Orthodoxie

Orthodoxie

Inhaltsverzeichnis

1 Begriffsdefinition und Überblick

Das aus dem Griechischen kommende Wort O. bedeutet wörtlich die „rechte Weise der Verehrung“ (im Gottesdienst) und setzte sich im kirchlichen Sprachgebrauch endgültig erst im 19. Jh. als strikt konfessioneller Fachterminus durch. Die orthodoxe Kirche im konfessionskundlichen Sinn versteht sich demnach als eine einzige Kirche, die sich in eine Vielzahl autokephaler (d. h. jurisdiktionell selbständiger, ein eigenes Oberhaupt besitzender) bzw. in manchen Fällen nur autonomer (d. h. selbständiger aber mit der Jurisdiktion einer anderen orthodoxen Kirche verbundener) Kirchen gliedert. Alle orthodoxen Kirchen anerkennen sieben ökumenische Konzilien, die zwischen 325 und 787 stattgefunden haben. Das heute für erforderlich gehaltene Zeichen ihrer Einheit manifestiert sich im gemeinsamen Glaubensbekenntnis, in der gemeinsamen Gottesdienstordnung (byzantinischer Ritus) und in der gemeinsamen kanonischen Kirchenordnung. Konzelebration von Bischöfen bzw. Priestern verschiedener Kirchen bei besonderen Anlässen gilt als sichtbare Bestätigung der Einheit. Folgende 16 autokephale bzw. autonome Kirchen sind Trägerinnen der sog. panorthodoxen Konferenzen: das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel; das Patriarchat von Alexandria; das Patriarchat von Antiochia; das Patriarchat von Jerusalem; das Patriarchat von Moskau (Russisch Orthodoxe Kirche); das Patriarchat von Belgrad (Serbisch Orthodoxe Kirche); das Patriarchat von Bukarest (Rumänisch Orthodoxe Kirche); das Patriarchat von Sofia (Bulgarische Orthodoxe Kirche); das Patriarchat von Georgien (Georgische Orthodoxe Kirche); die Kirche von Zypern; die Kirche von Hellas (Griechenland); die Kirche von Polen; die Kirche von Albanien; die Kirche von Tschechien und der Slowakei; die Kirche von Finnland; die Kirche von Estland. Aus unterschiedlichen Gründen können drei fest gefügte orthodoxe Kirchen nicht an den panorthodoxen Konferenzen teilnehmen und können daher nicht als kanonisch selbständig bezeichnet werden: die Orthodoxe Kirche in Amerika (eine seit über 200 Jahren in Amerika ansässige Kirche, die auf eine Mission durch die Russische Orthodoxe Kirche zurückgeht; sie ist nicht zu verwechseln mit den erst im 20. Jh. dort begründeten orthodoxen Gemeinschaften für Einwanderer); die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland (nach der russischen Revolution von 1917 aus der Emigration hervorgegangen und weltweit organisiert); die Makedonische Orthodoxe Kirche.

Der Überbegriff „Ostkirchen“ umfasst nicht nur die angeführten orthodoxen Kirchen, sondern auch die altorientalischen (sog. vorephesinische bzw. vorchalkedonische) Kirchen, die zwar z. T. den Ausdruck „orthodox“ in ihren offiziellen Namen führen, aber nicht in Kirchengemeinschaft mit der O. stehen, und weiters die katholischen Ostkirchen, die historisch aus den orthodoxen oder altorientalischen Kirchen stammen, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte eine Union mit der lateinischen (römisch-katholischen) Kirche eingegangen sind. Die Ostkirchen waren in altkirchlicher Zeit im Ostteil des Römerreiches beziehungsweise östlich des Reiches beheimatet, sind gegenwärtig aber – wie auch die lateinische (abendländische) christliche Tradition – weltweit verbreitet. Der Namensteil „Ost“ im Überbegriff hat also in erster Linie historischen Gehalt und bezeichnet die Herkunft der Traditionen; für die Gegenwart benennt er die Stammgebiete, nicht das Verbreitungsgebiet.

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2 Das Werden der Orthodoxie im europäischen Osten

Das Christentum verbreitete sich durch die Missionstätigkeit der jungen Kirche sehr rasch im Römischen Reich und östlich seiner Grenzen, wobei auf die unterschiedliche Kultur der Menschen an den verschiedenen Orten Rücksicht genommen wurde. Im Reich selbst entwickelte sich das Christentum aus diesen Gründen zweisprachig (griechisch/lateinisch) und mit verschiedenen lokalen ortskirchlichen Traditionen. Dennoch kam es zu einer allen Ortskirchen gemeinsame Ordnung der inneren Organisation mit je einem Bischof als Verantwortungsträger. Bischöfen bestimmter wichtiger Städte wurde zusätzlich eine besondere Verantwortung für die Ortskirchen einer ganzen Provinz übertragen. Solche Bischöfe nannte man in altkirchlicher Zeit Metropoliten. Bischöfe, die für mehrere Provinzen Mitsorge zu tragen hatten, nannte man Erzbischöfe, später wurde für sie die Bezeichnung Patriarchen üblich.

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2.1 Pentarchieordnung und ökumenische Konzilien

Nachdem das Christentum Staatsreligion des Römischen Reiches geworden war, griff die Staatsmacht zusehends in die kirchliche Organisation ein. Im 6. Jh. wurde unter Kaiser Justinian I. eine Kirchenordnung festgeschrieben, für die es die Bezeichnung „Pentarchieordnung“ gibt. Diese Ordnung sollte die Einheit der Einen Kirche in dem Einen Kaiserreich sicherstellen: Damals wurde für die Erzbischöfe von Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem die Titulatur „Patriarchen der Oikumene“ reserviert, wobei mit Oikumene die ganze zivilisierte Welt – und das waren in damaliger Sicht alle dem römischen Kaiserhaus unterstehenden Länder –bezeichnet wurde. Diese fünf Patriarchen sollten an der Spitze aller Ortskirchen ihres jeweiligen Amtsbereichs stehen und durch ihre Harmonie untereinander die Einheit der Kirche sicherstellen. Die Zahl Fünf war bei diesem Einheitskonzept nicht das Entscheidende; sie war Folge der vorangegangenen historischen Entwicklungen. Entscheidend war das durch eine Ehrenordnung klar geregelte Miteinander der Patriarchen der Oikumene. Bei Problemen zwischen diesen Patriarchaten konnte zur Klärung der Streitigkeiten ein ökumenisches Konzil einberufen werden, zu dem alle Bischöfe des Reiches geladen wurden. Ein solches Konzil berief erstmals Kaiser Konstantin 325 nach Nikäa ein, nachdem er 314 das Christentum zur erlaubten Religion machte und damit die Christenverfolgungen beendete, die noch unter seinem Vorgänger Diokletian große Opfer von der Kirche gefordert hatten. Die Freude der Bischöfe, nach der langen Zeit der Verfolgung erstmals offiziell und sogar mit Hilfe der kaiserlichen Infrastruktur eine Versammlung abhalten zu können, ließ den Kaisern diskussionslos das Recht zuwachsen, auch in Zukunft solche Konzilien einzuberufen. So sind alle sieben ökumenischen Konzilien, die von den griechisch geprägten und den lateinisch geprägten Kirchen gemeinsam gefeiert wurden, ohne Ausnahme durch die römischen Kaiser einberufen worden.

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2.2 Die zunehmende Entfremdung der Kirchen des Ostens und des Westens und das Werden voneinander getrennter christlicher Konfessionen

Als 797 die Kaisermutter Eirēnē ihren Sohn Kōnstantinos VI. (771– nach 797) absetzte und selbst die Regierung an sich riss, hielt man in Rom den Kaiserthron für vakant. Deshalb krönte Papst Leo III. (+ 816) den Frankenkönig Karl (747–814) im Jahr 800 zum römischen Kaiser, nachdem dieser der Stadt Rom jene Hilfe gegen die Langobarden gebracht hatte, auf die man aus Byzanz vergeblich gehofft hatte. Als in der Folge seitens Byzanz der in Aachen residierende Karl nicht als legitimer Römerkaiser anerkannt, Irene abgesetzt und ein neuer Kaiser proklamiert wurde, war das Reich fortan geteilt. Da beide Seiten beanspruchten, den einzigen rechtmäßigen Römerkaiser zu haben, gab es keine von beiden Seiten akzeptierte Instanz mehr, die eine Einladung zu einem gemeinsamen ökumenischen Konzil an die Bischöfe beider Seiten hätte aussprechen können. Die kirchliche Koordinatorrolle des Kaisers von Byzanz beschränkte sich fortan auf die östlichen Patriarchate. Im Westen übernahm der römisch-deutsche Kaiser diese Funktion, doch das Verhältnis von Staat und Kirche entwickelte sich im Westen zunehmend anders als im Osten: Im Investiturstreit gelang es dem römischen Patriarchat, sich vom römisch-deutschen Kaiser zu emanzipieren und die innerkirchliche Koordination selbst auszuüben.

An ein gemeinsames Konzil des Ostens und Westens war schon seit der Kaiserkrönung Karls nicht mehr zu denken. Das letzte von beiden Seiten anerkannte ökumenische Konzil fand 787 statt; die der Kaiserkrönung Karls des Großen folgende Reichsteilung beendete die Tradition der ökumenischen Konzilien, auf denen die – auch im 1. Jtsd. zahlreich auftretenden – Spannungen und temporären Schismen zwischen den östlichen und westlichen Kirchen jeweils bereinigt werden konnten. Kirchengeschichtliche Studien belegen, dass es in den 464 Jahren zwischen dem Beginn der Alleinherrschaft Konstantins (323) und dem siebten ökumenischen Konzil (787) zwischen Griechen und Lateinern fünf Schismen mit insgesamt 203 Jahren gegeben hat. Die Distanz und gegenseitige Entfremdung, die diese Schismen mit sich brachten, konnten bei den ökumenischen Konzilien jedes Mal überwunden werden. Das Wegfallen der Konzilien als Konfliktlösungsmechanismus musste nach 800 zu einer umso stärkeren Entfremdung der östlichen und westlichen kirchlichen Traditionsströme führen.

Im 9. Jh. kam es zu einem Konflikt zwischen Patriarch Photios von Konstantinopel (um 820– nach 886) und Papst Nikolaus I. (820–867). Ein polemischer Briefwechsel ist erhalten, in dem die Gebräuche des je anderen aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit zu den eigenen Gebräuchen scharf angegriffen werden. Photios wurde verurteilt (869/870). Zehn Jahre später (879/880) wurde er aber rehabilitiert, und man fand den Konsens, dass jeder Patriarchatssitz die alten Gewohnheiten seiner Überlieferung behalten solle, die Kirche von Rom ihre Gewohnheiten, die Kirche von Konstantinopel die ihren.

Man verstand also noch im 9. Jh., dass die Traditionen der vielen Ortskirchen von jeher verschieden waren und einander nicht unbedingt ausschließen, sondern die Einheit der Kirche in Vielfalt bereichern können. Spätestens durch die Ereignisse der Reformation im 16. Jh. geriet diese Sichtweise in Vergessenheit. Man meinte immer mehr, es habe nur eine Tradition (nämlich die je eigene) gegeben, von der sich die anderen irgendwann abgespalten haben. Bei der innerabendländischen Kirchenspaltung des 16. Jh. war es in der Tat so, dass zunächst eine lange gemeinsame Tradition bestanden hatte, die zu einem gewissen historischen Zeitpunkt auseinanderbrach. Das an den Ereignissen der reformatorischen Spaltungen orientierte Denkmodell wurde sukzessive auch auf das Verhältnis zwischen lateinisch-römischer und orthodoxer Kirche übertragen. Daher begann man für das Schisma mit den orthodoxen Kirchen einen Zeitpunkt zu suchen, zu dem ihre Abspaltung stattgefunden habe. Im 19. Jh. entdeckten die Historiker den Konflikt zwischen Papst Nikolaus und Photios und meinten, dies sei das Datum der Trennung zwischen Ost- und Westkirchen. Deshalb wurden im 19. Jh. die Orthodoxen auch oft Photianer genannt. Als die Historiker bemerkten, dass Photios sein Leben in Frieden mit Rom beschloss, suchte man – dem Denkmodell entsprechend – einfach ein neues Datum und fand es: 1054 als das Jahr des Schismas. Weil aber das Denkmodell für das Ost-West-Verhältnis falsch ist, stimmt dieses Datum als Zeitpunkt des Schismas auch nicht.

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1054 kam es zu bilateralen Gesprächen auf Delegationsebene. Der von Rom nach Konstantinopel entsandte Kardinal Humbert de Silva Candida und der damalige Konstantinopler Patriarch Michaēl I. Kerullarios scheiterten in ihren Verhandlungen und exkommunizierten den jeweils anderen. Diese Exkommunikation betraf nicht die lateinische und die griechische Kirche als Ganze, sondern nur die beiden Kirchenmänner und ihre Berater. Rund 900 Jahre später, zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils erklärten Papst Paul VI. (1897–1978) und der Konstantinopler Patriarch Athenagoras I. (1886–1972) gemeinsam, man wolle die Bannbullen von 1054 aus dem Gedächtnis der Kirchen tilgen.

Parallel zur Verschlechterung der Beziehungen im Mittelalter bemühte man sich gleichzeitig immer wieder, zu einer Aussöhnung zu gelangen: Bei den sog. Unionskonzilien von Lyon (1274) und Florenz (1438/39) kamen westliche und östliche Bischöfe erneut zusammen und erzielten die theologische Einsicht, dass die bestehenden Unterschiede der beiden Traditionen nicht Kirchen trennend seien, sondern nur andere Ausdrucksformen für denselben Glaubensinhalt darstellen. Doch es kam nicht zur breiten praktischen Umsetzung der Konzilsbeschlüsse, und die beiden Konzilien gelten in der O. nicht als ökumenisch.

Durch den Fall Konstantinopels (1453) und das Aufkommen der Reformation im Abendland im 16. Jh. hatten die Kirchen des Ostens und des Westens der frühen Neuzeit im je eigenen Bereich mit völlig unterschiedlichen Problemstellungen zu ringen, was Theologie und die Beziehungen zwischen Kirche und Staat betrifft, sodass die je andere Tradition immer mehr aus dem Blickfeld geriet. Im Abendland entstand durch die Ereignisse der Reformation die Kontroverstheologie, die in Rom sukzessive zu einem ekklesiologischen Umdenken führte. Man verlernte, dass die Funktionen des Bischofs von Rom als Patriarch des Abendlandes einerseits und als Papst der Gesamtkirche andererseits unterschieden werden müssten. Das Nicht-Unterscheiden dieser zwei Funktionen wurde noch zusätzlich gefördert, als durch die koloniale Expansion des Abendlandes das Christentum lateinischer Prägung und somit das Patriarchat des Abendlandes zu einem weltweiten wurde.

Als einzelne östliche Kirchen im 16. und 17. Jh. in Rom um Wiederaufnahme der Sakramentalgemeinschaft ansuchten, weil sie in Anlehnung an das Florentiner Konzil verstanden hatten, dass es keinen triftigen theologischen Grund gab, weiterhin getrennt zu sein, führten die oben angeführten Umstände dazu, dass man in Rom diese Ansuchen als Bitte um Eingliederung in die römische Kirche (also ins römische Patriarchat) missverstand. Die Kirchen, die um Wiederaufnahme der Sakramentalgemeinschaft ansuchten, hatten beabsichtigt, die Trennung von Rom mit einer Union zu beenden und gleichzeitig mit den östlichen Schwesterkirchen verbunden zu bleiben. Faktisch kam es aber nur zu einer Verschiebung des Grabens, da sich nie alle Gläubigen einer östlichen Kirche der Union mit Rom anschlossen und der Riss zwischen Anhängern und Gegnern der Union umso schmerzlicher empfunden wurde.

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In Gebieten, in denen es seit dem Ende des 16. Jh. zu Unionen gekommen war, war es zu Beginn des 18. Jh. nicht unüblich, dass Gläubige bald in einer unierten Kirche, bald in einer nichtunierten Kirche die Liturgie mitfeierten, die ja hier wie dort die gleiche, nämlich die byzantinische war. In dieser Zeit setzte sich bei katholischen Theologen immer mehr die Überzeugung durch, dass überall dort, wo Christen nicht mit dem Papst in Gemeinschaft stehen, Sakramente zwar gültig, aber doch illegitim gespendet werden. Diese Sichtweise wurde von einigen katholischen Geistlichen in den unierten Gebieten geteilt, von anderen wiederum nicht. So entbrannte zwischen ihnen ein Streit, ob man die Praxis der Gläubigen, bald hier bald dort Gottesdienst mitzufeiern, strikt verbieten müsse, oder ob man es bei dieser Praxis belassen könne. Die römische Kongregation für die Glaubensverbreitung, die für die pastorale Tätigkeit in diesen Gebieten zuständig war, intervenierte mehrfach erfolglos, bis sie sich 1729 genötigt sah, die Sache ein für allemal dadurch zu klären, dass sie die gemeinsame Feier der Sakramente (›communicatio in sacris‹) mit Nichtunierten verbot. Dieses Verbot bestätigte diejenigen Theologen, die Zweifel an der vollen Kirchlichkeit der Orthodoxie hegten. Mit der Logik, der diese Entscheidung zugrunde lag, gingen die Geistlichen der unierten Kirchen daran, ihre Gläubigen strikt von der Gemeinschaft mit den Nichtunierten abzuhalten, und es entstand ein Konkurrenzkampf zwischen den Geistlichen der unierten Kirchen und den orthodoxen Geistlichen um die Gläubigen, oft aus echter pastoraler Sorge, da man nun meinte, die Kirchenzugehörigkeit entscheide über das Seelenheil.

1755 kam die offizielle Reaktion der orthodoxen Seite: Die Patriarchen von Konstantinopel, Alexandria und Jerusalem versammelten sich und verurteilten die Katholiken als Häretiker und bestimmten bezüglich der Katholiken und etwaiger Konvertiten aus der abendländischen Kirche: „...wir verwerfen diese in gemeinsamem Beschluss, und wir nehmen die Konvertiten, die zu uns kommen, als Ungeheiligte und Ungetaufte auf...“. Der Patriarch von Antiochia akzeptierte kurz darauf diese Entscheidung auch für sein Patriarchat; nur die russische Kirche weigerte sich, in diese Totalverurteilung der abendländischen Kirche ein¬zustimmen. 1757 verfügte die russische Kirche, dass Konvertiten aus der katholischen Kirche, die das Firmsakrament bereits empfangen haben, ohne neuerliche Myronsalbung und erst recht ohne neuerliche Taufe aufzunehmen seien.

Erst in dieser Zeit setzte sich bei der breiten Mehrheit der Christen die Auffassung durch, dass es nebeneinander eine katholische und eine orthodoxe Kirche gibt, die nicht gemeinsam die eine Kirche Christi sind.

Für die katholische Seite hat das II. Vatikanische Konzil diese Engführung der ekklesiologischen Sichtweise beendet und im Ökumenismusdekret (Art. 14) deutlich gemacht: „Das von den Aposteln überkommene Erbe aber ist in verschiedenen Formen und auf verschiedene Weise übernommen, und daher schon von Anfang an in der Kirche hier und dort verschieden ausgelegt worden, wobei auch die Verschiedenheit der Mentalität und der Lebensverhältnisse eine Rolle spielten.“ Es ist dies ein Plädoyer für die legitime Vielfalt der lokalen kirchlichen Traditionen, die alle zusammen in die reiche Tradition der Christenheit gehören. Damit wird die Tatsache gewürdigt, dass die Apostel und ihre Nachfolger beim Verkünden der frohen Botschaft die Menschen je „dort abzuholen“ hatten und haben, wo sie stehen. Man hat wiederentdeckt, dass die junge Kirche die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten von Anfang an berücksichtigt hat, damit die Frohbotschaft bei den Menschen unterschiedlicher Länder, Sprachen und Kulturen auf fruchtbaren Boden falle.

Als Papst Paul VI. am 25.07.1967 dem Patriarchen von Konstantinopel einen Besuch abstattete, konnte er folgerichtig von „Schwesterkirchen“ sprechen: „Dieses Leben als Schwesterkirche haben wir während Jahrhunderten gelebt ... Jetzt, nach einer langen Periode der Spaltung und des gegenseitigen Unverständnisses, schenkt uns der Herr, uns als Schwesterkirchen wiederzuentdecken.“

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2.3 Die Vermehrung kirchenrechtlich eigenständiger (autokephaler) Kirchen und Patriarchate im europäischen Osten

Neben den bestehenden sog. „griechischen“ Patriarchaten Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem erlangte die Kirche von Zypern auf dem Konzil von Ephesos 431 Unabhängigkeit von der antiochenischen Kirche.

Aus dem Konstantinopeler Patriarchat entsandte Missionare bemühten sich seit dem 9. Jh. (z. T. in einem Wettstreit mit Rom) um die Christianisierung in den von Slawen besiedelten Gebieten auf dem Balkan und verbreiteten das byzantinisch geprägte Christentum seit dem 10. Jh. erfolgreich unter den slawischen Völkern. Die christianisierten Reiche und neu gegründeten Diözesen wurden dem Patriarchen von Konstantinopel als oberster Instanz unterstellt. Doch gab es in Bulgarien, Serbien und den Fürstentümern der Rus immer wieder Tendenzen zu größerer Autonomie gegenüber ihrer Mutterkirche. Aufgrund der politischen Konstellation im Mittelalter konnten die Erstbischöfe der Serben und der Bulgaren zeitweise ein besonderes Maß an Autonomie erlangen und (bisweilen) auch den Patriarchentitel führen, ohne die Zahl der alten fünf Patriarchate der Oikumene zu vermehren: Es handelt sich um das sog. Patriarchat von Peć (serbische Tradition) und das Erzbistum Ohrid (bulgarische Tradition). Eine in der Literatur immer wieder vorzufindende Rückdatierung der Autokephalie dieser beiden Kirchen ins Mittelalter basiert also auf einer kirchlichen Autonomie, die wirklich Bestand gehabt hatte. Doch die damaligen Verhältnisse können nicht mit der Rechtslage gleichgesetzt werden, die für diese Kirchen seit dem 19. bzw. 20. Jh. gilt, als sie zu autokephalen Kirchen und schließlich zu Patriarchaten im vollen Sinn erhoben wurden.

Als die Osmanen 1453 Konstantinopel eroberten, fiel der byzantinische Kaiser nun auch als innerkirchlicher Koordinator der östlichen Patriarchate aus. Der Sultan setzte für die Christen in seinem Herrschaftsgebiet den Patriarchen von Konstantinopel zum Ethnarchen ein, der neben seinen geistlichen Aufgaben nun auch in zivilrechtlichen Belangen für die christlichen Untertanen des osmanischen Reiches zuständig und den Staatsbehörden gegenüber verantwortlich wurde. Dieses System (›millet‹), verquickte weltliche und kirchliche Angelegenheiten noch enger, als es in byzantinischen Zeiten im christlichen Osten bereits üblich war, und die Klerikerlaufbahn wurde bisweilen um der damit verbundenen politischen Karriere willen interessant.

Die Rolle der Zaren und der Aufstieg Moskaus zur Großmacht führten dazu, dass 1448 die Ernennung des Metropoliten in der russischen Kirche eigenständig und ohne Mitwirkung Konstantinopels erfolgte. 1459 erklärte Moskau offiziell seine Unabhängigkeit von der Konstantinopler Mutterkirche. 130 Jahre später trug das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel den Entwicklungen Rechnung und errichtete formell (1589) ein russisches orthodoxes Patriarchat mit Sitz in Moskau, was durch die Synoden der orientalischen Patriarchate von 1590 und 1593 bestätigt wurde.

Am Ende des 18. Jh. waren die „griechischen Kirchen“, wie sie um diese Zeit in den Quellen alle zusammen üblicher Weise bezeichnet wurden, in drei multinationalen Reichen beheimatet, nämlich im Osmanenreich, im Zarenreich und im Habsburgerreich. Nur die georgische (und – in gewissem Sinn – die montenegrinische) Kirche standen außerhalb dieser Reiche.

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Im Osmanenreich galt auch noch Ende des 18. Jh. das „Millet-System“. Der Konstantinopler Patriarch war staatsrechtlich allen orthodoxen Untertanen des Osmanenreiches übergeordnet. Dass die Patriarchen von Alexandria, Antiochia und Jerusalem sowie die Erzbischöfe von Zypern und vom Sinai laut Kirchenordnung selbständig waren, war für die osmanischen Behörden staatsrechtlich nicht weiter von Belang. Einzige Ausnahme: die Kirche von Zypern. Seit 1660 war der Erzbischof von Zypern Ethnarch für die Orthodoxen der Insel. Kirchlich gesehen blieben diese Kirchen formell unabhängig. Da sie aber allen Verkehr mit der Hohen Pforte über Vermittlung des Konstantinopler Patriarchen abwickeln mussten, hatte er im 18. und bis zur Mitte des 19. Jh. de facto auch weitreichenden Einfluss auf die inneren kirchlichen Angelegenheiten dieser Kirchen.

Die letzten Spuren der serbischen und der bulgarischen Autonomie des Mittelalters, nämlich die autonomen Kirchenbezirke des Patriarchen von Peć und des Erzbischofs von Ohrid, die seinerzeit keinen Eingang ins Pentarchiesystem gefunden hatten, wurden 1766 bzw. 1767 vom Konstantinopler Patriarchen beseitigt. Beide Sitze sind damals dem Patriarchat von Konstantinopel unmittelbar unterstellt worden. Im Zarenreich wurde das 1589 errichtete Moskauer Patriarchat von Zar Pëtr I. abgeschafft. Die russische Kirche geriet damals unter strengste Staatsaufsicht. Schon bei den Teilungen Polens wurde deutlich, dass die russische Regierung gewillt war, die Einheit und Einheitlichkeit der orthodoxen Kirche des Zarenreiches dadurch zu sichern, dass sie bei jeder Erweiterung des Reiches die orthodoxen Gläubigen, die nunmehr zu russischen Untertanen wurden, ohne Rücksichtnahme auf ihre bisherige kanonische Zugehörigkeit der russischen Kirche unterstellte. Auch für die mit Rom unierten Gläubigen, die aufgrund der geopolitischen Veränderungen dem Zarenreich eingegliedert wurden, war die russische Regierung bestrebt, sie der russischen orthodoxen Kirche zuzuführen. Erst auf dem russischen Landeskonzil von 1917/18 konnte das von Pëtr I. abgeschaffte Patriarchat wiedererrichtet werden.

Im Habsburgerreich bestand am Ende des 18. Jh. für die dort lebenden Orthodoxen Religionsfreiheit. 1691 war Patriarch Arsenije III. von Peć (1633–1706) an der Spitze serbischer Einwanderer nach Österreich gekommen. Den einwandernden Serben war Autonomie als Volksgruppe zugesichert worden, was ein Anrecht auf eigene Gottesdienststätten und auf Gründung von Schulen einschloss. Mit dieser Zusicherung an die Serben war eine Rechtsgrundlage für öffentliches orthodoxes Kirchenwesen im österreichischen Staatsgebiet gegeben. Für den Sitz von Peć, den Arsenije verlassen hatte, wurde unter osmanischer Hoheit zwar ein anderer Patriarch installiert, als aber Arsenije starb, war man dort damit einverstanden, dass das Nationalkonzil der in Österreich lebenden Serben selbständig ein neues Oberhaupt wählte. Man kann also sagen, dass die auf diese Weise nach Österreich eingewanderte orthodoxe Kirche hier gewissermaßen autokephalen Status erlangte. Der (serbische) Erzbischof, der in Karlowitz residierte, führte gelegentlich auch den Titel eines Patriarchen und war im Lauf des 18. Jh. durch die österreichischen Behörden zum gemeinsamen Oberhaupt aller orthodoxen Christen der Monarchie gemacht worden.

Die georgische Kirche – auf altkirchliche Mission zurückgehend – hatte ursprünglich enge Beziehungen zur armenischen Kirche und dürfte zunächst zusammen mit dieser der vorchalkedonensischen theologischen Tradition gefolgt sein. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt wandte sie sich von den Armeniern ab, richtete sich auf die Kirche des Byzantinischen Reiches aus und übernahm die chalkedonensische Theologie. Wie die Patriarchate von Alexandria, Antiochia und Jerusalem nahm sie später auch den byzantinischen Ritus an und begegnet uns am Ende des 18. Jh. als eine eigenständige Kirche byzantinischer Tradition, deren Ersthierarch den Titel ›Katholikos‹ bzw. Patriarch führt.

Montenegro war 1528 formell dem osmanischen Reich einverleibt worden, doch häufige Aufstände machten diese Zugehörigkeit zweifelhaft. 1697 übernahm Metropolit Danilo I. Petrović Njegoš von Cetinje (1670–1735) die Herrschaft über Montenegro und erlangte aufgrund eines Bündnisses mit Russland und Österreich auch formell eine relative Unabhängigkeit. 1851 wurde Montenegro schließlich offiziell als erbliches Fürstentum anerkannt. Der Herrscher verzichtete damals auf die Metropolitenwürde; seither amtierte ein Bischof neben ihm. 1878 anerkannte der Berliner Kongress die montenegrinische Souveränität. Von alters her war angesichts der staatlichen Rechte des Metropoliten die kirchliche Autonomie Montenegros ein Faktum, obgleich es für sie keine formelle Zuerkennung gab. Sie blieb erhalten, bis die orthodoxe Kirche Montenegros 1920 in die serbische Kirche eingefügt wurde.

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Im Schematismus des Ökumenischen Patriarchats von 1855, den Nikodim Milaš (1845–1915) in seinem 1905 in deutscher Sprache erschienenen „Kirchenrecht der morgenländischen Kirche“ zitierte, werden zehn autokephale Kirchen genannt: die Kirche von Konstantinopel, die Kirche von Alexandria, die Kirche von Antiochia, die Kirche von Jerusalem, die Kirche von Zypern, die Kirche von Russland, die Kirche von Karlowitz, die Kirche von Sinai, die Kirche von Montenegro, die Kirche von Griechenland. Die oben genannten Kirchen von Georgien und Montenegro sind in diesem Verzeichnis nicht zu finden, da ihre Autonomie keinen formellen Charakter hatte.

Da der Patriarch von Konstantinopel im Osmanischen Reich für die Orthodoxen auch zivilrechtliches Oberhaupt war, wurde seine Zuständigkeit dort unerwünscht, wo man durch nationalstaatliche Erhebungen und Revolutionen Souveränität erlangt hatte. Das Schrumpfen des Osmanenreiches im 19 Jh. führte auch zu einer Verkleinerung des Ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel, da die neu gegründeten Nationalstaaten nicht indirekt über die Kirche dem Sultan verbunden bleiben wollten. Die Kirchen der neuen Staaten erklärten ihre Unabhängigkeit von Konstantinopel, die ihnen in den meisten Fällen auch seitens des Patriarchates relativ rasch zugestanden wurde. Denn auch der Patriarchatsleitung konnte nicht an ihrer weiteren Zuständigkeit gelegen sein, da sie möglicherweise für anti-osmanische Vorkommnisse in den neuen Staaten verantwortlich gemacht worden wäre.

In Griechenland führte die Revolution von 1821 zur Gründung eines eigenen Staates; 1833 erklärte die Kirche von Griechenland ihre Autokephalie; 1850 verlieh das Patriarchat von Konstantinopel ihr diesen Status formell. Als durch die Balkankriege das griechische Staatsgebiet verdoppelt wurde, wurden auch diese sog. Neuen Länder 1928 verwaltungsmäßig der autokephalen Kirche Griechenlands unterstellt; geistlich blieben sie beim Ökumenischen Patriarchat. Die Kirche auf Kreta erhielt 1900 einen semiautonomen Status.

Seit 1833 behaupteten auch die Serben ihre Autonomie; die Zuerkennung der Selbständigkeit an die serbische Kirche erfolgte 1879.

Als 1859 Rumänien durch die Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei entstanden war, beanspruchte 1865 auch die dortige Kirche die Autokephalie und erhielt sie 1885 zugesprochen.

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Auch die Bulgaren machten 1870 den Versuch, für ihre Kirche eine Selbständigkeit zu erlangen, obwohl sie zunächst im Osmanenreich verbleiben wollten. Dem Ansinnen, ihnen trotz Verbleibens im selben Staat eigene Kirche und Millet zuzuerkennen, widersetzte sich das Konstantinopler Patriarchat entschieden, und nicht einmal dann, als die Bulgaren noch im 19. Jh. staatliche Eigenrechte erlangten, war man in Konstantinopel zur Gewährung der Autokephalie bereit. Die „bulgarische Frage“ blieb bis nach dem Zweiten Weltkrieg offen. Dann erst wurde der Bulgarischen Orthodoxen Kirche die Autokephalie kanonisch zuerkannt.

1924 wurde der Orthodoxie in Polen die Autokephalie verliehen; 1937 der orthodoxen Kirche in Albanien. 1923 erhielten die orthodoxe Kirche von Tschechien und der Slowakei und die Kirche von Finnland autonomen Status, ebenso die Kirche von Estland, die aufgrund der politischen Umstände 1945 dem russischen Patriarchat einverleibt wurde. 1996 hat das Patriarchat von Konstantinopel die Autonomierechte der estischen Kirche erneuert, was zu Spannungen mit dem Moskauer Patriarchat geführt hat. Die Autokephalie der georgischen Kirche wurde seitens des Moskauer Patriarchats 1942 anerkannt, seitens des Konstantinopler Patriarchats erst 1990.

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3 Die Entfaltung der orthodoxen Theologie

Spätestens in der Folgezeit des Konzils von Chalkedon (451) entwickelte sich Konstantinopel zum wichtigsten Kulturzentrum der Christenheit und blieb dies die ganze Spätantike hindurch bis zum Frühmittelalter. Die geistige Führungsrolle der Stadt bekam erst mit der im Westen aufkommenden Scholastik Konkurrenz. Die Ereignisse der Kreuzfahrerzeit führten schließlich zur Umgewichtung dieser Rolle Richtung Westen. Höhepunkte der theologischen Entfaltung während der kulturellen Blütezeit Konstantinopels waren die sieben ökumenischen Konzilien. Wie der dogmatische Beschlusstext des 451 gefeierten Konzils von Chalkedon ausdrücklich darlegt, führten die damals versammelten Väter jene Lehre weiter, die in den dogmatischen Entscheidungen der Konzilien von Nikäa (325), von Konstantinopel (381) und von Ephesos (431) dargelegt wurde. Die nachfolgenden Konzilien von Konstantinopel (553 und 680/81) und von Nikäa (787) brachten Weiterführungen dessen, was in Chalkedon ausgesprochen ist.

Ein wesentlicher Bestandteil der orthodoxen Theologie und Spiritualität ist der Hesychasmus. Er ist im Grunde eine spirituelle Bewegung, die weit in die Spätantike zurückreicht und gilt als die wichtigste geistliche Strömung im byzantinischen Mönchtum. Als die Mönche des heiligen Berges Athos aus einem apologetischen Bedürfnis heraus eine spekulative Theologie entwickelten, nämlich den Palamismus, war der Hesychasmus bereits ca. 1000 Jahre alt. Mit dieser Theologie sollte die hesychastische Strömung gerechtfertigt werden, als aus Süditalien stammende und von der Scholastik geprägte Griechen zum Athos kamen und spekulative Bedenken gegen die hesychastisch geprägte Frömmigkeit der dortigen Mönche vorbrachten. Gregorios Palamas (1296/97–1359) verteidigte diese Art der Frömmigkeit. Aufgrund der Herkunft seiner Gegner ist verständlich, dass seine Verteidigung einen antischolastischen Zug trägt. Noch zu Lebzeiten von Palamas wurde seine Lehre von der Synode von Konstantinopel sanktioniert.

Nach dem Fall Konstantinopels verloren die Griechen ihre höheren Bildungsstätten, und die theologischen Studien gerieten in Verfall. Mit dem Niedergang Konstantinopels fiel die kulturelle Führung endgültig ans Abendland.

V. a. den Rumänen, die im 16. Jh. im Grenzgebiet zwischen Griechen und Lateinern lebten und dort das einzige orthodoxe Volk mit einem Fürsten gleichen Glaubens waren, fiel die Aufgabe zu, den orthodoxen Glauben zu verteidigen, als es zu den durch die Reformation und alsbald auch durch die Gegenreformation hervorgerufenen Umbrüchen in der westlichen Theologie kam. Es galt, nun auch Stellung zu Glaubensfragen zu beziehen, die in der Zeit der Kirchenväter kein Thema waren und erst jetzt aufgeworfen wurden. Gegen Ende des 17. Jh. gelang den Griechen ein Neuaufbruch der theologischen Studien. Viele wesentliche Impulse gab der damalige Patriarch von Jerusalem Dositheos (1641–1707).

Seit dem 18. Jh. sind zumindest drei Hauptströmungen in der orthodoxen Theologie zu unterscheiden: Einmal eine gegen das Abendland skeptische Tendenz, die in der Erklärung der griechischen Patriarchen von 1755 gipfelte, in der sie die Sakramente der Lateiner verwarfen und bestimmten, künftig Konvertiten aus der abendländischen Kirche als Ungeheiligte und Ungetaufte aufzunehmen. Die zweite Tendenz manifestiert sich in der damaligen Weigerung der russischen Kirche, in diese Totalverurteilung einzustimmen. Die dritte Strömung ist die zunächst v. a. auf rumänischem Boden erwachsene ernsthafte Auseinandersetzung mit neuen theologischen Fragestellungen, die einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung der orthodoxen Theologie beigetragen hat.

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4 Innerorthodoxer Dialog

Durch den Wegfall des Kaisers als innerkirchlicher Koordinator 1453 und die Vermehrung der autokephalen orthodoxen Kirchen in der Neuzeit wurde es für die orthodoxen Kirchen im 20. Jh. besonders dringlich, Wege zu finden, die ein gemeinsames Handeln als die eine orthodoxe Kirche möglich machen. In einer Enzyklika von 1902 wandte sich der Konstantinopler Patriarch „an alle orthodoxen Landeskirchen“, und spätestens dieser Zeitpunkt markiert den Beginn der synodalen Bewegung innerhalb der Gesamtorthodoxie, die sich schon Ende des 19. Jh. abzuzeichnen begann. 1923 kam es zu einem Panorthodoxen Kongress in Konstantinopel, auf dem bereits der Plan eines künftigen Panorthodoxen Konzils ventiliert wurde. 1930 trat in diesem Sinn eine Vorbereitungskommission im Kloster Vatopedi auf dem heiligen Berg Athos zusammen; 1936 folgte ein erster Theologen-Kongress in Athen. Der Zweite Weltkrieg und auch innerkirchliche Schwierigkeiten verhinderten in den nächsten Jahren das Zustandekommen eines Konzils. Das Engagement des Patriarchen Athenagoras I. von Konstantinopel in den fünfziger Jahren des 20. Jh. führte zu drei Panorthodoxen Treffen auf Rhodos (1961, 1963, 1964), wo ein vorläufiger Themenkatalog für ein künftiges Konzil erstellt wurde. Bei einer vierten Panorthodoxen Konferenz, die 1968 im Orthodoxen Zentrum des Ökumenischen Patriarchats in Chambésy stattfand, wurden ein Sekretariat für die Vorbereitung des Heiligen und Großen Konzils und eine Interorthodoxe Vorbereitungskommission gegründet, die in der Folge in vier Vorkonziliaren Panorthodoxen Konferenzen große Vorarbeiten auf dem Weg zum Konzil leisteten. Neben dringlichen pastoralen Fragen wurden auch wichtige Themen der Kirchenverwaltung wie etwa die Lage der Orthodoxie in der Diaspora oder die Vorgehensweise beim Proklamieren der Autokephalie diskutiert.

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5 Dialog der Orthodoxie mit anderen Konfessionen

Da die bestehenden Kirchenspaltungen in der Regel wegen zweiseitiger Probleme ausgebrochen sind, werden von den christlichen Konfessionen neben multilateralen Dialogen vorzugsweise bilaterale Dialoge zwecks Bereinigung der Streitigkeiten geführt. Der 1948–72 regierende Konstantinopler Patriarch Athenagoras prägte für diese Gespräche die Bezeichnung „Dialog der Wahrheit“ und betonte immer wieder, dass ihm ein „Dialog der Liebe“ vorausgehen und ihn begleiten müsse. Der „Dialog der Liebe“ ist das ausdrückliche Bemühen zweier Kirchen, ihr gegenseitiges Verhältnis zu entkrampfen und die Spannungen zu vermindern, damit neue wechselseitige Zuneigung aufblühe. Bei großer Ähnlichkeit mit dem, was in der Politik „vertrauensbildende Maßnahmen“ genannt wird, ist es dennoch mehr als das; es ist echte ekklesiologische Notwendigkeit, denn nach christlicher Überzeugung können nur jene, die lieben, auch die Wahrheit erkennen.

Der Beginn des „Dialogs der Wahrheit“ zwischen der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche und die Einsetzung der „Internationalen Gemischten Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der Römisch-Katholischen und der Orthodoxen Kirche“ wurde bekannt gegeben, als Papst Johannes Paul II. den Ökumenischen Patriarchen am Andreasfest (30. November/Patronatsfest des Ökumenischen Patriarchats) 1979 in dessen Bischofsstadt besuchte.

Bis 2000 führte diese Dialogkommission acht Vollversammlungen durch: 1980 auf Patmos und Rhodos (Gastgeber: Ökumenisches Patriarchat); 1982 in München (Gastgeber: Erzbistum München-Freising); 1984 auf Kreta (Gastgeber: semiautonome Kirche von Kreta); 1986/87 in Bari (Gastgeber: Erzbistum Bari-Bitonto); 1988 im finnischen Kloster Valamo (Gastgeber: Orthodoxe Kirche von Finnland); 1990 in Freising (Gastgeber: Erzbistum München-Freising); 1993 in Balamand im Libanon (Gastgeber: Patriarchat von Antiochia); 2000 in Emmitsburg bzw. Baltimore (Gastgeber: Erzbistum Baltimore) – und veröffentlichte zukunftsweisende Dokumente mit offiziellem Charakter.

Bilaterale Dialoge führen die orthodoxen Kirchen weiters mit den Lutheranern, den Reformierten, den Altkatholiken, den Anglikanern, den altorientalischen Kirchen, den Methodisten und den Baptisten. Das Ökumenische Patriarchat und die Kirchen von Zypern und Griechenland zählen zu den Gründungsmitgliedern des Ökumenischen Rates der Kirchen.

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6 Struktur und Aufbau einer orthodoxen Kirche

Eine orthodoxe Kirche ist gewöhnlich geostet, d. h. von West nach Ost ausgerichtet. Ausnahmen gibt es nur, wenn aufgrund der räumlichen Gegebenheiten
Kirchengrundriss
eine Ausrichtung nach Osten nicht möglich ist. Grundsätzlich sind die byzantinischen Kirchen der Tradition der konstantinischen Basiliken treu geblieben und haben sich in der Regel an das Vorbild der Hagia Sophia in Konstantinopel (Weihe: 537) gehalten. Für gewöhnlich ist der Zentralbau in drei große Teile gegliedert: Narthex (Vorhalle), Naos (Kirchenschiff) und Heiligtum (Altarraum).

Der Narthex bildet die Vorhalle der Kirche; dieser Raum war ursprünglich für die Katechumenen und Büßer bestimmt. Oft befindet sich in diesem Raum das Taufbecken.

Das Schiff bildet den zentralen Teil der Kirche und ist für die Gläubigen bestimmt. Es ist oft mit einer oder mehreren Kuppen bedeckt.

Der Altarraum ist der wichtigste Teil der Kirche, ein heiliger Ort, der nur von Geweihten und ihren Helfern bei den Gottesdiensten betreten werden darf. In seiner Mitte steht der Altar. Der Altar selbst ist oft von einem von vier Säulen getragenen Baldachin überwölbt.

Aus den ursprünglichen Altarschranken entwickelte sich die Ikonostase (Bilderwand). Von abendländischen Christen wird sie oft als „Mauer“ empfunden, die den Altarraum vom Gläubigenraum trennt. In orthodoxer Tradition wird sie aber als Verbindungsglied verstanden, denn sie verbindet den Altarraum, der den himmlischen Bereich symbolisiert, mit dem Kirchenschiff, das für den irdischen Bereich steht: Die auf ihr abgebildeten Heiligen (und natürlich Christus und die Gottesmutter in herausragender Weise) sind Mittler zwischen Himmel und Erde. Die Ikonostase ist meist mit drei Türen versehen: In der Mitte befindet sich die
Ikonostase
zweiflüglige Königstür. Durch sie kommt Christus in der Gestalt des Wortes und der eucharistischen Gaben. Deshalb darf sie ausschließlich von höheren Klerikern und nur während der liturgischen Handlungen durchschritten werden. Links davon ist die Nordtür, rechts die Südtür. Auf der Ikonostase findet sich ein relativ festgelegtes Programm von bestimmten Ikonendarstellungen: auf der königlichen Tür die Darstellung der Verkündigung und der vier Evangelisten; rechts von der Tür Christus, links die Gottesmutter Maria mit Kind; über der Mitteltür die Darstellung des Letzten Abendmahles; auf den Seitentüren sind meistens Erzengel oder Diakone dargestellt. Die weiteren Ikonen können variieren, wobei in der untersten Reihe fast immer auch der Kirchenpatron oder die Festtagsikone des jeweiligen Patroziniums dargestellt ist. Das weitere Bildprogramm auf der Ikonostase hängt weitgehend von den räumlichen Verhältnissen der jeweiligen Kirche ab. So kann es in sehr hohen Kirchen nach der Darstellung der Hauptfeste und der Reihe der Apostel noch weitere Reihen mit Propheten und Vorvätern geben.

In der Mitte der Apsis im Altarraum steht auf einer Erhöhung der Bischofsstuhl – das Symbol des Thrones, auf dem Christus, der Pantokrator, selbst unsichtbar sitzt. Auf der linken Seite hinter der Nordtür befindet sich der Rüsttisch (Prothesis), auf dem die Vorbereitung der Gaben (Proskomidie) für die hl. Liturgie vollzogen wird. Auf der rechten Seite ist das Diakonikon (Sakristei), wo die liturgischen Geräte und Gewänder aufbewahrt werden. Dort wird auch die entsprechende gottesdienstliche Kleidung angelegt.

Die Ausmalung des Gläubigenraums unterliegt gewissen Regeln, die für orthodoxe Kirchen verbindlich sind, oft aber von den Freskenmalern nach den lokalen Traditionen etwas variiert wurden. Die Grundlagen sind eine horizontale und eine vertikale Hierarchie. In der vertikalen Ordnung dominiert in der Kuppel die himmlische Sphäre: Christus der Pantokrator, die obersten Engel und die Propheten im Tambour der Kuppel. In der zweiten Ebene oft eine Darstellung der so genannten Apostelkommunion, ein gleichsam himmlisches Abbild von dem, was unten im Kirchenraum im Rahmen der heiligen Liturgie vollzogen wird. In den Eckzwickeln finden wir fast immer Darstellungen der vier Evangelisten mit ihren Symbolen.

Im Kirchenschiff selbst dominieren szenische Darstellungen aus dem Leben Jesu und Marias, wobei sich die Anordnung der Darstellungen wie bei den Festtagsikonen auf der Ikonostase am orthodoxen Festzyklus orientiert. An der Westempore findet sich oft die Darstellung der Entschlafung der Gottesmutter Maria (Festtag: 15. August). In der Vorhalle wird traditionell das Jüngste Gericht abgebildet, um dem Besucher vor Augen zu halten, was auf dem Spiel steht und um ihn zu einer entsprechenden Lebensgestaltung zu animieren.

Bremer Th., Oeldemann J., Stoltmann D. (Hg.) 1999: Orthodoxie im Dialog – Bilaterale Dialoge der orthodoxen und der orientalisch-orthodoxen Kirchen 1945–97. Eine Dokumentensammlung. Trier. Bryner E. 1996: Die Ostkirche vom 18.–20. Jahrhundert, Leipzig. Bulgakov S. 1996: Die Orthodoxie. Die Lehre der orthodoxen Kirche. Trier. Congar Y. 1959: Zerrissene Christenheit. Wo trennten sich Ost und West? Wien. Döpmann H.-D. 1991: Die orthodoxen Kirchen. Berlin. Felmy K. Chr. 1990: Die orthodoxe Theologie der Gegenwart. Eine Einführung. Darmstadt. Nyssen W., Schulz H.-J., Wiertz P. (Hg.) 1984–97: Handbuch der Ostkirchenkunde. 3 Bde. Düsseldorf. Podskalsky G. 1988: Griechische Theologie in der Zeit der Türkenherrschaft (1453–1821). Die Orthodoxie im Spannungsfeld der nachreformatorischen Konfessionen des Westens. München. Rappert W. N. (Hg.) 2003: Kirche in einer zueinander rückenden Welt. Neuere Aufsätze von Ernst Christoph Suttner zu Theologie, Geschichte und Spiritualität des christlichen Ostens. Würzburg. Suttner E. Chr. 2002, Das wechselvolle Verhältnis zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens im Lauf der Kirchengeschichte. Fribourg. Thon N. 1983: Quellenbuch zur Geschichte der Orthodoxen Kirche. Trier.

(Wolfgang N. Rappert)

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