Racibórz

Racibórz (poln., dt. [hist.] Ratibor, tschech. Ratiboř).

Die 57.755 Einwohner (2005) zählende Stadt R. liegt rund 10 km von der tschechischen Grenze entfernt im Südwesten Polens im Zuflussgebiet der oberen Oder zwischen Karpaten und Sudeten. Das Stadtgebiet umfasst 74,96 km² und befindet sich in einer Höhe von ca. 190 m ü. d. M. Die bedeutendsten Wirtschaftszweige der Stadt sind heute die chemische und die Leichtindustrie.

Die Spuren erster menschlicher Ansiedlungen in R. stammen aus der Altsteinzeit. Nach der ältesten Überlieferung bestand R. schon im 9. Jh., doch die erste schriftliche Erwähnung von der Eroberung der Wallburg stammt von 1108. Das Herzogtum R. entstand 1173 und noch vor 1235 (1299?) erhielt R. das Stadtrecht. 1241 bestürmten die Mongolen zweimal vergeblich die mächtige Oderburg, die den Übergang über die Oder am Handelsweg von Südeuropa nach Polen und durch die Mährische Pforte nach Ruthenien überwachte. Die günstige Lage trug zur schnellen Entwicklung der Stadt bei, die im 13. Jh. als wichtige Station an den Handelswegen, die von Schlesien und Tschechien nach Süd- und Westeuropa bzw. der Oder entlang nach Norden führten.

In der ersten Hälfte des 14. Jh. hatte R. die höchste Einwohnerzahl in ganz Südschlesien. Im Laufe eines Jahrtausends erlebte R. mindestens drei verschiedene Kulturen und Nationalitäten. Die Stadt und das R.er Land wurden einige Male aufgeteilt und gingen wechselweise in polnische, deutsche, tschechische oder österreichische Herrschaft über. 1336 – nach 200 Jahre langer Herrschaft der Piasten – kam das Herzogtum R. in die Hände der Přemysliden, 1532 fiel das Herzogtum an die Hohenzollern. Seit 1551 stand es unter der Herrschaft der Habsburger und war Teil der österreichischen Monarchie. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde R. mehrmals zerstört. 1645–1666 befand sich das Herzogtum in polnischem Pfandbesitz. Nach dem preußisch-österreichischen Krieg um Schlesien gehörte R. ab 1742 zu Preußen und nach 1871 zu Deutschland. Mit dem Bau einer Eisenbahnlinie, die ab 1846 über R. führte und bis 1919 in Betrieb war, kam es zum erneuten wirtschaftlichen Aufschwung. 1849 wurde eine telegraphische Linie Wien–R.–Berlin gebaut. Die wichtigen Wirtschaftsfaktoren waren zu dieser Zeit die Metallindustrie, Eisenerzförderung und Fayenceherstellung. Auf der Suche nach Arbeit kamen neue Ansiedler nach R., v. a. Juden und Ukrainer. Die wechselvolle Geschichte der Stadt und ihre nationale Vielfalt bildeten den Reichtum einer vielseitigen Kultur, die v. a. in Sakralkunst und Architektur ihren Ausdruck fand. Es gibt hier Elemente der polnischen, tschechisch-mährischen und deutschen Kultur. Während der wirtschaftlichen Krise nach dem Ersten Weltkrieg verlor R. an Bedeutung. 1919–20 wurden Kämpfe um die Angliederung des R.er Landes an Polen geführt und R. spielte in der Folge auch als Verkehrsknoten keine große Rolle mehr. Nach der Volksabstimmung 1921 blieb R. bei Deutschland, aber östliche Gemeinden des Kreises kamen an Polen.

Im Zweiten Weltkrieg befanden sich hier Kriegsgefangenenlager, ein Gefängnis für Schwerverbrecher und ein Lager für polnische Aussiedler. 1945 wurde R. durch die Rote Armee erobert, fiel aber später brandschatzenden Soldaten zum Opfer und erlitt große Schäden (bis zu 80 % der Bausubstanz). Von den aus dem 13. Jh. stammenden Sehenswürdigkeiten sind die Piastenburg und die Kirche Maria Himmelfahrt erhalten geblieben. Seit 1945 befindet sich R. auf polnischem Staatsgebiet und kann als Industriestadt mittlerer Bedeutung eingestuft werden.

Malec M. 2003: Słownik etymologiczny nazw geograficznych Polski. Warszawa. Wawoczny G. 2003: Tajemnice ziemi raciborskiej. Racibórz.

Mirosława Czochańska, Jarosław Czochański

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