Niš (Stadt)

Niš (serb., dt. hist. Nissa/Nisch, griech. Naissos [byzant. Nysos], jidd. Nish, latein. Naissus, osman.-türk. Niş).

Die im Süden Serbiens gelegene Stadt ist mit 174.000 Einwohnern (2003) die drittgrößte Stadt des Landes. 94,0 % ihrer Bevölkerung sind Serben und 2,2 % Roma. N. ist die Hauptsstadt des gleichnamigen Bezirks mit insgesamt 379.829 Einwohnern (Mitte 2004) und einer Fläche von 2728 km². Der Fluss Nišava durchfließt N. und mündet unweit der Stadt in die Morava (serb. Velika Morava). Das Zentrum der Stadt liegt ca. 194 m ü. d. M. Die mittlere Temperatur im Januar beträgt 0,2 °C, im Juli 21,2 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf 567 mm.

N. ist eine der ältesten Städte auf dem Balkan und wurde vermutlich im 3. Jh. v. Chr. von keltischen Bewohnern gegründet. Der Name ›Navissos‹ war demnach wohl die keltische Bezeichnung für den Fluss Nišava. Die Vormachtstellung Makedoniens auf dem Balkan wurde im 2. Jh. v. Chr. von den Römern beendet, ca. 146 v. Chr. marschierten sie auch in N. ein, errichteten am Nordufer jedoch erst zwischen 4 und 6 ein Kastell an einer verkehrspolitisch günstigen Lage. Im Jahre 86 wurde N. Hauptstadt der römischen Provinz ›Moesia superior‹, nunmehr verband über viele Jahrhunderte eine große Heerstraße Naissus mit Byzantion (Konstantinopel). Der 306 in N. geborene Kaiser Konstantin der Gr. ließ Mediana, seine zeitweilige Sommerresidenz bei N., prunkvoll ausbauen, und machte N. zu einem bedeutenden wirtschaftlichen, militärischen und administrativen Zentrum. Nach der Teilung des Römischen Reiches 395 fiel N. an das östliche Kaiserreich. 441 wurde N. von den Hunnen und 480 von den Goten zerstört und anschließend unter Kaiser Justinian neu errichtet, befestigt und ausgebaut.

Dennoch wurde N. in den folgenden Jahrhunderten mehrmals verwüstet, u. a. von südslawischen Stämmen, die seit dem 7. Jh. auf den Balkan einwanderten. Immer wieder musste sich das Byzantinische Reich mit Slawen- und Awarenheeren auseinandersetzen. Im 9. Jh. lag N. unmittelbar an der Grenze zum Bulgarischen Reich, in das es unter Fürst Simeon I. 987 auch inkorporiert wurde. Seit der zweiten Hälfte des 9. Jh. wurden zunächst aber die südslawischen Stämme von Byzanz aus christianisiert. Im 10. Jh. fielen ungarische Heere mehrmals in die Länder südlich der Donau ein. Gegen Ende des 12. Jh. gewann Stefan Nemanja N. Bereits Anfang des 13. Jh. war N. nach der Zerschlagung des Byzantinischen Reiches wieder Teil des Bulgarischen Reiches, bis ins 15. Jh. hinein wechselte jedoch die Herrschaft über die Stadt mehrmals.

1386 eroberten die Osmanen für kurze Zeit die Stadt. 1443 siegte ein ungarisches Heer gegen die Osmanen bei N. Seit 1428 gehörte N. und ein später eigens eingerichteter Sandschak endgültig den Osmanen, die N. auf die Südseite des Flusses verlegten. Die Stadt verlor ihre bis dahin bedeutende Rolle als Handelszentrum und diente vom 16. bis 18. Jh. v. a. als wichtiger Stützpunkt osmanischer Heere beim Vormarsch in den Norden, gegen Ungarn oder das Habsburgerreich, und wurde in dieser Eigenschaft 1688–90 (von Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden) und 1737 von österreichischen Truppen besetzt. 1690–1732 wurde an der Stelle des römischen Kastells und der byzantinischen Burg eine städtische Festungsanlage errichtet. Quellen aus dem 17. Jh. beschreiben N. als Kleinstadt mit geringer wirtschaftlicher Bedeutung, die im 18. Jh. einen Aufschwung erlebte. Ihre Einwohnerzahl soll rd. 20.000 betragen haben, darunter viele Händler. N. teilte sich in einen osmanischen Teil mit rd. 2300 Häusern und einen serbischen mit etwa 700 Häusern.

Im ersten serbischen Aufstand 1804–13 war N. ein wichtiges Ziel der serbischen Aufständischen, bei dem Hunderte geköpft und 925 Schädel in einem Turm eingemauert wurden (ihre sterblichen Überreste wurden nach der serbischen Eroberung der Stadt 1877 bestattet), und nach Gründung des serbischen Fürstentums verblieb N. dennoch weiterhin beim Osmanischen Reich. Erst nach weiteren Aufständen 1876/77 und dem russisch-türkischen Krieg 1877 zogen die Osmanen ab, und übergaben nach dem Berliner Kongress 1878 schließlich auch die Festung. Mit den osmanischen Truppen verließ auch ein Großteil der osmanischen Bevölkerung die Stadt. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. setzte eine rege Bautätigkeit in N. ein. Es entstand eine Vielzahl monumentaler Repräsentationsbauten, die heute noch das Stadtbild prägen, wie z. B. die Kathedrale (1872), das Nationaltheater (1887) oder das Gebäude des späteren Nationalmuseums (1894).

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde N. infolge des Rückzugs der serbischen Truppen kurzzeitig Regierungszentrum. Daher erfolgte auch hier am 7. Dezember 1914 die „Deklaration von Niš“ (serb. Niška deklaracija), in der für die Nachkriegszeit die Gründung eines jugoslawischen Staates als Zusammenschluss der südslawischen Völker propagiert wurde. Nachdem Bulgarien seit dem 15.10.1915 auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg eingriff, wurde N. kurz darauf, am 5.11., von bulgarischen Truppen besetzt. Nach seiner Befreiung am 18.10.1918 gehörte N. dem am 1.12.1918 gegründeten SHS-Staat (serb. Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca) bzw. ab 1929 dem „Königreich Jugoslawien“ an. Im Zweiten Weltkrieg hatte N. unter großen Zerstörungen infolge von Bombardierungen und der deutschen Besatzung zu leiden, gleich in der Nähe der Stadt wurde ein großes Konzentrationslager errichtet. Am 23.10.1944 wurde N. schließlich von den Truppen der Roten Armee eingenommen. Im sozialistischen Jugoslawien erlebte die Stadt einen industriellen Boom. N. beheimatet eine Waggonfabrik, Gummi- und Lederwerke, Ziegeleien, eine Elektro- und Textilindustrie, eine Tabak- und Lebensmittelfabrik sowie eine chemische Industrie.

1965 wurde eine neue Universität mit heute ca. 14.000 Studierenden eröffnet und 1986 der Flughafen eingeweiht. N. ist nach wie vor das politische, kulturelle, religiöse (Eparchie mit wechselvoller Geschichte, deren Ursprünge auf die ersten frühchristlichen Jahrhunderte zurückgehen) und ökonomische Zentrum Südserbiens, und nicht zuletzt durch seine Auto- und Eisenbahnverbindungen (1888 Anschluss an die Bahnlinie nach Belgrad) ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt auf dem Balkan. Dieser verbindet Belgrad, Sofia und Istanbul in West-Ost-Richtung und Mitteleuropa mit Skopje, Thessaloniki und Athen in Richtung Süden.

Anfang

Janićijević J. (Hg.) 2002: Kulturna riznica Srbije. Beograd. http://www.nis.org.yu [11.7.2005]

(Rayk Einax)


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