Nikosia

Nikosia (griech. Levkosia, türk. Lefkoşa)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Lage und Verwaltung

Die Hauptstadt beider Teile Zyperns liegt in der fruchtbaren Mesaoria-Ebene im Zentrum der Insel am Fluss Pediaios eingebettet zwischen den Gebirgszügen des Troodos im Süden und des Fünffingergebirges (griech. Pentadaktylos, türk. Beşparmak Dağları) im Norden. N. ist 150 m. ü. d. M. gelegen. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 19 °C. Der kälteste Monat ist der Januar mit durchschnittlich 10 °C, die wärmsten Monate sind mit durchschnittlich 28 °C Juli und August. Im Jahresdurchschnitt fallen nur 30 mm Niederschlag.

N. ist sitz der Regierungen der griechisch-zypriotischen „Republik Zypern“ und der türkisch-zypriotischen „Türkischen Republik Nordzypern“. Außerdem ist es Sitz der Verwaltungen der gleichnamigen Provinzen Levkosia (Süd) und Lefkoşa (Nord). Seit den interethnischen Auseinandersetzungen von 1958 bestehen getrennte Stadtverwaltungen für die griechischen und die türkischen Zyprioten (Dīmos Leukōsias – Lefkoşa Türk Beleydiyesi). Beide Teile verfügen über Bürgermeister und Stadtverordnetenversammlungen. Die griechische Stadtverwaltung N. ist indes nur für den Stadtkern und die angrenzenden Viertel der Neustadt zuständig, während die Vororte Strovolos, Lakatamia, Latsia, Aglantzia, Enkōmi und Agios Dometios über eigene Stadtverwaltungen verfügen. N. ist außerdem Sitz des orthodoxen Erzbischofs und des islamischen Muftis.

N. ist von sternförmigen Befestigungsanlagen (4,8 km) umgeben, die in ihrer heutigen Form 1567–70 von den Venezianern angelegt wurden und eine ältere aus der Zeit der Lusignans stammende 6,43 km lange Anlage ersetzt hat. Die Stadtwälle werden von 11 Bastionen unterbrochen, die nach noblen lokalen und venezianischen Familien benannt sind. Während des 20. Jh. begann die Stadt über die Wallanlagen hinaus zu wachsen und neue Stadtviertel entstanden im Norden und Süden. 1958 wurde an der Līdra-Straße die erste die Bevölkerungsgruppen trennende Barrikade errichtet und infolge der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen 1963/64 wurde die Stadt geteilt. Die sog. ›Greenline‹ wurde im Dezember 1963 vom britischen General Peter Young mit einem grünen Stift auf einer Wandkarte eingezeichnet und bildet bis heute die Demarkationslinie in der Altstadt. Die heutige Aufteilung der Stadt geht auf den Verlauf des Krieges im Jahre 1974 zurück, währenddessen das türkisch-zypriotische Stadtgebiet leicht vergrößert wurde. Zwischen den beiden Teilen N. verläuft eine Pufferzone die unter der Aufsicht der Vereinten Nationen (UNFICYP) steht. Die Flüchtlingsbewegungen des Jahres 1974 hatten v, a. Auswirkungen auf den Südteil der Stadt, in dem in kürzester Zeit schätzungsweise 35.000 griechisch-zypriotische Flüchtlinge aus dem Norden Zyperns untergebracht wurden (insbesondere aber in Strovolos). Zentrale Plätze N. sind im griechischen Süden ›Plateia Eleuftherias‹, an den sich in der Altstadt die Einkaufszone der ›Līdra‹-Straße und in der Neustadt die beliebte ›Leoforos Archiepiskopou Makariou III‹ anschließen, und im Norden ›İnönü-Meydanı‹, sowie die Einkaufsmeile an der ›Mehmet Akif Caddesi‹-Straße.

Die zum größten Teil sanierungsbedürftige Altstadt wird seit 1979 in einem von den Vereinten Nationen mit Hilfe der beiden Stadtverwaltungen organisierten Master-Plan revitalisiert. Der ›Nicosia Master Plan‹ sieht neben umfangreichen Sanierungsmaßnahmen auch die Erneuerung der Wasserversorgung vor.

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Bewohner

Die Einwohnerzahl wird von griechischer Seite auf 47.832 geschätzt (2001), im türkischen Norden leben 49.237 Einwohner (2006). Die meisten Bewohner Südnikosias sind griechische Zyprioten. Es bestehen aber auch kleine maronitische, armenische und latinische Minderheiten. Außerdem wohnt in der Hauptstadt der Republik eine nicht unerhebliche Anzahl von Ausländern (insb. aus Sri Lanka, Bangladesh und den Philippinen), die im Servicebereiche tätig sind. Im Nordteil ist die Altstadt hauptsächlich von Zuwanderern aus der Türkei besiedelt, während die türkischen Zyprioten die Stadtteile außerhalb des Stadtkerns bevorzugen.

Wirtschaft und Verkehr

Im Gegensatz zu den anderen Städten Zyperns spielt der Tourismus im Wirtschaftsleben nur eine untergeordnete Rolle (Tagestourismus). Die wesentlichen Beschäftigungsbereiche sind Verwaltung, Dienstleistungen (insb. Banken) und verarbeitendes Gewerbe. Die Industrie N. produziert u. a. Textilien, Lederwaren, Geschirr, Zigaretten, Kacheln, Baustoffe und Plastik.

Beide Teile N. sind zentrale Verkehrsknotenpunkte und verfügen über gute Anbindungen an andere Städte. Autobahnen verbinden Südnikosia mit Larnaka und Lemesos (dt. auch Limassol) und Nordnikosia mit Famagusta (griech. Ammochostos, türk. Gazimağusa) und Girne (griech. Keryneia). Demgegenüber ist der öffentliche Nahverkehr auf einige wenige innerstädtische städtische Buslinien beschränkt und das Gros des Verkehrsaufkommens lastet auf dem Individualverkehr. Im Fernverkehr bestehen Buslinien mit den anderen Städten, die im Süden von verschiedenen Plätzen und im Norden vom Busbahnhof an der ›Kamal Aşik Cad‹. aus abgehen. Zudem verfügen beide Teile über Sammeltaxiunternehmen, die tagsüber N. mit anderen Städten verbinden. Seit der Öffnung der Demarkationslinie 2003 gibt es in N. zwei rund um die Uhr zugängliche Übergangsstellen, wobei ›Agios Dometios‹/›Metehan‹ für den Fahrzeug- und ›Ledra Palas‹ für den Fußgängerverkehr eingerichtet ist. Die Öffnung eines weiteren Fußgängerübergangs an der ›Līdra‹-Straße in der Altstadt scheitert bislang an griechisch-zypriotischen Einwänden. Der internationale Flughafen ›Nicosia International Airport‹ ist seit 1974 geschlossen und beherbergt das Hauptquartier der Vereinten Nationen auf Zypern. Der Flugverkehr des Nordens wird vom nahe gelegenen ›Ercan Havalimanı‹, der des Südens vom ›Larnaca Airport‹ aus vorgenommen.

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2 Kulturgeschichte

N. wird zum ersten Mal im 7. Jh. v. Chr. unter dem Namen Lidir (Lēdra) als Stadtkönigtum in assyrischen Tributlisten erwähnt. Der Name N. wird auf den Sohn des ersten Ptolemäer-Königs, Seleukos II., zurückgeführt, der im 3. Jh. v. Chr. die Stadt ausgebaut haben soll. Bedeutung gewinnt N. jedoch erst in byzantinischer Zeit, als infolge von Arabereinfällen (647–965) ein großer Teil der Bevölkerung von Salamis und Paphos in das neu angelegte Levkōvia zog. 1192 wird die Stadt unter den Lusignans als ›Nicosia‹ Hauptstadt des Königreiches Zypern. N. behält den Status des Regierungssitzes unter der nachfolgenden Herrschaft der Venezianer (1489–1570), Osmanen (1570–1878) und Briten (1878–1960) bei. 1960 wird N: Hauptstadt der neu gegründeten „bikommunalen“ Republik Zypern. Nach deren Zusammenbruch 1963/64 bleibt N. Sitz der nun ausschließlich griechisch-zypriotischen Regierung, während sich im Norden der Altstadt eine provisorische türkisch-zypriotische Verwaltung etabliert. Nach Teilung der Insel (1974) wird im Norden eine Regierung des „Türkischen Föderativstaates von Zypern“ (1975) und nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung (1983) der Türkischen Republik Nordzypern (türk. Kuzey Kıbrıenosis Türk Cumhuriyeti ) gebildet. Die Regierung der Republik Zypern (griech. Kypriaki Dimokratia) verbleibt im Südteil N. Die Stadt ist in jüngerer Zeit wiederholt Schauplatz der politischen Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen aber auch Austragungsort von innerethnischen Konflikten gewesen. 1958 finden hier die ersten schweren Straßenschlachten zwischen den Volksgruppen statt, im Dezember 1963 bricht hier der Bürgerkrieg aus und 1974 erfolgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen griechischen Fraktionen im Südteil der Stadt und dann zwischen den Volksgruppen entlang der ›Green-Line‹. 2002–03 finden auf dem ›İnönü-Meydani‹ die größten Massendemonstrationen in der Geschichte der türkisch-zypriotischen Bevölkerung (nach unterschiedlichen Schätzungen nehmen am 27.2.2003 zwischen 30.000 und 555.000 Menschen teil) statt, auf denen zur Unterstützung des „Annan-Plans“ und zum Rücktritt des türkisch-zypriotischen Präsidenten Rauf Denktaş aufgerufen wurde. Zur selben Zeit finden auf dem ›Plateia Eleuftherias‹ Massendemonstrationen gegen den „Annan-Plan“ statt.

N. ist auf beiden Seiten der Demarkationslinie zu einem wichtigen Wissenschaftsstandort geworden. Im Süden befindet sich als höhere Bildungseinrichtung die Universität Zypern. Diese (gegr. 1989, Aufnahme des Lehrbetriebs 1992) besteht aus 6 Fakultäten mit 23 Fachbereichen und je einem Forschungs- und Sprachzentrum. Das 1980 gegründete Interkolleg (Intercollege) hat vier Fakultäten (Schools) und 17 Fachbereiche; das Zypernkolleg (Cyprus College, gegr. 1961) ist aus vier Fakultäten (Schools) zusammengesetzt. Im Norden ist die 1988 gegründete private Nahost Universität (Near East University/Yakın Doĝu Universitesi), die über 7 Fakultäten mit 20 Fachbereichen und 2 Berufsschulen verfügt, angesiedelt; die ebenfalls private 1997 geg. Internationale Universität Zyperns (Cyprus International University/Kıbrıs Uluslararası Universitesi) hat 6 Fakultäten und 20 Fachbereiche.

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Die bedeutendsten Baudenkmäler aus mittelalterlicher Zeit befinden sich im Nordteil der Altstadt: Die gotische St. Sophien-Kathedrale (erbaut 1209–1326, nach 1570 in eine Moschee umgewandelt, 1954 umbenannt in Selimiye Camii), St. Nikolaus Kirche (im 13. oder 14. Jh. anstelle einer orthodoxen Kirche errichtet, von den Osmanen in einen gedeckten Bazar ›Bedestan‹ umgewandelt), Ruine der Armenische Kirche und des Klosters ›Notre Dame de Tyre‹ (13. Jh.), St. Katharinen Kirche (Haydar Paşa Camii, 14. Jh., heute eine Kunstgalerie). Aus osmanischer Zeit stammen das Girne-Tor (urspr. ›Porta Provveditore‹, um 1562 von den Venezianern errichtet), das Kloster der „Tanzenden Derwische“ (Mevlevi-Tekke, frühes 18. Jh., heute Ethnographisches Museum), Arabahamet Camii (1845), Turunçlu Camii (1825), der Büyük-Hamam (anstelle der Kirche St. Georg der Lateiner errichtet), Büyük Han („Große Karawanserei, 1572), Kumarcılar Han („Herberge der Glücksspieler“, 17. Jh.), die Bibliothek Sultan Maḥmūd II. (1829). Während der britischen Herrschaft wurden die Sarayönü-Moschee (1903), die Gerichtsgebäude (anstelle des alten Lusignan-Palastes) und das Polizeipräsidium (um 1901) erbaut. Im griechischen Süden befinden sich als Bauwerke mittelalterlichen Ursprungs die Omeriye-Moschee (erstand aus den Ruinen der im 15. Jh. erbauten Augustinerkirche), das Paphos-Tor (›Porta di San Domenico‹, sowie das Famagusta-Tor (1567, heute Städtisches Kulturzentrum). Unter osmanischer Herrschaft entstanden die Tahtakale Camii (18. Jh.), die Cyrysaliniotisa Kirche (1735), die Ayios Savvas Kirche (Umbau einer älteren mittelalterlichen Kirche, 1608–1781), die Agios Ioannis Kirche (1662 anstelle einer Benediktinerabtei errichtet), der alte Erzbischofspalast (18. Jh., heute Volkskundemuseum) und das Hadji-Georgakis Kornesios Haus (18. Jh). Aus britischer Zeit stammen die Fanerōmenī-Kirche (1872–73) und die Stadtbibliothek (1925); der neue Erzbischöfliche Palast wurde erst 1960 im byzantinischen Stil erbaut.

Im griechischen Teil sind ein Stadttheater, ›The Cyprus Theatre Organisation (Thoc)‹, das ›Anglo-Cypriot‹ Theater, das ›Satiriko‹ Theater, das ›ENA‹ Theater, außerdem die Staatssammlung für zeitgenössische Kunst, die Europäische Kunstgalerie im Makarios-Zentrum und private Kunstgalerien. Im Norden gibt es ein Staatstheater und ein Stadttheater sowie mehrere private Kunstgalerien.

N. bedeutendstes Museum ist das von den Briten erbaute Zypernmuseum, das eine umfangreiche Antikensammlung beherbergt. Weitere Museen im Süden sind das Byzantinisches Kunstmuseum, Zyprisches Volkskundemuseum, Leventis Stadtmuseum und das Museum der (griechisch-zypriotischen) Freiheitsbewegung; im Norden das Volkskundemuseum im Derviş-Paşa Haus (19. Jh.), das Dr. Fazıl Küçük Museum (erinnert an den ersten Vizepräsidenten der Rep. Zypern, 1906–84), sowie das Museum des (türkisch-zypriotischen) Nationalen Kampfes.

N. ist Sitz der wichtigsten Tageszeitungen u. a. ›Filelevtheros‹ („Der Liberale“), ›Simerini‹ („Die Tägliche“), ›Politīs‹ („Der Bürger“), ›Haravgī‹ („Haravgi“), ›Machi‹ („Kampf“,), (griech.); ›Kıbrıs‹ („Zypern), ›Halkın Sesi‹ („Volkszeitung), ›Yeni Düzen‹ („Neue Ordnung“), ›Afrika‹, ›Vatan‹ („Vaterland“) (türk.), ›Cyprus Mail‹, ›Cyprus Weekly‹ (engl. Süd-N.), ›Cyprus Observer‹, ›Cyprus Today‹ (engl. Nord-N.) und der großen Rundfunk- und Fernsehanstalten: ›CyBC‹ (staatl.), ›Sigma‹, ›Antenna, Mega‹, ›Alpha‹ (griech.), ›BRT‹ (staatl.), ›Kıbrıs TV‹ (türk.).

Zahlreiche Sportvereine sind in N. ansässig. Auf der griechischen Seite spielen mit den Fußballmannschaften von ›Omonia Nikosia‹, ›APOEL‹, ›Olympiakos Nikosia‹ und ›EN THOI Lakatamia‹ gleich vier Teams in der ersten Spielklasse. Im Norden ist N. mit ›Çetinkaya‹, ›Yenicami‹, ›Küçük Kaymaklı‹, ›Gönyeli‹ und ›Hamitköy‹ in der ›KKTC Süper Lig‹ vertreten. Basketball, Volleyball und Handball sind weitere populäre Sportarten in der Hauptstadt. Die größten Sportstätten sind im Süden das Neue GSP Stadion (23.400 Plätze) und das Makarios Stadion (16.000 Plätze); im Norden befinden sich das Atatürk Station (28.000 Plätze) und die Atatürk Sporthalle (Atatürk Spor Salonu).

Fiene E. 1994: Lefkoşa – Nicosia. Hannover. İlkman H. 2000: Adim adim Lefkoşa (= Schritt fur Schritt Nikosia). İstanbul. Keshishian K. K. 1990: Nicosia. Capital of Cyprus then and now. An old city rich in history. Nikosia. Papadakis Y. 2005: Echoes from the Dead Zone. Across the Cyprus Divide. London. Severis R. C. 2003: Leukōsia: mnīmeia kai mnīnes. Lefkoşa: Anıtlar ve anılar. Nicosia: monuments and memories. Nikosia. UNDP (Hg.) 2006: Nicosia Master Plan. Walled Nicosia. A guide to its historical and cultural sites. Nikosia. Wellenreuther R. 1996: Nikosia-Nord (Zypern). Staatentwicklung und Sozialraumanalyse einer geteilten Stadt zwischen Orient und Okzident. München.

(Jan Asmussen)

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