Nomaden

Nomaden, -völker (Russland, Zentralasien).

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

N., hier verstanden als Viehhirten- und Reitern., zogen viele Jahrhunderte lang durch den Steppengürtel, der sich von Ungarn über den Raum nördlich des Schwarzen Meeres und das Kaukasusvorland bis nach China erstreckt. Daneben gab es N. in der Tundra sowie in den Bergen Zentralasiens. Sie zogen mit ihren Herden (je nach Habitat v. a. Pferde und Schafe, auch Ziegen, Rinder, Kamele, Yaks, Rentiere) zyklisch im Jahreslauf von Weideplatz zu Weideplatz. Daneben kam es episodisch aber auch zu großen Wanderungsbewegungen, die das Machtgefüge ganz Eurasiens erschütterten. Diese Züge sowie räuberische Überfälle auf bäuerliche Siedlungen haben das Bild, das die sesshafte Bevölkerung von „den N.“ hatte, über Jahrtausende geprägt. Tatsächlich stellte sich der Normalfall der Beziehung zwischen N. und Sesshaften nicht antagonistisch, sondern eher als Symbiose dar. Zwischen beiden fanden immer Austausch (Handel) und Kulturkontakte statt. Auch ist die Abgrenzung zwischen Sesshaften und N. nicht so strikt, wie es das gängige Stereotyp vermuten lässt: Viele N.–völker haben auch Ackerbau betrieben, einige haben Städte gebaut. Zudem sind die zwar militärisch überlegenen, quantitativ aber unterlegenen N.–stämme nach der Unterwerfung einer sesshaften Kultur oft von der unterlegenen Bevölkerungsmehrheit kulturell assimiliert worden.

Politisch und sozial waren die meisten N. in Stämmen organisiert, die sich immer wieder zu meist kurzfristigen Konföderationen zusammenschlossen. Sie waren oft sehr erfolgreiche Eroberer, konnten aber nur kurzlebige Reiche etablieren, da die Konföderationen zerfielen oder Nachfolgestreitigkeiten zu Spaltungen führten. Die wechselnden Allianzen in gleichzeitig wechselnden Herrschaftsräumen erschweren Darstellung wie Verständnis der Geschichte nomadischer Völker sehr. Der folgende historische Überblick kann nur die wichtigsten N.–völker und ihre großen Eroberungszüge nennen.

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2 Historischer Überblick

2.1 Frühe Nomadenreiche

Als historisch erste Periode eurasischen N.-tums wird die skythisch-„sakische“ betrachtet. Skythen und „Saken“ waren indogermanisch-iranische Nomaden, die im 8. Jh. v. Chr. aus dem Osten westwärts gewandert waren. Der skythische Herrschaftsraum erstreckte sich von der Donau über die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres bis zum Don, der der „Saken“ lag auf dem Gebiet des späteren Kasachstan und Turkestan. Im 4. Jh. v. Chr. bildeten sie nördlich des Schwarzen Meeres den ersten historisch belegten Nomadenstaat, der kulturell-religiös durch eine einmalige Einheitlichkeit gekennzeichnet war. Zeugnisse davon finden sich in den skythischen Grabstätten (Kurganen). Die skythische Herrschaft wurde ab dem 3. Jh. v. Chr. abgelöst von einer Konföderation der mit den Skythen verwandten Sarmaten (Sauromaten, Massageten u. a.), die auf der Suche nach neuem Weideland von Ural und Wolga aus westwärts wanderten und sich nördlich des Schwarzen Meeres festsetzten (bis 450).

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2.2 Die Türken

Die nächste bedeutende Reichsbildung in den eurasischen Steppen erfolgte durch die Türken. Über ihre Herkunft ist wenig bekannt. Sie errichteten von 551–744 das Türkische Khanat, das wegen politischer Differenzen in eine West- und Osthälfte zerfiel. Für die zentralasiatische oder russische Geschichte waren unter den zahlreichen türkischen Stämmen und Stammeskonföderationen von besonderer Bedeutung:

  • die Oghusen, die im 9. und 10. Jh. vom Uigurenreich nach Westturkestan und dann weiter bis nach Kleinasien und an die Donau zogen. Einige in Zentralasien nomadisierende Oghusen–Stämme gelten als die Vorfahren der Turkmenen.
  • die Chasaren errichteten zwischen 568–1016 ein Reich, das sich ausgehend vom kaukasischen Dagestan in seiner größten Ausdehnung vom Kaukasus über die Wolga bis in die südrussische Steppe erstreckte. Die Chasaren kontrollierten den Handel zwischen Byzanz und dem Baltikum und befanden sich in ständiger Auseinandersetzung mit den benachbarten Großmächten Byzanz, dem arabischen Kalifat und der Kiewer Rus. 969 wurden sie von den Russen unterworfen. Die Oberschicht im Chasaren -Khanat war zum Judentum konvertiert.
  • die Petschenegen kamen im 9. Jh. aus dem südlichen Sibirien in die südrussische Steppe, wo sie im 10. Jh. lange Kämpfe mit der Kiewer Rus und den Chasaren führten, Mitte des 11. Jh. wurden sie von den Kumanen weiter nach Westen vertrieben.
  • die Kumanen zogen im 11. Jh. aus dem südlichen Sibirien in die südrussischen Steppen. Ihre Auseinandersetzungen mit den Russen werden im Igorlied (http://www.uni-klu.ac.at/eeo/Igorlied) beschrieben.

Alle osteuropäischen Turkvölker waren halbnomadisch und hatten auch Handelsstädte.

Während bis zum 10. Jh. noch die strikte Trennung: animistische Nomaden – islamisierte, sesshafte Welt galt, begannen die Türkenstämme ab dem 10. Jh. zum Islam zu konvertieren, während die mongolischsprachigen und sibirischen Gruppen außerhalb der islamischen Welt blieben. Die Islamisierung wirkte sich auch auf Sprache und Kultur der Nomaden aus, animistische Elemente sind aber oft rudimentär bis heute erhalten geblieben.

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2.3 Die Mongolen

Das Vordringen der Mongolen und die Bildung von mongolischen Reichen war eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte Asiens und Osteuropas. Anfang des 13. Jh. gelang es Dschingis Khan, die wichtigsten mongolischen Stämme in der Nordostmongolei zusammenzuschließen. Ziel der mongolischen Eroberungen war China, doch drangen sie mit einem gut organisierten und disziplinierten Heer auch erfolgreich nach Westen vor. Grundlage dieser Erfolge war nicht nur das bei geringer Zahl außerordentlich effektive Reiterheer, sondern auch ein Machtvakuum in einigen sesshaften Kulturen Eurasiens. Nach der brutalen Eroberung griffen die Mongolen meist nicht in das Leben der Unterworfenen ein – so lange sie ihren Tribut zahlten. Sein riesiges, befriedetes Imperium teilte Dschingis Khan unter seinen Söhnen auf. Mitte des 13. Jh. bestanden unter einem Großkhan vier Unterreiche, jeweils von einem eigenen Khan regiert und mit zunehmenden Eigeninteressen: Das Gebiet der Goldenen Horde (1237-1334) erstreckte sich vom Schwarzen Meer über den Kaukasus bis nach Khorezm; das Khanat Tschagatai (1227–1334) umfasste Teile des späteren Kasachstan, Zentralasien und Ost–Turkestan; das Il–Khanat (Hülägü) (1256–1335) Iran, Irak und Afghanistan und das Khanat Yüan (1260–1368) China, die Mongolei und Tibet, also das Ursprungsgebiet der Mongolen. Hier war in Karakorum auch der Sitz des Großkhans (später in Peking).

Zwischen den einzelnen Khanaten bestanden ständige Spannungen um die Regelung der Khan-Nachfolge, die sogar zur Aufkündigung der „Pax mongolica“ führten. Außerdem entwickelten sich die mongolischen Führungsschichten der einzelnen Khanate durch ihre kulturelle Anpassung an die von ihnen unterworfenen Völker auseinander.

Das Tschagatai-Khanat wurde bereits 1334 in Transoxanien und Mogolistan DB geteilt, während Mogolistan aufblühte, zerfiel Transoxanien in kleinere Herrschaften. Die Mongolenherrschaft endete hier 1370.

Die Goldene Horde war ein Großreich, das sich vom Fluss Irtysch bis an die Donau erstreckte. Auch hier wurden die Mongolen turkisiert und im 14. Jh. islamisiert. Über den Grad ihrer kulturellen Assimilation ist die Forschung uneinig. Die einen meinen, die Goldene Horde sei kein Steppenimperium i. e. S. mehr gewesen, da Handel, nicht Tribut, ihre ökonomische Grundlage gewesen sei; für die anderen blieben die Mongolen der Goldenen Horde Steppennomaden, die zwar die ebenfalls nomadische turksprachige Steppenbevölkerung integrierten, die sesshaften, z. B. russischen Untertanen aber mit Distanz nur als Tributzahler betrachteten. Ende des 14. Jh. zeigten sich in der Goldenen Horde Krisensymptome: geschwächt durch ein Interregnum erlitten die Mongolen 1380 erstmals eine Niederlage gegen die sesshaften Russen, 1395 nach dem Sieg Timurs (s. u.) zerfiel die Horde allmählich in die Khanate von Kasan (1436–1552), Astrachan (1466–1556) und Krim (1440–1783).

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2.4 Nomaden Zentralasiens zwischen der Herrschaft der Mongolen und der Russen

In Zentralasien kam es in den folgenden Jahrhunderten zu zwei großen Reichsgründungen. Zwischen 1364–70 brachte der turkstämmige Timur (Tamerlan) Transoxanien unter seine Herrschaft. Seine Raubzüge gingen bis nach Mesopotamien, Persien, den Transkaukasus, das Gebiet der Goldenen Horde, Delhi, Damaskus und Bagdad, bis er 1405 bei der Vorbereitung eines Feldzuges nach China starb. Die von ihm begründete Dynastie der Timuriden herrschte in Transoxanien bis ins 16. Jh. Ihre Herrschaft wurde dann abgelöst von der Stammeskonföderation der Usbeken, die um 1500 von Norden kommend Transoxanien eroberten. Ihre Führer (u. a. Muḥammad Šaybānī Ḫān), die dschingisidischer Herkunft, turksprachig und muslimisch waren, errichteten eine neue Dynastie (1500–99). In Zentralkasachstan spalteten sich einige Stämme mit einem eigenen Khanat von der usbekischen Stammeskonföderation ab, die den Nukleus der späteren Kasachen bildeten. Die Kasachen waren in drei sog. Horden organisiert. Jede Horde (kas. Zhuz) vereinigte, geführt von einem Khan, mehrere Stämme, die regional über die Steppe verteilt wanderten: die Große oder Ältere Horde im Süden/SO, die Mittlere im Zentrum und NO und die Kleine oder Jüngere im Westen des Territoriums. Während die Kasachen noch bis ins 19. Jh. zweifellos Nomaden waren, ist die Lebensform der Usbeken schwerer zu fassen. Sowjetische und heutige usbekische Wissenschaftler datieren den Übergang zur Sesshaftigkeit möglichst früh, die westliche Forschung sieht eine sehr viel langsamere Veränderung der Lebensform. Fest steht, dass enge Kontakte zur sesshaften Bevölkerung bestanden und Wanderungen nur über kurze Distanzen stattfanden.

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3 Das Russische Reich und die Nomaden

Man kann die russische Geschichte als eine Geschichte der Auseinandersetzung mit Nomaden betrachten. Dies hat sich prägend auf das historische Bewusstsein wie auch die russische Identitätsfindung ausgewirkt. Aufgrund ihrer geografischen Lage am nördlichen Rand des Steppengürtels hatte schon die Kiewer Rus in ständigem Kontakt mit N.–völkern gestanden. Zwischen 1237–40 wurde die Rus von den Mongolen erobert und stand in den folgenden beiden Jahrhunderten unter der Herrschaft der Goldenen Horde. Der Einfluss der Mongolenherrschaft wird bis heute immer wieder als Erklärung für russische Sonderentwicklungen angeführt, ihre tatsächliche Bedeutung liegt aber wohl eher in der Wirkung von Fremdherrschaft als in der tatsächlichen Übernahme mongolischer Vorbilder. Zwar zogen Unbotmäßigkeiten russischer Fürsten immer wieder verheerende Feldzüge nach sich, im Prinzip übten die Mongolen aber eher indirekt Macht aus und ließen die politische, soziale und kirchliche Ordnung der Russen unangetastet.

Im 16. Jh. war das Fürstentum Moskau so weit erstarkt, dass es nach und nach die Länder der Goldenen Horde unterwerfen konnte. Damit begann die Phase, in der die sesshafte Bevölkerung der nomadischen zunehmend militärisch überlegen war. Den Beginn markiert 1552 die Eroberung von Kasan. Zwar war die eroberte Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt in der Masse bereits sesshaft, doch markiert die Eroberung Kasans den Beginn der russischen Expansion, als deren Folge die Russen eine ganze Reihe von nomadischen Völkern zu russischen Untertanen machten. Ab ca. 1580 begannen die Russen nach Sibirien vorzudringen (Eroberung des Khanats Sibir), bereits 1648 war der Pazifik erreicht. Unter den dabei unterworfenen Völkern waren viele Jäger und Sammler, aber auch Nomadenvölker (Rentierzüchter), beispielsweise Tungusen, Nenzen, Nganasanen, Selkupen, „Dzuken“ und Korjaken, sowie im Süden Sibiriens die Burjaten. Sie unterschieden/unterscheiden sich v. a. kulturell-religiös von den in den südlichen Steppen lebenden Nomaden, da sie nie islamisiert wurden und bis in die Sowjetzeit Animisten/Schamanisten, z. T. auch Lamaisten (Burjaten) waren.

Mit der Unterwerfung der offenen Steppe taten sich die Russen schwerer. Die Südgrenze Sibiriens zur Kasachensteppe wurde durch Kosaken geschützt, die entlang der sog. Linien, (Erdwällen, die befestigte Siedlungen miteinander verbanden) zwischen Orenburg-Semipalatinsk (heute Semej)-Omsk stationiert waren.

Mit der Unterwerfung der offenen Steppe taten sich die Russen schwerer. Die Südgrenze Sibiriens zur Kasachensteppe wurde durch Kosaken geschützt, die entlang der sog. Linien, (Erdwällen, die befestigte Siedlungen miteinander verbanden) zwischen Orenburg – Semej – Omsk stationiert waren.

Bereits durch die Eroberung Kasans waren die Russen in unmittelbaren Kontakt mit den Baschkiren gekommen, die z. T. sesshaft, z. T. nomadisch waren. Sie waren zunächst dem Russischen Reich lose unterstellt und wurden erst zwischen 1734–40 endgültig von den Russen unterworfen nachdem es im 17. Jh. mehrfach bewaffnete Aufstände (1662–64, 1676–82, 1705–10) gegen die Russen gegeben hatte. Ende des 18. Jh. wurden sie in einen den Kosaken vergleichbaren Militärstand umgewandelt.

1557 errichteten die Russen ein lockeres Protektorat über die Nogai–Tataren, die ursprünglich ein Teil der Goldene Horde gewesen waren und in der Umgebung des 1556 annektierten Astrachan als Reiternomaden lebten. Die Nogaier wichen russischem wie kalmückischem Druck aus, ein Teil schloss sich dem Krim–Khanat an (und wanderten nach der russischen Annexion der Krim ins Kubangebiet, z. T. auch ins Osmanische Reich aus).

Die buddhistischen Kalmücken (Oiraten, Dsungaren) waren ebenfalls Nomaden und erfolgreiche Reiterkrieger. Ihr Vorstoß an die Wolga (im 17. Jh.) stellt die letzte Expansion von zentralasiatischen Reiternomaden nach Westen dar, zugleich waren sie der westlichste Vorposten des Lamaismus. Der Moskauer Staat versuchte schon früh, sie als Puffer und Ordnungsmacht an sich zu binden, wobei es zu einem typischen Missverständnis kam. Die Zaren betrachteten kalmückische Treueide als ewig und verbindlich, für die nomadischen Kalmücken handelte es sich um eine Allianz auf Zeit. 1771 entzogen sich ca. zwei Drittel der Kalmücken dem zunehmenden russischen Druck indem sie unter riesigen Verlusten nach Osten, in die chinesisch beherrschte Dsungarei, abwanderten. Die übrigen wurden dem Russischen Reich eingegliedert. Sie behielten bis ins 19. Jh. ihre traditionelle Ordnung, allerdings mit einer Tendenz zur Sesshaftwerdung.

Russen und Kasachen (im Russischen Reich Kirgisen genannt) waren bereits seit der Eroberung Sibiriens Nachbarn – zwischen denen es häufig zu Konflikten kam. Die Kasachen überschritten auf der Suche nach Weideplätzen, aber auch zum Viehdiebstahl, die von den Russen errichteten Linien und überfielen russische Handelskarawanen, die auf dem Weg nach Zentralasien durch die Steppe zogen. Schon unter Peter I. hatte es daher erste Pläne zur Unterwerfung der Kasachen gegeben. 1731/42 leisteten zwei der drei Kasachenkhane einen Treueid auf Russland, ohne real Untertanen der Zaren zu werden. Ihre tatsächliche Eingliederung ins Russische Reich erfolgte erst in der ersten Hälfte des 19. Jhs., als die Khanwürde abgeschafft wurde (1822 Mittlere, 1824 Kleine, 1845 Große Horde) und die Kasachen wie andere Nationalitäten des Russischen Reiches dem Inorodcy–Statut unterstellt wurden. Mehr noch gerieten die Kasachen aber durch die russischen bäuerlichen Umsiedler unter Druck, die sich auf ihren traditionellen Weidegebieten ansiedelten.

Seit der Mitte des 19. Jh. begannen die Russen aus strategischen und ökonomischen Gründen in die südlich der Kasachensteppe gelegenen alten Hochkulturen Turkestans (Emirat von Buchara, die Khanate von Chiva und Kokand) vorzudringen. Sie wurden entweder direkt russischer Herrschaft unterstellt oder Protektorate. Dabei wurden auch die in den Bergen des Tienschan lebenden nomadischen Kirgisen (im Russischen Reich Kara–Kirgisen genannt), die südlich des Aralsees lebenden halbnomadischen Karakalpaken sowie die Turkmenenstämme östlich des Kaspischen Meeres russische Untertanen. Insbesondere die Turkmenenstämme leisteten den russischen Truppen erheblichen Widerstand und brachten ihnen, zuletzt 1879, schwere Niederlagen bei. Auch der Aufstand von Kokand 1875 war von Nomaden getragen. Mit dem russischen Sieg von Gëkdepe 1881 war mit den Tekke auch der letzte Turkmenenstamm unterworfen und damit die russische Unterwerfung von Nomaden praktisch beendet. Noch 1916 begehrten Nomaden, v. a. Kasachen, im „Steppenaufstand“ gegen neue Belastungen durch die Russen auf.

Innerhalb des Russischen Reiches zählte die nomadische Bevölkerung nach den Daten der Volkszählung von 1897 ca. fünf Mio. (bei einer Gesamtbevölkerung von 125 Mio). Traditionell war die russische Steppenpolitik eine Politik der Nichteinmischung, solange die Nomaden die ihnen auferlegten Regeln einhielten und Steuern zahlten, ließen die Russen die bestehende Herrschafts- und Sozialstruktur unangetastet. Im Falle von Aufständen wurde allerdings hart durchgegriffen. Erst im Laufe des 19. Jh. begannen sie in die einheimischen Herrschafts- und Sozialstrukturen einzugreifen, feste Verwaltungseinheiten zu bilden und, weitgehend erfolglos, Nomaden sesshaft zu machen.

Während Revolution und Bürgerkrieg die ländliche nomadische Bevölkerung Sibiriens und Zentralasiens relativ wenig betrafen, wurde durch das Zwangsesshaftmachen im Rahmen der Kollektivierung 1928/29 das Nomadentum auf dem Territorium der Sowjetunion gewaltsam und unter ungeheuren Opfern beendet. Da das schlagartige Sesshaftmachen praktisch in keiner Form vorbereitet war, starben Menschen und Vieh den Hungertod, andere flüchteten nach China und in die Mongolei. In der Sowjetzeit wurde das Nomadentum der geltenden Ideologie folgend, als rückständig und überholt bewertet und die Erinnerung daran unterdrückt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion erlebt das Nomadentum bei den ehemaligen Nomadenvölkern eine Renaissance in Form der Besinnung auf die eigene Geschichte und Kultur, aber auch sozioökonomisch, da beispielsweise in Kirgistan die gegenwärtige wirtschaftliche Not die Rückkehr zum Nomadentum als Überlebensstrategie erzwingt.

Basilov V. (Hg.) 1989: Nomads of Eurasia. Seattle. Kappeler A. 1992: Russland als Vielvölkerreich. München. Golden P. 1992: An Introduction to the History of the Turkic Peoples. Wiesbaden. Ostrowski D. 1998: Muscovy and the Mongols. Cambridge. Manz B. 1999: The Rise and Rule of Tamerlane. Cambridge. Soucek S. 2000: A History of Inner Asia. Cambridge. Khodarkovsky M. 2002: Russia’s Steppe Frontier. The Making of a Colonial Empire, 1500–1800. Bloomington. Bregel Y. 2003: An historical Atlas of Central Asia. Leiden (= Handbook of Oriental Studies 8, 9).

(Beate Eschment)

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