Skythien

Skythien (altgriech. Skythia, Skythikē; latein. Scythia).

Im engeren Sinne umfasste der bereits in der Antike umstrittene Begriff S. das Siedlungsgebiet der ursprünglich aus dem heutigen Kasachstan und Turkestan stammenden iranischen Skythen. Er bezeichnete das nördliche Schwarzmeergebiet zwischen Donau und Don, also die Walachei, die Moldau, das südliche Podolien sowie Teile der Ukraine (insbesondere der Krim) und Südrusslands. Die genaueste Beschreibung findet sich bei Herodot (5. Jh. v. Chr.). Demnach bildete die untere Donau die Südwestgrenze S.s; die nördliche Grenze verlief wohl von den heutigen Ortschaften Kamʹʹjanecʹ-Poldilʹsʹkyj über Kremenčuk und Artemivʹsk (heute Ukraine) zum Don (altgriech. Tanais) und zum Asowschen Meer (altgriech. Maiōtis limnē) im Osten; im Süden grenzte S. an das Schwarze Meer (altgriech. Pontos Euxeinos) und an „Iberien“ (heutiges Georgien), Albanien und Persien (mit Ausnahme der griechisch besiedelten Küstengebiete) sowie an das Gebiet der Taurier auf der Krim. Die Westgrenze bildete der Fluss Olt (Rumänien).

S. wurde als Teil Europas begriffen. Es verfügte nach Herodot über reichlich Wasser und weite Grasfluren, die gute Weidegründe boten, war aber arm an Holz und Gestein. An den Küstenlandschaften wurde stellenweise Ackerbau betrieben. Das Klima schilderte Herodot als kalt, rau und in den Sommermonaten sehr niederschlagsreich. Strabo und Pomponius Mela (1. Jh. v.–1. Jh. n. Chr.) erwähnen schneereiche Winter.

Die Skythen, die zeitweise auch Armenien und Persien beherrschten, stießen zwischen dem 6. und 4. Jh. v. Chr. bis an die untere Donau, in die Pannonische Ebene und in das Gebiet südlich der Karpaten vor. Ab Ende des 4. Jh. v. Chr. wurden sie jedoch im Westen durch Philipp II. von Makedonien, im Süden von den Sarmaten verdrängt, in deren Abhängigkeit sie schließlich gelangten. Im weiteren Sinne umfasste S. in der Überlieferung nach Herodot (etwa bei Strabo und Jordanes) somit auch verschieden weit reichende von nichtskythischen Völkerschaften besiedelte Gebiete der eurasischen Steppe bis nach Zentralasien. Claudius Ptolemäus zog am Tienschan die Grenze zwischen dem westlichen, kleineren (›Scythia intra Imaum‹) und dem östlichen, größeren S. (›Scythia extra Imaum‹).

Mit der Ausbreitung der Sarmaten wurde S. zudem häufig auch durch die Bezeichnung ›Sarmatia Asiatica‹ bzw. ›Sarmatia Asiana‹ ersetzt und diese auf die Gebiete östlich der Wolga bezogen. Spätantike und mittelalterliche Historiographen und Kartographen (Jordanes u. a.) unterschieden weiterhin ›Scythia Maior‹ (S.) und ›Scythia Minor‹ (die römische Provinz in der Dobrudscha). Die administrative Bezeichnung entstand im 3. Jh. n. Chr., als nach der Verwaltungsreform Kaiser Diokletians die südlich der unteren Donau, in der heutigen Dobrudscha, errichtete römische Provinz ›Moesia Inferior‹ in ›Scythia Minor‹ umbenannt wurde. Die Provinz gehörte zur Diözese Thrakien und unterstand zunächst der Präfektur ›Illyricum‹, später der Präfektur ›Oriens‹. Aufgrund ihrer exponierten Lage an der Donaugrenze, bildete sie in der Spätantike einen wichtigen Vorposten des Imperiums und war mit starken Garnisonen versehen: Histria (am Ufer des Sees Sinoe in Rumänien), Troesmis (heute rumän. Igliţa), Tomis-Constantiana (heute rumän. Constanţa), Callatis (heute rumän. Mangalia), Dionysopolis (heute bulg. Balčik), Tropaeaum Traiani (heute rumän. Adamclisi). Noch im 6. Jh. befestigte und errichtete Kaiser Justinian I. Städte und ›castra‹, die jedoch Anfang des 7. Jh. im Ansturm von Awaren und Slawen untergingen.

Für das mittelalterliche Weltbild prägend war insbesondere die von Isidor von Sevilla entworfene Vorstellung, demnach die sich östlich von ›Germania‹ bis zum Asowschen Meer erstreckenden Länder als ›Scythia (inferior)‹ zusammengefasst und als ›prima Europae regio‹ bezeichnet wurden, als die Region Europas, aus der die germanischen, skandinavischen und slawischen Völker ursprünglich stammen. Auch Jordanes (7. Jh.) und der Geographus Ravennas (8. Jh.) lokalisierten die Westgrenze S.s an der Weichsel bzw. östlich von ›Germania‹. Diese Tradition hatte bis in die frühe Neuzeit Bestand. Mit Beginn der frühen Neuzeit wurde der Begriff S. zunehmend bewusst vom christlich-lateinischen Europa unterschieden. So betrachteten polnische Gelehrte und Autoren im 16. und 17. Jh. das orthodoxe moskowitische Reich als Teil des zu Asien gehörenden barbarischen S.s bzw. eines vom europäischen unterschiedenen asiatischen Sarmatiens. Nach dem weitestgehenden Verschwinden aus der Kartographie im 18. Jh. bleibt der Begriff S. nur mehr ein v. a. auf Russland bezogenes archaisierendes Toponym insbesondere der Literatur.

N. N. 1996: Skythen. Cancik H., Schneider H. (Hg.):Der Neue Pauly 11. Stuttgart, 643–656. Göckenjan H. 1997: Skythen, Skythien. Angermann N. (Hg.): Lexikon des Mittelalters 7. München, 1999–2000.

(Maik Ohnezeit)

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