Lublin (Stadt)


Lublin (poln.)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die Stadt L. liegt in Ostpolen am Fluss Bystrzyca, rd. 150 km südöstlich von Warschau und etwa 180 km nordwestlich von Lemberg (ukrain. Lʹviv), auf 220 m ü. d. M. und hat 353.483 Einwohner (2006). Die mittlere Temperatur im Januar beträgt -2,4 °C, im Juli 16,6 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf 487 mm. L. ist die Hauptstadt einer gleichnamigen Woiwodschaft und die größte Stadt Polens östlich der Weichsel.

2 Kulturgeschichte

Die heutige Stadt L. geht auf eine frühmittelalterliche ab dem 12. Jh. befestigte Marktsiedlung am Berg ›Czwartek‹ zurück, die sich unter der Herrschaft der Herzöge von Sandomierz und Krakau zu einer stadtähnlichen Verwaltungseinheit entwickelte, und Mitte des 13. Jh. bereits als so bedeutend und groß angesehen wurde, dass sich auch die Dominikaner hier niederließen; auf sie geht die sehenswerte Dominikanerkirche im Stadtzentrum zurück.

1317 wurde L. von König Władysław I. Łokietek („Ellenlang“) das magdeburgische Stadtrecht verliehen. Aufgrund der Lage an den Handelsstraßen zwischen Breslau und Lemberg einerseits und Wilna und Krakau andererseits entwickelte sich L. rasch, war zugleich jedoch immer wieder Übergriffen von Litauen und der Kiewer Rus ausgesetzt. Aus diesem Grund wurden um 1341 die Stadtmauern und die Burgbefestigung (von der weitestgehend nur noch die neogotischen Umbauten des 19. Jh. vorhanden sind) verstärkt. Insbesondere Władysław II. Jagiełło (polnischer König ab 1386) förderte die städtische Entwicklung L.s, das unter seinem Sohn Kazimierz IV. Jagiellończyk 1474 zur Woiwodschaftshauptstadt wurde.

L.s Bedeutung als Handels- und Messestadt erreichte zu der Zeit internationales Ansehen, vom Reichtum der Kaufmannschaft zeugen bis heute zahlreiche Bürgerhäuser aus dem 16. Jh. 1513 erschien in L. das erste polnischsprachige Buch: ›Raj dusz‹ („Das Paradies der Seelen“) des Biernat von L. Spätestens ab 1521 nahmen die sich in Folge der von Kazimierz III. Wielki erlassenen Toleranzprivilegien seit Anfang des 14. Jh. hier siedelnden aschkenasischen Juden aktiv am Wirtschaftsleben teil. Sie besaßen eine eigene Druckerei und eine namhafte Talmud-Schule (Jeschiwa), die 1567 Universitätsrang erhielt. Im selben Jahr entstand auch die bedeutendste L.er Synagoge (1655 zerstört und wiederaufgebaut) und 1568 ein eigenes abgegrenztes jüdisches Viertel.

Während der Reformation kam es in L. zur Gründung einer calvinischen Gemeinde (1562), darüber hinaus wurde L. eines der Zentren der Arianer. In Reaktion darauf wurden im Zuge der Gegenreformation die Jesuiten nach L. geholt, die hier 1582 ein Kollegium ins Leben riefen und die L.er Kathedrale errichten ließen. Politisch spielte die Stadt als Tagungsort des Sejms eine wichtige Rolle, insbesondere 1569, als hier durch die sog. Union von L. die Doppelrepublik Polen-Litauen entstand. 1578 erfuhr L. eine weitere Aufwertung als Sitz des Krongerichtshofes (Trybunał Koronny) und seit 1580 tagte der sog. „Vierländersejm“ (jidd. Vaad Arba Arazot) in L., die politische Vertretung der Juden Polen-Litauens. Seit 1588 organisierten sich auch die Ruthenen in orthodoxen Bruderschaften und nach der Gründung der Unierten Kirche 1596 kam dieser eine wichtige Funktion zu.

Zahlreiche Magnatenfamilien errichteten zu dieser Zeit Residenzen in L., z. B. die Lubomirski und Czartoryski. Anfang des 17. Jh. begann L.s wirtschaftlicher Niedergang, ausgelöst durch den Dreißigjährigen Krieg, verstärkt durch Epidemien (1630 starben 5000 Menschen an der Pest) und v. a. den Zweiten Nordischen Krieg, in dem 1655 das jüdische Viertel einem Raubzug der Kosaken zum Opfer fiel und ein Jahr später Schweden in L. einmarschierten und verheerende Zerstörungen hinterließen. Große Teile der Stadt, die durch ein Privileg König August des Starken seit 1703 Krakau rechtlich gleichgestellt war, konnten erst im zweiten Drittel des 18. Jh. wieder aufgebaut bzw. neu errichtet werden. Die erhaltenen Gebäude (u. a. das Rathaus) sind heute sehenswerte Denkmäler des Klassizismus. 1787 wurde das jüdische Viertel wiedererrichtet und L. eines der Zentren des sog. Chassidismus.

Mit den Teilungen Polen-Litauens wurde L. 1792 zunächst von russischen Truppen besetzt, gehörte 1795–1809 aber zu Habsburg. Nach der kurzen Episode der Zugehörigkeit zum Herzogtum Warschau (1809–15) okkupierten erneut russische Truppen L., das auf dem Wiener Kongress dem Russland angegliederten sog. Kongresspolen zugeschlagen wurde. Dem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung bis 1832 folgten für Jahrzehnte anhaltende Restriktionen durch die russische Regierung, die infolge des Novemberaufstandes (1831) verhängt wurden.

Von Mitte des 19. Jh. bis zum Beginn des 20. Jh. waren etwa die Hälfte der Einwohner L.s Juden (1862: ca. 9000, 1897: ca. 24.000, 1914: ca. 40.000 Personen), die bis zur rechtlichen Gleichstellung 1862 nur innerhalb des jüdischen Viertels siedeln durften. 15,4 % aller L.er Unternehmen befanden sich nach 1860 in jüdischer, 53,8 % in polnischer und 21,1 % in deutscher sowie 7,7 % in britischer Hand. 1877 wurde L. an die Eisenbahnlinie Warschau–Kovelʹ (heute Ukraine) angebunden und etablierte sich insbesondere als Standort zahlreicher Fabrikbetriebe für landwirtschaftliche Produkte, die v. a. auf protestantische Unternehmer zurückgingen. Die Revolution 1905 brachte eine allgemeine Liberalisierung des öffentlichen Lebens in L. mit sich, so u. a. die Einrichtung polnischsprachiger Schulen.

Ein Jahr nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verließen die russischen Truppen L. und die k. u. k. Armee marschierte ein. Die schwere wirtschaftliche Lage dieser Zeit wurde für die L.er Bevölkerung durch weitgehende sozialpolitische Freiheiten kompensiert. Am 7.11.1918 wurde die Stadt für vier Tage zur polnischen Hauptstadt: Unter Ignacy Daszyński hatte in L. die „Vorläufige Volksregierung der Polnischen Republik“ (Tymczasowy Rząd Ludowy Republiki Polskiej) ihren Sitz, die sich allerdings alsbald der Warschauer Zentralregierung unterstellte. 1918 wurde die Katholische Universität (Katolicki Uniwersytet Lubelski) und 1930 die Rabbinische Hochschule (jidd. Jeschiwa Chachmei) gegründet. Wirtschaftlich fällt in die Zwischenkriegszeit die Investition von ›General Motors‹, die nach 1945 zum Grundstein für die LKW-Fabrik von L. wurde.

Schon am 18.9.1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in L. ein. Alle Juden wurden 1941 im Getto eingesperrt – u. a. auch die Stettiner Juden (ca. 6000 Personen), die im Februar 1940 dorthin deportiert worden waren – und im Rahmen der ›Aktion Reinhard‹ hauptsächlich in Bełżec umgebracht. Der Kopf dieser Aktion war Odilo Globočnik, SS- und Polizeiführer des Bezirkes L. Nur wenige Kilometer vom L.er Stadtzentrum entfernt entstand 1941 das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Die Katholische Universität wurde während des Krieges zum deutschen Militärlazarett. Sehr stark in L. und Umgebung präsent waren die „Heimatarmee“ (Armia Krajowa, AK) und die „Nationalen Streitkräfte“ (Narodowe Siły Zbrojne, NZS), die über die gesamte Kriegszeit gegen die deutsche Besatzung ankämpften. Als jedoch die Rote Armee 1944 L. besetzte, entmachtete sie die antikommunistische Untergrundbewegung und überließ die Macht den polnischen Kommunisten. Von August 1944 bis Januar 1945 war L. erneut polnische Hauptstadt.

Die Katholische Universität nahm als erste Hochschule in Polen der Nachkriegszeit bereits im August 1944 wieder ihre Arbeit auf. Parallel wurde eine staatliche Universität unter dem Namen Marie Curie-Skłodowska gegründet. Beide Hochschulen übernahmen viele Professoren der polnischen Universitäten aus den nun zur UdSSR gehörenden Städten Lemberg und Wilna. 1953 wurde die Technische Universität (Politechnika Lubelska) ins Leben gerufen und 1955 spalteten sich zwei Fakultäten der staatlichen Universität ab, die seitdem die Agrarakademie bilden. Zudem belebten mehrere neugegründete Theater das kulturelle Leben der Stadt, die mit der Ermordung ihrer jüdischen Bevölkerung eines ihrer kulturell und wirtschaftlich prägendsten Milieus verloren hatte. Allein der alte jüdische Friedhof blieb erhalten; an das einstige jüdische Viertel erinnert ein Denkmal. Aufgrund der antisemitischen Stimmungslage in den Nachkriegsjahren verließen die nach 1945 zugezogenen Juden bis 1950 die Stadt. Deren Industrialisierung wurde in den Aufbaujahren des Sozialismus intensiv vorangetrieben: Es entstanden u. a. eine Fabrik landwirtschaftlicher Geräte und eine Großdruckerei. Die parallele Errichtung von Wohnsiedlungen bewirkte einen Bevölkerungszuwachs (1946: 99.400, 1960: 181.300, 1970: 238.500 Einwohner). 1992 wurde das 1805 eingerichtete Bistum von Papst Johannes Paul II. zum Erzbistum L. erhoben.

Das Kulturzentrum der Woiwodschaft (Wojewódzki Ośrodek Kultury), die vier Kunstgalerien, neun Museen, drei Theater und eine Reihe kleinerer Einrichtungen bieten ein breites kulturelles Angebot. Die Stadt L. ist heute nicht nur kraft ihrer Hochschulen, viel mehr noch dank ihres regen Kulturlebens und der sich verhältnismäßig gut entwickelnden Wirtschaft ein wichtiges Zentrum Polens.

Zins H. (Hg.) 1971: Historia Lublina w zarysie 1317–1968. Lublin. Hawryluk W., Linkowski G. (Hg.) 1996: Żydzi lubelscy. Lublin. www.kul.lublin.pl [26.8.2005]. www.umcs.lublin.pl [26.8.2005]. www.kuria.lublin.pl[26.8.2005]. www.lublin.pl [26.8.2005].

(Roman Smolorz)


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