Galizien-Wolynien (Fürstentum)
Galizien-Wolynien, Fürstentum (ukrain. Halyc´ko-volyn´s´ke knjazivstvo)
Das Fürstentum G.-W. lag auf dem Gebiet der heutigen Westukraine und in den (süd)östlichen Teilen des heutigen polnischen Staatsgebietes.
Unter Vladimir dem Heiligen, der diese Region nach einem Kriegszug 981 in sein Reich eingliederte und bis zum Ende des 11. Jh. entwickelten sich die wolynisch-galizischen Länder im Kiewer Reich als integrale administrative Einheit. Nach der Regierung von Jaroslav Vladimirovič kam es zur allmählichen Dezentralisierung der Macht in der Kiewer Rus´. Das Ergebnis war die Zersplitterung des Reiches in fünf untereinander nur lose verbundene Fürstentümer, die sich im Laufe der Jahrzehnte in insgesamt dreizehn Herrschaftsgebiete aufspalteten. Unter ihnen waren auch die Fürstentümer von Galizien und Wolynien, das letzte nach seinem Hauptort auch Vladimir-Volynskij genannt. In den Gebieten nahe der Karpaten ging die Herrschaft nach 1084 an die Söhne des Fürsten von Tmutarakan´Rjurik, Volodar und Vasil´ko über, die von Peremyšlʹ, Zvenigorod und Terebovl´ aus die Region kontrollierten. Nach dem Tode Rjuriks 1094 regierten die beiden anderen Brüder die Länder bis 1124. Aus den Kämpfen um das Erbe ging Volodimir Volodarevič, der durch die „Hypatius-Chronik“ als Volodimirko bekannt wurde. Volodimirko konnte sich 1124 die Herrschaft über Zvenigorod und 1129 auch über Peremyšl sichern. Seine beharrliche Tätigkeit ermöglichte ihm allmählich auch, andere galizische Länder zu beherrschen – die Fürstentümer von Terebovl´ und Halyč (das er 1141 zu seiner Residenz machte). Nach dem erfolglosen Versuch seine Herrschaft auf Wolynien auszudehnen, musste er die formale Oberherrschaft Kievs anerkennen und dem Fürsten Vsevolod II. Olegovič Tributzahlungen leisten. Es folgte 1144 eine Revolte galizischer Bojaren, die Volodimirko jedoch niederschlug. Später wurde er in die Kämpfe um den Kiewer Thron zwischen Jurij Dolgorukij und Izjaslav Mstislavič verwickelt, was auch zu einem Konflikt mit König Géza II. von Ungarn – einem Verbündeten Izjaslavs – führte und Volodimirko eine Allianz mit dem byzantinischen Kaiser Manouēl I. Komnēnos anstreben ließ.
Nachfolger Volodimirkos wurde sein Sohn Jaroslav Osmomysl (1153 – 87), der es trotz starker Bojarenopposition schaffte, die autokratische Herrschaft über die galizischen Länder aufrecht zu erhalten. Unter Jaroslav wurde Galizien zu einem der einflussreichsten Fürstentümer der Rus´ und hatte große wirtschaftliche Bedeutung, was v. a. durch seine Lage an internationalen Handelswegen bedingt war. Dies ermöglichte Jaroslav eine aktive Außenpolitik, in deren Rahmen er auch eine territoriale Expansion bis an die untere Donau realisieren konnte. Die Zeit vom Tod Jaroslavs bis 1199 war durch Unruhen gekennzeichnet. Jaroslavs beliebter Sohn Oleg wurde von den Bojaren aus Halyč vertrieben, dasselbe widerfuhr seinem Bruder Volodimir Jaroslavič in Peremyšl. Nach einer kurzen Intervention des ung. Königs Béla II. konnte Volodymyr durch die Unterstützung Friedrich Barbarossas und Polens seine Herrschaft in Galizien wiederherstellen.
Dies änderte sich unter Izjaslav Mstislavič, der während der Auseinandersetzungen um den Kiever Thron Wolynien als ständige Basis nutzte. Sein Nachfolger und Sohn Mstislav unterstellte Wolynien endgültig seiner Herrschaft. Die aktivste politische Rolle in der Region spielte Wolynien unter Roman Mstislavič. Zuerst vereinigte dieser die Teilfürstentümer seiner Brüder unter seiner Herrschaft, nach dem Tod von Volodimir Jaroslavič (1198) wurde er Fürst in Galizien und Gründer des vereinigten Fürstentums Galizien-Wolynien. Seine gestärkte Position erlaubte ihm die Einmischung in die Politik polnischer Fürstentümer und der nördlich seines Gebiets siedelnden heidnischen Jatvinger. Sein Tod 1205 veränderte die politische Lage des vereinigten Fürstentums: es folgte eine lange Periode von Unruhen und Unsicherheit. Romans Nachfolger – seine kleinen Söhne Daniil und Vasil´ko – wurden von der Bojarenopposition bedroht. Sie fanden Zuflucht beim Ungarnkönig Andreas II., was die spätere Verwicklung Ungarns und auch Kleinpolens in die Politik des Fürstentums begründete.
Nach der kurzen Herrschaft der Igoreviči-Brüder und der Usurpation des Halyčer Throns durch Bojaren besetzten ung. Truppen Galizien. Vorübergehend herrschte Koloman, der Sohn von König Andreas, als päpstlich sanktionierter König von Galizien, wurde aber durch Mstislav Mstislavič von Novgorod besiegt. Nach vielen Kämpfen und politischen Auseinandersetzungen konnte Daniil die beiden Fürstentümer 1238 unter seine Herrschaft bringen.
Die folgenden Jahre brachten die Konsolidierung der Macht im Inneren und das Bestreben, einen modus vivendi mit der Goldenen Horde zu finden. Daniil beteiligte sich an der Seite von König Béla IV. am Konflikt um das Babenberger Erbe und empfing 1253 vom Papst die Königswürde. Unterstützt von seinem Bruder und Mitherrscher Vasil´ko konnte er mit der Thronfolge seines Sohnes Lev eine machtpolitische Kontinuität sichern. Die Anerkennung der mongolischen Oberherrschaft ermöglichte Lev Danilovič (1264– 1301) zusammen mit der freundschaftlichen Beziehung zu Ungarn – Béla IV. war sein Schwiegervater –, sich auf seine westlichen Nachbarländer zu konzentrieren. 1272 verlegte Lev seinen Herrschaftssitz von Cholm nach Ľviv. Sein Nachfolger, Jurij Ľvovič (1301–15), konnte die territorialen Gewinne – Mukačevo und Lublin nicht halten, doch er gilt als Wiedervereiniger der zwei Fürstentümer. Der letzte Fürst war Jurij II. Boleslav Trojdenovyč, ein Neffe von Jurij Ľvovič, der 1323– 40 regierte. In Folge seiner großherzigen Unterstützung der Fremdkolonisation formierte sich im Land eine starke Bojarenopposition. Der Fürst wurde Opfer eines Giftmordes und das Land geriet in eine Epoche von Unruhen und politischem Chaos. Die verräterischen Bojaren boten den Thron dem litauischen Fürst Liubartas an. Der Angriff des Polenkönigs Kasimir III. auf L´viv markierte den Beginn langwieriger polnisch-litauischer Auseinandersetzungen. Sie bildeten die Grundlage für die allmähliche Unterordnung Galiziens unter die polnische Oberhoheit und die Formierung eines litauisch-ruthenischen Staatsgebildes.
Hruševskyj M. 1903: Istorija Ukrajiny-Rusi. Lemberg. Hrystak P. 1958: Halyc’ko-Volyns’ka deržava. New York. Jakovenko N. M. 1997: Narys istoriji Ukrajiny: z najdavnišych časiv do kincja XVIII st. Kiew. Kotliar M. F. 1998: Halyc’ko-Volyns’ka Rus’. Kiew. Kryp’jakevyč I. P. 1984: Halyc’ko-Volyns’ke kniazivstvo. Kiew. Pašuto V. T. 1950: Očerki po istorii galicko-volynskoj Rusi. Moskau. Stöckl G. 1981: Das Fürstentum Galizien-Wolhynien. Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. 1. Stuttgart.