Bogomilen

Bogomilen (auch: Bogumilen)

Bei den B. handelte es sich um die Anhänger einer häretischen dualistischen Bewegung, die Ende des 10. Jhs. in Bulgarien entstand und sich rasch in Kleinasien und auf dem südosteuropäischen Raum ausbreitete. Mit der osmanischen Eroberung der Balkanländer und von Byzanz ist der Bogomilismus im 15. Jh. ausgestorben. Aufgrund seiner weiten Verbreitung in Südosteuropa ist er von herausragender Bedeutung für die mittelalterliche Religionsgeschichte der Region.

Inhaltsverzeichnis

1 Entstehung und Lehre

Gründer der Bewegung war der bulgarische Priester Bogomil, der zur Zeit des Zaren Petăr I. (927–69) lebte. Sein wahrscheinlich als Pseudonym angenommener Name leitet sich von der slawischen Übersetzung des griechischen Namens Theophilos, „der von Gott Geliebte“, ab. Die Lehre des Bogomil, über den keine weiteren biographischen Angaben vorliegen, charakterisiert der Presbyter Kosmas in seinem auf Bulgarisch verfassten „Traktat gegen die Häresie des Bogomil“ (Besěda, um 972) als gemäßigten bzw. monarchischen Dualismus. Nicht Gott, sondern der Gott untergeordnete, aber von ihm abgefallene Satanael wurde von den B. als Weltschöpfer angesehen. Aufgrund der Identifizierung des Teufels mit Jahwe verwarfen die B. das Alte Testament und ließen einzig das Neue Testament gelten, dessen Texte sie zumeist allegorisch auslegten. Das Leben Christi fassten sie doketistisch auf: Christus sei nicht von Maria geboren worden und habe nicht wirklich gelitten. Die Sakramente lehnten sie als nutzlos ab, weil sie sich mit materiellen Dingen befassten. Die Verehrung von Ikonen, Kirchengebäude und die Heiligung des Sonntags sahen sie als sinnlos an. Das Kreuz als Mordwerkzeug an Christus verachteten die B.: sie zerstückelten es oder benutzen es als Werkzeug.

Auf dem Gebiet der Ethik verfolgten die B. eine extreme Askese: Um die böse Schöpfung des Teufels und seine Herrschaft über die Menschen nicht zu verewigen, lehnten sie die Ehe und das Zeugen von Kindern ab. Den Genuss von Fleisch und Wein missbilligten sie als Verzehr von Teufelsprodukten. Gegenüber der orthodoxen Kirche und ihrer Hierarchie sahen die B. sich als die „einzig wahren Christen“ an. In gleichberechtigten Gruppen von Männern und Frauen bekannten sie sich gegenseitig ihre Sünden und erteilten Absolution. Als einziges Gebet ließen die B. das Vaterunser gelten, das an jedem Tag und in jeder Nacht viermal wiederholt wurde. Kosmas berichtet auch, dass die B. Feindseligkeit gegenüber der staatlichen Macht predigten, doch gibt es keine näheren Hinweise darauf, dass der Bogomilismus eine sozialrevolutionäre Protestbewegung gewesen wäre. Vielmehr ist er als religiöse Bewegung zu interpretieren, die von den monastischen Traditionen der orthodoxen Kirche beeinflusst ist.

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Der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen eine zunehmende Byzantinisierung der bulgarischen Kirche und des Adels erleichterte zwar das Entstehen der bogomilischen Bewegung, die unzweifelhaft an die Gedanken älterer dualistischer Häresien (Paulikianer, Manichäer) anknüpfen konnte, doch ist sie besonders von dem monastischen Konzept der Heiligung des Alltags inspiriert. Bei der Missionierung der Bulgaren waren zahlreiche Klöster im Land gegründet worden und aufgrund der verworrenen politischen Zustände sowie der Invasionen ausländischer Mächte setzte im 10. Jh. eine Flucht ins Mönchtum ein. Mit ihrer radikalen Askese orientierten sich die B. am Leben der Mönche. Während die Lehre der orthodoxen Kirche aber die Schöpfung als Werk Gottes und demgegenüber die Askese als besondere Art der Nachfolge Christi ansah, übten die B. Verzicht, weil sie die materiellen Dinge als Werk des Teufels deuteten und deren Genuss als unvereinbar mit einem christlichen Leben verurteilten.

2 Geschichte der B. im Bulgarischen und Byzantinischen Reich

Die Nähe zum Mönchtum ist eine Ursache für die rasche Verbreitung des Bogomilismus: Durch ihre offenkundige Tugendhaftigkeit lebten die B., deren Lehre beim ersten Anhören der orthodoxen zu entsprechen schien, wie gute Mönche und konnten wegen der verbreiteten Ehrfurcht vor dem Mönchtum bei orthodoxen Christen profitieren; dazu stellte ihre äußerste Askese eine hohe Anziehungskraft für Mönche dar, die mit dem Leben in orthodoxen Klöstern unzufrieden waren. Ein weiterer Grund für das rasche Ausbreiten der Bogomilen, den Euthymios von Akmonia, Mönch des Peribleptos–Klosters in Konstantinopel 1045 in einem Brief benennt, war ihr Agieren als eine Art Untergrundbewegung: sie gingen zur Kirche, ließen sich taufen, verehrten die Ikonen und empfingen sogar die Kommunion, doch insgeheim praktizierten sie ihre Glaubensformen und trafen sich zum gemeinsamen Gebet. Euthymios, der zum ersten Mal den Terminus „Bogomilen“ verwendet, ist auch der erste Zeuge für die Ausbreitung der bogomilischen Bewegung im Byzantinischen Reich: Mit der Eroberung des Ersten Bulgarischen Reiches 1018 durch Byzanz verlagerte sich die Bewegung von den bulgarischen Provinzen Thrakien und Makedonien ins Innere des Reiches. Nach Euthymios verbreitete ein falscher Mönch namens Johannes Tzurillas die Häresie im Gebiet um Smyrna. Im nordwestlichen Anatolien, im ›thema Opsikion‹, waren die Häretiker unter der Bezeichnung ›Phundagiagitai‹ bekannt. Selbst in seinem eigenen Kloster entdeckte Euthymios vier bogomilische Konvertiten unter seinen Mitbrüdern. Verweist die Entstehungsgeschichte der bogomilischen Bewegung bereits auf monastische Traditionen, so zeigt der Bericht des Euthymios, dass der byzantinische Bogomilismus v. a. in monastischen und in Klerikerkreisen Fuß fasste. Diese Gruppe „falscher Mönche und gottloser Priester“ nutzte ihre Stellung und ihren großen Einfluss auf die Eliten der byzantinischen Gesellschaft aus, so dass die bogomilische Bewegung besonders in der Oberschicht eine zahlreiche Anhängerschaft fand.

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Im Gegensatz zu Kosmas, der kaum auf die organisatorische Struktur der Bogomilen eingeht, liefern Euthymios von Akmonia und Euthymios Zigabenos in seinem Werk ›Panoplia dogmatica‹ („Dogmatische Rüstkammer“) zum ersten Mal genauere Informationen über den Initiationsritus und die Organisation der häretischen Bewegung: Die erste Initiationszeremonie war das ›baptisma‹, die eigentliche Taufe Christi, die Taufe durch den Geist (in der westlichen Kirche als ›consolamentum‹ bekannt), im Gegensatz zur orthodoxen Taufe durch Wasser. Nach dem Glauben der B. verband diese den, der sie empfing, mit der bösen Schöpfung des Teufels und der Kirche, die unter seiner Gewalt stand. Beim ›baptisma‹ wurde den Neubekehrten das Johannesevangelium aufs Haupt gelegt, der Heilige Geist angerufen und wiederholt das Vaterunser gebetet. Die zweite Initiationszeremonie, die ›teleiosis‹ für die Eingeweihten der bogomilischen Bewegung wurde durch eine Phase strengen Fastens vorbereitet; mit Zustimmung der anderen wurde den neuen Mitgliedern der asketischen Elite das Johannesevangelium aufs Haupt gelegt. Anschließend legten ihnen männliche und weibliche Anhänger die Hände auf und sangen einen Dankeshymnus. Das ›baptisma‹ war mit einer allmählichen Einführung in die Geheimnisse der Bewegung verbunden: anfangs bestand die „Katechese“ der B. aus elementaren Glaubenssätzen und Ermahnungen, die noch in der Nähe zur Lehre der orthodoxen Kirche standen, bei deren Vertiefung wurden die Neubekehrten dann aber immer weiter vom Glauben der byzantinischen Kirche entfernt. Ein radikal asketisches Leben war für die Eingeweihten mit der ›teleiosis‹ verbunden.

Euthymios Zigabenos, der die dualistische Kosmologie der B. erstmals systematisch darzustellen versuchte, schrieb auf Geheiß des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnēnos (1081–1118). Der Kaiser hatte entdeckt, dass unter den aristokratischen Familien Konstantinopels der Bogomilismus eine Anhängerschaft gefunden hatte. Ihr Oberhaupt war der Mönch Basileios, der zuvor bereits über 50 Jahre die Lehren der Häresie in der Hauptstadt verbreitet hatte. Bei dem Häresieverfahren gegen ihn und seine „12 Apostel“ (1109–11) bekamen diese Gelegenheit, ausführlich über ihren Glauben zu berichten. Ihre Aussagen wurden protokolliert und dienten Euthymios als Grundlage für seine Darstellung. Am Ende des Prozesses wurde Basileios zum Tode verurteilt und öffentlich verbrannt. Trotz der Verfolgung und der Unterdrückung entwickelte sich die bogomilische Bewegung während des 12. Jh. im byzantinischen Kernland wie in Bulgarien weiter: 1143 überführte eine Synode in Konstantinopel zwei orthodoxe Bischöfe aus Kappadokien des Bogomilismus.

Im gleichen Jahr verurteilte eine weitere Synode unter Vorsitz des Patriarchen einen Mönch namens Niphon zu Klosterhaft, weil er die bogomilische Häresie verbreite. Als Kosmas II. Attikos 1146 den Patriarchenthron bestieg, ließ er Niphon frei und gewährte ihm Zugang zu seinem Palast. Eine vom Kaiser Manouēl I. Komnēnos (1143–80) einberufene Synode verhaftete Niphon erneut und setze Kosmas II. als Patriarchen wegen seiner Sympathien für die B. ab. Gegen den Einfluss der Häresie in Bulgarien richtete sich die Tätigkeit des Bischofs Ilarion Măglenski (um 1134–64). Zur Verbreitung und zum Wirken der bogomilischen Bewegung in der zweiten Hälfte des 12. Jh. schweigen die griechischen und slawischen Quellen; westliche Quellen berichten dagegen von einer Spaltung innerhalb der Bewegung: während die ›Ecclesia Drugunthiae‹ (beheimatet in Thrakien) einen radikalisierten Dualismus vertrat, bekannte sich die ›Ecclesia Bulgariae‹ weiterhin zu einem gemäßigten Dualismus.

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Lehrmäßig wie territorial scheint sich die bogomilische Bewegung Ende des 12. Jh. in mehrere Regionalkirchen auf gespalten zu haben. Im Zweiten Bulgarischen Reich zeugt das von Zar Boril (1207–18) einberufene Konzil von T ă rnovo 1211 von der fortdauernden Auseinandersetzung mit den B. Das Synodikon des Zaren, das Verurteilungen von byzantinischen Synoden aufgriff, anathematisiert die Lehren und Praktiken der Häresie. Ein 1350 von Zar Ivan Aleksandăr (1331–71) einberufenes Konzil verurteilte erneut den kosmologischen Dualismus der B. Nach der Eroberung Bulgariens durch die Osmanen 1393 verstummen die letzten Nachrichten über Konflikte mit den B. Aufgrund der verworrenen politischen Umstände, ist die Entwicklung des byzantinischen Bogomilismus im 13. und 14. Jh. nur lückenhaft zu rekonstruieren: Im Gegensatz zur zeitgleichen Verfolgung von Häretikern in Westeuropa durch die römischen Kirche setzte nach der Eroberung Konstantinopels und der Errichtung des Lateinischen Kaiserreichs (1204–61) keine Verfolgung der B. ein. Mitte des 14. Jh. machte sich der Bogomilismus in der Mönchsrepublik Athos bemerkbar, so dass einige Bogomilenmönche auf dem Heiligen Berg verhaftet wurden; inwieweit die verstärkte Aktivität der B. auf dem Athos dabei mit dem Aufblühen des Hesychasmus in monastischen Kreisen in Verbindung steht, lässt sich schwer ausmachen. Gegenseitige Anschuldigungen, die bogomilische Häresie zu verbreiten, dienten aber in den folgenden Jahrzehnten als Waffe in den Auseinandersetzungen zwischen Pro- und Anti-Hesychasten. Mit der osmanischen Eroberung von Konstantinopel 1453 stirbt auch in Byzanz der Bogomilismus aus.

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3 Die B. auf dem westlichen Balkan

In den Ländern auf der westlichen Balkanhalbinsel versuchten die B. bereits im 12. Jh. Fuß zu fassen: Aus Bulgarien drangen sie ins benachbarte Serbien ein, wo sie Babuni genannt wurden. Der serbische Herrscher Stefan Nemanja verfuhr mit den Häretikern auf harsche Weise: sie wurden außer Landes verbannt oder hingerichtet. Stefans jüngerer Sohn, der Hl. Sava, anathematisierte als erster Erzbischof der serbischen autokephalen Kirche die bogomilische Lehre auf einer Synode in Žiča 1221. Die gemeinsamen Anstrengungen der staatlichen und kirchlichen Macht bewirkten, dass die B. in Serbien kaum neue Anhänger gewinnen konnten. Im Gesetzbuch des serbischen Herrschers Stefan Du š an (1349, überarbeitet 1354) wurden die B. ebenfalls mit harten Sanktionen bedroht. Ob es den B. gelang, in Bosnien zu missionieren, ist bis heute eine nicht ausreichend geklärte Frage. Der Ursprung und die Lehre der sog. „Bosnischen Kirche“, die man mit der in westlichen Quellen genannten ›Ecclesia Sclavoniae‹ identifizieren könnte, sind nach wie vor umstritten: beeinflusste die dualistische Häresie der B. direkt das Entstehen der Bosnischen Kirche oder lebten einfach nur Gruppen von Bogomilen unabhängig von ihr im Land, in dem sie sich vor Verfolgung sicher fühlten? Eine offene Forschungsfrage ist auch die Herkunft der sog. „Bogomilensteine“ (stećci) in Bosnien.

Hamilton B. 2001: Dualist Heresy in the Latin Empire of Constantinople. Hawkesworth C., Heppel M., Norris H. (Hg.): Religious Quest und National Identity in the Balkans. London, 69–77. Hamilton J., Hamilton B. 1998: Christian Dualist Heresies in the Byzantine World c. 650 – c.1405. Manchester. Lambert M. 1991: Ketzerei im Mittelalter. Eine Geschichte von Gewalt und Scheitern. Freiburg i. Br. Loss M. 1974: Dualist Heresy in the Middle Ages. Prag. Obolensky D. 1948: The Bogomils. A Study in Balkan Neo-Manichaeism. Cambridge. Runciman S. 1988: Häresie und Christentum. Der mittelalterliche Manichäismus. München. Stoyanov Y. 1994: The Hidden Tradition in Europe. The Secret History of Medieval Christian Heresy. London.

(Stefan Kube)


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