Monumentalbauten

Monumentalbauten

M. sind Gebäude überragender Dimensionen, die Stadtsilhouetten und Naturkulissen beherrschen. In der Umgestaltung der Umwelt durch Kirchen-, Palast- und Schlossanlagen mit den umliegenden Plätzen, Straßen, Brücken und Parks spiegelt sich ein politischer Gestaltungswille wider, in dem die Religion, der Herrscher und die Staatsnation(en) in ihrer über die geschichtliche Gegenwart hinausgehenden Bedeutung (re)präsentiert werden. M. entstanden im Mittelalter und der frühen Neuzeit meist als langfristige Projekte, die im Zuge ihrer Realisierung über mehrere Generationen hinweg erweitert oder umgebaut wurden. Seit dem 18. Jh. wurden sie meist innerhalb weniger Jahre und Jahrzehnte nach einem einheitlichen Entwurf gebaut. Der Neubau des St. Veit-Domes in Prag unter Karl IV. zog sich über das 13. und 14. Jh. hin. Durch den französischen Baumeister Mathias von Arras als Kathedrale mit Chorkapellen begonnen, fortgesetzt von seinem Nachfolger Peter Parler, wurde die Kathedrale in einer veränderten Formensprache vollendet. Die langjährige Bautätigkeit führte zur Gründung einer sesshaften Bauhütte in Prag.

M. überdauern aufgrund ihrer schieren Größe die Zeiten oft eher als kleinere Bauwerke. Dennoch können sie sowohl durch Kriegseinwirkung wie aufgrund friedlicher Beschlüsse wieder verschwinden, so das ursprünglich nach römischen und spanischen Vorbildern konzipierte Schloss von Rudolf II. in Prag während des Theresianischen Umbaus. Viele M., wie die utopische Revolutionsarchitektur oder die Architektur der Diktaturen, blieben Entwürfe, politisch-utopische Projektionen wie der nie realisierte Sowjetpalast von Boris M. Iofan, ein turmartiger, symmetrischer Bau mit einer gigantischen Statue Lenins auf der Spitze.

Sakrale M. spiegeln eine göttlich-kosmische Ordnung unmittelbar wider, wenn sie z. B. in ihrem Bildprogramm das himmlische Jerusalem vergegenwärtigen. Profane M. schaffen in der Regel für die weltlich Herrschenden Nutz- und Repräsentationsbauten, in denen sie die jeweilige Regierung als legitimiert durch eine göttlich-kosmische Ordnung vorführen. Sie vereinen meist Räume von praktischem Nutzen (Appartements, Bibliotheken, Sammlungs- und Kunstkammern, Museen, Verwaltungsstuben) mit v. a. repräsentativen Räumlichkeiten (Treppenhäuser, Galerien und Kolonnaden, Empfangs- und Festsäle), die das höfische Leben als Ritual inszenieren. Vom Hofzeremoniell zur modernen staatlichen Repräsentation organisieren M. den sozialen und kulturellen Verkehr bei öffentlichen Veranstaltungen wie fürstliche Einzüge, Empfänge von Gesandten, Bankette, Tänze.

In M. erhalten die architektonischen Formen in gesteigertem Maße eine über die Dekoration hinausgehende symbolische Funktion, werden zu Zeichen, die Ideologien und die jeweiligen Legitimationen der Herrschafts- oder der staatlichen Ordnung repräsentieren. Sie drücken Politik allegorisch aus. Ausschmückung und Raumorganisation der M. befolgen ikonographische Programme, die durch religiös-typologische, mythologische, allegorische oder emblematische Konzepte Weltanschauungen buchstäblich anschaulich machen und darüber hinaus oft auch eine panegyrische Funktion erfüllen.

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V. a. im Zeitalter des Barock, als das Leben auf zentralistisch organisierten Höfen stark theatralisiert wurde, betrieben absolutistische Herrscher in Russland den Bau von Monumentalarchitektur. Anders als in Moskau, wo man wegen der Ideologie des „Dritten Rom“ an die dekorative russisch-byzantinische Tradition anknüpfte, ließ Peter der Große 1703 die in einem Sumpfgebiet geplante neue Residenz Sankt Petersburg nicht nur von ausländischen Architekten aufbauen, sondern importierte auch die barocke Monumentalität aus dem Westen. Repräsentative M. aus Frankreich (das Schloss von Versailles), Italien (St. Peter in Rom), Deutschland (die Residenzen in Würzburg und München) und Österreich (die Schlösser Schönbrunn und Belvedere in Wien) dienten als Vorbilder. Damit begann eine über 150 Jahre lange intensive Bautätigkeit in Sankt Petersburg, durch die sich russische Zaren und Zarinnen profilierten.

Der erste Baumeister in Sankt Petersburg war der Italiener Domenico Trezzini, der für Peter den Großen die „Peter-und-Paul-Festung“ und -Kathedrale nach dem Vorbild jesuitischer Kirchen ausgehend von Barozzi di Vignolas Il Gesù in Rom errichtete. Der Peterspalast des früh verstorbenen französischen Architekten Jean-Baptiste Alexandre Le Blond folgte dem Vorbild von Versailles. Unter der Zarin Elisabeth I., der Tochter Peters des Großen, entstanden zwischen 1740 und 1760 in Sankt Petersburg zahlreiche M., die vorwiegend von versierten ausländischen Architekten aus Italien und Frankreich realisiert wurden, wo bereits eine jahrhundertlange sakrale und profane Tradition der monumentalen Gestaltung bestand. Der aus Italien angereiste Bartolomeo Rastrelli entwarf als Hofarchitekt mehrere Paläste im Stil eines klassizistisch-palladianisch überformten römischen Barock, wie das Winterpalais, den Stroganov- und den Voroncov-Palast, das Katharinenschloss in Carʹskoe Selo wie auch das Kloster Smolnyj. Nach der Thronbesteigung Katharina der Großen 1763 wurde der Klassizismus zur führenden Stilrichtung bei M., geprägt durch die nach Pariser Vorbild 1764 neu gegründete Kunstakademie. Die Zarin ersetzte den Barockarchitekten Rastrelli durch Antonio Rinaldi und Jean Baptiste Vallin de La Mothe, die in den folgenden zwei Jahrzehnten mit der Katharinenkirche, dem Marmorpalast, der Akademie der Künste und der Großen Eremitage das Erscheinungsbild Sankt Petersburgs prägten. Giacomo Quarenghi, der Lieblingsarchitekt Katharinas, aber auch von Paul I. und Aleksandr I., wirkte nach seiner Tätigkeit in Italien und England zwischen 1780 und 1800 in Sankt Petersburg, wo er die Akademie der Wissenschaften und die Neue Börse (Marinemuseum) errichtete. Außerdem baute er den Alexanderpalast in Carʹskoe Selo. Dort errichtete auch der Schotte Charles Cameron die nach ihm benannte Cameron-Galerie.

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In Böhmen, Polen und Ungarn waren die Auftraggeber oft die adeligen Magnatenfamilien. So entstanden die Paläste Jabłonski, Kronenberg und Rzyszczewski und das Belvedere in Warschau, der Bau des Großfürsten Konstantin, des Bruders von Zar Aleksandr I., das Schloss in Wilanów, das im Besitz der polnischen Könige Stanisław I. Leszczyński und Jan III. Sobieski war, und das Keszthely-Schloss am Plattensee in Ungarn.

Im ersten Drittel des 19. Jh., der Zeit des Historismus, entstanden in Sankt Petersburg M., entworfen nun von im Ausland ausgebildeten russischen Architekten, wie Andrej N. Voronichin (die Kasaner Kathedrale nach dem Vorbild von St. Peter in Rom), Andrejan D. Sacharov (die Admiralität als Pendant zur „Peter-und-Paul-Festung“) und Vasilij P. Stasov (die Dreifaltigkeitskathedrale und das Moskauer Tor als Triumphbogen nach italienischen und französischen Vorbildern). Carlo Rossi, der Lieblingsarchitekt von Aleksandr I., erbaute im Stil des Spätklassizismus das Russische Museum, das Aleksandr- bzw. Puschkin-Theater, das Senats- und Synod-Gebäude und gestaltete den Schlossplatz mit dem Generalstabsgebäude, dem Triumphbogen und der Alexandersäule. Auguste de Montferrand entwarf die Isak-Kathedrale nach dem Vorbild von Christopher Wrens St. Paulʹs-Kathedrale in London und Soufflots Panthéon in Paris. Thomas de Thomon errichtete die Börse und das Theater, Leo von Klenze die Neue Eremitage.

Andere osteuropäische Metropolen versuchten im 19. Jh., mit St. Petersburg und den westeuropäischen Vorbildern zu konkurrieren. Immer stärker beteiligte sich das Bürgertum am Bau von M. wie Rathäusern (Prag), Parlamentsgebäuden (Budapest), Museen (das Naturwissenschaftliche Museum in Prag), Opernhäusern, Theatern (Prag, Architekt Josef Zítek 1868–83) und Universitäten (Prag). In der Tschechoslowakei ernannte der Philosoph und Präsident Tomáš G. Masaryk 1918 den noch unbekannten slowenischen Architekten Jože Plečnik zum Hofarchitekten beim Umbau der Prager Burg. Als Bürger eines anderen slawischen Vielvölkerstaates, der aus dem Versailler Vertrag hervorgegangen war, konnte er der Residenz einen slawischen Charakter verleihen. Das revolutionäre Russland hatte in den ersten Jahren seines Bestehens nicht die ökonomischen Ressourcen, um M. zu verwirklichen. Zwar entstanden grandiose Projekte wie Vladimir E. Tatlins „Denkmal der III. Internationale“ (1919/20), diese bleiben jedoch Utopien. Erst in der Stalin-Ära entstanden zahlreiche monumentale Bauprojekte. Schon in den 1930er Jahren begann man mit dem Bau der Metro in Moskau, der sich bis in die 1950er Jahre hinzog. Monumentale Stationen wie Komsomolskaja, Serpukovskaja und Arbatskaja sind ein Kompromiss aus moderner Technik und neo-historistischem Stil. Der 240 m hohe Turm der Lomonossow-Universität auf dem Leninhügel in Moskau wurde zur sozialistischen Bildungsfabrik. In den 1960er Jahren wurden auch Wohn- und Verwaltungsgebäude monumentaler Ausmaße errichtet, wie die Hochhäuser am Kalinin-Prospekt und das Hauptverwaltungsgebäude des Rates für Landwirtschaftliche Hilfe in Moskau von Michail V. Posochin. In den 1930er Jahren wurde das Hotel Moskau, Ende der 1970er Jahre – anlässlich der Olympischen Spiele – das Hotel Cosmos erbaut; theatralische Hochhäuser, die nicht nur viele ausländische Gäste aufnehmen können, sondern zugleich eine Internationalität vorführen, die dem gewöhnlichen Sowjetbürger verwehrt blieb. Wenn besonders nach dem Zweiten Weltkrieg entlang von Hauptstraßen und Magistralen Wohn- und Nutzbauten als monumentale Stadtkulissen errichtet wurden, so äußerte sich darin das Bedürfnis, mit modernen Großstadtarchitekturen im Westen zu rivalisieren. Seit 1989 werden vorwiegend öffentliche und kommerzielle Nutzgebäude in monumentalen Ausmaßen gestaltet. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von ihren westlichen Vorbildern.

M. können auch zum Thema von revolutionär-utopischer Literatur werden. In Nikolaj G. Černyševskijs utopisch-sozialistischem Werk „Was tun?“ (›Čto delatʹ?‹ 1862/63) träumt die emanzipierte Frau Vera (russ. Glaube) vom Londoner Glaspalast, erbaut für die Weltausstellung 1851, als dem Zentrum einer neuen anti-zaristischen und anti-patriarchalen sozialistischen Weltordnung.

Dimitrieva M., Lambrecht K. (Hg.) 2000: Krakau, Prag und Wien. Funktionen von Metropolen im frühmodernen Staat. Stuttgart (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 10). Paperny V. 2002: Architecture in the Age of Stalin. Culture Two. Cambridge (= Cambridge Studies in New Art History and Criticism). Pratt M. 1991: Die schönsten Schlösser und Herrensitze in Osteuropa. Tschechoslowakei, Ungarn, Polen. München. Vogt A. M. 1974: Russische und französische Revolutions-Architektur 1917/1789. Zur Einwirkung des Marxismus und des Newtonismus auf Bauweise. Köln. Warnke M. (Hg.) 1984: Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute. Repräsentation und Gemeinschaft. Köln.

(Tanja Zimmermann)

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