Donezbecken

Donezbecken (russ. Doneckij ugolʹnyj bassejn, ukrain. Donecʹkij vuhilʹnyj basejn, „Donez-Steinkohlebecken“, Abk. russ. Donbass, ukrain. Donbas)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Das D. ist ein Bergbau- und Industriegebiet im Süden des Osteuropäischen Tieflands auf dem Gebiet der Ukraine und der Russischen Förderation. Man unterscheidet das zentrale D., welches auch das „Alte Donbass“ genannt wird, von dem „Großen Donbass“, das ab den 1950er Jahren durch eine starke Erweiterung insbesondere nach Westen und Osten entstanden ist. Das „Alte D.“ umfasst in etwa das gesamte Gebiet des Donezrückens. Es wird im Norden und Osten von den Tälern des Donez und des Dons begrenzt, im Süden reicht es bis zu den Asowschen Höhen, im Westen bis zum Quellgebiet des Flusses Samara. Insgesamt bedeckt das „Alte Donbass“ eine Fläche von 23.000 km², wobei ca. 75 % auf die ukrainischen Gebiete Donecʹk und Luhansʹk entfallen, während 25 % zum russischen Gebiet Rostow gehören. Das „Große Donbass“ reicht im Westen bis zum Erzabbaugebiet um die Stadt Komsomolsʹk im Gebiet Poltava und umfasst auch die Kohleabbaugebiete um Pavlohrad im Gebiet Dnipropetrovsʹk. Im Osten reicht es bis zur Industriestadt Volgodonsk im russischen Gebiet Rostow. In dieser Region befinden sich sowohl Kohle- als auch Gasvorkommen. Im Norden umfasst das erweiterte D. zusätzlich Gas- und Kohlevorkommen im zentralen Teil des Gebiets Luhansʹk, welche aber bisher kaum erschlossen sind. Gleiches gilt für das im Süden dazu gekommene Gebiet der Asowschen Höhen. Das „Große Donbass“ hat eine Fläche von 60.000 km², davon 40.000 km² auf dem Territorium der Ukraine und 20.000 km² auf dem Gebiet der Russischen Förderation. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine wird das D. durch die ukrainisch-russische Grenze geteilt und bildet daher keine wirtschaftspolitische Einheit mehr. Der russische Teil wird nun auch als Östlicher Donbass bezeichnet, während für den ukrainischen Teil weiter der Begriff D. gebräuchlich ist.

Der geologische Untergrund des D.s ist von einer breiten dort an die Oberfläche tretenden Kohle führenden Gesteinsschicht geprägt, welche vor mehr als 300 Mio. Jahren im Karbonzeitalter entstand. Kohlelagerstätten reichen in eine Tiefe von bis zu 1800 m, wobei die Flöze überwiegend eine Höhe von 0,3–1,5 m haben, teilweise aber auch eine Mächtigkeit von bis zu 2,5 m erreichen. Die Qualität der Kohlevorkommen im D. variiert, es finden sich dort sowohl hochwertige Anthrazit- wie auch minderwertigere Fettkohlen. Allen ist gemeinsam, dass sie einen hohen Asche- (bis zu 30 %) und Sulfatanteil (1,5–3,5 %) haben. Neben der Kohle finden sich im D. aber auch zahlreiche weitere Rohstoffe. So gibt es u. a. Vorkommen an Steinsalz, Dolomit, Kalk, Quecksilber, Gips, Ton, Blei, Zink und Eisenerz. Im Norden und Osten des erweiterten D. finden sich darüber hinaus Gasvorkommen.

Aufgrund seines Rohstoffreichtums konnte sich das D. zur größten Industrieregion Osteuropas entwickeln. Allein im ukrainischen Teil des D.s sind gegenwärtig ca. 300 Steinkohlewerke im Betrieb. Wegen der hohen Methankonzentration und mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen gehören die Gruben im D. zu den gefährlichsten in Europa. Neben dem Kohlebergbau dominieren Metallerzeugung, Maschinenbau Elektrotechnik und Chemische Industrie. Darüber hinaus befinden sich im D. zahlreiche Elektrizitätskraftwerke, darunter allein zehn auf ukrainischem Gebiet.

Durch die industrielle Nutzung ist die Umwelt des Gebietes stark belastet. Ein großes Problem ist auch die Wasserversorgung des D.s, da die lokalen Wasserressourcen in dieser Steppenregion sehr begrenzt sind. Dies ist insbesondere für die Metall- und Elektrizitätserzeugung problematisch. Der Bau des Donez-Donbass Kanals (1954-58) und des Dnjepr-Donbass Kanals (1979-1983) änderte diese Problematik nicht wesentlich.

Das D. zeichnet sich durch eine hohe Bevölkerungs- und Städtedichte aus, welche zu den höchsten in Osteuropa gehört. So hat etwa das Gebiet Donecʹk eine Bevölkerungsdichte von 176,2 Einwohnern/ km² (2004), wobei berücksichtigt werden muss, dass die Einwohnerkonzentration im Zentrum, Norden und Osten dieser Verwaltungseinheit deutlich höher ist, während es im Westen und Süden der Region Landkreise gibt, in welchen deutlich weniger als 50 Einwohner/ km² leben.

Die größten Städte im ukrainischen Teil des D. sind Donecʹk, Luhansʹk, Makijivka, Horlivka und Kramatorsʹk Auf russischem Gebiet ist Šachty die wichtigste Stadt. Auch wenn der überwiegende Teil des D.s auf ukrainischem Gebiet liegt, so dominiert in den Städten der russische Bevölkerungsanteil, da die Zuwanderung während der Industrialisierungsphase überwiegend aus Russland erfolgte. Die materielle Situation der Bevölkerung ist im Vergleich zu umliegenden Regionen im D. relativ gut. Allerdings tragen die schwierige Umweltsituation und die daraus resultierende niedrige Lebenserwartung dazu bei, dass etwa die beiden Regionen Donecʹk und Luhansʹk beim regionalen „Bericht über die menschliche Entwicklung“ (Human Development Report) der Vereinten Nationen (2003) regelmäßig mit Abstand die beiden letzten Plätze unter allen ukrainischen Regionen belegen.

2 Kulturgeschichte

Ab dem 10. Jh. gehörte der nördliche Teil des D.s zum Reich der Kiewer Rus. Damals wurden bereits die Salzseen in der Nähe von Slovʹʹjansʹk zur Salzgewinnung genutzt. Nachdem die Region einige Jahrhunderte unter der Kontrolle von nomadischen Stämmen war, besiedelten im 17. Jh. Kosaken das damalige Grenzgebiet zwischen dem Osmanischen und dem Russischen Reich. Letztgenanntem gelang es im Laufe des 18. Jh., das D. komplett unter seine Kontrolle zu bringen.

Kohlevorkommen wurden in dieser Region erstmals 1721 entdeckt, 1795 errichtete die russische Regierung in Luhansʹk das erste größere metallverarbeitendes Werk und in Lysyčansʹk das erste bedeutendere Kohlebergwerk. Ein rasanter Aufschwung setzte aber erst ab 1870 mit dem Anschluss an das russische Eisenbahnnetz ein. Besonders bedeutend für die Entwicklung der Region war dabei die 1883 fertig gestellte Verbindung zwischen dem D. und dem Eisenerzgebiet um Kryvyj Rih. Als Investoren traten zu dieser Zeit überwiegend ausländische Kapitalgeber (Belgier, Briten, Deutsche und Franzosen) auf. Eine wichtige Rolle spielte der walisische Unternehmer John Hughes, der 1872 das erste moderne metallverarbeitende Werk in Donecʹk eröffnete. Bis zum Ersten Weltkrieg war die eisenverarbeitende Industrie der dominierende Industriezweig.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren damals für den Großteil der Bevölkerung sehr schlecht. Hinzu kam, dass viele nicht über gesicherte Arbeitsplätze verfügten, da sich Aufschwungs- und Krisenzeiten in kurzer Folge abwechselten, was eine hohe Fluktuation beim Arbeitskräftebedarf verursachte. Aufgrund dieser Umstände hatten linke Parteien und Arbeiterorganisationen regen Zulauf. Ab 1887 kam es mehrfach zu großen Streikaktionen, bei denen es in der Regel auch zu Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung kam.

Im Ersten Weltkrieg profitierte die Wirtschaft des D.s zunächst von der erhöhten Nachfrage nach Rüstungsgütern. Im Verlauf des anschließenden russischen Bürgerkriegs erlitten aber Industrie und Bevölkerung starke Schäden. So sank etwa die jährliche Kohleproduktion des D.s von 1913 bis 1920/21 von 25,3 Mio. t auf 4,6 Mio. t. Mit Hilfe von aus Moskau entsandten Truppen besetzten 1917 die Bolschewisten zunächst das Gebiet. Danach wechselte die Besatzungsmacht mehrfach, bis die Rote Armee Ende 1919 das D. endgültig unter ihre Kontrolle brachte. Unter den Kommunisten wurde der Ausbau des Bergbaus und der Industrie des D.s forciert, wobei Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften gerade im Bergwerkssektor keine Seltenheit war. Beim Stadtausbau wurde viel Wert auf den Bau von Kultureinrichtungen, Hochschulen und Wohnungen gelegt. Im Bergbausektor lag der Fokus auf dem Ausbau der Anthrazitminen. Während die eisenverarbeitende Industrie stagnierte, nahmen die Maschinenbauindustrie und die chemische Industrie einen starken Aufschwung. Ein wichtiger Schwerpunkt der Investitionen lag auf der Rüstungsindustrie.

Während des Zweiten Weltkriegs war das D. mehrmals Schauplatz von Kampfhandlungen und 22 Monate lang von den Deutschen besetzt. Am Ende des Krieges waren fast alle Industriebetriebe und Kohleminen zerstört bzw. überflutet. 1949 konnte aber bereits beim Kohleabbau und bei der Metallproduktion wieder das Vorkriegsniveau erreicht werden. In den folgenden Jahrzehnten stiegen die Fördermengen stetig an und erreichten ihre Maximalwerte Anfang der 1970er Jahre, als bis zu 240 Mio. t Kohle pro Jahr gefördert wurden.

Ab Mitte der 1970er entwickelten sich Zahlen aber rückläufig, was ein erstes Anzeichen dafür war, dass das D. ähnlich wie die früh industrialisierten Gebiete Westeuropas in eine wirtschaftliche Krise geriet. Diese wurde verstärkt durch die immer sichtbarer werdenden Mängel der Planwirtschaft, darüber hinaus hatte die Sowjetregierung die Investitionen im D. bereits ab den 1960er Jahren zugunsten sibirischer Industrieregionen zurückgefahren. Ins öffentliche Bewusstsein rückte die Krise aber erst in der Perestroika-Phase Ende der 1980er Jahre, als es im D. zu großen Streiks kam.

Angesichts des Gefühls, von der Sowjetregierung benachteiligt zu werden, und auf Basis der Erkenntnis, dass das Bergbaugebiet des D.s in der Sowjetunion nur noch wenig Zukunft hatte, da Kohle in Sibirien im Tagebau viel günstiger abgebaut werden konnte, wuchs auch unter der russischen Bevölkerung des D.s die Unterstützung für eine ukrainische Unabhängigkeit, weil die energiearme Ukraine auf die Bergwerke nicht verzichten konnte. So stimmte die Mehrheit der Bevölkerung des ukrainischen Teils des D.s 1991 für die ukrainische Unabhängigkeit. Dennoch konnte die Loslösung von Russland nicht verhindern, dass die Region Anfang der 1990er in eine schwere ökonomische Krise stürzte. So liegen heute etwa die Kohlefördermengen in den ukrainischen Gebieten Donecʹk und Luhansʹk lediglich bei 65,3 t/ Jahr. Rechnet man die Produktion im russischen Gebiet Rostow von 6,9 Mio. t und diejenige in den neuen Abbaugebieten des westlichen Donbass von 10,8 Mio. t hinzu, so ergibt sich für das „Große Donbass“ eine Gesamtfördermenge von 83 Mio. t Kohle im Jahr 2003.

Aufgrund der enttäuschten Hoffnungen und des hohen russischen Bevölkerungsanteils wurden Mitte der 1990er Jahre Forderungen nach einem Autonomiestatus für die Gebiete Donecʹk und Luhansʹk innerhalb des ukrainischen Gesamtstaats erhoben, welcher dem der mehrheitlich von Russen bewohnten Autonomen Republik Krim ähneln sollte. Die Kiewer Regierung dämmte die Autonomiebestrebungen dieser für die ukrainische Wirtschaft sehr wichtigen Region erfolgreich ein, indem sie den regionalen Eliten des D.s wichtige Posten auf nationaler Ebene verschaffte. So stammt etwa auch der 2002–05 amtierende ukrainische Ministerpräsident Viktor Janukovič aus dem D.. Von dessen politischer Karriere profitierte insbesondere der Oligarch Rynat Achmetov, der mit ihm in enger Verbindung steht. So konnte der Unternehmer bei einigen umstrittenen Privatisierungen den Zuschlag erhalten.

2004 kam es im Zuge der politischen Auseinandersetzungen um die ukrainischen Präsidentschaftswahlen zu einem erneuten Aufleben der Autonomiebestrebungen. Ende November stimmte das Parlament des Gebietes Donecʹk dafür, bereits Anfang Dezember ein Referendum abzuhalten, ob die Bevölkerung dieses Gebietes eine Autonomie wollte. Auf einer Versammlung in Severodonecʹk, an welcher neben Janukovič auch zahlreiche weitere wichtige politische Funktionsträger der Ost- und Südukraine teilnahmen, wurde dafür gestimmt, dass der gesamte Osten und Süden der Ukraine ein autonomes Gebiet werden sollte. Letztendlich wurden diese Bestrebungen allerdings trotz des Wahlsieges des politischen Gegners, Viktor Juščenko, nicht weiterverfolgt. Hierfür sind wohl hauptsächlich wirtschaftliche Gründe verantwortlich, da fraglich gewesen wäre, ob eine „Südostukrainische Republik“ Anrecht auf die von der WTO der Ukraine gewährten Exportquoten für Metalle gehabt hätte. Bei einem Wegfall wäre die Region in eine tiefe wirtschaftliche Krise gestürzt.

Seit der Wahl haben die regionalen Eliten stark an Einfluss auf der Nationalebene verloren, auch wenn die hauptsächlich in dieser Region verankerte „Partei der Regionen“ (ukrain. Rehiony Ukrajiny) zu den wichtigsten oppositionellen Fraktionen im ukrainischen Parlament zählt.

Anfang

Zimmer K. 2002: „Einheit, Eintracht und Wiedergeburt“. Zur Rolle und Relevanz des „Donecker Clans“. Forschungsstelle Osteuropa (Hg.) 2002: Der politische Einfluß von Wirtschaftseliten in der Ukraine. Nationale und regionale Oligarchen. Bremen, 22–48 (= Arbeitspapiere und Materialien der Forschungsstelle Osteuropa Bremen 42). Kuromiya H. 1998: Freedom and Terror in the Donbas. A Ukrainian-Russian Borderland, 1870s-1990s. Cambridge.

(Sebastian Klüsener)


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