Seldschuken

Seldschuken (osman.-türk. Seldjuk, Sel[d]juq)

Die S. waren eine türkische Dynastie (1040–1307), die von den um den Aralsee siedelnden Oghusen abstammte. Der Name geht auf ihren legendären Stammvater Selçük zurück, mit dem sie den Islam angenommen hatten. Die eigentliche Gründung des Reiches der S. fand unter Tuğril Beg (ca. 1038–63) statt, nachdem die S. 1040 die Ġaznawiden besiegt und danach Iran und Turan („Land der Türken“, heute in Turkmenistan), jenseits des Flusses Oxos (heute Amudarja) erobert hatten.

1055 übernahmen sie die Herrschaft im Abbasiden-Kalifat von Bagdad und erklärten sich zur Schutzmacht der Sunniten und Feinden der Schia (arab. Šiʾā). Diese manifestierte sich im Fatimiden-Kalifat von Kairo als äußerer und in der Sekte der Niẓāriya (Assassinen) als innerer Gegner. Im Zuge militärischer Vorstöße gegen Ägypten eroberten die S. 1070 Jerusalem. Diese Eroberung war einer der Gründe, aus denen die katholische Kirche den ersten Kreuzzug proklamierte. Während der Kreuzzüge bekämpften die S. die Kreuzfahrerstaaten. Es gelang ihnen jedoch nicht, diese zu erobern. Die Rivalität zu Byzanz kulminierte 1071 in der Schlacht bei Malazgirt (armen. hist. Manazkert) in Ostanatolien zwischen den S. unter Sultan Alp Arslan (1063–72) und den Byzantinern unter Kaiser Rōmanos IV. Diogenēs (1068-71). Die S. siegten, nahmen den Kaiser gefangen und eroberten in den Folgejahren fast das ganze griechisch-byzantinische Anatolien, das durch die Einwanderung immer größerer turkstämmiger Nomadengruppen zunehmend türkisiert und islamisiert wurde.

Obwohl die S. in jeder Stadt eine Moschee errichten ließen, tolerierten sie weitestgehend die Bräuche ihrer nicht-muslimischen Untertanen (darunter Griechen, Armenier und Juden) und deren Rechtsgewohnheiten. Verwaltungssprache wurde zunächst das Persische, später das Türkische. Das nur etwa 100 km von Konstantinopel entfernte Nikäa (griech., heute türk. İznik) wurde hier zu ihrer Hauptstadt. Die kleinasiatischen S. werden als Rum-S. („römische“ bzw. „oströmische“ S.) bezeichnet. Während des ersten Kreuzzuges verloren die Rum-S. die Kontrolle über Süd- und Westanatolien und waren gezwungen, ihre Hauptstadt nach Ikonion (griech., heute türk. Konya) zu verlegen.

Eine erste Blütezeit der S. war die Herrschaft des Malik Schah (pers. Malikšāh, 1073–92), der besonders als Förderer von Kunst und Wissenschaft in die Geschichte einging. Zahlreiche Bauwerke, darunter Moscheen, Mausoleen (türk. türbe), Karawansereien, höhere Schulen, Hospitäler sowie Asyle für Waisen und Arme entstanden. Die große Anzahl karitativer Bauten, die vom Sultan und den wohlhabenden Schichten finanziert wurden, zeugt von einem ausgeprägten Sozialethos. Die Bauwerke sind häufig mit aufwendigen Verzierungen (insbesondere Bandornamentik) versehen; auffällig sind meisterlich ausgeführte Tierdarstellungen (v. a. Adler, Hirsche, Löwen und Drachen), die – auch in der Kunst der Skythen und Altai-Nomaden vorzufinden – auf die zentralasiatische Herkunft der S. hinweisen. Von ebenso hoher Qualität sind die überlieferten seldschukischen Holz-, Metall- und Textilarbeiten. Eine große Wertschätzung genoss darüber hinaus die Bildung. Naturwissenschaftliche (insbesondere mathematische) Studien wurden gleichermaßen großzügig gefördert wie die Literatur. Niẓām ul-Mulk, 1072-92 Großwesir unter Malik und ein bedeutender Schriftsteller, gründete in Bagdad die erste sunnitisch-islamische Universität (›Niẓāmiya‹). Zu den berühmtesten Werken der S.-zeit zählen die persischen Vierzeiler ʿUmar Ḫayyāms und die sufische Dichtung Ğalāl al-Dīn Rūmīs.

Malik herrschte als „Groß-Sultan“ über ein Reich, das sich von der Ägäis bis zum Indus und vom Persischen Golf bis zum Fluss Iaxartes (heute Syrdarja, Kasachstan) erstreckte. Es zerfiel im 12. Jh. in mehrere Teilreiche. Das Reich der Groß-S. von Persien wurde 1194 vom Schah von Chorezm (pers. Ḫwārazm) erobert, die seldschukischen Kleinstaaten in Syrien und Mesopotamien vom kurdisch-ägyptischen Feldherrn Saladin (arab. Ṣalāḥ al-Dīn al-Ayyūbi, ca. 1137–1193) unterworfen. Nur die Rum-S. bewahrten bis Anfang des 14. Jh. ihre Souveränität. Zu Beginn des 13. Jh. wurden sie nach Eroberung der Häfen Sinopē (griech., heute türk. Sinop), Amisos (griech., heute türk. Samsun) und Attaleia (griech., heute türk. Antalya) zu einer bedeutenden Seemacht im Schwarzen und dem östlichen Mittelmeer. Ihr Reich erlebte unter Sultan Kayqubād I. (1219–36) seinen Höhepunkt, ehe es 1243 zum größten Teil von den Mongolen erobert wurde. Als deren Vasallen vermochten sich die Rum-S. noch bis 1307 zu halten, bevor sie ihre letzten Gebiete an die aufsteigende Dynastie der Osmanen verloren.

Anfang

Duda H. W. 1959: Die Seldschukengeschichte des Ibn Bibi. Kopenhagen. Rice T. T. 1961: The Seljuks in Asia Minor. London.

(Tilman Lüdke)


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