Kaukasus (Großer)

Kaukasus (Großer K., adyg. Ḩodyšq Kqušqḫĭėḫėr, armen./awar. Kavkas, aserbaidschan. Baş Qafqaz, georg. didi kavkasioni, karatsch.-balkar. Tašly syrt, lakk. Kqapqkaz, russ. Bol´šoj Kavkaz, tabassar. Qavqaz)

Inhaltsverzeichnis

1 Lage und Orographie

Der K. ist ein über 1100 km langes, geologisch junges Gebirge, das dem eurasiatischen Faltengebirgsgürtel zugerechnet wird. Er taucht im Westen aus der Kubanʹ -Halbinsel auf und verläuft in ostsüdöstlicher Richtung, eher er in Aserbaidschan zum Kaspischen Meer abtaucht. Dort bildet die Fortsetzung des Gebirges eine unterseeische Schwelle zwischen zwei Seebecken. Im Nord-Süd-Profil weist der K. eine markante Asymmetrie auf: Während der südliche Abfall nach Georgien und Aserbaidschan relativ abrupt ist, geht das Gebirge nach N in mehreren Vorketten in das Plateau von Stavropolʹ und eine breite Piedmontzone über. Meist werden im K. mehrere Gebirgsketten unterschieden, die v. a. im zentralen Gebirgsabschnitt auf der Nordseite deutlich ausgebildet sind, im Süden jedoch fehlen. Von der zentralen Wasserscheidenkette (Vodorazdelʹnyj chrebet) folgen nach Norden die Vorkette (Peredovoj chrebet), die Felsenkette (Skalistyj chrebet) und die Weidenkette (Pastbiščnyj chrebet). Der höchste Gipfel, der Elbrus, ist vulkanischer Entstehung und ist mit einem Doppelgipfel (5624 bzw. 5642 m) der Vorkette aufgesetzt. Im Gegensatz zu den Alpen fehlen größere Längstäler, die im Streichen des Gebirges verlaufen; nur einige Talabschnitte folgen des Gesteinsgrenzen bzw. tektonischen Fugen zwischen den einzelnen Gebirgsketten.

Konventionell bezeichnet man in der Gliederung des Gebirges von West nach Ost das nur rd. 600 bis 1200 m hohe, als Hügelland und Mittelgebirge ausgebildete Gebiet westlich des Gebirgszuges Fišt als Pontischen oder Schwarzmeerk., an den sich nach Osten der westliche Hochgebirgsk. (höchster Gipfel: Dombaj-Ulʹgen, 4046 m) bis zum Elbrus anschließt. Der zentrale Hochgebirgsk. umfasst die am höchsten aufragenden Bereiche zwischen Elbrus und Kasbek (5047 m). Der daran anschließende östliche K. ragt in Dagestan („Bergland“) weniger hoch auf (Tebulos mta, 4493 m) und gliedert sich in zahlreiche ausgedehnte Hochländer und Hochtäler. Nach Osten lässt sich noch der wieder als Mittelgebirge und Hügelland ausgebildete, gerade 1000 m erreichende Kaspische K. ausgliedern.

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2 Geologischer Aufbau

Der K. verdankt seine Entstehung der Aufschiebung der iranischen und anatolischen Platte auf die europäische Platte. Die bis in die Gegenwart anhaltende Dynamik der tertiären Auffaltung bedingt eine hohe Erdbebenhäufigkeit. Im asymmetrisch aufgebauten Gebirge treten Gesteinspartien unterschiedlichen Alters von mehrfach aufgefalteten präkambrischen Gesteinen sowie paläozoischen Schiefern und Gneisen in der Zentralzone über angelagerte mesozoische Schichten aus Trias und Jura bis zu tertiären Ablagerungen in den Randbereichen auf. Elbrus und Kasbek zeugen als junge Vulkane von junger endogener Dynamik. Sie gehört zu den Prozessen, die auch die Heraushebung des Gebirgskörpers verursachte. Der Aufbau des östlichen K. ist komplizierter: östlich des Elbrus legen sich die Hauptkette und die Seitenkette (Bokovoj chrebet) um eine zentrale Depression; der Nordabfall wird aus zahlreiche kleineres Ketten gebildet, die aus jurassischen und kretazischen Gesteinen aufgebaut sind. Den Südabfall bilden steile Gebirgsbildungen, die in kurzer Abfolge von kristallinen Gesteinen über mesozoische Ablagerungen in eine aufgefaltete Flyschzone übergehen. Nach Südosten schließt sich ein großer Molassetrog an.

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3 Klimatische Verhältnisse und Hydrographie

Das Klima des K. lässt sich mit einer Abnahme der Niederschläge vom sehr feuchten Westen (Hinterland der Schwarzmeerküste, Jahresniederschlagssummen bis zu 3000 mm) zum ariden Osten (Küstenbereich des Kaspischen Meeres), mit einer Abnahme der Wärmeversorgung mit der Höhe sowie mit einer von Westen nach Osten ebenfalls abnehmenden Bewölkungsintensität beschreiben. Während im Westk. Gletscherzungen bis 1800 m herunterreichen, gelangt die Vergletscherung im Ostk. nur bis 4000 m. Anfang der 1970er Jahre gab es im K. noch 2047 Gletscher, die eine Gesamtfläche von 1424 km² einnahmen. Seither hat der globale Klimawandel zu einem deutlichen Rückgang in der Vergletscherung geführt. Der K. ist eine wichtige Klimascheide: Während kalte polare Luftmassen relativ bis zum Nordabfall des Gebirges gelangen und dort Temperaturabsenkungen bis –33°C (Krasnodar) hervorrufen können, ist der Süden relativ geschützt, so dass Baumkulturen und Weinbau gedeihen. In der Region von Ƙuťaisi sind Föhnwetterlagen nicht ungewöhnlich. Die Folge sind insbesondere auf der Nordseite erhebliche Temperaturunterschiede zwischen den Sommer- und Wintertemperaturen (Beispiel Grosny: Durchschnittstemperatur Januar –4,9 °C, Juli 23,9 °C).

Die wichtigsten Flusssysteme, die den K. entwässert, bilden im Westen der zum Asowschen Meer fließende Fluss Kubanʹ mit Urup, Laba und Belaja und der nach Osten in Kaspische Meer mündende Fluss Terek mit seinen Nebenflüssen, insbesondere Malka, Baksan, Čegem, Čerek, Ardon und Sunža. Im Osten kommt das Gebiet des Flusses Sulak hinzu, das große Teile Dagestans entwässert. Im Gegensatz zu den weit in den Gebirgskörper hineinführenden Flüssen auf der Nordseite des Gebirges, sind zahlreiche Abflüsse auf der Südseite kurz und steil. Nur die teilweise zwischen den Gebirgszügen und Längstalabschnitten fließenden Flüsse (Enguri, Rioni, Alazani) erreichen größere Längen.

Das Abflussregime der Flüsse im zentralen und östlichen K. ist durch starke saisonale und interannuelle Schwankungen gekennzeichnet. Abflussspitzen werden zur Zeit der Schneeschmelze im Frühjahr und zur Zeit der sommerlichen Gletscherschmelze erreicht, während Herbst und Winter niedrigere Abflusswerte zeigen.

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4 Vegetation

Der K. weist eine sehr vielfältige Vegetation mit zahlreichen endemischen Arten auf. Die räumliche Differenzierung entspricht vor allem den hygrischen Verhältnissen. Während der Westk. durch ausgedehnte, dichte Wälder (in den niedrigen Lagen Eichen, in den höheren Nadelgehölze, Buchen und Hainbuchen) gekennzeichnet ist, ist im zentralen K. die Waldstufe nur noch relikthaft vorhanden. Im Ostk. fehlt die Bewaldung fast vollständig; stattdessen breiten sich Gebirgssteppen über die Höhenzüge unterhalb der Felsregion aus. Aber auch in den dichter besiedelten Gebirgsketten des Vorlands – insbesondere in der Region Krasnodar – werden die Wälder durch Übernutzung bedroht. Eine Folge der Entwaldung ist in zunehmender Bodenerosion zu sehen. Neben den dichten Wäldern sind ausgedehnte, üppige Hochstaudenfluren, in höheren Lagen alpine und subalpine Wiesen und Matten für den West- und Zentralk. typisch. Nach Osten nimmt der steppenhafte Charakter der Vegetation mit zahlreichen Xerophyten zu, wenn die durchschnittlichen Jahresniederschlagssummen unter 400 mm fallen.

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5 Bevölkerungsverteilung und Siedlungen

Im Laufe des 20. Jh. erlebte der K. eine massive Bevölkerungsabwanderung, die teils als Land- und Bergflucht im Zusammenhang mit dem generellen sozioökonomischen Wandel (Stadtentwicklung im Vorland, Bergbau, Ansiedlung von Industriebetrieben mit Arbeitsplatzangeboten, aber auch agrarstrukturelle Verbesserungen durch Bewässerung) zusammenhängt, teils aus politischen Gründen initiiert wurde (Umsiedlungsaktionen in Städte und in neu erschlossene Agrargebiete, insbesondere im Bereich von Bewässerungsanlagen). Die durch die Deportationen unter Stalin geräumten Siedlungen konnten teilweise nach der Rehabilitierung der deportierten Völker wieder besiedelt werden, doch zog auch ein Teil der zurückkehrenden Bevölkerung den Zuzug in die Städte vor.

Im Vergleich zu den europäischen Alpen ist der K. nur dünn besiedelt; größere städtische Siedlungen befinden sich fast ausschließlich am Gebirgsrand und im Gebirgsvorland. Nur wo breitere Täler den Gebirgskörper erschließen, gibt es auch im Gebirge Siedlungen. Die meisten Gebirgsübergänge liegen so hoch und sind so schwer zugänglich, dass kaum eine moderne Verkehrserschließung möglich war.

Eine Ausnahme stellen v. a. die im östlichen K. liegenden Siedlungen der indigenen Bevölkerung dar, die nicht auf moderne Verkehrsverbindungen angewiesen waren. Sie konnten auch in relativ schwer zugänglichen Hochtälern angelegt werden, wo sich kleinräumige Siedlungszellen mit ethnisch weitgehend homogener Bevölkerung herausbildeten. Doch selbst die Hauptorte der den ursprünglich im Gebirge lebenden ethnischen Gruppen zugeordneten Landkreise sind klein und von weiterer Abwanderung bedroht. Die größeren Städte, insbesondere der Hauptstädte der administrativ-territorialen Einheiten (Republiken und Regionen), reihen sich entlang weniger Hauptverkehrsadern auf, von denen nur die Georgische Heerstraße (Vladikavkaz–Tbilissi) übe das Gebirge hinweg führt, während die Fernstraße und die Eisenbahn [[Rostow am Don (Stadt)Rostow am Don-Baku das Gebirge im Osten umgehen. Auf der Südseite des K. besteht auch eine Städtereihe zwischen der Schwarzmeerküste mit Soči und Soxumi, Ƙuťaisi, der georgischen Hauptstadt Tbilissi, Şəki und Şamaxı, doch gibt es keinen durchgehenden modernen Verkehrsweg zwischen diesen Städten. In den ländlichen Siedlungen haben sich einige traditionelle Besonderheiten erhalten. Im zentralen Kaukasus und Svanetien Gebiet Svaneťi bestimmen aus groben Steinblöcken errichtete Wohn- und Festungstürme das Bild der ländlichen Siedlungen. In Nordossetien haben sich auf frühere Bestattungssitten zurückgehende Totenhäuser neben den bewohnten Siedlungen erhalten. In Dagestan wurden die ursprünglich teilweise recht bevölkerungsreichen Gruppensiedlungen (›Aul‹) oft in Schutzlagen auf Felsvorsprüngen mit dicht gedrängten und übereinander angeordneten Wohnhäusern errichtet.

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6 Innere Erschließung und Verkehrswege

Der enge Zusammenhang zwischen Siedlung und Verkehr war bereits angeführt worden. Die Verkehrserschließung, insbesondere die Querung des K. erweist sich als wesentlich schwieriger als bei den Alpen. Daher gibt es nur relativ wenige Passstraßen: Im Westen ermöglicht der „Kluchor-Pass“ (russ. Kluchorskij pereval, 2781 m) die Querung, eine weitere Verbindung führt über den „Mamisson-Pass“ (russ. Mamissonskij pereval, 2829 m), eine parallel angelegte Autostraße quert das Gebirge über den untertunnelten „Roki-Pass“ (russ. Rokski pereval, 2996 m). Wichtigste Verbindungsstraße war über lange Zeit die Georgische Heerstraße mit dem „Kreuzpass“ (russ. Gudauri, mit 2379 m der mit Abstand tiefstgelegene Pass). Ein Eisenbahntunnel der projektierten Strecke Vladikavkaz-Tbilissi führt auf 1400 m Höhe unter dem „Archotskij-Pass“ (russ. Archotskij pereval) hindurch.

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7 Ackerbau und Weidewirtschaft

Im K. treffen sehr unterschiedliche Arten der Landbewirtschaftung aufeinander. Während im Gebirgsvorland in der Sowjetzeit Bewässerungskulturen an die Stelle extensiver Nutzungen traten, erhielten sich in den Gebirgsländern kleinkammrige Systeme traditioneller Landnutzung auf kleinen Flächen. Große Bereiche in den dichter besiedelten Hochtälern waren terrassiert und wurden für Ackerbau genutzt. Diese Flächen sind inzwischen weitgehend aufgegeben oder werden nur noch für die Subsistenz genutzt. Die Tierhaltung konzentriert sich in weiten Teilen des K. auf die Kleinviehhaltung. Nur im Westen des Gebirges ist auch die Rinderzucht verbreitet. Traditionell wurden Schaf- und Ziegenhaltung in Form des Bergnomadismus betrieben. Sowohl die zunehmende Sesshaftwerdung der nomadisierenden Bevölkerung als auch die Erschließung traditioneller Winterweidegebiete für Bewässerungszwecke engten den Spielraum ein. Hinzu kam die Kollektivierung in sowjetischer Zeit, die Nutzungsformen mit strikter Kontrolle förderten. Schließlich wurden – ebenfalls unter dem Vorwand besserer Wirtschaftsmöglichkeiten, aber auch wegen besserer politischer Kontrolle – seit den 1920er Jahren Umsiedlungen vorgenommen.

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8 Bodenschätze und Industrialisierung

Im Vergleich zu seinen Vorländern ist der K. selbst nicht allzu reich an Bodenschätzen. Einige wichtige Lagestätten wurden aber in sowjetischer Zeit erschlossen. Auf georgischer Seite sind die Kohlelagerstätten von Tqvarčeli und Tqibuli zu nennen, die eine regionale Rolle spielten, inzwischen aber weitgehend erschöpft sind. Die Manganerze aus der Umgebung von Ƙuťaisi hatten einmal für die gesamte Sowjetunion große Bedeutung und wurden an alle Hüttenstandorte transportiert. Im Nordk. wurden mit großem Aufwand die Molybdän- und Wolframlagerstätten von Tyrnyauz erschlossen, die diese strategisch wichtigen Erze unter großen Umweltschädigungen abbauten. Bei Grosny und am Nordrand des Westkaukasus treten Erdölvorkommen auf. Die Industrialisierung konzentriert sich – von wenigen Bergbauorten abgesehen – auf die größeren Städte, die durchweg abseits des Gebirges liegen. Eine echte Industriestadt ist nur Sumqajıt in Aserbaidschan, die anderen Städte haben in der Regel auch Verwaltungsaufgaben. Dominante Zweige sind Maschinenbau, Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und etwas Leichtindustrie.

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9 Touristische Potentiale

Der K. besitzt ein erhebliches touristisches Potential, dessen Nutzung jedoch weitgehend an den aktuellen politischen Verhältnissen scheitert. Den Beginn touristischer Nutzung machten die kaukasischen Mineralbäder Pjatigorsk, Essentuki, Kislovodsk und Železnovodsk, die teilweise auf die Zarenzeit zurückgehen, dann aber vor allem in sowjetischer Zeit systematisch ausgebaut wurden und mit Mineralʹnye Vody auch eine Art städtisch-verkehrliches Zentrum mit einem großen Flughafen erhielten.

Der Hochgebirgstourismus entwickelte sich erst in sowjetischer Zeit, während alpinistische Aktivitäten bereits um die Wende von 19. zum 20. Jh. betrieben wurden. Zu den bedeutendsten Bergsteigern gehört der deutsche Geograph und Alpinist Gottfried. Merzbacher, der in einem zweibändigen Werk ein umfassendes Bild des Großen K. zeichnet. Zu den Hauptzielen wurde der Elbrus, dessen Bezwingung bergsteigerisch vor keine besonderen Schwierigkeiten stellt, der aber wegen sehr plötzlicher Witterungswechsel bekannt ist. In 4200 m wurde die (in den 1990er Jahren nach einem Brand aufgegebene) Hütte Nr. 11 als Basislager für den Aufstieg errichtet. Ihre Umgebung dient dem Sommerski und ist mit Seilbahn und Sessellift erreichbar. Ausgangspunkt für den Elbrustourismus ist das obere Baksantal das auch eine Reihe reizvoller Seitentäler erschließt. Im Süden des autonomen Gebietes Karačaevo-Čerkesija bezieht das Naturschutzgebiet Teberda den Fremdenverkehrsort Dombaj ein, der zum Ausgangspunkt für Hochgebirgswanderungen und Wintersport wurde. Etwas weiter westlich entstand um Archyz ein zweites, kleineres Zentrum. An der den Kreuzpass überquerenden Georgischen Heerstraße wurde in den 1980er Jahren von einem sowjetisch-österreichischen Konsortium die Station Gudauri errichtet, von der aus Helikopterflüge auch höhere Gebirgslagen erschließen. Außerhalb des Gebirges liegend, aber mit ihm eng verflochten, ist der Badetourismus an der kaukasischen Schwarzmeerküste mit Soči als Zentrum; eine Gebietsreform in sowjetischer Zeit hat hier einen 146 km langen Küstenstreifen mit mehreren Siedlungszellen zu einer Stadt mit prestigeträchtigem Namen zusammengefasst. Während Soči heute wieder an die frühere Tradition der „Russischen Riviera“ anknüpfen kann, ist die touristische Nutzung der Schwarzmeerküste Schwarzmeerküste Abchasiens weitestgehend zum Erliegen gekommen. Soxumi und das in sowjetischer Zeit für den Massentourismus erbaute Bičvinťa spielen seit der Sezession von Georgien keine Rolle mehr.

Durchweg musste der Fremdenverkehr im K. in postsowjetischer Zeit, bedingt durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in vielen Gebieten des K. und durch die Zunahme der Unsicherheit, erhebliche Rückgänge hinnehmen. Nur der Nordwesten mit den Kaukasischen Mineralbädern, Teile der russischen Schwarzmeerküste bei Soči und das Gebiet von Teberda-Dombaj konnten an die früheren Traditionen anknüpfen.

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10 Historisch-politische Differenzierung

Der K. stand immer nur formell unter einheitlicher Herrschaft. Tatsächlich hatten sich in der Geschichte tribale Strukturen lange gehalten und im zentralen und westlichen K. zu zahlreichen kleinen Fürstentümern geführt, im Osten bildeten sich Khanate, die lange unter der Oberherrschaft Persiens standen. Das russische Vordringen seit dem 18. Jh. gliederte zunächst Kabardinien und weitere Territorien im Norden des zentralen K. dem Russischen Reich ein, während sowohl der nordwestliche Gebirgsraum mit seiner tscherkessischen Bevölkerung als auch der Osten unabhängig blieben. Der im 19. Jh. über drei Jahrzehnte geführte Eroberungskrieg endete zwar 1859 mit der Gefangennahme des charismatischen Führers Imam Šamil, doch blieb der Freiheitswillen einzelner ethnischer Gruppe im K. bis in die Gegenwart erhalten, wie sich insbesondere in Tschetschenien und Dagestan zeigt. Politisch haben heute drei Staaten Anteil am Großen K., im Norden die Russische Föderation, im Süden Georgien und Aserbaidschan. Die Grenze folgt nicht durchwegs dem Kamm der Zentralkette; Terek und Sulak durchbrechen das Gebirge in engen, abschnittweise kaum passierbaren Schluchten. Innerhalb der Russischen Föderation besitzen (von Westen nach Osten) die Republiken der Adygejer, der Russischen Föderation besitzen (von Westen nach Osten) die Republiken der Adygejer, der Karatschaier und Tscherkessen, der Kabardiner und Balkaren, der Osseten, der Inguschen und der Völker Dagestans eine gewisse Autonomie, ebenso Tschetschenien, das in zwei Kriegen 1994–96 und seit 1999 an einer Sezession gehindert wird. Auf der Südseite des K. hob Georgien die Autonomie Nordossetiens auf; Abchasien hat sich de facto von Georgien losgesagt und steht in einem durch einen Waffenstillstand befriedeten Sezessionskrieg.

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11 Ethnische Differenzierung und historisch-kulturelles Erbe

Die
 Sprachenkarte
ethnische Karte des K. weist über fünf Dutzend verschiedene ethnolinguistische Gruppen für Kaukasien nach. Extrem ist diese Diversifizierung im Nordosten (Republik Dagestan) mit allein rd. drei Dutzend verschiedenen Gruppen, deren wichtigstes Identifikationsmerkmal die Sprache ist. Ein Teil der ethnischen Gruppen verfügt nominell über eine regionale Autonomie in Form der (Autonomen) Republiken innerhalb der Russischen Föderation. Anderen – wie beispielsweise den Nogaiern – wurde eine solche Autonomie mit eigenem Territorium nicht zugestanden. In Dagestan wird versucht, durch die Beteiligung der größeren ethnischen Gruppen an der Regierung und Landesverwaltung einen Ausgleich zu schaffen, um interethnische Konflikte zu verhindern. Zusätzlich kompliziert wird die Situation dadurch, dass der Nordk. auch immer wieder Zuwanderungsgebiet für einzelne Fremdgruppen war, wie die Ansiedlung von Armeniern, Griechen, Esten u. a. zeigt. Die Dominanz der Russen in allen Teilregionen der Russischen Förderation und der Georgier in den georgischen Teilen wird dadurch nicht berührt. Die Religion (Christentum bei Georgiern und Armeniern; schiitischer und sunnitischer Islam; Judentum u. a.) tritt beim Bestreben, Eigenständigkeit durchzusetzen, hinter die Sprache zurück, ist aber ebenfalls von Bedeutung.

Mitte der 1940er Jahren wurden mehrere Völker, die politisch unbequem und unsicher erschienen, vornehmlich nach Mittelasien und Kasachstan deportiert, so die Karatschaier, Balkaren, Inguschen und in Nordkaukasien sowie die Meskheten in Georgien. Ihre verlassenen Siedlungsgebiete wurden teilweise von Gebirgsbewohnern aus anderen ethnischen Gruppen übernommen, die man aus wirtschaftlichen Gründen (geringe Tragfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeit im Gebirgsraum) und zum Zweck der besseren politischen Kontrolle in das Gebirgsvorland umsiedelte. Nach der partiellen Rehabilitation der umgesiedelten Völker im Gefolge des XX. Parteikongresses der KPdSU (1956) war seit 1957 eine Rückwanderung der vertriebenen Völker (mit Ausnahme der Meskheten) möglich, die jedoch ihre alten Siedlungsräume besetzt vorfanden. Die Wiedergutmachung der Folgen, die aus den Repressionen unter Stalin herrühren, ist heute eine vordringliche Forderung in Kaukasien.

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12 Konfliktregion Kaukasus

Nach der Auflösung der Sowjetunion entbrannten mehrere offene und latente Konflikte im K., die zu umfangreichen Flüchtlingsbewegungen führten.

Als Südossetien (1990) einseitig seine Loslösung von Georgien deklarierte, hob Georgien die Autonomie des Territoriums auf, beanspruchte seinerseits die volle Verfügungsgewalt und trieb in blutigen Kämpfen etwa 70.000 Menschen in die Flucht, größtenteils nach Nordossetien. Seit Mitte der 1990er Jahre besteht ein Waffenstillstand, doch bleiben die ossetischen Forderungen nach Wiederherstellung der Autonomie bestehen.
In Nordossetien ließen im Herbst 1992 die Inguschen ihren Gebietsanspruch auf den östlich von Vladikavkaz gelegenen Landkreis Prigorodnyj aufleben, nach blutigen Gefechten wurden etwa 50.000 Inguschen zur Flucht gezwungen; nur ein Teil konnte inzwischen zurückkehren. Im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen wurde 1992 eine vorläufige Abgrenzung der Republik Inguschetien (Hauptstadt Nazranʹ)vorgenommen.
Im westlichen Kaukasien sahen die Abchasen angesichts der inneren Zerstrittenheit Georgiens die Chance, ihre Forderung nach Loslösung von Georgien durchzusetzen. Sie fühlten sich durch das georgische Übergewicht in der Bevölkerung und im Wirtschaftsleben zunehmend überfremdet und befürchteten eine weitere "Georgisierung" im Bildungsbereich. Die kriegerischen Auseinandersetzungen führten zur Flucht von wahrscheinlich 250.000 Personen – überwiegend Georgiern – aus dem Gebiet, zum Eingreifen russischen Militärs und schließlich zu einem vorläufigen Waffenstillstand. Im Frühsommer 1999 mussten jedoch abermals 50.000 Personen den Landkreis Gali verlassen.
Die Tschetschenen streben die Unabhängigkeit oder zumindest eine weitreichende Autonomie an. In zwei blutigen Kriegen, 1994–96 und seit 1999, versuchte Russland, diese Unbotmäßigkeit zu beenden. Bei diesen Kriegen, bei Partisanenkämpfen und bei mehreren blutigen Anschlägen, die den Tschetschenen zur Last gelegt wurden, starben Hunderte von Menschen, Tausende wurden zur Flucht gezwungen.
Zeitweise griff der Konflikt in Tschetschenien auch auf Dagestan über, wo Territorialansprüche seit den Deportationen bestehen. Zudem muss man sich die außerordentlich komplexe ethnische Gemengelage in Dagestan vergegenwärtigen, die immer wieder lokale Auseinandersetzungen provoziert.

Diese bis zum Krieg führenden Konflikte dürfen nicht vergessen lassen, dass auch die sowjetische Wirtschaftspolitik Konfliktpotentiale in Kaukasien schuf wie z. B. die Agrarkolonisation auf Kosten der früheren Wanderweidewirtschaft, die Wasserentnahme für große Bewässerungsprojekte, Bergbau mit unkontrollierter Einleitung belasteter Abwässer in den Baksan-Fluß, touristische Erschließung anstelle strikten Naturschutzes im Elbrusgebiet– zu Lasten der wieder dorthin zugewanderten Balkaren.

Avioutskii V. 2005: Géopolitique du Caucase. Paris. Beroutchachvili N., Radvanyi J. 1996 : Atlas géopolitique informatique du Caucase. Paris. Gvozdeckij N.A. 1963: Kavkaz. Očerk prirody. Moskva. Halbach U., Kappeler A. (Hg.) 1995: Krisenherd Kaukasien. Baden-Baden (= Nationen und Nationalitäten in Osteuropa 2). Lerch W.G. 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und Großmächte im Widerstreit. Hamburg. Meckelein W. 1998: Nordkaukasien. Eine landeskundliche Untersuchung, in Auszügen ausgewählt und annotiert von Jörg Stadelbauer. Stuttgart (=Stuttgarter Geographische Studien 127). Radvanyi J. 2000: La Nouvelle Russie. Paris. Stadelbauer J. 1996: Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Großraum zwischen Tradition und Wandel. Darmstadt.

(Jörg Stadelbauer)

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