Schwaben (Donau)
Donauschwaben
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1 Definition und Verbreitung
Unter den D. versteht man die sich als solche bekennenden Nachkommen der im 18. (ab etwa 1720) und frühen 19. Jh. in das damalige Ungarn bzw. Kroatien eingewanderten deutschstämmigen Landbevölkerung. Die Siedlungsgebiete der D. liegen heute in Ungarn (Zentralungarn, „Schwäbische Türkei“ um Pécs), Rumänien (Banat, Sathmar), Serbien (Wojwodina, d. i. Batschka, Banat, Syrmien) sowie Kroatien (Baranja, Slawonien, Westsyrmien). Im Verlauf des 19. Jh. ist ein Teil der D. von Ungarn aus nach Kroatien, Syrmien und Bosnien weitergewandert und hat dort - verstärkt um Einwanderer aus dem Burgenland und dem Böhmerwald - sog. Tochterkolonien gegründet. Die D. sind überwiegend katholisch, grundsätzlich aber konfessionell gemischt.
In den Siedlungsgebieten der D. lebten aber auch deutschsprachige Gruppen, die sich aufgrund ihrer andersgearteten sozialen Lage, in der Regel nicht als D. bezeichneten, so der deutschstämmige Adel und die jüdische Bevölkerung sowie auch die „österreichisch“ geprägte Stadtbevölkerung (Timişoara, Osijek) oder später zugewanderte Gruppen mit industriellem Hintergrund (in Budapest, dem Banater Bergland).
Der Name D. wurde in den 1920er Jahren von Hermann Rüdiger, Tübinger Geograph und Mitarbeiter des Deutschen Auslands-Instituts in Stuttgart, eingeführt. Er knüpft an die in Südosteuropa verbreitete Bezeichnung „Schwaben“ für Deutsche allgemein an. Gleichwohl stammte nur ein Teil der deutschen Einwanderer aus Schwaben, andere kamen aus der Pfalz, dem Elsass, Bayern, Rheinhessen, Österreich, Lothringen oder dem Stift Fulda. Es überwog die süd- und westdeutsche Herkunft. Die Selbstbezeichnung D. war meist mit dem politischen bzw. kulturellen Bekenntnis verbunden, Angehöriger einer deutschen (seltener „altösterreichischen") Minderheit zu sein. Diese Vorstellung geht auf den Beginn des 20. Jh. zurück und wurde im Verlauf der 20er und 30er Jahre besonders in der Wojwodina und im Banat mehrheitsfähig. Die Anhänger des D.-tums waren keineswegs identisch mit der Gruppe der Deutschstämmigen, von denen sich in Ungarn und Kroatien die meisten, sofern sie noch in den historischen Siedlungsgebieten lebten, assimiliert hatten.
Aus diesem Grund ist die Zahl der D. nicht leicht zu beziffern. 1931 betrug die Zahl der Deutschsprachigen in der Wojwodina (Serbien) ca. 350.000, in Slawonien und Baranja bzw. Kroatien ca. 100.000. Im Ostbanat (Rumänien) lebten 1930 offiziell ca. 275.000 und in Sathmar ca. 25.000 Deutsche, in Ungarn zur gleichen Zeit etwa 480.000. Nach der Vertreibung aus Jugoslawien und der Aussiedlungsbewegung bekennen sich in Ungarn und Rumänien heute noch je ca. 60.000 Menschen zur deutschen Nationalität.
2 Geschichte
Die Einwanderung von Deutschen in das historische Ungarn bzw. Kroatien des 18. Jh. geht sowohl auf einheimische Grundherren als auch auf staatliche Initiative zurück. Im Sinne der physiokratischen und kameralistischen Bevölkerungslehren der Aufklärung (Peuplierung), sollten die in den „Türkenkriegen“ (Friede von Karlowitz 1699 und Passarowitz 1718) eroberten, aber kriegsverwüsteten Gebiete wieder mit Bauern und Handwerkern besiedelt werden.
Die deutsche Einwanderung ist nicht national bestimmt und isoliert zu betrachten; die Habsburger bemühten sich ebenso, serbische und kroatische Siedler in der Region zu halten, gleichzeitig wanderten u. a. auch Slowaken und Ukrainer (Ruthenen) zu. In Südungarn entstand eines der ethnisch heterogensten Gebiete Europas. Die deutschen Einwanderer wurden z. T. mit besonderen Vergünstigungen, wie Steuer- und Militärbefreiungen, Bereitstellung von Häusern und Ausrüstung etc. angeworben. Nach einer harten Eingewöhnungszeit erreichten die als freie Bauern Angesiedelten einen gewissen Wohlstand, begünstigt durch gute Böden und Investitionen in die Infrastruktur sowie das Anerbenrecht, welches den bäuerlichen Grundbesitz unzersplittert ließ. Ungarns Position als Agrarexporteur für die wachsenden Märkte Mitteleuropas begünstigte die Entstehung eines bäuerlichen Mittelstandes bei den D., zudem entwickelte sich aus dem Handwerkerstand eine ländliche Kleinindustrie. Zur Herausbildung eines Bürgertum ist es weniger gekommen, da sich die städtische Bevölkerung politisch und sprachlich assimilierte.
Nach 1867 fasste der ungarische und kroatische Nationalgedanke, vermittelt durch Lehrer und die Kirchen, auch in den Dörfern Fuß. Die deutsch-nationale Orientierung der D. erstarkte hingegen erst ab 1900. Eine große Rolle spielten dabei die Romane Adam Müller-Guttenbrunns sowie die Aktivitäten der von Edmund Steinacker gegründeten ›Ungarländischen Deutschen Volkspartei‹ (UDVP).
Doch erst als durch den Vertrag von Trianon 1920 der größere Teil des Siedlungsgebietes der D. an Jugoslawien und Rumänien fiel, wurde der z. T. weit fortgeschrittene Assimilationsprozess endgültig unterbrochen. Nicht zuletzt mit Unterstützung Belgrads und Bukarests begannen Parteien und Organisationen mit deutsch-nationalen Inhalten das Identitätsvakuum zu füllen. Trotz mancher Schwierigkeiten entwickelte sich die wirtschaftliche und kulturelle Situation der D. in beiden Ländern dabei günstig.
In Rest-Ungarn vertrat die D.-Bewegung ohne eigene Partei (durch Jakob Bleyer) nur den kleineren Teil der deutschsprachigen Bevölkerung. Gegen Ende der 30er Jahre setzten sich dann innerhalb der donauschwäbischen Organisationen nationalsozialistische „Erneuerer“ durch. 1940 mussten Ungarn und Rumänien mit Deutschland Abkommen abschließen, die der deutschsprachigen Bevölkerung weitreichende Autonomie einräumte. In Kroatien und Serbien wurden nach der Besetzung 1941 ähnliche Regelungen durchgesetzt. Die dabei installierten Volksgruppenorganisationen beteiligten sich an der Arisierung jüdischen Vermögens. Ab 1942 wurden die D. auch für die Waffen-SS mobilisiert, was in Ungarn zur Spaltung der D. in „Schwarze“ und „Weiße“ führte. Langfristig plante die NS-Führung die Aussiedlung der D. 1944 wurden die D. aus Kroatien weitgehend, aus der Batschka teilweise und aus dem serbischen Banat zu 20 % evakuiert.
Nach dem Einmarsch der Partisanen wurden die verbliebenen oder zurückgekehrten D. enteignet und zur Zwangsarbeit in Lager verschleppt, Zehntausende kamen dabei ums Leben. Nach der Auflösung der Lager 1948 verließen die Überlebenden das Land. In Rumänien kam es nicht zur Vertreibung der D., in Ungarn nur teilweise. Die kommunistischen Regimes sicherten dort den D. ab den 1950er Jahren ein bescheidenes kulturelles Eigenleben, doch verließen in den folgenden Jahrzehnten viele als Spätaussiedler ihre Heimat.
3 Forschungsfragen
Die Lücken in der Erforschung der D. sind eng mit den eingangs angeführten Definitionsproblemen verbunden. In der Vergangenheit wurde das D.-tum oft essentialisierend verstanden, d. h. ohne Hinweis darauf, dass die Aneignung dieser Identität den Charakter einer subjektiven, politisch geprägten Option hatte. Diese war weder selbstverständlich noch zwangsläufig, sondern musste in den jeweiligen regionalen Kontexten erst vermittelt und durchgesetzt werden, wobei der Erfolg durchaus unterschiedlich war. Die D.-Option sollte zudem nicht einseitig nationalsozialistisch interpretiert werden, sondern vielmehr als situative Antwort im Umfeld politischer, sozialer und ästhetischer Orientierungen der 20er und 30er Jahre.
Künftige Forschungen werden die Vorrausetzungen und Techniken dieses Prozesses kritisch aufzuarbeiten, sich aber auch stärker den alternativen Identitäts- und Handlungsoptionen und ihren Motivationen zuzuwenden haben: Das betrifft sowohl einen unverstellten Blick auf die Formen politischer oder sprachlicher Assimilation als auch die Erforschung politischer Orientierungen jenseits des rechten Mainstream. Es liegen bislang kaum Arbeiten vor, die sich mit linken oder liberalen Akteuren, dem Arbeitermilieu oder dem städtischen Bürgertum beschäftigt haben. Auch in Hinblick auf den politischen Katholizismus, diversen deutschnationalen „Abweichlern“ und das Verhältnis zum deutschsprachigen Judentum bestehen erhebliche Desiderate.
Eberl I. (Bearb.) 1987: Die Donauschwaben. Deutsche Siedlung in Südosteuropa. Sigmaringen (=Ausstellungskatalog). Schödl G. (Hg.) 1995: Land an der Donau. Berlin (=Deutsche Geschichte im Osten Europas Bd. 5). Senz I. 1994: Die Donauschwaben. München.