römer. Im heutigen Stadtteil Rusovce entstand um 70 n. Chr. die römische Festung Gerulata. Die von der Donau gebildete nördliche Grenze (latein. Limes Romanus) des Römischen Reiches wurde durch kleine Militärstationen gesichert, zu denen auch B. gehörte (107-114). Vermutlich bereits im 5. Jh. ließen sich slawische Stämme in dem Gebiet zwischen Donau und March nieder, Ende des 6. Jh. gerieten diese unter die Herrschaft der Awaren.

Im 9. Jh. gehörte der Westteil der heutigen Slowakei (die Gegend entlang der March) und somit auch die Burg Brezalauspurc (nach der ersten schriftlichen Erwähnung in den „Salzburger Annalen“ 907; auch: Braslavespurch, vermutlich aus urslawisch Braslav-jь gradъ = „die dem Braslaw gehörende Burg“) zum Großmährischen Reich. Der Burghügel spielte in dieser Zeit eine bedeutende Rolle, es entstanden ein kulturelles und kirchliches Verwaltungszentrum, wie Fundamentreste einer dreischiffigen Basilika (letztes Drittel des 9. Jh.) belegen.

907 wurde die Burg bei einer Schlacht zwischen Markgraf Luitpold von Bayern und den Magyaren, die das Ende des Großmährischen Reiches besiegelte, zerstört, danach durch Letztere wieder befestigt. Nach der endgültigen Übernahme der Burg durch die Ungarn um 1030 errichtete König István (Stephan) I. der Hl. einen Komitatsitz und ließ Münzen mit der Aufschrift ›(B)reslava Civ(itas)‹ prägen. Die Salvator-Kirche und die Propstei auf der Burg B. wurden erstmals in den Dekreten König Kálmáns (Kolomans) I. um das Jahr 1100 erwähnt, in welchen die Erlaubnis zur Abhaltung von Gottesgerichten erteilt wurde, sie bestanden aber vermutlich bereits – ebenso wie die Martinskirche und eine Rotunde – im 11. Jh. Der ungarische König Salomon sorgte in der zweiten Hälfte des 11. Jh. für die Neubefestigung der Burg, in die er sich während der Kämpfe um den ungarischen Thron flüchtete. 1189 nutzte Kaiser Friedrich Barbarossa die Burg als Sammelplatz für die Teilnehmer des dritten Kreuzzuges. 1207 soll die später heilig gesprochene Elisabeth von Thüringen auf der Burg geboren worden sein. 1204 wurde bereits die Propstei von der Burg in die Siedlung unterhalb des Burgberges verlegt. 1221 forderte der Propst auch die Verlegung der Salvator-Kirche, die an der Kreuzung der Straßen nach Wien und Raab (ungar. Győr) einen neuen Standort fand und ein doppeltes Patrozinium (Salvator und Martin – heute ›Dom sv. Martina‹ [„Martinsdom“]) erhielt. Die Siedlung um die Kirche herum wuchs schnell, es entstanden Unterkünfte für Kanoniker, ein Friedhof, ein Beinhaus und Kapellen. 1235 ließ sich der Orden der Zisterzienserinnen nördlich der Salvator-Kirche in einem ursprünglich von Benediktinerinnen gegründeten Kloster nieder.

1243 wurden die Bewohner der Vorburg – zumeist Kaufleute und Handwerker – in einem Schriftstück als ›cives‹ (Bürger) erwähnt, de facto standen sie aber noch unter der Verwaltung der Gespane. In dieser Zeit siedelten sich auch zahlreiche Kolonisten – zumeist Handwerker, Kaufleute und Weinbauern – aus Bayern, Österreich und dem Rheinland in B. an. 1287 hatte die Gemeinde unterhalb der Burg bereits einen eigenen Rat mit 12 Mitgliedern (als „Bürgerausschuß“ [latein. universitas civium] ab 1280, 1288 iudex civitatis) sowie eine Ratsverfassung. 1291 erhielt die Siedlung (latein. suburbium) durch König András (Andreas) III. die königlichen Stadtprivilegien. Seit der 2. Hälfte des 13. Jh. überwog die deutsche Bevölkerung, deren Anteil bei 75 % lag. 1302 wurde zum ersten Mal das Stadtsiegel erwähnt, das aber vermutlich bereits aus der 2. Hälfte des 13. Jh. stammt.

Im selben Jahr wird erstmals eine Kapitelschule in B. erwähnt. Daneben existierten im Mittelalter noch weitere Pfarrschulen u. a. an der Laurentius-Kirche (1448), um etwa die selbe Zeit auch eine Schule in der Nähe der Klarissen, in der Mitte des 16. Jh. bei der Michaelskirche (vermutlich bereits ein Jahrhundert älter) sowie die jüdische Schule, welche erstmals 1434 erwähnt wird.

Der Vertrag von Visegrád 1335, der die Erbnachfolge zwischen Polen und Böhmen regelte und die Intensivierung des Handels mit dem Westen zum Ziel hatte, belebte die Wirtschaft B.s, insbesondere den Weinhandel. Die Zünfte erhielten ihre Statuten 1376. 1390 vereinigte Sigismund von Luxemburg das Dorf Weidritz (heute Vydrica) mit der Stadt B. Nur der westliche Teil der Siedlung unter der Burg mit der St.-Nikolaus-Kirche (1354 zum ersten Mal erwähnt) unterstand auch weiterhin der Gerichtsbarkeit der Burgherrschaft. Im April 1404 erließ Sigismund im Reichstag von Pressburg das sog. ›Placetum regium‹ (königliches Schutz- und Aufsichtsrecht). Er verlieh B. 1405 die Rechte einer freien Königsstadt, 1430 das Münzprivileg und 1436 das Stadtwappen. Einen kurzen Rückschlag der städtischen Entwicklung bescherte der Einfall der Hussiten 1428.

1451 erhielt die Stadt vom späteren Kaiser Friedrich III. (1452–93) das Recht in Österreich zu handeln und wurde ein Zentrum des im Westen bis nach Köln reichenden (Wein)handels. 1453 beschäftigten sich fast 58 % der Bevölkerung B.s mit dem Weinbau. Der Einfluss der am Hofe Matthias Corvinus’ in Buda wirkenden zahlreichen Gelehrten, Schriftsteller und Künstler erstreckte sich bis nach B. das zu jener Zeit zu einem Zentrum des Humanismus wurde. 1465 bewilligte Papst Paulus II. die Errichtung einer Universität in B. Daraufhin gründete Matthias Corvinus die heute als ›Academia Istropolitana‹ bekannte erste Universität Oberungarns (Slowakei), die zwei Jahre später den Lehrbetrieb aufnahm, nach einer kurzen Blütephase unmittelbar nach dem Tod Corvinus’ jedoch nach nur dreiundzwanzigjähriger Tätigkeit geschlossen wurde.

Am 7.11.1491 beendeten der Friede von Pressburg und der sog. Pressburger Erbvertrag die Feindseligkeiten zwischen König Vladislav II. von Böhmen und Ungarn und König Maximilian I. 1531 wurden wegen der Belagerung von Buda/Ofen durch die Osmanen die königlichen Behörden nebst Landtag und Königsinsignien nach B. verlegt, 1536 wurde B. zur Hauptstadt des ungarischen Königreichs (bis 1783) ernannt und Krönungsstadt der ungarischen Könige. Bis 1830 wurden im Martinsdom zehn ungarische Könige und neun Königinnen (darunter Maria Theresia) gekrönt. Von 1687–1848 tagte der ungarische Reichstag in B.

Nach der Schließung der ›Academia Istropolitana‹ erlebte das gesamte Schulwesen B.s einen deutlichen Niedergang. Eine der wenigen Schulen, die sich halten konnte, war – neben der deutschen – die lateinische Schule am Martinsdom, an welcher 1557 ein Gymnasium mit lateinischer Unterrichtssprache gegründet wurde. 1607 wurde das Evangelische Lyzeum, das bis 1672 erfolgreich wirkte, und 1626 – im Jahr der Niederlassung der Jesuiten in B. – durch Erzbischof Peter Pázmaň ein Jesuitengymnasium in B. gegründet. 1641 entstand das ›Seminar Emericanum‹ für die Priesterausbildung. 1784 schließlich wurde das Generalseminar, welches so herausragende Persönlichkeiten wie Anton Bernolák, einen der Begründer der slowakischen Schriftsprache, hervorbrachte, gegründet und auf der Burg angesiedelt.

1720 betrug die Einwohnerzahl 7152, davon 6018 Deutsche, 702 Ungarn und 387 Slowaken. 1721–23 erschien als erste regelmäßige erscheinende Zeitung in Ungarn die von Matej Bel herausgegebene Wochenzeitung ›Nova Posoniensia‹, seit 1764 dann die ›Pressburger Zeitung‹ in deutscher Sprache (bis 1929). Da Kaiserin Maria Theresia sich gern in B. aufhielt, plante sie von 1750 an den Umbau der Burg.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte B. weit reichende städtebauliche Erweiterungen. 1775 wurde das Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau bei Petržalka (dt. hist. Engerau, ungar. hist. [Pozsony] Ligetfalu) und Flezyndorf – zwei selbstständigen Siedlungen, die von deutschen und kroatischen Kolonisten gegründet worden waren – zu einem Naherholungsgebiet mit öffentlichem Stadtpark (früher Au-Garten, heute Sad Janka Kráľa) ausgebaut. Die Industrialisierung beschleunigte in der zweiten Hälfte des 18. Jh. die Abtragung der Stadtmauern. 1776 wurde das erste Stadttheater eröffnet. 1780–88 wurde als erste ungarischsprachige Zeitung der „Ungarische Kurier“ (›Magyar Hírmondó‹) herausgegeben, 1783–87 dann als erste slowakische Zeitung die ›Presspůrské Nowiny‹.

1805 wurde nach der sog. „Dreikaiserschlacht“ bei Austerlitz der Friede von Pressburg zwischen Österreich und Frankreich im Primatialpalais (Primaciálny palác) unterzeichnet. 1809 belagerte die französische Armee die Stadt. 1850 hatte die Stadt 42.238 Einwohner, davon 31.509 Deutsche, 7586 Slowaken und 3154 Ungarn. Im selben Jahr entstand in B. die erste Realschule Ungarns. Nachdem 1783 die Zentralämter in die neue Landeshauptstadt Buda übersiedelten und die Königskrone nach Wien gebracht worden war, sank B.s Bedeutung für Ungarn rapide. B. wurde nun als österreichische Provinzstadt und Vorstadt Wiens wieder stärker vom deutschen Bürgertum dominiert, das ein reiches gesellschaftliches und kulturelles Leben entfaltete – 1886 entstand das heute als Nationaltheater bekannte Stadttheater – und welches auch maßgeblichen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung B.s hatte, der eng mit dem Ausbau der Verkehrswege einherging.

1818 begann die Dampfschifffahrt auf der Donau. Die erste Pferdebahn nahm 1840 ihren Betrieb von B. nach Svätý Jur auf, 1848 die erste Dampfeisenbahn von Wien nach B., 1850 wurde die Eisenbahnstrecke nach Budapest eröffnet. 1895 wurde die Straßenbahn in Betrieb genommen. 1914 wurde die 69 km lange Bahnstrecke, die B. mit Wien verband, elektrifiziert.

Der Bau des ersten Gaswerks auf slowakischem Gebiet 1856 hatte große wirtschaftliche Bedeutung für B. 1873 wurde das Dynamit-Nobel-Werk eröffnet (heute Istrochem). 1884 wurde die Straßenbeleuchtung eingerichtet und das erste Fernsprechamt eröffnet, ab 1886 versorgte ein Wasserwerk B. mit Trinkwasser. Zum wirtschaftlichen Aufschwung trug auch die Einrichtung eines großen Winterhafens mit Umschlagplatz und der Bau der ersten Donaubrücke 1891 bei. In den Vorstädten entstanden zahlreiche Mietshäuser für Fabrikarbeiter (Beginn des Ausbaus von Petržalka zur Arbeitervorstadt).

Nach dem Zerfall des Habsburgerreiches im Ersten Weltkrieg erlangte B. im Rahmen der slowakisch/tschechoslowakischen Nationalbewegung erneut große politische Bedeutung. Am 19.10.1918 wurde der „Slowakische Nationalrat für B. und Umgebung“ (Slovenská národna rada pre Bratislavu a okolie) gegründet, am 27.10. der „Slowakische Nationalrat“ (Slovenská národná rada). Infolge der Besetzung durch die tschechoslowakische Armee am 1.1.1919 wurde B. Teil der neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik. Danach erlebte die Stadt unter dem am 7.3.1919 offiziell eingeführten Namen Bratislava (der Vorschlag ›Wilsonovo Mesto‹ [„Wilson-Stadt“, nach Woodrow Wilson] fand keine Mehrheit) einen städtebaulichen Aufschwung, neue Viertel entstanden, der Donauhafen wurde ausgebaut.

Beachtlich war auch die Entwicklung B.s als Wissenschaftsstandort. Die 1784 von Trnava nach B. verlegte „Königliche Rechtsakademie“ (Kráľovská právnická akadémia) wurde 1874/75 in ein vierjähriges Institut mit Möglichkeit zum Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie einiger weiterer Fächer auf Universitätsniveau umgewandelt. Ab 1885 gab es Überlegungen für eine Universitätsneugründung, die jedoch erst 1912 realisiert wurde. Die „Ungarisch Königliche Elisabeth-Universität“ begann ihre Tätigkeit mit den Fakultäten für Philosophie, Jura und Medizin. Da sich 1919 ihre Vertreter loyal gegenüber Ungarn zeigten und sich weigerten den neuen Tschechoslowakischen Staat anzuerkennen, wurde die Universität zunächst nach Budapest und 1921 nach Pécs verlegt. Die 1919 gegründete Comenius-Universität konnte ihre volle Lehrtätigkeit im Herbst 1921 aufnehmen.

Die Bevölkerungszahl betrug 1930 123.844, davon 60.212 Slowaken (inklusive 25.177 Tschechen), 32.801 Deutsche, 18.890 Ungarn und 11.941 andere. Aufgrund des Wiener Schiedsspruches von 1938 fielen die damals noch selbstständigen Gemeinden Petržalka und Devín an das Deutsche Reich. Von November 1944 bis März 1945 bestand ein deutsches Vernichtungslager für ungarische Juden in Engerau (Petržalka). Am 8.10.1938 wurde B. Sitz der autonomen slowakischen Regierung, am 14.3.1939 (bis 1945) die Hauptstadt der Slowakischen Republik.

1940 zählte B. 133.506 Einwohner, davon 66.835 Slowaken, 30.708 Deutsche, 15.883 Ungarn, 15.109 Juden, 4971 Tschechen, darüber hinaus gab es ca. 6000 Ausländer (u. a. „Reichsdeutsche“, Polen). Von den etwa 15.000 Juden, die 1941 in B. lebten, wurde fast die Hälfte bis zum Jahresende aus der Stadt deportiert. Am 29.9.1944 wurden die restlichen Juden durch eine Großrazzia deutscher Einsatzgruppen aufgespürt und in Vernichtungslager verbracht, nur wenige überlebten. Dem Bau eines Straßentunnels (1943–48) fielen schließlich große Teile des alten jüdischen Friedhofs zum Opfer.

Am 4.4.1945 wurde die Stadt von der Roten Armee befreit, nachdem die Deutschen seit Oktober 1944 die Slowakei besetzt hielten. Eine neue Phase der städtischen Entwicklung begann. 1946 wurden die Ortschaften Devín, Dúbravka, Lamač, Prievoz, Petržalka, Rača und Vajnory eingemeindet, so dass sich die Einwohnerzahl auf 191.154 vergrößerte. 1949 wurde die Slowakische Philharmonie (Slovenská fílharmónia) in B. gegründet, 1951 die Nationalgalerie (Slovenská národná galéria), 1959 die Galerie der Stadt B. Seit 1953 wurde die Burg rekonstruiert. 1950 hatte die Stadt etwa 193.000 Einwohner, davon 173.898 Slowaken, 9296 Tschechen, 6823 Ungarn, 1052 Deutsche, 1961 241.796 Einwohner, davon 219.118 Slowaken, 11.148 Tschechen, 8314 Ungarn und 1268 Deutsche. 1961–75 wurde die Siedlung Ružinov mit 30.420 Wohnungen errichtet, 1967–75 die Siedlung Karlova Ves. 1962 wurde die Raffinerie ›Slovnaft‹ mit der Gaspipeline „Freundschaft“ (Družba) aus der UdSSR verbunden. 1972 errichtete man die „Neue Brücke“ (Nový most) über die Donau, die B. mit Petržalka verbindet.

Am 21.8.1968 marschierten Truppen des Warschauer Paktes auch in B., in dem sich wie in Prag eine Demonstrationsbewegung formiert hatte, ein, dabei wurde in die demonstrierende Menge geschossen und u. a. eine 17jährige Studentin der Comenius-Universität getötet. Kurz darauf, am 28.10.1968 wurde auf der Burg B. das Verfassungsgesetz unterzeichnet, das die Tschechoslowakische Sozialistische Republik zu einem aus zwei gleichberechtigten Nationalstaaten bestehenden Bundesstaat machte. B. war ab dem 1.1.1969 Hauptstadt der Slowakischen Sozialistischen Republik. In B. entstanden repräsentative Verwaltungsneubauten, denen die Assanierung historischer Gebäude (besonders des ehemaligen jüdischen Viertels) vorausging, und großräumige Plattenbausiedlungen.

1971 wurden die Orte Vrakuňa, Podunajské Biskupice, Devínska Nová Ves, Záhorská Bystrica, Jarovce, Rusovce und Čunovo eingemeindet, die Einwohnerzahl stieg auf 302.119. 1973 begannen die Bauarbeiten an der Siedlung Petržalka, dem „größten Schlafzimmer der Slowakei“, die als Vorbild einer modernen sozialistischen Stadt geplant wurde und sich mit ihren fast 130.000 Einwohnern in nur 20 Jahren zur drittgrößten „Stadt“ der Slowakei entwickelte (1970 hatte die Siedlung noch 13.899 Einwohner). 1984 lebten bereits über 400.000 Personen in B. Seit 1975 finden alljährlich das Kulturfestival „Kultursommer“ (slowak. Kultúrne leto) und die „Burgfestspiele“ (slowak. Hradné slávnosti) statt. Ende der 1980er Jahre wurde B. wiederholt Schauplatz der protestierenden Demokratiebewegung. Am 25.3.1988 schlug die Polizei eine friedliche Demonstration von Katholiken gewaltsam nieder. Am 16.11.1989 fand die erste einer Reihe von studentischen Demonstrationen für politische Freiheit statt, am 22.11. demonstrierten ca. 100.000 Menschen auf dem Platz des „Slowakischen Nationalaufstandes“ (Námestie SNP), am 27.11. folgte ein Generalstreik zur Unterstützung der Bürgerbewegung. Ein bedeutendes Ereignis war der Besuch Papst Johannes Paul II. am 22.4.1990, der auf dem Flughafen Vajnory eine Messe zelebrierte.

1991 lag die Einwohnerzahl bei 446.655, davon 406.116 Slowaken, 20.538 Ungarn, 11.012 Tschechen, 1290 Deutsche und 25 Juden. Am 17.7.1992 erklärte der Slowakische Nationalrat die Slowakei zum souveränen Staat. Seit dem 1.1.1993 ist B. die Hauptstadt der Slowakischen Republik.

Lehotská D., Pleva J. (Hg.) 1966: Dejiny Bratislavy. Bratislava. Podoba J. 2003: Am Rande der sozialistischen Großstadt: Reflexionen aus einem Betondschungel. Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, N.S. 57 (=106), 141–155. Žigo P. 2001: Bratislava – Braslavespurch / Pressburg (Prešporok) / Pozsony. Österreichische Namenforschung 1-2/29, 219–223. Hochberger E. 1997: Das große Buch der Slowakei. Sinn.

(Andrea Schutte)

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