Athos
Athos (griech. Agion Oros)
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1 Geographie
Der A. ist die östlichste der drei Halbinseln, die von der Halbinsel Chalkidike im griechischen Makedonien abgehen. Der Name leitet sich von der nahe der Südspitze gelegenen höchsten Erhebung (2033 m) her. Daher findet auch häufig der Ausdruck „Heiliger Berg“ (Agion Oros) Verwendung. Die geographische Grenze bildet der Xerxes-Kanal (Diorix Xerxou) zwischen den Ortschaften Nea Roda und Trypītī, die politische Grenze verläuft ca. 8 km östlich entlang dem Höhenzug Megalī Vigla. Die ca. 350 km² große, hügelige Halbinsel ist ca. 50 km lang und hat als größte Ausdehnung eine Breite von 12 km. Die Mönchsrepublik A. - ein autonomer Teil Griechenlands – umfasst 336 km². Der Hafen der Insel befindet sich in Dafni. Die Ortschaften und Klöster sind zumeist durch Schotterwege verbunden, einige Klöster und Einsiedeleien sind nur schwer und auf Fußwegen zu erreichen. Um die Ausbreitung der häufig auftretenden Waldbrände zu verhindern, wurden einige Straßen in jüngster Zeit verbreitert und z. T. asphaltiert. Darüber hinaus gibt es einen Landeplatz für Hubschrauber.
Das Klima ist mediterran mild, im Norden der Insel ist es in der Regel windiger als im Westen, der durch die Höhenzüge stärker geschützt ist. Klimadaten für den A. liegen nicht vor. In Thessaloniki beträgt die durchschnittliche Temperatur im Januar 4,8 °C, im Juli 26,6 °C. Die Niederschlagsmenge beträgt im Durchschnitt 458 mm im Jahr.
Die Vegetation ist dicht und reichhaltig: mediteran mit überwiegend Nadelbäumen in den niederen, Laubwäldern in den mittleren und Buschwerk in den höheren Lagen. Der Waldbestand wird jedoch zunehmend durch Straßenbau und Holzeinschlag gefährdet. Die ist Fauna artenreich. Eine Schaf- und Ziegenzucht gibt es nicht. Auf dem A. gibt es 20 Klöster, zwölf Mönchdörfer (Skitai) und etwa 700 Einsiedeleien. Die Verwaltung wird von den Klöstern ausgeübt, die ihrerseits hierarchisch geordnet sind: (1) Megistīs Lavras, (2) Vatopediou, (3) Ivīrōn, (4) Chilandariou, (5) Dionysiou, (6) Koutloumousiou, (7) Pantokratoros, (8) Xīropotamou, (9) Zōgrafou, (10) Docheiariou, (11) Karakallou, (12) Filotheou, (13) Simōnos Petras, (14) Agiou Pavlou, (15) Stavronikīta, (16) Xenofōntos, (17) Grīgoriou, (18) Esfigmenou, (19) Agiou Panteleīmonos, (20) Kōnstamonitou. In seiner Blütezeit im 15. Jh. befanden sich mehrere Zehntausend Mönche auf dem A. 1905 hatte er 7553 Einwohner, heute sind es 2262, davon 1288 Mönche (2001).
2 Kulturgeschichte
In der antiken Mythologie war A. ein Gigant, der im Kampf mit dem olympischen Meeresgott Poseidon unter dem riesigen Felsen begraben wurde. Nach einer anderen Version warf der Gigant A. den Fels nach Poseidon, so dass der Berg entstand. Nach einer anderen Legende soll sich Daphne, die Tochter des Königs von Arkadien, vor den Nachstellungen des Apollon auf der Insel verborgen haben. Nach ihr ist noch heute der Inselhafen benannt. Herodot, Thukydides, Strabo und Plinius bezeugen auf der Halbinsel neun Städte als autonome griechische Kolonien. Um 484 v . Chr. ließ der Perserkönig Xerxes den nach ihm benannten Kanal durch die Chalkidike errichten, der jedoch nur kurze Zeit in Betrieb war. 358 v. Chr. fiel der A. unter makedonische Herrschaft, 168 v. Chr. wurde er Teil des Römischen Reiches. Über seine Geschichte bis zum 7. Jh. n. Chr. gibt es kaum Quellen. Der Legende nach soll Konstantin I. (288–337) d. Gr. den A. an christliche Mönche übergeben und die einheimische Bevölkerung auf die Peloponnes umgesiedelt haben. Im 8. und 9. Jh. suchten zahlreiche während des Ikonoklasmus verfolgte Einsiedler aus Kleinasien und Syrien hier Zuflucht. Die Einsiedeleien und Klöster schlossen sich zu einer lockeren Gemeinschaft zusammen. Eine jährlich tagende Vollversammlung aller Mönche wählte aus ihrer Mitte den Prōtos, der die Funktion eines geistlichen Oberhaupts ausübte und den A. auf den Synoden vertrat. Sitz des Prōtos wurde der Ort Karyes.
Um 961 begann Athanasios Athōnitēs unweit der Ruinen der antiken Stadt Akrothōon mit dem Bau der Megistī Lavra, einer großzügigen und prächtigen Klosteranlage. Die Mönche jedoch wurden zu Armut, Keuschheit, Gehorsam und Gemeinschaftsleben verpflichtet (Koinobitentum). Aus Furcht, auch dieser Ordnung unterworfen zu werden und ihre Freiheitsrechte zu verlieren, wandten sich die Eremiten an den Kaiser Iōannēs I. Tsimiskēs, der jedoch 972 in einem Typikon die koinobitische Lebensweise verbindlich festlegte. Ein weiteres Typikon des Kaisers Kōnstantinos IX. Monomachos von 1045 bezeichnete den A. erstmals als „Heiligen Berg“ und erkannte ihn damit als eines der Zentren des byzantinischen Mönchtums an. Darüber hinaus enthielt es das bis heute gültige Zutrittsverbot für Frauen und weibliche Tiere. Im 11. Jh. erlebte der A. eine erste große Blüte. Das byzantinische Kaiserhaus und die byzantinische Oberschicht stifteten viel Land und Geld; der A. zog nun Mönche aus der gesamten orthodoxen Ökumene an.
Schon 979 gründeten Mönche aus Georgien das Ivīrōn-Kloster, Anfang des 11. Jh. errichteten sizilianische Benediktiner das lateinische Amalfitaner-Kloster, das aber nach dem großen abendländischen Schisma (1054) verwaiste. Ab dem 12. Jh. kamen v. a. slawische Mönche: Russische Mönche bewohnten die Klöster Agiou Panteleīmonos und Xylourgou, 1197 gründete der Hl. Savva das serbische Chilandari-Kloster, und seit dem 10. Jh. lebten wahrscheinlich auch schon bulgarische Mönche auf dem A., deren Kloster Zōgrafou aber erst 1270 urkundlich erwähnt wird. Zudem gab es zahlreiche Mönche aus der Moldau, der Walachei und aus Albanien.
Während des vierten Kreuzzuges begann 1204 die lateinische Besetzung. Sie wurde begleitet von Zerstörungen, Plünderungen und Misshandlungen. Der A. wurde dem Königreich von Thessaloniki angegliedert. Nach der Restauration des Byzantinischen Reiches 1261 gelangte er zu seiner größten Blüte. Er war Zentrum des Hesychasmus, einer mystischen Lehre, der zufolge Askese, körperliche Übungen und Gebet eine Gottesschau ermöglichen. Ihr führender Vertreter, Grēgorios Palamas (Palamismus), war mehrere Jahre Athosmönch (Athonit) und 1335–36 Hegumenos des Esfigmenou-Klosters. Die endgültige Anerkennung des Hesychasmus auf der Synode von 1351 stärkte das orthodoxe Mönchtum, v. a. aber die Athoniten. Dazu trug auch die unmittelbare Unterstellung des Prōtos unter den Patriarchen von Konstantinopel (1312) und die schrittweise Erhebung einzelner Klöster zu Stauropēgia, also direkt dem Patriarchen von Konstantinopel unterstellten Klöstern, bei. In der Folgezeit wurden zahlreiche Bischofsstühle mit Athoniten besetzt.
1383–1404 stand der A. erstmals unter osmanischer Herrschaft. Angesichts des drohenden Unterganges von Byzanz unterwarf sich der A. 1423 Sultan Murād II. So entging er weiteren Zerstörungen, und die Mönche behielten die meisten ihrer Privilegien. Die Osmanen gewährten zwar Glaubensfreiheit, erhoben jedoch hohe Steuern, die die Klöster bis an den Ruin führten. Die meisten gaben nun das koinobitische System auf und wurden idiorrhythmisch: Das strenge Gemeinschaftsleben wurde gelockert, die Mönche durften Eigentum besitzen, waren aber auch für die Sicherung ihres Lebensunterhalts verantwortlich. Dieses Leben „nach eigenem Rhythmus“ entsprach nicht nur den wirtschaftlichen Zwängen, sondern korrespondierte mit der hesychastischen Lehre. Finanzielle Hilfe erhielten die Klöster von den Hospodaren der Moldau und der Walachei, seit dem 16. Jh. auch von den Moskauer Zaren. Im Zuge der Einrichtung des Moskauer Patriarchats 1589 übernahm der Zar die Rolle eines Patrons für die griechische Kirche und gestattete den Athoniten regelmäßige Almosenreisen nach Moskau. Im Gegenzug gelangten wertvolle Reliquien, Kunstwerke, Manuskripte und Bücher vom A. nach Russland. Im 18. Jh. wandelte sich die russische Politik zu einem Protektoratsanspruch über die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich. Diese wurden so zum Spielball der russischen Großmachtpolitik. Durch den starken Zustrom russischer Mönche v. a. im 19. Jh. wuchsen auf dem A. die nationalen Spannungen. Im Zusammenhang mit der Schaffung des bulgarischen Exarchats befürchteten die griechischen Athoniten, die allmählich zu einer Minderheit wurden, eine panslawistische Verschwörung. Der Konflikt verschärfte sich nach der Säkularisation von A.-Ländereien in Bessarabien und Georgien durch die russische Regierung (1873 und 1876) und kam offen im Kloster Agiou Panteleīmonos, dem ca. 400 russische und ca. 200 griechische Mönche angehörten, zum Ausbruch. Angesichts einer befürchteten Vertreibung der Russen wurde 1875–76 im Kaukasus ein „Neues-Athos-Kloster“ (auch: Simon-Kananäus-Kloster, russ: Novo-Afonskij Simono-Kananitskij monastyrʹ) erbaut. Der Berliner Kongress von 1878 garantierte jedoch die Rechte der Athoniten aller Nationalitäten (Artikel 62).
Zu Beginn des Ersten Balkankrieges (1912) besetzten griechische Truppen den A. und beendeten die 482-jährige osmanische Herrschaft. Nach kurzer Besetzung durch französische und britische Truppen im Ersten Weltkrieg führte erst der Vertrag von Lausanne (24.7.1923) zur internationalen Einigung über seinen Status: Der A. wurde als ein sich selbst verwaltender Teil Griechenlands anerkannt. Rechte, Privilegien und Besitz der Athoniten wurden unabhängig von ihrer Nationalität garantiert. In der Folge verloren jedoch die Klöster den größten Teil ihres ausgedehnten Landbesitzes auf dem Festland, der für die aus Kleinasien umgesiedelten Griechen benötigt wurde. Am 22.4.1941 besetzte die deutsche Wehrmacht den A.; die Mönche unterstellten sich sogleich dem persönlichen Schutz Hitlers, um eine Besetzung durch Bulgarien zu verhindern, dem Hitler Makedonien abgetreten hatte. Während des griechischen Bürgerkrieges (1944–49) wurde der A. wiederholt von kommunistischen Partisanenverbänden besetzt, die von den Klöstern Tribute erhoben und wertvolle Kunstschätze plünderten.
Der Zuzug slawischer Mönche kam nach der Oktoberrevolution 1917 und nach der kommunistischen Machtübernahme in den orthodoxen Balkanländern 1945 zum Erliegen. Die slawischen Klöster gerieten an den Rand ihrer Existenzfähigkeit, erst nach 1966 durften sich wieder einzelne Mönche aus der Sowjetunion dort niederlassen. Insgesamt sank die Zahl der Athoniten nach 1917 deutlich. Erst seit 1970 gibt es wieder einen Zuwachs. Nach dem 6. Typikon von 1783 kehrten die meisten Klöster wieder zum koinobitischen System zurück. Seit kurzem ist kein Kloster mehr idiorrhytmisch. Die Verwaltung wird durch die Charta des A. von 1927 sowie durch die Verfassung der Republik Griechenland von 1975 geregelt. Artikel 105 bezeichnet den A. als einzigen selbstverwalteten Teil der Republik Griechenland. Die geistliche Jurisdiktion obliegt dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Alle Novizen und Mönche, die in ein A.-Kloster eintreten, erwerben automatisch die griechische Staatsangehörigkeit. Heterodoxen und Schismatikern wird der Zuzug untersagt. Die Wahrung von Ordnung und Sicherheit obliegt dem griechischen Staat, den ein Gouverneur mit Sitz in Karyes (233 Einwohner 2001) repräsentiert. Dieser ist dem Außenministerium unterstellt, um die Eigenständigkeit des A. zu unterstreichen. Nach der Charta wird die oberste Verwaltung von den zwanzig regierenden Klöstern wahrgenommen. Das höchste Organ ist die „Heilige Gemeinschaft“ (Iera Koinotīs) in die jedes Kloster einen Vertreter entsendet. Die Exekutive übt der „Heilige Ausschuss“ (Iera Epistasia) aus, der aus vier Vertretern besteht. Schon das 6. Typikon von 1783 hatte die 20 Klöster in fünf Gruppen eingeteilt. Im jährlichen Wechsel besetzen die vier Klöster einer Gruppe den Ausschuss, dessen Siegel zur Sicherstellung der Einstimmigkeit viergeteilt ist. Beim Beitritt der Republik Griechenland zur EG wurde 1979 in der Gemeinsamen Erklärung Nr. 4 der besondere Status des A. bestätigt. Das Europäische Parlament hat wiederholt, aber erfolglos, die Aufhebung des Zutrittsverbots für Frauen gefordert.
Der A. ist ein einmaliges Denkmal der byzantinischen und postbyzantinischen Kultur. Dies gilt sowohl für die Organisation und Lebensweise der Mönchsgemeinschaft mit ihrer tausendjährigen Tradition als auch für die Architektur der Klöster und die darin aufbewahrten Kunstschätze, die trotz empfindlicher Verluste durch Plünderungen und Zerstörungen – in den letzten Jahrzehnten v. a. durch Waldbrände – ihre Reichhaltigkeit und Einzigartigkeit bewahrt haben. Die Klöster beherbergen in ihren Archiven und Bibliotheken wertvolle Sammlungen von Dokumenten, Manuskripten und Büchern, die jedoch nur eingeschränkt zugänglich sind. Seit 1988 wird der A. als Nr. 159 in der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO geführt.
Biletta R. 1992: Der Heilige Berg Athos in Zeugnissen aus sieben Jahrhunderten. Bd. 1: Einführung, Daten und Ereignisse, Literaturverzeichnis. Wien. Fennell N. 2001: The Russians on Athos. Oxford.