Deutsche (Karpaten, Überblick)

Karpatendeutsche

Inhaltsverzeichnis

1 Begriff

Der Begriff „K.“ wurde von dem aus der Bukowina stammenden österreichischen Historiker Raimund Friedrich Kaindl (1866–1930) zu Beginn des 20. Jh. geprägt. Er verwendete den Terminus erstmals in seinem zwischen 1907 und 1911 in Gotha erschienenen dreibändigen Werk über die ›Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern‹. Als Sammelbezeichnung für alle diesseits und jenseits der Karpaten ansässigen Deutschen in Galizien, der Bukowina, Rumänien und Ungarn sowie in Bosnien eingeführt, hat sich der Kaindl’sche Begriff „K.“ jedoch nicht durchgesetzt. Der Name blieb dennoch erhalten – auch wenn er sich v. a. nach den Grenzziehungen im Anschluss an den Ersten Weltkrieg nur sehr langsam etablierte, und nun natürlich auch einen anderen – weil engeren – geographischen Raum meinte. Eine flächendeckende Verbreitung des Begriffs erfolgte z. T. erst nach Flucht und Vertreibung innerhalb der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Österreich entstandenen ›K.n Landsmannschaften‹.

Welche deutschsprachigen Gruppen in welchem Raum werden nun unter dem gleichlautenden, aber in seinem Inhalt veränderten Begriff zusammengefasst? Als „K.“ werden jene Deutschen bezeichnet, die bis 1945 auf dem Gebiet der heutigen Slowakei in drei Siedlungsgebieten wohnten, und zwar in:

1. Pressburg (ungar. Pozsony, slowak. Bratislava) und seiner Umgebung (Große Schüttinsel/Csallóköz/Veľky Žitný ostrov) im Westen,

2. im Hauerland, den drei Sprachinseln in der Mittelslowakei und

3. in der Zips, bestehend aus der Oberzips zu Füßen der Hohen Tatra und der Unterzips im Göllnitztal (Hnilec-Tal) im Osten der Slowakei.

Insgesamt lebten in der Slowakei vor den freiwilligen oder erzwungenen Migrationen der Jahre 1944 bis 1947 rd. 150.000 Deutsche. Hinzu kommen noch etwa 15.000 Deutsche in der 1945 dann der Sowjetunion einverleibten Karpato-Ukraine (Transkarpatien), die in Dörfern rund um Munkatsch (ungar. Munkács, ukrain. Mukačeve) und als Holzfäller im Theresiental (=Teresvatal) in den Waldkarpaten lebten.

Anfang

2 Kulturgeschichte

Gerufen von den ungarischen Königen kamen die ersten Deutschen im Zuge der mittelalterlichen Ostsiedlung vom 12. bis ins 14. Jh. ins Land. Wie hoch die Zahl der Einwanderer war, ist nach wie vor nicht bekannt; sehr wohl aber lassen sich aus den von ihnen gesprochenen Mundarten etwa folgende Herkunftsgebiete ableiten: das heutige Bayern und Österreich, der schlesische und sudetendeutsche Raum, Thüringen und Sachsen. Die Ansiedlung von v. a. aus Franken abstammenden deutschen Einwanderern in der Karpato-Ukraine erfolgte erst im 18. Jh. Die K.n machten zur Zeit ihrer Vertreibung etwa 5 % der Bewohner der Slowakei aus. Ihr kultureller und wirtschaftlicher Beitrag war jedoch höchst bedeutsam. Davon zeugen die typisch deutschen Baudenkmäler, die im ganzen Lande anzutreffen sind. Allein Bratislava weist drei gotische Kirchen auf. Für die Zips sei stellvertretend der berühmte spätgotische Flügelaltar der Jakobskirche in Leutschau (ungar. Lőcse, slowak. Levoča) genannt, der höchste (18,62 m) gotische Altar überhaupt. Für das Hauerland seien Kremnitz/Körmöcbánya/Kremnica und Schemnitz/Selmecbánya/Banská Stiavnica mit ihren großartigen Kulturdenkmälern hervorgehoben.

Der einst blühende Bergbau prägte das Gesicht der sieben Bergstädte in der Mittelslowakei, besonders des „Goldenen Kremnitz“, des „Silbernen Schemnitz“ und des „Kupfernen Neusohl“ (Besztercebánya/Banská Bystrica). Auch in der Unterzips um Göllnitz/Gölnicbánya/Gelnica und Schmöllnitz/Szomolnokbánya/Smolník war der Bergbau von zentraler Bedeutung.

Dank der Zusammenarbeit zweier Unternehmerfamilien – der Augsburger Fugger und der Zipser Thurzo – wurde er im 16. Jh. auf einen neuen Höhepunkt geführt (Fugger-Thurzo-Gesellschaft). Durch die Türkenkriege wurde diese Entwicklung jedoch jäh abgebrochen. In weiterer Folge wurde der bisher überwiegend deutsche Charakter der meisten Städte verändert, da viele ungarische Adelige aus den von den Osmanen besetzten Gebieten nach Oberungarn geflohen waren.

Andererseits brachte die Reformation im 16. Jh., der sich die meisten K.n zunächst anschlossen, wieder eine engere Verbindung zu den deutschen Ländern. Die künftigen Pfarrer studierten an deutschen Universitäten, in den Städten der Slowakei entstand ein Schulwesen nach deutschem Muster (Melanchthon). Dieses gewann besondere Bedeutung auch für die Slowaken, die zum Teil ebenfalls das Luthertum übernahmen. Eine Sekte besonderer Art, die in dieser Zeit in die Slowakei kam, waren die sog. Habaner. Sie gehörten zu den damals hart verfolgten Wiedertäufern und waren aus ihren Heimatländern (Schweiz, Süddeutschland, Tirol) nach Südmähren und in die Westslowakei geflohen. Ihre Besonderheit war die Ablehnung jeder Form von Privateigentum. Als man sie Ende des 17. Jh. gewaltsam katholisierte, wanderte ein Teil nach Siebenbürgen, später von dort über Südrussland nach Nordamerika aus.

Der mannigfache Beitrag der K.n zum Aufbau des Landes ist trotz fortschreitender zahlenmäßiger Schwächung auch in der Folgezeit vorhanden, so etwa im Bereich des Berg- und Hüttenwesens, des Zeitungswesens oder in einigen Wissenschaftszweigen. Eine einschneidende Veränderung in der weiteren Entwicklung der deutschsprachigen Gruppen brachte dann das 19. Jh. mit seinen Magyarisierungsbestrebungen. Diese schwächten das Deutschtum von Jahr zu Jahr, besonders in den Städten. Bis 1914 war praktisch an allen deutschen Schulen die deutsche Unterrichtssprache abgeschafft. Eine Veränderung erfolgte erst nach 1918 mit der Eingliederung des historischen Oberungarn in die erste Tschechoslowakische Republik. Die Friedensverträge sicherten den nationalen Minderheiten das Recht auf eigene Schulen, Vereine und Presse. In den meisten deutschen Gemeinden wurde die deutsche Unterrichtssprache wieder eingeführt.

Das nach 1918 wieder erweckte nationale Bewusstsein der K.n kam auch im politischen Handeln zum Ausdruck. So kandidierte etwa die 1928 gegründete ›Karpatendeutsche Partei‹ (KdP) für die Parlamentswahlen 1929, ein Parlamentssitz blieb ihr jedoch versagt. Das Jahr 1935 brachte dann das Wahlbündnis der KdP mit der ›Sudetendeutschen Partei‹ Konrad Henleins. Im Oktober 1938 wurde der Abgeordnete der KdP Franz Karmasin (1901–70) zum „Staatssekretär für die Belange der deutschen Volksgruppe“. Die KdP nannte sich nun ›Deutsche Partei‹, die zwar zu einer nationalsozialistischen Weltanschauung neigte, aber nicht mit der NSDAP gleichzusetzen ist. Sie war eine Volksgruppenorganisation, der überwiegend alle Vereine angeschlossen wurden. Volksgruppenführer wurde F. Karmasin, ein übereifriger Erfüllungsgehilfe Berlins.

Die Entwicklung des Karpatendeutschtums war in der unter dem Schutz des Deutschen Reiches am 14.3.1939 ausgerufenen Slowakischen Republik vorerst nicht ungünstig. Es erhielt im Schulwesen volle kulturelle Selbstverwaltung und konnte sein Genossenschaftswesen weiter ausbauen. Dadurch wurde das jahrhundertelange gute Verhältnis zwischen Slowaken und Deutschen im allgemeinen bestätigt. Diesem bereitete der „Slowakische Nationalaufstand“ vom Sommer 1944 ein jähes Ende. In dessen Verlauf richteten sich die Aggressionen kommunistischer Partisanen v. a. gegen die karpatendeutsche Zivilbevölkerung der Mittelslowakei, wo es zu zahlreichen Massakern kam. Evakuierungsaktionen für die Deutschen nach dem Westen setzten bereits Ende 1944 ein und währten – oft in Flucht ausartend – bis zum Beginn des Jahres 1945. In den Jahren 1946/47 erfolgte schließlich die Vertreibung der meisten K.n.

Für die Vertreibungen haben sich slowakische Regierungspolitiker 1991 offiziell entschuldigt. Mit einer formellen Aufhebung der sog. Beneš-Dekrete ist dagegen nicht zu rechnen. Das betrifft v. a. die bis heute umstrittensten Erlässe des Jahres 1945, die die Enteignung des Vermögens der deutschen (und der ungarischen) Minderheit regelten. Ihre Aufhebung würde unüberschaubare Restitutionsforderungen enteigneter Deutscher (und Ungarn) nach sich ziehen.

Die K.n gingen nach dem Krieg vorwiegend in die Bundesrepublik Deutschland und nach Österreich, vereinzelt auch nach Übersee, v. a. nach Kanada und in die USA. Zu ihren Vertretern wurden die ›K.n Landsmannschaften‹. Die kleine, in der Slowakei verbliebene Gruppe der Deutschen, ist seit 1990 im ›K.n Verein in der Slowakei‹ organisiert. Die kleine, in der Slowakei verbliebene Gruppe der Deutschen, hat in dem 1990 gegründeten ›K.n Verein in der Slowakei‹ ein wichtiges – v. a. kulturelles – Sprachrohr gefunden. Was die Zahl der Deutschen betrifft, bekannten sich 1980 etwa 3000 als solche, 2001 waren es 5405. Einer von ihnen, Rudolf Schuster, war von 1999 bis 2004 Präsident der Slowakei.

Gottas F. 2006: Zur Geschichte der Deutschen in der Slowakei. Meier J. (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Deutschen in der Slowakei. Berlin. Steinacker R. 1987: Die Karpatendeutschen in der Slowakei. Bonn.

(Friedrich Gottas)

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