Dnipropetrovsʹk

Dnipropetrovsʹk (ukrain., russ. Dnepropetrovsk; 1797–1802 russ. Novorossijsk, ukrain. Novorosijsʹk; 1776–97, 1802–1918, 1919–26 russ. Ekaterinoslav, ukrain. Katerinoslav; 1918–19 ukrain. Sičeslav).

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Stadt und Gebietszentrum in der Ostukraine mit 1.039.000 Einwohnern (2006). In dem gleichnamigen Gebiet leben auf 31.910 km² 3.422.900 Einwohner. Im Steppengürtel des Osteuropäischen Tieflands gelegen, erstreckt sich D. beiderseits des Dnjeprs, in welchen in der Stadt der Fluss Samara mündet. Die mittlere Temperatur im Januar beträgt -5,5 °C, im Juli 21,2 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf 513 mm.

D. wird überwiegend von Ukrainern (2001: 72,6 %) und Russen (23,5 %) bewohnt, Juden und Weißrussen machen jeweils 1% der Bevölkerung aus. Die Stadt ist eines der bedeutendsten Industrie- und Handelszentren der Ukraine. Darüber hinaus ist sie ein wichtiger Verkehrs- und Eisenbahnknotenpunkt mit einem Fluss- und einem internationalen Flughafen. Wirtschaftlich dominieren Maschinenbau und Metallerzeugung, wobei die Rüstungsproduktion und die Raumfahrttechnik von großer Bedeutung sind. Daneben sind Energieerzeugung, Reifen-, Lebensmittel-, Textil- und Möbelindustrie wichtige Produktionssektoren. In den letzten Jahren haben Handel und Finanzdienstleistungen deutlich an Gewicht gewonnen. D. ist mit elf staatlichen Hochschulen ein bedeutendes Bildungszentrum. Daneben befinden sich in der Stadt vier Theater, eine Philharmonie, ein Botanischer Garten, ein Aquarium und zahlreiche Museen. Zu den bedeutenden Baudenkmälern gehören der Palast des Stadtgründers Fürst Grigorij Potëmkin (1787–89) und die „Erlöser-Verklärungskathedrale“ (ukrain. Preobražensʹkyj sobor, 1830–35).

Anfang

2 Kulturgeschichte

Das Gründungsdatum des heutigen D. ist umstritten. Zur Zeit des russischen Imperiums galt das Jahr des Besuchs der Zarin Katharina der Großen mit einer offiziellen Delegation (1787) als offizielles Gründungsjahr. Zu Sowjetzeiten wurde dagegen 1776 als offizielles Gründungsjahr gefeiert, da damals die Bauarbeiten an dem Ort Ekaterinoslav begannen. Zunächst lag dieser allerdings ca. 30 km nordöstlich des heutigen D.s., zwischen den Flüssen Kilʹčen und Samara. Nachdem sich dieser Platz als ungünstig erwiesen hatte, wurde die Stadt 1786 an ihre heutige Position verlegt, wobei sie sich zunächst lediglich auf der rechten Uferseite des Dnjeprs befand. Dort bestanden bereits vor der Stadtgründung Kosakensiedlungen, darunter Novyj Kodak und Polovycja (russ. Polovica).

Die Stadtgründung erfolgte, nachdem das Russische Reich im 18. Jh. sein Staatsgebiet in mehreren Kriegen gegen die Osmanen bzw. die Kosaken bis zum Schwarzen Meer ausgedehnt hatte. Der zu Ehren Katharina II. Ekaterinoslav benannte Ort sollte das Verwaltungszentrum der neu eroberten Gebiete werden. Während er sich in den ersten Jahren unter der Aufsicht des Architekten Ivan Starov zunächst zügig entwickelte, verlangsamte sich das Wachstum nach dem Tod Potëmkins 1791. So war die Stadt noch Mitte des 19. Jh. ein kleines regionales Handels- und Verwaltungszentrum mit 19.000 Einwohnern.

Erst mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz in den 1870er Jahren beschleunigte sich wieder das Wachstum der Stadt. 1883 wurde die durch den Ort verlaufende Eisenbahnstrecke zwischen dem Donbass und den Erzminen in Kryvyj Rih eröffnet. Diese ermöglichte den Aufstieg des heutigen D.s zu einem bedeutenden Zentrum der Metallerzeugung und -verarbeitung. Durch den Ausbau zum Eisenbahnknotenpunkt und die Errichtung mehrerer Brücken über den Dnjepr nahm in dieser Zeit ebenfalls der Handel einen regen Aufschwung: 1887–1912 stieg die Einwohnerzahl von 47.000 auf 218.500 an.

Während des russischen Bürgerkriegs (1917–20), in dem das heutige D. mehrmals von verschiedenen Kriegsparteien erobert wurde, erlitten die Stadt und ihre Bewohner schwere Verluste. In der Zwischenkriegszeit baute die Sowjetmacht v. a. die metallurgische und die chemische Industrie stark aus. Die Einwohnerzahl der 1926 zu Ehren des Revolutionärs Hryhorij Petrovsʹkyj (russ. Grigorij Petrovskij) in D. umbenannten Stadt wuchs bis 1939 auf 500.700 an. Im Zweiten Weltkrieg war D. 1941–43 von der Deutschen Wehrmacht besetzt. Diese erschoss u. a. am 13.–14.10.1943 in Krasnopovstančeskaja balka 11.000 Zivilisten. Ein Großteil der jüdischen Gemeinde, welche 1939 ca. 100.000 Menschen zählte, hatte aus D. vor der Besetzung durch deutsche Truppen fliehen können. Von den 20.000 Juden, welche in der Stadt verblieben waren, überlebte fast niemand die Besatzungszeit. Insgesamt sind lediglich 15 Fälle von Überlebenden dokumentiert. Nach dem Krieg kehrten viele der Geflohenen wieder zurück, so dass 1959 wieder 55.000 Juden in D. lebten. Im Zuge der Transformationskrise der 1990er Jahre hat aber ein Großteil der jüdischen Bevölkerung die Stadt v. a. in Richtung Israel und Deutschland verlassen, so dass 2001 nur noch 10.500 Juden in der Stadt lebten.

Nach dem Krieg begann der zügige Wiederaufbau D.s, wobei insbesondere in die militärische Flugzeug- und Raketenindustrie investiert wurde. Bis 1991 wuchs die Stadt auf 1.189.900 Einwohner an. In dieser Zeit konnten die Ukrainer gegenüber den Russen stark an Gewicht gewinnen, da die Mehrheit der Zuziehenden aus dem überwiegend von Ukrainern bewohnten ländlichen Umland erfolgte. So wuchs der Anteil der Ukrainer zwischen 1926 und 1959 von 35 % auf 59 %, während der Anteil der Russen von 31,5 % auf 29 % zurückging.

In der Sowjetzeit konnten die städtischen Eliten auch bedeutenden Einfluss auf gesamtstaatlicher Ebene erlangen. So hatten Nikita Chruschtschow und Leonid I. Brežnev ihre Wurzeln im sog. D.er Clan, einem Netzwerk von Politikern und leitenden Mitarbeitern staatlicher bzw. heute privater Wirtschaftsbetriebe. Brežnev baute den „Clan“ zu einer wichtigen Kaderschmiede aus. Die regionalen Eliten spielen in der unabhängigen Ukraine weiterhin eine wichtige Rolle. So stammt der 1994–2005 amtierende ukrainische Präsident Kučma aus dem „Dnipropetrovsʹker Clan“.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion geriet die Wirtschaft von D. in den 1990er Jahren in eine schwere Krise. So betrug der Index der industriellen Produktion 1999 nur noch 41 % des Wertes von 1990. Seitdem hat aber ein leichter Erholungsprozess eingesetzt, so dass der Index 2003 knapp 3/5 des Wertes von 1990 erreichte. Bei diesen Zahlen muss allerdings berücksichtigt werden, dass ein gewisser Teil des Rückgangs auch darauf zurückzuführen ist, dass wirtschaftliche Aktivitäten in die Schattenwirtschaft verlegt wurden.

http://gorod.dp.ua/tema/ (http://gorod.dp.ua/tema/) [Stand 25.6.2004].

(Sebastian Klüsener)

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