Saratov (Stadt)

Saratov (russ.).

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

S. ist Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets in der Russischen Föderation und liegt am Unterlauf der Wolga am Wolgograder Stausee, 858 km südöstlich von Moskau. Die Stadt hat eine Fläche von 122 km² und 850.100 Einwohner (2005). Die mittlere Temperatur beträgt im Januar –11,4 °C und im Juli 20,2 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf 422 mm.
S. zählt zu den 15 größten Städten Russlands und ist ein großes Industrie- sowie wichtiges Güterumschlagzentrum mit großem Binnenhafen, Bahn- und Straßenverkehrsknoten sowie Flughafen. Zu den wichtigsten Industriezweigen zählen der Maschinenbau (u.  a. Anlagen für die Erdölverarbeitung, Werkzeugmaschinen) und die elektrotechnische Industrie, der Flugzeugbau, die chemische, insbesondere Erdöl verarbeitende Industrie sowie die Leicht- und Nahrungsmittelindustrie.
S. verfügt seit 1909 über eine Universität, zahlreiche Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie fünf Theater, vier Museen, darunter das erste öffentliche Kunstmuseum Russlands (1885), eines der ältesten Konservatorien Russlands (1912), einen Zirkus sowie ein Planetarium.
S. ist seit 2002 Bischofssitz der römisch-katholischen Kirche.

2 Kulturgeschichte

Als offizielles Gründungsjahr von S. gilt das Jahr 1590, in dem am rechten Ufer der Wolga eine Festungssiedlung gegründet wurde. Es gibt aber auch eine andere – weniger wahrscheinlichere – Version zur Stadtgründung, nach der S. 1584–89 am linken Wolgaufer, an der Mündung des S.-Flusses, errichtet wurde. Der exakte Ort ist nicht überliefert, was u. a. auf einen Flächenbrand im Jahre 1613 zurückzuführen ist, der S. vollständig zerstörte. Bis 1617 wurde die Siedlung links der Wolga wieder aufgebaut und 1674 auf einen Erlass des Zaren Aleksej an den vermeintlich alten Standort rechts der Wolga verlegt. Der Name der Stadt leitet sich aus dem Tatarischen ›Sary Tau‹ ab, was auf deutsch „gelber Berg“ heißt und sich auf die benachbarten Wolgahügel bezieht.
Die Geschichte der Stadt steht in enger Verbindung mit den Bauernkriegen (1670 und 1774) und dem Französisch-Russischen Krieg (1812). Nach 1763 ließen sich – angeworben durch ein Manifest Katharinas II. – in der Umgebung von S. mehrere Tausend Siedler aus Westeuropa, insbesondere Deutsche nieder, die sog. Wolgadeutschen. Sie hinterließen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt viele Spuren. Die Hauptstraße, deren Handelshäuser und Wohnbauten zum großen Teil von den Deutschen errichtet wurden, erhielt den Namen ›Nemeckaja‹ („Deutsche [Strasse]“). Seit den 1990er Jahren heißt sie ›Prospekt Kirova‹ mit dem Untertitel ›Byvšaja Nemeckaja‹ („Ehemalige Deutsche [Strasse]“). Anfang des 19. Jh. ernannte die römisch-katholische Kirche S. zum Bistumssitz, den es bis in die 1920/30er Jahre ausübte.
S., dessen Bevölkerung bis dahin vorwiegend von der Landwirtschaft lebte, nahm mit der Ansiedlung der Deutschen einen bedeutenden städtischen und wirtschaftlichen Aufschwung und wurde zu einem wichtigen Warenumschlagplatz im Fisch- und Salzhandel, der v. a. über die Wolga verlief.
1797 wurde S. zum Verwaltungszentrum des gleichnamigen Gouvernements ernannt. 1870 erhielt S. Schienenanschluss nach Tambov und war darüber an das nationale Schienennetz mit Verbindungen nach Moskau und St. Petersburg angeschlossen. Die gute verkehrsgeographische Lage beschleunigte die industrielle Entwicklung. Es siedelten sich v. a. Unternehmen der Agrarindustrie (Mehlproduktion) an. Ende des 19. Jh./ Anfang des 20. Jh. gehörte S. neben Nischni Nowgorod und Samara zu den bedeutendsten Handelszentren für Getreide und Getreideprodukte und war nach Moskau, St. Petersburg und Odessa mit 137.100 Einwohnern (1897) die viertgrößte Stadt Russlands. Die Wende 19./20. Jh. gilt als die Blütezeit von S.
Während der Bauernunruhen 1905/06 kristallisierte sich S. neben dem benachbarten mittleren Wolgagouvernement Samara und den nordwestlich angrenzenden Schwarzerdegouvernements Černigov, Kursk und Orël erneut als ein Zentrum heraus. In dieser Zeit tat sich Pëtr A. Stolypin (1862–1911), der spätere Innenminister und Ministerpräsident Russlands, als Gouverneur von S. hervor.
Zu sowjetischen Zeiten verlor S. zunehmend seine überregionale Bedeutung und fungiert seit 1936 vorwiegend als Zentrum des gleichnamigen Gebiets. Die Bevölkerungsentwicklung verlangsamte sich (1925: 211.800, 1938: 372.002, 1958: 579.079, 1978: 855.702, 1988: 904.643 Einwohner).
1924-41 gehörte S. zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Die Deutschen haben bis heute ihre Spuren im kulturellen Leben von S. hinterlassen. Es existiert eine Vertretung des Goethe-Instituts sowie ein Deutsches Haus. Auch sind in S. viele russisch-deutsche Joint-Ventures registriert. Seit 2002 ist S. wieder Bischofssitz.
Die Stadt ist reich an Sehenswürdigkeiten und Kulturdenkmälern: dazu gehören viele Kirchen, darunter die Dreifaltigkeitskathedrale (Troickij sobor, 1689–95, 1729), Oper (1865) und das Konservatorium. Im Stadtzentrum sind zahlreiche private Villen und repräsentative Verwaltungsgebäude der Jahrhundertwende erhalten geblieben. Sehenswert sind weiter die beiden Wolgabrücken (1960er Jahre) von knapp 3 km Länge und der Wolgastrand.
Eng mit der Stadt verbunden ist der Name des ersten russischen Raumfahrers, Jurij A. Gagarin, der an der Technischen Hochschule in S. studiert hatte.

www.saratov.ru [Stand 11.10.2005]; www.saratovmer.ru/ [Stand 11.10.2005]; marx-an-der-wolga.de/bistum (http://www.marx-an-der-wolga.de/bistum); saratov.sgu.ru [Stand 11.10.2005].

(Monika Schulze)


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