Kräuter und Gewürze

Kräuter und Gewürze

Inhaltsverzeichnis

1 Verwendung von einheimischen Kräutern in der Frühzeit

Seit Urzeiten haben Menschen Tiere erbeutet und Pflanzen gesammelt. Blattgrün, Wurzeln oder Früchte der einzelnen Pflanzenarten rochen und schmeckten völlig verschieden; die Menschen setzten die Pflanzen oder deren Teile den Geschmacksnuancen entsprechend bei der Zubereitung von Mahlzeiten ein. Daraus entwickelten sich im Lauf der Zeit bestimmte Ernährungsgewohnheiten, an denen man Gruppen von Menschen und sogar Völker unterscheiden kann. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, sondern dauert weiter an. Zwar besteht Zurückhaltung, das zu essen, was man nicht kennt („Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“), doch setzen sich bis in die Gegenwart immer wieder neue Ernährungsgewohnheiten durch.

Einige Pflanzen ließen sich – das „entdeckte“ man vor etwa zehn Jahrtausenden – massenhaft anbauen. Sie entwickelten sich gewissermaßen unter der Hand des Menschen zu Kulturpflanzen. Die frühzeitig angebauten Kulturpflanzen konnten und können die Menschheit ernähren. Erst mit der „Erfindung“ des Ackerbaus dürften Menschen in die Lage versetzt worden sein, zu reinen Vegetariern werden zu können; als noch kein Ackerbau betrieben wurde, gab es wohl kaum genügend pflanzliche Nahrung in der Reichweite eines Menschen, so dass er sich allein davon hätte ernähren können. Alle Menschen sind ursprünglich wohl auf fleischliche Nahrung angewiesen gewesen.

Die meisten früh angebauten Kulturpflanzen waren Getreidearten. Getreidebau setzte v. a. im Nahen Osten ein und verbreitete sich von dort aus in die meisten Teile Europas. Auch einige Arten von Hülsenfrüchten und Lein wurden im Nahen Osten erstmals kultiviert. Weitere Kulturpflanzen entstanden in Mittelamerika und im Südosten Asiens.

Die Ackerbauern hielten auch Tiere, um regelmäßig Milch und Wolle zu nutzen. Zu besonderen Ereignissen wurden die Tiere geschlachtet; ihr Fleisch wurde zum großen Teil konserviert, weil es nicht auf einmal gegessen werden konnte, auch wenn man „Nachbarn und Freunde“ zum Festmahl einlud. In regenarmen Klimabereichen lässt sich Fleisch an der Luft oder über dem Feuer trocknen. Trockenes Fleisch verdirbt nicht, weil die Nahrungskonkurrenten des Menschen sich nicht davon ernähren können, ebenso wenig wie von geräuchertem oder gesalzenem Fleisch. Menschen, die sich um Konservierung von Fleisch und tierischen Produkten, beispielsweise von Käse, bemühten, ist sicher aufgefallen, dass sich die Speisen unter Verwendung von stark duftenden Kräutern ebenfalls haltbar machen ließen.

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Stark duftende und markant schmeckende Kräuter sowie Pflanzen mit schmackhaften Früchten gibt es fast überall auf der Welt. Sie besitzen gewisse Inhaltsstoffe, die beispielsweise Insekten davon abhalten, die Pflanzen zu fressen. Solche Stoffe, darunter ätherische Öle, Gerbstoffe, organische Säuren und Senföle, beziehungsweise die Synthesewege, die zu ihrer Entstehung führen, entwickelten sich im Lauf der Evolution. Durch Mutationen bildeten sich Pflanzenindividuen heraus, die einen Duftstoff enthielten, neben anderen Individuen, denen der Duftstoff fehlte. Individuen mit dem Duftstoff wurden nicht gefressen. Auf diese Art und Weise wirkt Selektion auf die Entwicklung von Organismengruppen ein; die Nachkommen der nicht gefressenen Individuen besaßen den Inhaltsstoff ebenfalls und wurden ebenso stehen gelassen. Es bildete sich allmählich eine an Tierfraß angepasste Pflanzenart heraus. Die im Lauf der Evolution entwickelten Eigenschaften gewisser Pflanzen wurden von den Menschen ausgenützt. Sie versetzten ihre Nahrung mit den duftenden Kräutern, die vom Ungeziefer nicht gefressen wurden.

Diese Verwendung von Kräutern ist sicher schon sehr alt. Doch ist sie schwer nachzuweisen, und ihre Geschichte ist nur mit vielen Fragezeichen zu rekonstruieren. Zwar findet man in der Umgebung von menschlichen Hinterlassenschaften auch immer wieder Teile von Pflanzen, die sich gut identifizieren und bestimmen lassen. Aber es ist oft nicht zu entscheiden, ob diese Pflanzenteile nur auf ein Vorkommen der Pflanzenart verweisen oder auch auf eine Verwendung der Kräuter zum Haltbarmachen von Nahrung.

Würzende Pflanzen mit Duftstoffen kamen an vielen Orten in der Mitte und im Osten Europas vor. In den Steppen wuchsen und wachsen noch heute Beifuss (Artemisia vulgaris), Pfeilkresse (Cardaria draba) und Wermut (Artemisia absinthium). Wo es etwas feuchter ist, gedeihen Löwenzahn (Taraxacum officinale) und Kümmel (Carum carvi). In Mooren und im Gebirge wächst die Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea). Sanddorn (Hippophae rhamnoides) kann man in den breiten Flussbetten finden, die nur zur Schneeschmelze und nach katastrophalem Regen Wasser führen, im Sommer aber austrocknen. Kornelkirschen (Cornus mas) stehen in den lockeren Wäldern im warmen und trockenen Südosten Europas. In den dortigen Gebirgen treten Alant (Inula helenium, auch Hellenenkraut genannt) und Gelber Enzian (Gentiana lutea) auf. Der Enzian, dessen Wurzel man ausgräbt, um mit dem scharfen Aroma Schnaps zu würzen, ist stets eine gelb blühende Art. Doch der Blaue Enzian ist bekannter; deswegen ziert meist eine blau blühende Enzianart das Etikett der Schnapsflasche, ein typischer Fall von Etikettenschwindel. Brennnessel (Urtica dioica), Beinwell (Symphytum officinale) und Rainfarn (Tanacetum vulgare) wachsen in den Erlenbruchwäldern, in denen das ganze Jahr über das Wasser nicht abfließt. Bakterien, die an den Erlenwurzeln sitzen, wandeln Stickstoff aus der Luft zu Nitrat im Boden um, ein wichtiger Mineralstoff, den Pflanzen aufnehmen müssen. Brennnessel, Beinwell und Rainfarn brauchen besonders viel davon; daher wachsen sie heute nicht nur in Erlenbrüchen, sondern auch am Rand von Kompost- und Misthaufen und an anderen Plätzen, an denen Menschen nitratreiches Material ablagern.

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Kräuter wie Löwenzahn und Brennnessel, aber auch verschiedene Arten von Sauerampfer (Rumex sp.) sowie Gundermann (Glechoma hederacea) lassen sich nutzen, indem man ihre jungen Blätter abrupft und sie im Frühjahr als Salat isst. Dieser Brauch wird aus vielen Gegenden überliefert; die Menschen brauchten im frühen Frühjahr diese Kräuter dringend, um Mangel an Vitamin C abzubauen und nicht an Skorbut zu erkranken. Auch das Scharbockskraut (Ranunculus ficaria; der Name ist von Skorbut abgeleitet, dem Namen der Vitamin C-Mangelkrankheit) wurde so genutzt. Kornelkirsche und Preiselbeere würzten Speisen oder man stellte Gerichte (Marmelade) aus ihnen allein her. Typische Gewürze aber sind diese Pflanzen alle nicht.

Zu den Gewürzen im engeren Sinne, mit denen nicht nur Fleisch konserviert wird, sondern mit denen es eine besondere Geschmacksnote erhält, sind dagegen aber die Steppenpflanzen Wermut, Pfeilkresse und Beifuss. Eine eigentliche Kultur des Würzens oder der Verwendung von Kräutern bei der Zubereitung von Mahlzeiten bestand in früher Zeit noch nicht, auch wenn man die Kräuter verwendete. Später allerdings nahm man sie v. a. als Würzregister zu fettem Fleisch; Wermut und Beifuss machen es bekömmlicher und erleichtern die Verdauung. Wermut und Pfeilkresse sind überdies derart scharf, dass sie den Geschmack von ranzigem Fett überdecken. Wenn Fleisch mit scharfem Gewürz versehen ist, kann man nur mit Mühe entscheiden, ob es noch frisch ist oder bereits zu verderben beginnt. Dies war v. a. in einer Zeit, in der es noch keine Kühlschränke gab, ein wichtiger Grund dafür, warum man Gewürze verwendete. Immer wieder wird versucht, diesen wichtigen Zweck des Würzens zu negieren, weil er mit den Vorstellungen von Köchen edler Speisen nicht zusammenpasst. Aber warum sonst sollten Würzvorschriften für fettes und leicht verderbliches Fleisch besonders viele scharfe Gewürze enthalten?

Beifuss und Wermut, v. a. aber Kümmel wurden später in Gärten angebaut. Kümmel, oder genauer: Wiesenkümmel, ist bis heute ein wichtiges Gewürz geblieben, ein eigentliches Charaktergewürz Mittel- und Osteuropas. Man findet es in sehr vielen Gerichten, an Fleisch genauso wie in konserviertem Gemüse sowie in Suppen. Bemerkenswert am Kümmel ist, dass er eines der wenigen Gewürze ist, die am Mittelmeer kaum eine Rolle spielen, weiter im Norden aber wichtig sind. Am Mittelmeer wird traditionell eher Kreuzkümmel (Cuminum cyminum) verwendet, der völlig anders schmeckt, aber entfernt ähnliche, bananenförmig gebogene Früchte hat und daher auch ein „Kümmel“ ist; es ist wohl immer wieder vorgekommen, dass man in Würzvorschriften auf den Kümmel hinwies, man damit zwar den Kreuzkümmel meinte, doch den Wiesenkümmel verwendete. So kamen völlig andere Geschmacksrichtungen von Käsesorten oder Suppen heraus, die den von den „Erfindern“ der Würzvorschriften beabsichtigten keineswegs entsprachen.

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2 Austausch von Kräutern und Gewürzen als Zivilisationsmerkmal

Kräuter sind –botanisch korrekt definiert –Pflanzen, deren Stängel nicht verholzen. Der Gärtner versteht darunter einige Gewürze, die er im Garten zieht, weniger die wegen der Blüten gezogenen „Blumen“ der Ziergärten, obwohl diese aus botanischer Sicht auch Kräuter sind. Wer von Wildkräutern spricht, meint damit gemeinhin nicht wie ein Botaniker alle Gewächse mit unverholzten Stängel, die mehr oder weniger ohne Zutun des Menschen außerhalb von Gärten wachsen, sondern lediglich würzige Kräuter, die sich für die Verfeinerung von Speisen einsetzen lassen und die man aus diesem Grund „in der freien Natur“ sammelt. Gewürze sind Gewächse, die man nicht deswegen anbaut, um die Menschheit zu ernähren, denn ihr Nährwert ist im Allgemeinen gering. Verwendet werden sie heute ausschließlich zur Verfeinerung von Speisen und zum Erzielen bestimmter Geschmacksnoten, früher hatte die Konservierung der Speisen –ebenso wie das Herbeiführen der besseren Bekömmlichkeit schwerverdaulicher Gerichte –durch Gewürze eine größere Bedeutung als heute.

Kräuter wurden zu vielfältigen Zwecken seit langer Zeit eingesetzt und auch Getreide und andere Kulturpflanzen wurden angebaut, bevor Zivilisationen bestanden. Zivilisationen haben staatliche Strukturen und stabile Siedlungen, es entwickeln sich wirtschaftliche Beziehungen und soziale Differenzierungen. Beim Übergang rein bäuerlicher, jägerischer oder nomadischer Kulturen zur Zivilisation kommt es zu einer verstärkten Verwendung von Gewürzen, von Obst und Gemüse.

Dass die reichliche Verwendung von Gewürzen im Wesentlichen ein Zivilisationsmerkmal ist, obwohl die würzenden Kräuter schon vor der Einführung von Zivilisation bekannt gewesen sein müssen, wird an mehreren Tatsachen deutlich. Nur dann, wenn Zivilisationen mit festen Siedlungen bestehen, gibt es Gärten als abgeschlossene Bereiche. In ihnen können geschützt vor äußeren Einflüssen Kräuter gezogen werden, die einen besonderen Wert haben. Ohne Zivilisation sind Siedlungen nicht völlig ortsfest; die Investitionen, die mit der Anlage von Gärten verbunden sind, zahlen sich im Umfeld instabiler Siedlungen nicht aus. Man legt nur dann einen Garten an, wenn man dies gewissermaßen für die Ewigkeit tut. Ein Garten ist ein Stützpunkt der Stabilität, die von außen her geschützt wird, von einem Zaun, einer Mauer, einer festen Abgrenzung. Der Garten ist ebenso geschützt wie eine Stadt, abgetrennt. Die sprachliche Verwandtschaft zwischen dem germanischen Wort „Garten“ und dem slawischen ›gorod‹ oder ›grad‹ (für Stadt) macht dies besonders deutlich.

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Jede Zivilisation stützt feste wirtschaftliche Kontakte, allerdings ist die Stabilität der Zivilisation auch auf das Bestehen von regelmäßigem wirtschaftlichem Austausch angewiesen. Es gibt zwar einen gleich bleibenden oder sogar steigenden Bedarf an Handelsgütern, doch in bestimmten kleinen Gebieten kann nicht in jedem Jahr gleich viel davon produziert werden. In dem einen Jahr besteht ein Überschuss an Korn, Hülsenfrüchten, Leinöl, Käse oder Fleisch, in einem folgenden Jahr mangelt es an dem einen oder anderen lebensnotwendigen Gut. Die Zivilisation würde gerne auf gleich bleibende Angebote zurückgreifen, stellt sich nach Möglichkeit aber auch auf schwankende Angebote ein, indem sie für eine lange Lagerung von Überschussprodukten sorgt oder sich in Handelsnetze einbringt. In diesen Netzen wird mit Überschussprodukten aus den Regionen gehandelt: Die eigene Region bringt sich ein, indem ein Angebot gemacht wird, und man hofft in Zeiten des Mangels auf Überschüsse von einem anderen Ort des Handelsnetzes.

Die Wege, die Fleisch und Käse, Korn und Oliven, Nüsse und andere Produkte zurücklegten, wurden, als Zivilisationen um sich griffen, immer länger. Und daher wurde es immer wichtiger, die verderblichen Handelsgüter zu konservieren, bevor man sie auf lange Reisen schickte. In Zeiten, als es noch keinen Kühlschrank gab, war es unabdingbar notwendig, die Handelsgüter vor dem Versand zu trocknen, zu räuchern, zu salzen oder mit stark duftenden Gewürzen zu versehen, um Fäulnis oder Insektenfraß zu verhindern. Und die Gewürze wurden auch selbst zu wichtigen Handelsgütern. Ganze Schiffsladungen mit Pfeffer (Piper nigrum) gingen schon frühzeitig über die Weltmeere. Viele Handelsrouten, die zunächst für den Austausch von Gewürzen, Edelsteinen und Seide genutzt worden waren, wurden später zu den Wegen des Welthandels. Mit Luxusgütern begannen die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Asien, später auch Europa und Amerika; doch heute sind schon längst nicht mehr Gewürze, Gold und Edelsteine die Haupthandelsgüter, die auf den früheren Austauschwegen der Gewürze transportiert werden.

Die in der Zivilisation entstehenden sozialen Differenzierungen sorgten dafür, dass in der vornehmen Küche mehr Gewürze verwendet wurden als in der Küche armer Leute. Die Mittellosen konnten keine Handelsgüter erwerben. Sie waren im günstigen Fall auf die Erträge der eigenen Felder angewiesen. Wenn sie zu wenig ernteten, um ein ganzes Jahr aus der eigenen Produktion leben zu können, litten sie Hunger oder erwarben allenfalls billige Nahrung, die nicht haltbar gemacht worden war und demzufolge möglicherweise einen „hohen Geschmack“ (›haut gout‹, „Hautgout“) aufwies. Dies war in der Ernährung der Vornehmen verpönt. Je mehr Gewürze verwendet wurden, desto besser war die Küche. Dabei zögerten Gewürze nicht nur den Verderb der Nahrung hinaus, sondern überdeckten auch den Hautgout nicht mehr frischen Fleisches oder erleichterten die Verdauung nicht mehr frischer Nahrung.

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3 Gewürze in der Zeit der klassischen Antike

Die ältesten Zivilisationen der Alten Welt bildeten sich im Zweistromland im Vorderen Orient heraus. Dort wurden auch die ersten Gewürze massenhaft verwendet. Als sich der Bereich der Zivilisation lange vor Christi Geburt auf das Mittelmeergebiet ausweitete, gelangten die alten Gewürze des Zweistromlandes auch in das gesamte Mittelmeergebiet. Weitere mediterrane Gewürze kamen hinzu, so dass bei antiken Zivilisationen mehr als fünfzig wichtige Gewürzarten bekannt waren; sie werden u. a. im römischen Apicius-Kochbuch genannt, und bei Ausgrabungen findet man immer wieder Überreste dieser Gewürze, die auf eine Verwendung hindeuten. Zu ihnen zählen Anis (Pimpinella anisum), Liebstöckel (Levisticum officinale), Bohnenkraut (Satureja hortensis), Rosmarin (Rosmarinus officinalis), Basilikum (Ocimum basilicum), Dill (Anethum graveolens), Kerbel (Anthriscus cerefolium), Fenchel (Foeniculum vulgare), Mohn (Papaver somniferum) und Petersilie (Petroselinum crispum). Auch Beifuss und Wermut, die nicht nur im Osten Europas, sondern auch im Mittelmeerraum ursprünglich vorkamen, wurden im Bereich antiker Zivilisation verbreitet. Diese Kräuter wurden in antiken Gärten gezogen. Sie gehörten ebenfalls zum festen Bestand mittelalterlicher Klostergärten, die nicht nur am Mittelmeer, sondern auch in vielen anderen Gegenden als Außenposten der Zivilisation entstanden.

Auf schon früh bestehenden Fernhandelswegen, v. a. den Gewürzstraßen des Vorderen Orients, kamen auch tropische Gewürze in den Einzugsbereich antiker Zivilisationen. Besonders wichtig wurde der Pfeffer aus Südasien, der schon in vorchristlicher Zeit ans Mittelmeer gebracht wurde. Im Apicius-Kochbuch ist Pfeffer das am meisten genannte Gewürz. Das dürfte nicht unbedingt darauf schließen lassen, dass er am meisten verwendet wurde, aber doch darauf, dass Pfeffer besonders begehrt war. Tatsächlich war er zu Zeiten der Antike und noch im Mittelalter eines der kostbarsten Handelsgüter, und die Küche galt als die beste, die am meisten Pfeffer verwendete. Durch reichliche Gaben von scharfem Pfeffergewürz war garantiert, dass man den Geschmack von verdorbenem Fleisch mit Sicherheit nicht mehr wahrnahm.

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4 Frühe Zivilisationen in Südosteuropa, frühe Verwendung von Gewürzen

Aus dem engeren Einzugsgebiet griechischer und römischer Zivilisationen kamen einzelne Gewürze immer wieder in periphere Bereiche. Auf Dauer verwendet wurden sie dort aber erst, als Gärten, feste Handelsstrukturen und Verkehrswege in diese Gebiete eingeführt waren. Dies war erstmalig der Fall, als römische Kolonien auf dem Balkan und im Gebiet des Schwarzen Meeres entstanden. Zu den Gewürzen, die in römischer Zeit besonders stark auf dem Balkan verbreitet worden sind, gehören wohl Dill, Mohn und Knoblauch (Allium sativum).

Dill stammt ursprünglich aus dem Mittelmeergebiet, wahrscheinlich eher aus seinem Osten als aus seinem Westen, vielleicht aber auch aus Indien; man kennt ihn schon so lange, dass sich seine engere Heimat nicht mehr rekonstruieren lässt. In römischer Zeit wurde er wie viele andere Gewürze nahezu ausschließlich am Mittelmeer verwendet. Wohl über die Vermittlung römischer Besatzer kam er in den slawischen Kulturbereich, wo er auch im frühen Mittelalter Bedeutung hatte. Er erhielt dort Bedeutung als Zauberkraut, mit dem man Herren zum Schweigen bringen oder Hexen vertreiben konnte. Diese Vorstellungen wirkten auf Sprüche ein, die im deutschen Sprachraum bekannt sind, aber nur im Osten Deutschlands. Daran wird deutlich, dass sich die Verbreitung des Dills im Mittelalter v. a. von Osten nach Westen durchgesetzt haben mag. Dill wurde später zu einem charakteristischen Gewürz der Länder rings um Nord- und Ostsee, zum typischen Fischgewürz. Dies war er in der Antike nicht gewesen. Heute aber denkt man an Dill nicht nur dann, wenn von der Küche Norddeutschlands, Dänemarks und Schwedens die Rede ist. Auch in Finnland und im Baltikum wird er viel verwendet. Er ist damit ein Beispiel für ein Gewürz, das an einem Ort fern von seinem Herkunftsgebiet zum Charaktergewürz wurde. Dies wird auch bei anderen Gewürzen, die im Osten Europas Verwendung finden, noch zu besprechen sein.

Mohn (Schlafmohn) kommt ursprünglich nicht, wie man häufig meint, aus dem Orient, sondern aus dem westlichen Mittelmeergebiet. Er wurde bereits in vorrömischer Zeit am Mittelmeer viel verwendet. Er hat insofern eine besondere Bedeutung, als er auch schon vor der Ausbreitung von Zivilisationen weite Verbreitung fand; bereits in der Jungsteinzeit wurde er im Gebiet Polens verwendet. Zur beliebten Pflanze im Orient wurde er, weil Muslimen das Trinken von Alkohol untersagt war, nicht aber das Rauchen von Opiumpfeifen. Vielerorts in Osteuropa backt man heute noch süße Mohnkuchen, die im Westen Europas viel weniger bekannt sind.

Knoblauch stammt ursprünglich wohl aus Zentralasien, wurde aber schon in früher Zeit im Orient und in Ägypten, später im gesamten Mittelmeergebiet verwendet. Besonders charakteristisch wurde er u. a. für die Küche der Balkanländer.

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5 Skythen und Slawen als Vermittler von Pflanzen aus dem Osten

Aus Asien stammt auch die Gurke (Cucumis sativus), die kein Gewürz, sondern eher ein Gemüse oder eine Salatpflanze ist. Sie hatte zu bestimmten Zeiten besondere Bedeutung in Osteuropa. In antiker Zeit wurde sie jedoch v. a. im Mittelmeergebiet heimisch gemacht. Von dort aus gelangte sie in die römischen Provinzen, im Westen v. a. unter dem Namen Cucumeres, ein Begriff, der vom lateinischen Cucumis abgeleitet worden war. Viel größere Bedeutung hatte sie in nachrömischer Zeit im Osten Europas, wo sie auch im frühen Mittelalter gezogen wurde. Der im Deutschen übliche Name „Gurke“ (neben der mundartlichen Form „gugumere“ in Südwestdeutschland) wurde aus den westslawischen Sprachen entlehnt (tschech. okurka, okurek, poln. ogorek). Aus Funden von Gurkenkernen bei Ausgrabungen in mittelalterlichen Siedlungen wird klar, dass nicht nur der Name aus dem Osten im Westen entlehnt wurde; die Kultur der Gurke wurde auch im Lauf des Mittelalters aus dem Osten in den Westen Europas gebracht. Und auch heute ist die Kultur der Gurke im Osten Europas weiter verbreitet als im Westen, sieht man einmal von der in den letzten Jahrzehnten stark zunehmenden Produktion von Salatgurken in den Niederlanden ab. Gurken werden in Russland, in der Ukraine, in Bulgarien, in Ungarn und Polen im Überschuss angebaut und von dort auch in den Westen Europas exportiert. Die meisten klassischen Anbaugebiete der Gurke in Deutschland liegen im Osten, und zwar in Gebieten, in denen ein slawischer Kultureinfluss feststellbar ist, v. a. im sorbischen Spreewald und in Niederbayern. Gurken werden in vielen Gegenden Osteuropas in Salzlake eingelegt oder man konserviert sie durch milchsaure Gärung, bei der Bakterien aus dem Zucker der Gurke Milchsäure herstellen. Im sauren Milieu kann die Gurke hervorragend konserviert werden, denn es ist lebensfeindlich für Vorratsschädlinge jeglicher Art. In bestimmten Zeiten des Jahres gab es kein frisches Gemüse. In diesen Zeiten konnte man allein auf die sauren Gurken zurückgreifen. Man nennt sie daher die „Saure-Gurken-Zeit“. Als Gewürz wird in Gurkenkonserven üblicherweise u. a. der Dill hinzugefügt, der oben schon als ein in vielen Teilen Osteuropas beliebtes Gewürz vorgestellt wurde.

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Durch die Vermittlung slawischer Völker gelangten noch weitere Kulturpflanzen zunächst in den Osten, später auch in den Westen Europas; auf diesem Weg verbreitet wurde nicht nur die Gurke, die zuvor schon in Südeuropa angebaut worden war, sondern es kamen auch Gewächse ohne den Umweg über das Mittelmeergebiet aus Asien direkt nach Ost- und Westeuropa. Bereits in vorrömischer Zeit verbreitete sich so der Anbau von Hanf, im Mittelalter die Kultur von Buchweizen und Meerrettich oder Kren.

Hanf (Cannabis sativa) stammt aus China und wurde u. a. von den Skythen seit dem 8. Jh. v. Chr. nach Westen gebracht. Die Skythen und durch ihre Vermittlung auch die Kelten Mitteleuropas kannten Textilien aus Hanf. Den Skythen war auch die berauschende Wirkung von Haschisch bekannt, das aus Hanf gewonnen wird. Herodot schrieb im 5. Jh. v. Chr. über die Verwendung von Hanf bei den Skythen: „Wollen die Skythen baden, so stellen sie drei Stangen gegen einander, ziehen wollene Decken darüber, schließen alles recht fest, legen glühende Steine unter dieses Zelt, und streuen Hanfsamen auf die Steine, worauf ein Rauch und Dampf entsteht, als wenn es ein hellenisches Schwitzbad wäre, den Skythen ist aber das ihrige so angenehm, dass sie vor Wohlbehagen brüllen“ Als sich in späterer Zeit die Hanfkultur im slawischen Kulturbereich verbreitete, stand aber wohl nicht die Produktion von Rauschmitteln im Mittelpunkt. Vielmehr ging es um die Herstellung von Hanffasern. Hanf wurde v. a. in den Siedlungsschichten von Hafenstädten nachgewiesen, wenn man im Zuge archäologischer Ausgrabungen die Sedimente nach Pflanzenresten durchmusterte. Hanffasern wurden für die Herstellung von Takelage, Segeln, Schiffstauen und Werg gebraucht, mit dem Ritzen und Lecks abgedichtet wurden. Russland blieb bis heute eines der wichtigsten Anbau- und Exportländer für Hanf.

Obwohl Buchweizen (Fagopyrum esculentum) erst im Mittelalter erstmals im Westen Europas auftauchte, also erheblich später als der Hanf, der schon bei den Kelten bekannt war, brachten ihn ebenfalls die Skythen einige Jahrhunderte vor Christi Geburt in das Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres. Buchweizen, der übrigens nicht mit dem Weizen verwandt ist, sondern mit Knöterich und Sauerampfer, besitzt mehlreiche Früchte und kann auch auf armen Böden wachsen, beispielsweise in Waldgebirgen an Stelle von Weizen; darauf bezieht sich der Name, der ihn als „Weizen des Waldes“ darstellt. Im slawischen Siedlungs- und Wirtschaftsgebiet war Buchweizen verbreitet, und zwar auch in Gegenden mit armen Sandböden, später in den Gebirgen, beispielsweise in den Karpaten und Ostalpen. Wohl erst am Ende des Mittelalters wurde Buchweizen auch weiter im Westen Europas heimisch, dort v. a. in den unfruchtbaren Heidegebieten.

Meerrettich oder Kren (Armoracia rusticana) stammt wohl aus dem Westen Asiens, vielleicht auch aus Südosteuropa. Er bekam als Gewürz große Bedeutung bei slawischen Völkern. Der Begriff Kren, der v. a. in Österreich und Bayern verbreitet ist, ist ein Lehnwort aus slawischen Sprachen. In anderen Gebieten Deutschlands ist der Begriff Meerrettich gebräuchlicher, der im Englischen als „horseradish“ wörtlich übersetzt verwendet wird. Dabei wird deutlich, dass man nicht davon ausging, Meerrettich stamme vom Meer, sondern dass er etwas mit dem Pferd oder der Mähre zu tun hat. Aber es ist auch nicht einzusehen, dass die Mähre (das Pferd) bei der Namengebung des Meerrettichs Pate stand. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Meerrettich ursprünglich der mährische Rettich war, denn gerade im Bereich des früh- und hochmittelalterlichen Großmährischen Reiches spielte er eine bedeutende Rolle. Dieses Reich bestand gewissermaßen am Rand der Zivilisation. Im Zuge der Akkulturation gelangten während des Mittelalters Elemente von Zivilisation in das Mährische Reich, der Meerrettich kam auf dem umgekehrten Weg aus dem Osten in den Westen, in Bereiche, wo die Zivilisation sich bereits früher durchgesetzt hatte.

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6 Gewürze der Hanse

Unter dem Einfluss großer Handelsorganisationen, v. a. der Hanse, breiteten sich wirtschaftliche Strukturen und Zivilisation während des Mittelalters im Ostseeraum aus. Mit den Hansekaufleuten kamen Produkte aus dem Süden Europas über die Vermittlung des Westens in den Nordosten des Kontinentes. Sicher wurde der oben bereits erwähnte Dill auch auf diesem Weg in den Norden Europas gebracht.

Mandeln (Amygdalus communis) waren ein wichtiges Handelsgut im Ostseeraum. Aus klimatischen Gründen konnten Mandelbäume im Norden nicht wachsen, aber Mandeln ließen sich sehr gut über weite Distanzen transportieren. Mandeln hatten große Bedeutung in der christlichen Mythologie, galten sie doch als Symbole der unbefleckten Empfängnis: Der weiche Mandelkern war von der harten Schale umgeben. Konrad von Würzburg schrieb darüber zu Beginn des 13. Jh.: „Christus wurde gezeugt in Marien, wie der Mandelkern sich in der unverletzt bleibenden Mandel bildet“. Marzipan, das „Brot des Markustages“, soll in Lübeck erfunden worden sein, als die Stadt belagert wurde und nur noch Mandeln und Zucker sich in der ausgehungerten Stadt befanden. Doch das ist eine Sage, denn man weiß, dass Marzipan auch im Orient hergestellt wurde. Es ist auch nicht nur eine Spezialität Lübecks, sondern wurde auch in anderen Hansestädten hergestellt, v. a. in Kaliningrad Wie das Rezept für Marzipan in den Ostseeraum gelangte, ist nicht bekannt. Möglicherweise lernte man Marzipan dort nicht über die Vermittlung von Süd- und Mitteleuropäern kennen; weitere Kulturkontakte zwischen Orient und Ostseeraum bestanden über die Wolga und Novgorod.

Ein anderes Gewürz aus dem Süden, das als Handelsgut in den Ostseeraum gelangte und dort sehr beliebt wurde, sind Kapern (Capparis spinosa). Zum Würzen verwendet man die in unterschiedlicher Weise eingelegten Knospen des Kapernstrauches, den man im Norden nicht ziehen kann; die Knospen mussten immer aus warmen Klimazonen eingeführt werden, wenn man sie an der Ostsee verwenden wollte. Dort bekommt man sie auch heute noch reichlich. In Mitteleuropa kennt man Kapern als Zutat zu Königsberger Klopsen; ähnliche Speisen mit Hackfleischbällchen und Kapern bekommt man aber auch anderswo an der Ostsee serviert

Die Raute oder Weinraute (Ruta graveolens) stammt ebenfalls aus dem Mittelmeergebiet. Sie war in antiker Zeit ein sehr beliebtes Gewürz und wurde in mittelalterlichen Klostergärten allgemein angebaut. Man schätzte sie sehr, wohl nicht nur wegen ihres Geschmackes und deswegen, weil sie Schädlinge vertrieb und weil sie ein wichtiges Abortivum war. Große Bedeutung hatte sie wegen ihrer kreuzförmigen Blütensterne. Man legte sie als christliches Symbol in Gräber. In jüngerer Zeit wurde die Raute geradezu die charakteristische Gartenpflanze Litauens. In dem katholischen Land kann man sie heute auch noch überall finden, auf Friedhöfen, in Gärten, an Wegrändern. Auf dem berühmten „Berg der Kreuze“ bei Šiauliai, gewissermaßen einem nationalen Symbols Litauens, stehen nicht nur zahllose Holzkreuze, sondern auch zahlreiche Rautenpflanzen - mit kreuzförmigen Blüten.

Eines der berühmtesten Beispiele dafür, dass ein Gewürz zum Nationalgewürz eines Landes fernab von seinem Ursprungsgebiet werden kann, ist der Paprika (Capsicum annuum; zu beachten ist, dass im Deutschen Paprika ein männliches Wort ist). Eine andere Pflanze aus Amerika, die allerdings erst in noch jüngerer Zeit für einen osteuropäischen Landstrich charakteristisch wurde, ist die Sonnenblume (Helianthus annuus).

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7 Osteuropäische Bauerngärten

Bäuerliche Gärten im Osten Europas fallen Besuchern aus dem Westen des Kontinentes deswegen auf, weil in ihnen viele verschiedene Gewürz- und Gemüsearten gezogen werden. Dies geschieht deswegen, weil in vielen Ländern Osteuropas Besitzer von Häusern und Gärten sich zu einem großen Teil selbst mit Lebensmitteln versorgen müssen. Denn ihre Einkünfte sind gering, Lebensmittel im Supermarkt aber für sie teuer und in vielen Fällen daher unerreichbar. Aber das dürfte nicht der einzige Grund sein, warum viele Pflanzen weit verbreitet in Gärten gezogen werden. Anders als in Gärten West- und Südwesteuropas findet man im Nordosten des Kontinentes nur wenig Salat, z. B. Kopfsalat (Lactuca sativa); in den kurzen Sommern, in denen lange Zeit trockene Witterung auftreten kann, lässt sich nur wenig und selten Kopfsalat ernten. Frost- und trockenheitsempfindliche Gewächse fehlen diesen Gärten.

Traditionell weit verbreitet war und ist dagegen der Anbau von Gewächsen, die sich gut einmachen lassen; in konserviertem Zustand kann man sie das ganze Jahr über essen, v. a. auch im nicht enden wollenden harten Winter. Eingemachtes Gemüse und eingemachte Gewürze sind dann in vielen Gegenden Russlands und seiner Nachbarländer eine äußerst wichtige Vitaminquelle. Das Gemüse macht dann auch die ansonsten eintönige Kost abwechslungsreicher.

In den Gärten wird viel Kopfkohl angebaut, Weißkohl und Rotkohl (Brassica oleracea). Kopfkohl kann man nach der Ernte eine Weile im Keller frisch halten und nach und nach verarbeiten. Die Blätter werden in Salz eingelegt und mit Kümmel gewürzt, oder man setzt sie einer milchsauren Gärung aus. Kohlkonserven haben große Bedeutung; man kann sie, aus dem Einmachglas entnommen, den ganzen Winter über essen.

Milchsauer vergoren werden auch die verschiedenen Rüben, die man in den Gärten anbaut. Dazu gehören die Kohlrübe (bzw. Steckrübe und Wruke; Brassica napus), die Stoppelrübe (bzw. Weißrübe, Teltower Rübe und weitere teils lokale Bezeichnungen; Brassica rapa) und die eigentlichen Rüben (Mangold, Rote Bete, Runkelrübe, Zuckerrübe; Beta vulgaris). Diese Pflanzenarten haben Verdickungen der Wurzeln oder des sog. Hypocotyls, der Stängelpartie zwischen der Erdoberfläche und dem untersten Blattansatz; sie sind aber nicht miteinander verwandt, denn die Kohlrübe und die Stoppelrüben sind Kreuzblütengewächse, die eigentliche Rübe ein Gänsefußgewächs. Beide sind sie in osteuropäischen Gärten beliebt. Sie sind recht unempfindlich, und ihre verdickten Wurzeln oder Stängel lassen sich gut einmachen. Es ist zwar nicht zu übersehen, dass zwischen dem lateinischen Begriff ›rapa‹ und dem deutschen ›Rübe‹ eine Verwandtschaft besteht, doch ist nicht sehr deutlich, wie es zu einer Lautverschiebung von „a“ nach „ü“ gekommen ist. Sie ist besser zu verstehen, wenn man sie über das slawische „repa“ als Bindeglied verlaufen lässt.

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Tatsächlich hat der Anbau von Rüben bei slawischen Völkern wohl eine besonders große Bedeutung gehabt. Ein bekanntes tschechisches Märchen handelt vom Rübchen, das so groß und dick wird, dass es nur von einer großen Zahl von Menschen aus dem Boden gezogen werden kann.

Möglicherweise kam die Kultur mancher Rüben aus dem Osten nach Mitteleuropa. Darauf deutet auch möglicherweise der Begriff „Wruke“ für bestimmte Kohlrüben hin, der v. a. im Osten Deutschlands verwendet wurde und auf das polnische ›brukiew‹(für Kohlrübe) zurückgehen könnte, was aber sprachgeschichtlich umstritten ist. Die Vielfalt angebauter Rüben ist im Osten Mitteleuropas größer als im Westen. Abarten wie Teltower Rübchen treten nur in eng begrenzten Regionen des slawisch-deutsch besiedelten Mischgebiets auf. Dort liegen auch die klassischen mitteleuropäischen Anbaugebiete von Gurke und Meerrettich oder Kren.

Rüben lassen sich ähnlich aufbewahren wie Kohl, zunächst frisch oder auch eingegraben in Sand, dann klein geschnitten im Einmachglas, entweder in Salzlake oder milchsauer vergoren. Milchsaure Gärung wird u. a. bei der Roten Bete angewendet. Kohl und Rote Bete sind die wichtigsten Zutaten zu Boršč, dem oft in Suppenform angebotenen Gemüsegericht, das zu den Nationalgerichten Russlands zählt. Abarten von Boršč bekommt man in den angrenzenden Ländern ebenfalls serviert.

Ganz im Norden Osteuropas werden auch Zwiebeln (Allium cepa) angebaut, die vielfältig in der Küche einsetzbar sind. Die scharfen Senföle der Pflanze vertreiben Schädlinge. Die Zwiebel ist überdies ein wichtiges Fruchtbarkeitssymbol wegen der vielen übereinander liegenden Häute. Im Gegensatz zu Gärten im Süden und Westen Europas fehlen den Gärten des Ostens die Obstbäume und Beerensträucher. Nur wenige Obstsorten können in den kurzen, heißen und trockenen Sommern gezogen werden. Bei den Frosteinbrüchen, mit denen auch während des Sommers immer wieder gerechnet werden muss, werden die frostempfindlichen Obstpflanzen zerstört.

Gelegentlich angebaut wird auch im Norden der Pastinak oder die Pastinake (Pastinaca sativa). Dieser Doldenblütler (mit kleinen gelben Blüten) ist in vielen Teilen Europas eine weit verbreitete Wildpflanze. In ihren verdickten Wurzeln werden nach dem ersten Jahr, in dem die Pflanze nur Blätter, aber keine Blüten und Früchte hervorbringt, Nährstoffe für das zweite Jahr der Pflanze eingelagert. Im zweiten Jahr blüht der Pastinak und fruchtet; dabei nutzt er auch die Nährstoffe aus dem vergangenen Jahr, die den Winter über in der Wurzel eingelagert worden waren. Früher baute man den Pastinak verbreitet an, heute aber nur noch gelegentlich, denn in den meisten Regionen schätzt man heute die Kartoffeln mehr als den Pastinak. Angebaut (und auch für den Winter eingemacht) wird er in Mitteleuropa nicht mehr, aber wohl noch mancherorts im Osten Europas, v. a. in abgelegenen Gebieten.

Meerrettich und Gurke sind etwas frostempfindlicher als Kohl, Rüben, Zwiebel und Pastinak. Meerrettich und Gurke findet man daher nicht in den Gärten im Nordwesten Russlands und im nördlichen Baltikum, sondern erst etwas weiter im Süden. Im südlichen Baltikum sind die Gärten reicher an Arten, besonders auffällig ist im katholischen Litauen die schon oben erwähnte reichliche Verwendung von Raute.

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Sehr reichhaltig an verschiedenem Gemüse sind die Gärten im Pannonischen Tiefland, in Ungarn und in den angrenzenden Regionen, beispielsweise im Süden der Slowakei. Neben Kohl, Rüben und Gurken wird hier auch Salat angebaut, ferner finden sich Paprika, Tomaten (Lycopersicon esculentum), Bohnen (Phaseolus vulgaris) und viele andere Gewächse, dazu zahlreiche Obstbäume und Beerensträucher. Weit verbreitet sind Kürbisse (Cucurbita pepo und C. maxima). Wie Tomate und Grüne Bohne ist auch der Kürbis eine Pflanze aus Amerika, die in den warmen Gegenden Süd- und Südosteuropas erst nach der Entdeckung der Neuen Welt heimisch wurde. Auch in diesen Gebieten wird viel für den Winter eingekocht; man bereitet die Konserven in vielen Gegenden noch immer selbst zu, in privaten Haushalten. Ähnliches gilt für die Beckenlandschaften Rumäniens und Bulgariens. Gurken, Tomaten, Paprika, Kürbis und Bohnen sind wichtige Exportgüter Ungarns, der Balkanländer und ihrer Nachbarstaaten, die nicht nur in kleinen Gärten, sondern auch auf großen Feldern angebaut werden.

In Griechenland und seiner Umgebung, beispielsweise im europäischen Teil der Türkei, finden sich dagegen auch zahlreiche mediterrane Gewächse in Gärten, auf den Märkten und in den landestypischen Gerichten. Aber auch hier hat Kohl große Bedeutung, etwa bei der Herstellung von Kohlrouladen und Hackfleischgerichten mit Kohl. Wichtige Gemüsearten Griechenlands sind auch Zucchini (Cucurbita pepo var. giromontii) und Aubergine oder Eierfrucht (Solanum melongena).

Charakteristisch für Gärten und Küchen des Südens sind Ölbäume (Olea europaea) und die Verwendung von Oliven bzw. Olivenöl. Ölbäume wachsen nur in einem mediterranen Klima. Eine gängige Definition des Mittelmeergebietes geht davon aus, dass alle Regionen, in denen Ölbäume wachsen können, als mediterran bezeichnet werden können. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Ölbaum in vielen Gebieten nur deswegen wächst, weil Menschen dort Ölbaumkulturen angelegt haben.

Ölbaumkulturen sind stets etwas Artifizielles, denn Edelreiser vom Ölbaum werden auf Wildlinge gepfropft, jeder edle Ölbaum ist daher ein Kunstprodukt. Ölbäume werden in Hainen oder Gärten kultiviert, die ursprünglich eine herausgehobene Stellung besaßen, heute allerdings so weit verbreitet sind, dass man ihre Besonderheit nicht mehr wahrnehmen kann. Gärten mit Ölbäumen breiteten sich genau zur gleichen Zeit wie die Stadtkulturen am Mittelmeer aus; dies wird in einer Sage deutlich, mit der die Zusammenhänge zwischen Stadtkultur und Gartenkultur eindrucksvoll unterstrichen werden kann: Pallas Athene soll ihrer Stadt Athen zur Stadtgründung den Ölbaum geschenkt haben.

Oliven werden am Mittelmeer zu vielen Speisen als Gewürz gegessen, in Öl eingelegt kommen sie heute auch in vielen anderen Ländern auf den Tisch. Oder man verwendet das aus Oliven gepresste Öl. Öl wurde ursprünglich ausschließlich aus Oliven gewonnen, alle anderen pflanzlichen Fette wurden nicht Öl genannt. Heute muss man von Olivenöl sprechen, wenn man das Öl der Olive bezeichnen will, doch ist der Begriff Olivenöl in Wirklichkeit ein Pleonasmus, eine überflüssige Doppelung eines Begriffes.

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8 Abschließende Bemerkungen

Dank der Verwendung besserer Sorten und der Einführung von Gewächshauskulturen lassen sich heute in immer mehr Gebieten die gleichen oder ähnliche Sortimente an Gartenpflanzen anbauen, und die Verwendung von Gewürzen in den einzelnen Ländern wird dank verbesserter Handelsbeziehungen auch immer ähnlicher. Dieser Aspekt von Globalisierung hat sehr früh eingesetzt, nämlich bereits vor rund zehn Jahrtausenden, als man anfing, bestimmte Kulturpflanzen nicht nur in ihrem Herkunftsgebiet, sondern auch in anderen Regionen anzubauen. Bestimmte Würzregister blieben eher an gewisse Landschaften gebunden, indem sich bestimmte Nationalgerichte herausbildeten. Doch heute kommt es zu neuen Aspekten von Globalisierung: Ungarisches Gulasch mit Paprika, Borschtsch Boršč, Königsberger Klopse mit Kapern, eingelegte Oliven und Saure Gurken gibt es nicht nur in bestimmten Gebieten, sondern sie werden in immer mehr Teilen der Welt als regionale Spezialitäten angeboten.

Ein entscheidendes Problem der Abnahme genetischer Ressourcen ist der Rückgang der Gartenkultur in vielen Ländern, die mit dem Vordringen von Supermärkten und ihren Nahrungssortimenten einhergeht. Damit hängt der Verlust an Wissen über bestimmte Gartenbaumethoden und der Konservierung von Lebensmitteln zusammen, die heute immer stärker entbehrlich werden.

Körber-Grohne U. 1987: Nutzpflanzen in Deutschland. Kulturgeschichte und Biologie. Stuttgart. Küster H. 1999: Die historische Entwicklung der Vegetation in der Stadtlandschaft, Institut für Grünplanung und Gartenarchitektur der Universität Hannover (Hg.): Stadtlandschaft (= Beiträge zur räumlichen Planung 50). Hannover, 179–192. Küster H. 2003: Kleine Kulturgeschichte der Gewürze. München. Zohary D., Hopf M. 1988: Domestication of Plants in the Old World. Oxford.

(Hansjörg Küster)

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