Böhmen

Böhmen (tschech. Čechy)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

B. ist ein historisches Gebiet und seit 1918 wirtschaftliches und politisches Kernland der Tschechischen Republik. Die von vier Seiten umgebene Becklandschaft liegt im Westen des Landes und hatte in seinen Verwaltungsgrenzen von 1930 eine Fläche von 52.062 km². B. wird im Nordwesten vom Fichtel- und Erzgebirge, im Nordosten von den Sudeten, im Südosten von der Böhmisch-mährischen Höhe (Českomoravská vrchovina) und im Südwesten vom Böhmerwald umgeben. Moldau und Ohře fließen nordwärts durch das waldreiche B. und vereinigen sich nördlich von Prag mit der Elbe, die fast ganz B. zur Nordsee entwässert.

Das Klima ist kontinental − in den tieferen Becken milder mit durchschnittlichen Januartemperaturen zwischen –2 und –2,5 °C sowie Januarmitteln von 16,5 bis 18 °C − und niederschlagsarm (450-650 mm jährlich).

In Südb. herrscht die Forstwirtschaft vor, daneben gibt es Roggenanbau und Fischzucht in den seenreichen Becken (Třeboňská kotlina und Českobudějovicka kotlina). Im fruchtbaren lößbedeckten Mittel- und Nordb. gibt es Gersten-, Weizen-, Hopfen-, Gemüse-, Zuckerrüben- und Obstanbau.

Aufgrund der natürlichen Bodenschätze (Stein- und Braunkohle, Uran- und Silberberze, Kaolin) wie auch Rohstoffe (Holz) entwickelte sich um die Städte Prag, Pilsen und Kladno eine hoch entwickelte und vielseitige Industrie. Über die böhmischen Grenzen hinaus sind auch die Heilbäder in Franzensbad, Marienbad, Karlový Vary und Teplice bekannt.

In diesem Gebiet leben etwa 7,4 Mio. Tschechen, bis 1945 besiedelten auch ca. 2,3 Mio. Deutsche („Sudetendeutsche) die Randgebiete B.

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2 Kulturgeschichte

Das Gebiet B.s ist seit der Steinzeit besiedelt. Im 4. Jh. v. Chr. lebten hier die keltischen „Bojer“ (latein. Boii), die dem Land den Namen gaben, vierhundert Jahre später die Markomannen. Im 4. Jh. drangen Thüringer und Langobarden nach B. ein, die im 6. Jh. von den Slawen abgelöst wurden. Der Name ›Češi‹ („Tschechen“) geht auf einen mittelböhmischen Stamm zurück.

Die böhmischen Stämme treten erstmals im Zusammenhang mit Feldzügen Karls d. Gr. (805/6) in den Quellen auf, für 845 wird die Taufe von 14 böhmischen ›duces‹ bezeugt. Eine intensivere Christianisierung setzte aber erst unter großmährischer Oberhoheit ein, nach deren Ende (895) B. in Abhängigkeit vom Ostfrankenreich kam. Der von Method 882/84 getaufte Fürst Bořivoj († um 888/89) eröffnet die Reihe der quellenmäßig bekannten Přemysliden, die B. bis 1306 beherrschten. Nach dem Tod seines Enkels, des hl. Václav (921−28.9.929/935), begann der Aufstieg B.s unter Boleslav I. und II. (929/35−67/73 und 967/73−99), denen es gelang, außer B. noch Mähren u. Teile Polens zu unterwerfen. 973 wurde das Prager Bistum und das älteste Frauenkloster B.s (St. Georg auf der Prager Burg) errichtet, 993 folgte das Männerkloster Břevnov. Die Klostergründer Mladá und Vojtěch öffneten B. der italienischen und deutschen Kultur.

Nach einer Periode innerer Schwäche und polnischer Herrschaft gelang es Břetislav I. (1034−55) B. innerlich durch seine Gesetzgebung wieder zu stabilisieren und äußerlich die Verluste an Polen wieder wettzumachen. Sein Sohn Vratislav II. (1061−92) erlangte als erster böhmischer Fürst die Königskrone (1086). Nach Vratislavs Tod machten häufige Thronwechsel B. zu einem Spielball der Nachbarn und stärkten die Position des Adels, der großen Einfluss auf die Herrscherwahl nahm.

Unter den Herzögen Soběslav I. (1125−40) und Vladislav II. (1140-72, seit 1158 König) nahmen die Kontakte mit Italien und auch der Levante mit B. zu, gleichzeitig verstetigte sich die Rolle B.s als Fürstentum des Reiches. Zu den bedeutendsten Förderern dieser Entwicklung gehörte Jindřich Zdik von Olmütz († 1150) sowie Bischof Daniel von Prag (1148−67), die die Niederlassung von Reformorden (Zisterzienser und Prämonstratenser) förderten, wie beispielsweise in Prag (Kloster Strahov).

Der Adel, der bereits durch die Thronkämpfe an Einfluss gewonnen hatte, stärkte seine Macht weiter durch die Binnenkolonisation und die Ansammlung von Allodialgut an den Rändern B.s.

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Otakar I. Přemysl (1193, 1197−1230) konnte unter Ausnutzung der politischen Konstellation im Reich und begünstigt durch das Wegfallen von Konkurrenten in der eigenen Familie B. 1212 zum Erbkönigtum machen. Zugleich legte er den Grundstein für die Machterweiterung B.s unter seinen Nachfolgern Václav I., Otakar II. Přemysl und Václav II., denen es zeitweise gelang, Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain, und nach deren Verlust Polen sowie Ungarn unter ihrer Herrschaft mit B. zu vereinigen.

Die Přemysliden führten in ihrer Residenz Prag höfisches Leben und Minnesang (Heinrich von Meißen, Ulrich von Etzenbach, Heinrich von Freiberg) nach dem Vorbild Frankreichs u. des Reiches ein, das auch auf den Adelssitzen Nachahmung fand. Sie beriefen ferner die jungen Prediger- und Bettelorden in die mit Magdeburger oder süddeutschen Stadtrecht neu gegründeten und aufblühenden Städte (z. B. Prag − Malá Strana 1257). Nach emphyteutischen Recht (ius teutonicum) und mit zum Teil deutschen Siedlern wurde die Kolonisation der bisher unbesiedelten Gebiete vorangebracht. Gleichzeitig wandelten sich die Formen der Bewirtschaftung des Bodens, Wassermühlen erschlossen vermehrt neue Energiequellen. Den Reichtum der böhmischen Könige begründeten aber die Edelmetallvorkommen, die seit Ende des. 12. Jh.s verstärkt abgebaut wurden. Mit dem im 13. Jh. einsetzenden „Silberfieber“ kamen Fachleute aus Tirol, Sachsen und dem Harz nach Böhmen in die dortigen Bergstädte (u. a. Střibro, Kutná Hora). Aus dem dort gewonnenen Silber wurde dann nach der Münzreform Václav II. 1300 der ›Prager Groschen‹ geschlagen, der den Handelsrouten folgend bis ins Rheinland und in die heutige Ukraine Verbreitung fand.

Nach einer kurzen Stagnation, in der die Thronfolge nach dem Aussterben der Přemysliden (1306) nicht geklärt war, gelangten nach Thronstreitigkeiten mit König Johann (1310−46) die Luxemburger in den Besitz der Wenzelskrone, die mit Karl IV. (1347−78) B. zu großer Blüte führten. Durch Karls Wahl zum römischen König (1346 bzw. 1349) wurde P. zum Zentrum u. B. zum Kernland des Reichs. Seiner neuen Mittelpunktsfunktion entsprechend wurde P. im Stil der Hochgotik ausgebaut – wobei sich die Bauhütte Peter Parlers hervortat – eine Universität gegründet (1347) und Prag zum Erzbistum. erhoben (1344). Begünstigt durch die italienischen Kontakte Karls IV. kam B. in Berührung mit Vertretern der Frührenaissance (Petrarca).

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Sein bereits zweijährig gekrönter Sohn Václav IV. (1378−1419) wies sich nach dem Tode Karls IV. der Verwaltung des väterlichen Erbes, das nicht zuletzt aus einer gewaltigen Schuldenlast bestand, nicht gewachsen. Sein persönlich schwaches Königtum stärkte die böhmischen Herren, die den König sogar einige Male in ihre Gewalt brachten. Im von Steuern, Zehnten und Pest bedrückten Land entfaltete sich eine religiöse Reformbewegung (Konrad Waldhauser, Jan Milíč z Kroměříže u. a.), die letztlich in der von John Wiclif inspirierten Predigttätigkeit von Jan Hus gipfelte. Dass Hus 1415 auf dem Konzil von Konstanz als Ketzer verbrannt wurde, ließ in B. 1419 einen lang andauernden Aufstand ausbrechen, zu dessen Niederschlagung mehrere Kreuzheere aufgeboten wurden, die die Hussiten aber letztlich nicht besiegen konnten.

Erst 1436 kam es zu einem Vergleich auf Grundlage der sog. Prager Kompaktaten, in denen die Hussiten ihre zentralen Forderungen formuliert hatten. Die Thronvakanz nach dem Tode Sigismunds (1420−37), die letztlich schwachen Regierungen des Ladislaus Posthumus und des „nationalen Königs“ Georg v. Podiebrad (1458−71) und die Aneignung von Kirchengut machten den Adel, gleichgültig welcher Konfession, zum eigentlichen Herrn im Land. Herren und Ritter zementierten ihre Position in der Landesordnung von 1500, in der ihnen König Vladislav II. bedeutende Rechte zusprechen musste. Unter Vladislavs II. (1471−1516) langer und friedvoller − wenn auch kraftloser – Regierung begann sich B. zu erholen. Obgleich er seinen vorwiegenden Aufenthalt als König von Ungarn ab 1491 in Buda (dt. hist. Ofen) nahm, erhielt die Architektur nach langer Vernachlässigung in der Hussitenzeit neue Impulse (Benedikt Ried, Matěj Rejsek).

Die bereits von Ludwig I. (1517−26) begonnenen Versuche, die königliche Macht auf Kosten des Adels zu stärken, die Bestrebungen, den Hussitismus/Utraquismus wieder mit Rom zu versöhnen und die Brüdergemeinde sowie das Luthertum zurückzudrängen, prägten das gesamte Jahrhundert. Nachdem Ludwig I. in der Schlacht von Mohács den Tod gefunden hatte, ging die Herrschaft aufgrund verschiedener Erbverträge auf seinen Schwager Ferdinand über, wonach mit nur zweimaliger Unterbrechung Böhmen bis 1918 von Habsburgern regiert wurde.

Als 1547 ein Aufstand der Stände niedergeschlagen werden konnte, befand sich König Ferdinand I. (1526−64) in der stärkeren Position, die es ihm erlaubte, das monarchische Prinzip in Böhmen durchzusetzen. Die Stände mussten praktisch auf das Widerstandsrecht verzichten, einen königlichen Appellationshof anerkennen und v. a. dem dynastischen Erbrecht der Habsburger zustimmen. Durch die Berufung der Jesuiten (seit 1556) versuchte der König seine Politik im Sinne der Gegenreformation weiter abzusichern. Die Ankunft der Jesuiten stärkte aber auch die Wissenschaft in B., die allerdings auch durch das Bildungsprogramm der Brüdergemeinde zahlreiche Anregungen erhielt. Insbesondere im „goldenen Zeitalter“ unter Rudolf II. (1575−1612), der seine Residenz 1582 nach Prag verlegte, blühte die Renaissance in Architektur, Musik und Wissenschaft auf.

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1609 errangen die in der nach lutherischem Vorbild 1575 erstellten ›Confessio Bohemica‹ vereinigten Brüder, Lutheraner und Neoutraquisten die gleichen Rechte wie die etablierten Konfessionen der Utraquisten und Katholiken. Die massive Missachtung dieser Rechte unter Matthias I. (1611−17) führte schließlich zum Aufstand und mit dem zweiten Prager Fenstersturz zum Dreißigjährigen Krieg.

Die böhmischen Stände setzten 1619 den 1617 als König angenommenen Ferdinand II. ab, gaben sich eine neue Verfassung unter Betonung der Rechte des nichtkatholischen Adels und wählten Friedrich V. von der Pfalz (1620), dem es aber nicht gelang, eine geschlossene protestantische Front gegen die auf Eskalation angelegte Politik Ferdinands zu formieren. Die vernichtende Schlacht am Weißen Berge gab Ferdinand II. die Gelegenheit, B. ohne Rücksicht auf die Stände mittels der ›Vernewerten Landesordnung‹ (1627) neu zu organisieren. Durch diese Landesordnung wurden die böhmischen Länder endgültig zum habsburgischen Erbkönigreich erklärt. Der Kg. sicherte sich Gesetzgebung und oberste Rechtssprechung sowie die Ernennung von Beamten und die Erhebung in den Adelsstand. Zum sicht- und hörbaren Zeichen der habsburgischen Herrschaft wurden die Gleichberechtigung des Deutschen und des Tschechischen als Landessprachen sowie die Verlegung der böhmischen Hofkanzlei nach Wien.

Nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges war B. tief greifend verändert: Ein großer Teil der Lutheraner, Utraquisten und Brüdergemeinde musste das Land verlassen, als 1624 der Katholizismus allein anerkannte Konfession wurde. Ihre Güter, etwa zwei Drittel der Gesamtfläche, wurden den habsburgertreuen böhmischen – wie den Sternberg, Lobkowicz und Czernín – und zahlreichen nichtböhmischen Adligen, darunter Coudenhove-Calerghi, Schönborn und Hohenlohe überlassen, deren Familien bald miteinander zu einem neuen Landesadel verschmolzen. Mit den fremden Adligen strömten auch zahlreiche nichtadlige deutschsprachige Siedler ins von Krieg, Vertreibung, Hunger und Seuchen zu einem Drittel entvölkerte B., deren Anteil um 1700 etwa 20 % der Gesamtbevölkerung ausmachte. Kirche und Klöster konnten wenigstens teilweise die Verluste der Hussitenzeit wettmachen. Mit der Durchführung der Rekatholisierung wurden die Jesuiten beauftragt, die in ihrer Glanzzeit elf Kollegien besaßen, ihnen wurde auch das ›Collegium Carolinum‹ übergeben. Trotz aller Anstrengungen, den katholischen Glauben im Volk zu verwurzeln, z.B. durch die Popularisierung des 1729 heilig gesprochenen Johannes von Nepomuk, gelang es aber nie die Kryptoprotestanten vollständig zu katholisieren.

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Von 1649 bis 1740 erlebte Böhmen eine Epoche des Friedens, wenn auch nicht des Aufschwungs, denn B. musste zu einem großen Teil die Kosten der Türkenkriege schultern. Gleichwohl setzten Adel und Prälaten ihre Energie und ihr Geld in den Bau großartig angelegter Kirchen und Schlösser, die im Stile des böhmischen Barocks errichtet wurden. Unter den Architekten B.s sticht Giovanni A. Santini (1677−1723) hervor, der in architektonischer Synthese Elemente des Barocks mit solchen der Gotik verband, nicht weniger bedeutend waren Architekten wie die Familie Dientzenhofer. Gefüllt wurden diese Gebäude mit der Musik von Bohuslav Matěj Černohorský (1684−1742) und v. a. František Xaver Brixi (1732−71).

Nach dem Siebenjährigen Krieg und den schlesischen Kriegen, die das reiche Schlesien von Böhmen trennten, begannen die Habsburger mit einer administrativen Vereinheitlichung ihrer Monarchie. Bereits Maria Theresia (1743−80) entzog den Ständen viele ihrer Rechte. Die stärksten Eingriffe erlebte B. jedoch unter Josef II. (1780−90), der 1782 die ständischen Gerichte liquidierte und den Landtag nicht mehr einberief, darüber hinaus aber durch das Toleranzpatent von 1781 die Diskriminierung der Nichtkatholiken aufhob und zur gleichen Zeit die Leibeigenschaft abschaffte. Ferner hob er die meisten der restriktiven Judengesetze auf. Die entmachteten Stände zeigten im Metternichschen Staat nur noch wenig Interesse an der Politik. Mit wachsendem historisch-politischem Bewusstsein wiesen die Stände aber in den 1840er Jahren auf ihre alten, zuletzt bei der Krönung König Ferdinands III. 1836 erneuerten Privilegien hin und forderten Bezug nehmend auf das sog. „böhmische Staatsrecht“ eine stärkere Autonomie zunächst für Böhmen, dann für alle Länder der Wenzelskrone ein.

In den alten Nebenländern stießen diese in der Revolution 1848 mit tschechisch-nationalen Elementen ergänzten Forderungen jedoch auf keine positive Resonanz. Unter der deutschen Bevölkerung lösten solche Forderungen allerdings Sorgen aus, die gewohnte Vorrangstellung zu verlieren. So kam zur großen Empörung der Tschechen erstmals der Gedanke auf, die mehrheitlich von Deutschen bewohnten Randgebiete B.s an das Königreich Sachsen anzuschließen. Dass 1867 eine dualistische Verfassung Ungarn weit gehende Rechte zugestand, eine trialistische Lösung unter Anerkennung der „staatsrechtlichen Stellung der Krone B.s“ sowie ein tschechisch-deutscher Ausgleich aber 1871 scheiterte, verschärfte die nationalen Spannungen. Wesentlicher Konfliktpunkt aller weiteren – gescheiterten – Ausgleichsbemühungen (beispielsweise ›Badenische Sprachverordnungen‹ 1897) war die Frage nach dem amtlichen Gebrauch des Deutschen und Tschechischen, das sich durch und seit dem Philologen und Historiker Josef Dobrovský (1753−1829) zu einer modernen Sprache entwickelt hatte, die zunehmend geschrieben und gelesen wurde. Es verschärfte die Situation, dass die meisten Deutschen nicht Willens waren, tschechisch zu lernen, sodass sie bei einer geforderten Zweisprachigkeit der Beamten benachteiligt wurden.

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Die nationale Entzweiung B.s begünstigte die Teilung oder Doppelung kultureller Einrichtungen: 1868 wurde die technische Hochschule nach Sprachen getrennt, 1882 die Universität; 1890 entstand eine Akademie (›Böhmische Kaiser-Franz-Joseph-Akademie der Wissenschaften, Literatur und Kunst in Prag‹), 1891 die ›Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Kultur‹. Andere Organisationen förderten das Nationalbewusstsein und damit das Auseinanderdriften von Tschechen und Deutschen, wie der 1862 gegründete tschechische Turnverband ›Sokol‹ und der 1864 gegründete Deutsche Sängerbund. Zu nationalen Symbolen wurde auf Seite der Tschechen das 1883 nach einem Brand wieder errichtete Nationaltheater, das Nationalmuseum und das Gemeindehaus, auf Seite der Deutschen das ›Neue deutsche Theater‹ (1888), in denen u. a. Bedřich Smetana, wirkte. Die Gebäude waren zugleich auch Pantheons der nationalen Architektur (Josef Zítek u. a.) sowie Malerei und Bildhauerei (Mikoláš Aleš, Alfons Maria Mucha u. a.). Literarische Denkmäler schufen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. u. a. der aus dem Kreis der ›Májovci‹ stammende Jan Neruda (1834−91) sowie die tschechischen Schriftsteller aus dem Kreis des 1868 gegründeten ›Ruch‹ (Svatopluk Čech oder Zikmund Winter). Im deutschen und deutsch-jüdischen Milieu waren Franz Kafka, Max Brod, Franz Werfel u. a. beheimatet.

Gegen Ende der Monarchie war B. zum industriellen Zentrum Österreich-Ungarns geworden, in dem mit 6,7 Mio. Einwohnern etwa ein Viertel der Bevölkerung Cisleithaniens lebten. Etwa 36 % der Arbeitnehmer waren im Industriesektor beschäftigt. Zu der Textilindustrie, in der bereits um 1798 etwa 150.000 Menschen arbeiteten, der ebenfalls traditionsreichen Glasherstellung und zum Bergbau, in dem Eisen und Kohle die Buntmetallförderung abgelöst hatte, traten eine ausgereifte Nahrungs- und Konsumgüterindustrie und seit dem Anbruch des Dampfzeitalters in den 1840ern, mehr noch aber seit der Elektrifizierung und dem Einzug von Verbrennungsmotoren in den 80ern ein bedeutender Maschinen- und Fahrzeugbau (Škoda).

Nach dem Ende der Habsburgermonarchie 1918 ging B. in die neu gegründete Tschechoslowakei als das politisch, kulturell u. wirtschaftlich dominierende Land ein. B. blieb bis Ende 1948 ein eigenes Verwaltungsgebiet: Mit der Neugliederung der Verwaltung (1.1.1949) wurde dieses aufgelöst und in mehrere Kreise zerlegt (ähnliches widerfuhr Mähren und Schlesien). 1960 erfolgte eine weitere Verwaltungsreform, die die historischen Grenzen zwischen Mähren und Böhmen aufhob. In den Namensbezeichnungen blieb der Name B. (z. b. südböhmischer Kreis) noch erhalten.

Bělina P., Bláhová M., Bobková L., Čornej P., Klimek A., Vaníček V., Vorel P. 1999–2005: Velké dějiny zemí Koruny české. Bd. 1–5, Bd. 7, 10, 13, 14. Praha. Bosl K. (Hg.) 1967–70: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder. Bd. 1–4. Stuttgart. Hoensch J. 1997: Geschichte Böhmens: von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart. München.

(Stefan Albrecht)

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